OGH 7Ob117/18h

OGH7Ob117/18h29.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** G*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, wegen 45.624,48 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 8. Mai 2018, GZ 4 R 44/18z‑13, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00117.18H.0829.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger hatte bei Abschluss des Unfallversicherungsvertrags im Jahr 2009 einen Fragebogen der Beklagten auszufüllen, der unter der Überschrift „Gesundheitsfragen“ die Frage enthielt:

„Bestehen Gebrechen oder Beeinträchtigungen Ihrer Gesundheit? Welche? (zB Erkrankungen der Nerven, des Gehirns oder Rückenmarks, Gemüts- oder Geistesstörungen, des Herzens oder der Kreislauforgane, des Bewegungsapparates, der Sinnesorgane, der Drüsen, des Blutes oder des Stoffwechsels)“.

Der Kläger hat diese Frage verneint und nicht angegeben, dass er bereits 1990 an den Bandscheiben im Bereich der Wirbel L5/S1 operiert und dabei ein Teil der Bandscheiben entfernt wurde und dass im Jahr 1998 neuerlich und zwar in diesem Fall bei den Wirbeln L4/L5 ein Teil der Bandscheiben operativ entfernt wurde.

Die Beklagte hat nicht schon am Beginn der Verhandlungen über die Schadensabwicklung, sondern erstmals während des Gerichtsverfahrens eine Verletzung der Anzeigepflicht des Klägers geltend gemacht.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der Versicherungsnehmer hat nach § 16 Abs 1 VersVG bei Abschluss des Vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind jene Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bestimmungen abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Ist dieser Vorschrift zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer gemäß § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Der Versicherer kann sich aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der Anzeigeobliegenheit erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (7 Ob 50/16b; 7 Ob 175/17m; RIS‑Justiz RS0129732).

1.2. Hatte der Versicherungsnehmer die Gefahrenumstände an Hand von vom Versicherer in geschriebener Form gestellter Fragen anzuzeigen, so kann der Versicherer gemäß § 18 VersVG wegen unterbliebener Anzeige eines Umstands, nach dem nicht ausdrücklich und genau umschrieben gefragt worden ist, nur im Fall arglistiger Verschweigung zurücktreten (vgl RIS‑Justiz RS0080811). An einer genauen Umschreibung der erfragten Umstände fehlt es erst dann, wenn die Frage so weit gefasst ist, dass sie vom Versicherungsnehmer nicht mehr sinnvoll auf einzeln aufzuführende Umstände bezogen werden kann. In diesem Sinn wird etwa die Frage nach erheblichen Gesundheitsstörungen als hinreichend genau angesehen (vgl 7 Ob 57/05s).

1.3. Die Beklagte hat hier nach dem „Bestehen von Gebrechen oder Beeinträchtigungen (der) Gesundheit“ gefragt und dabei beispielhaft auch den Bewegungsapparat ausdrücklich angesprochen. Damit waren von dieser Gesundheitsfrage auch die nach Operationen in den Jahren 1990 und 1998 erfolgten teilweisen Bandscheibenentfernungen ausdrücklich und genau umschrieben nachgefragt, handelt es sich doch dabei evidentermaßen um bleibende Beeinträchtigungen im Sinn eines fortdauernd regelwidrigen Zustands des Bewegungsapparats. Die eine Einzelfallbeurteilung darstellende Bejahung der Verletzung der Anzeigepflicht durch die Vorinstanzen hält sich daher nach Maßgabe der konkret gestellten „Gesundheitsfrage“ im Rahmen des durch Gesetz und Rechtsprechung eröffneten Beurteilungsspielraums. Wenn – wie hier – ausdrücklich und ausreichend genau umschrieben gefragt wurde, dann tritt nicht die Rechtsfolge des § 18 VersVG (Rücktritt nur im Fall arglistiger Verschweigung) ein; vielmehr bleibt es bei der allgemeinen Rücktrittsregelung des § 16 VersVG (7 Ob 209/16k).

2.1. Auf die Einhaltung der Erfüllung von Obliegenheiten kann vom dadurch Berechtigten verzichtet werden (RIS‑Justiz RS0106627). Bei der Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Ein Verzicht darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS‑Justiz RS0014190; RS0014420) und kein Zweifel möglich ist, dass das Verhalten des Berechtigten den Verzichtswillen zum Ausdruck bringen soll (RIS‑Justiz RS0014217).

2.2. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit vorliegender Rechtsprechung aufgezeigt, dass es dem Versicherer unbenommen ist, Ablehnungsgründe erst im Prozess geltend zu machen, solange sein Gesamtverhalten nicht den Schluss auf einen konkludenten Verzicht erlaubt. Im Allgemeinen liegt daher in einer bestimmten Begründung einer Ablehnung noch kein Verzicht auf andere als die genannten Einwendungen gegenüber dem Anspruch des Versicherungsnehmers und zwar auch dann nicht, wenn ihre Voraussetzungen dem Versicherer bekannt waren (RIS‑Justiz RS0043234). Besondere, einen (schlüssigen) Verzicht nahelegende Umstände stehen hier nicht fest. Dass sich der Versicherer vorprozessual auf mangelnde Kausalität beruft, macht ohne weitere Anhaltspunkte nicht zweifelsfrei deutlich, dass er, sollte sich dieser Einwand als nicht erfolgversprechend abzeichnen, nicht auch eine Obliegenheitsverletzung geltend machen will.

2.3. Die vom Kläger genannten Entscheidungen betreffen nicht vergleichbare Fälle.

3. Der Kläger macht insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage geltend; seine außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dies nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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