OGH 7Ob125/18k

OGH7Ob125/18k4.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.

 Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** G*****, vertreten durch Dr. Michael Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Z*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Josef‑M. Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 24.067,91 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Mai 2018, GZ 4 R 56/18v‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00125.18K.0704.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Zwischen den Streitteilen besteht ein Haftpflichtversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Haftpflichtversicherung 1995 (AHVB 1995) sowie die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (EHVB 1995) zugrunde liegen.

Nach Abschnitt B) Z 16.1 EHVB 1995 erstreckt sich die Versicherung „ auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens … “.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gibt es keine Bindung des Zivilrichters an ein freisprechendes Strafurteil (RIS‑Justiz RS0106015). Dies gilt sogar dann, wenn aufgrund des Beweisverfahrens vom Strafgericht festgestellt wurde, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat gar nicht begangen hat (2 Ob 173/13z mwN).

Die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung des EGMR vom 25. 8. 1993 Sekanina , ÖJZ 1993/46, vermag daran nichts zu ändern, betraf sie doch einen Fall, in dem eine Haftentschädigung im Hinblick auf den im Strafverfahren nicht entkräfteten Tatverdacht verweigert wurde. In diesem Zusammenhang meinte der EGMR, dass der Ausspruch von Verdächtigungen nach Rechtskraft des Freispruchs unzulässig und eine darauf basierende Begründung für den Nichtzuspruch einer Haftentschädigung mit der Unschuldsvermutung unvereinbar sei (2 Ob 173/13z).

Zur ebenfalls eine nicht gewährte Haftentschädigung betreffenden Entscheidung des EGMR vom 21. 3. 2000 Rushiti , ÖJZ 2001/5, fußte die Begründung des EGMR auf dem im damaligen österreichischen Recht bestehenden engen Konnex zwischen strafrechtlicher Verantwortung und Freispruch einerseits und Haftentschädigung andererseits, und bezog sich daher nur auf das Strafverfahren.

Diese Judikatur kann für das Zivilverfahren keine Geltung haben. Im Strafverfahren wird der öffentliche Strafanspruch abgehandelt, dem Täter steht der Staat gegenüber. Der Verletzte bzw Geschädigte ist dagegen nicht Partei. Über seine zivilrechtlichen Ansprüche wird grundsätzlich nicht entschieden. Die vom Revisionswerber angestrebte Bindungswirkung eines Freispruchs würde aber bedeuten, dass der Geschädigte durch ein Verfahren, dem er nicht beigezogen wurde, seiner Ansprüche verlustig gehen könnte. Eine solche Bindung wäre ihrerseits grundrechtswidrig (2 Ob 173/13z mwN).

1.2 Hingegen hat nach ständiger Rechtsprechung das im Haftpflichtprozess ergangene Urteil mit Rücksicht auf die Rechtsnatur und den Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrags die Bindungswirkung, dass die Ersatzpflicht des Versicherten nach Bestand und Betrag im Deckungsprozess gegen den Versicherer nicht nachgeprüft werden darf, sofern dieser sich am Haftpflichtprozess beteiligt hatte oder wenn er – wie hier – von diesem Verfahren verständigt wurde und ihm Gelegenheit zur Nebenintervention geboten worden ist (7 Ob 153/98w; vgl auch RIS‑Justiz RS0041315). Wird der Versicherungsnehmer zum Schadenersatz verurteilt, dann ist der Versicherungsfall abgeschlossen. Die Feststellung im Haftpflichtprozess, dass der Versicherungsnehmer den Schaden in einer bestimmten Eigenschaft oder Tätigkeit verursacht hat, kann im Deckungsprozess nicht mehr nachgeprüft werden (7 Ob 2/90). Demnach besteht eine Bindung im Sinn einer Tatbestandswirkung des rechtskräftigen Urteils des Haftpflichtprozesses im Deckungsprozess (7 Ob 109/07s). Von einer solchen Tatbestandswirkung spricht man, wenn ein rechtskräftiges Urteil als juristische Tatsache die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch bildet, sei es für die Bildung neuer Privatrechtsansprüche, sei es für deren Änderung oder deren Erlöschen (RIS‑Justiz RS0041431, RS0041401). Es handelt sich bei dieser Wirkung des Urteils (in Abgrenzung zu den anderen Urteilswirkungen) gleichsam um eine Nebenwirkung (auch Reflexwirkung) der Entscheidung (4 Ob 51/15g mwN). Im Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer, damit ist sein rechtliches Gehör gewahrt, wird über sein schädigendes Verhalten und seine Verantwortung dem Geschädigten gegenüber abgesprochen. Das ergehende Urteil ist die Grundlage für die Frage, ob dem Geschädigten überhaupt ein Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer wegen des von ihm gesetzten Verhaltens zusteht, den der Versicherer allenfalls decken muss. Das Urteil entfaltet gegen den Versicherungsnehmer Tatbestandswirkung.

1.3 Zufolge dieser Tatbestandswirkung ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen (auch) die die Rechtsposition des Versicherungsnehmers belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Haftpflichtprozesses beachtet haben.

2.1 Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahren des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss (RIS‑Justiz RS0081099). Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Damit sind aber nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten mitabgedeckt (RIS‑Justiz RS0081276 [T1]). Für das Vorliegen einer „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich immer eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0081070).

2.2 Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es gehöre nicht zur „Gefahr des täglichen Lebens“, dass ein Versicherungsnehmer im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung mit einer hocherhobenen Axt auf zwei Spaziergänger zuläuft, die Axt erst fallen lässt, als er nur mehr etwa zwei bis drei Meter von den Spaziergängern entfernt ist, dann jedoch einen der Spaziergänger mit seinem Oberkörper immer weiter nach hinten drängt und ihn dabei mit dem Umbringen bedroht, weil dies ein Aggressionspotential erkennen lasse und ein Verhalten darstelle, welches einem Durchschnittsmenschen völlig fremd sei, hält sich jedenfalls im Rahmen der Judikatur.

3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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