OGH 7Ob113/00v

OGH7Ob113/00v29.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) DI Robert K***** und 2.) Gisela K*****, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Eugenie W*****, vertreten durch Dr. Ulrike Bauer, Rechtsanwältin in Wien, als einstweiliger Sachwalter, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2000, GZ 40 R 28/00i-14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag der Kläger auf Zuspruch von Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 dritter Satz ZPO abgewiesen.

Text

Begründung

Die Beklagte, eine psychisch kranke, unter einstweiliger Sachwalterschaft stehende Pensionistin, ist Mieterin einer Wohnung im Haus der Kläger ***** W*****. Seit Jahren gab es mit ihr Probleme, da sie andere Mieter des Hauses verbal attackierte. Seit 1997 verschärfte sich die Situation, weil sie wiederholt Fäkalien entweder ins Stiegenhaus oder aus ihrem Fenster schüttete, das sich unmittelbar über der Eingangstüre des Hauses befindet. Aus diesem Fenster hat sie auch schon Flaschen und Briefbeschwerer hinausgeworfen. Bei einer Mieterin schlug die Beklagte mit einer Hacke gegen die Wohnungstür, sodass fünf 3 bis 5 cm lange Einkerbungen entstanden. Die Polizei musste intervenieren. Nach Zustellung der gerichtlichen Aufkündigung am 12. 3. 1999 veränderte sie ihr Verhalten auch während des laufenden Kündigungsverfahrens nicht: Am 5. 7. 1999 überschüttete sie eine Mieterin mit Fäkalien, wodurch auch Stiegenhaus und Boden beschmutzt wurden und desinfektionsgereinigt werden mussten.

Rechtliche Beurteilung

Als ein wichtiger Grund, aus dem der Vermieter den Mietvertrag kündigen kann, ist nach § 30 Abs 2 Z 3, zweiter Fall MRG ua anzusehen, wenn der Mieter durch rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet. Zweck dieses Kündigungsgrundes ist es, im Interesse der Hausgemeinschaft die Ruhe im Haus zu gewährleisten (MietSlg 38.449); es sollen der Vermieter und jene Mitbewohner des Hauses geschützt werden, "die nicht in Frieden leben können, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt" (MietSlg 3947; 4 Ob 575/94). Der genannte Kündigungsgrund setzt nach stRsp kein Verschulden des Mieters voraus (MietSlg 31.357; 37.412; 46.352f; RIS-Justiz RS0067733;

Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 22 zu § 30 MRG). Grundsätzlich ist daher auch Geisteskrankheit kein Freibrief für unleidliches Verhalten (MietSlg 35.349; 37.182; 37.412; 48.337;

immolex 1997/130; RIS-Justiz RS0020957). Das Verhalten einer geisteskranken Person ist aber nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich (dh für die Mitbewohner unerträglich), wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (MietSlg 48.337; 49.349). Das kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass die anderen Bewohner des Miethauses jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (MietSlg 49.349; 9 Ob 212/99p ua).

Das Berufungsgericht hat diese Rechtslage richtig erkannt und seiner Entscheidung zugrundegelegt. Die Vornahme der gebotenen Interessenabwägung kann nur auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalles erfolgen und ist daher - vom hier nicht vorliegenden Fall einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen - nicht revisibel (vgl 9 Ob 212/99p).

Bei Vorliegen eines - hier gegebenen - Dauertatbestandes ist der Grundsatz, dass Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen, nicht ohne weiteres anzuwenden, weil in einem solchen Fall regelmäßig nicht auf einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes geschlossen werden kann (MietSlg 48.365; SZ 70/7; RIS-Justiz RS0014420). Dieser vor allem zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG vertretene Grundsatz kann zwar nicht ganz allgemein dahin verstanden werden, dass in einem solchen Fall ein stillschweigender Kündigungsverzicht überhaupt nicht in Frage komme; allerdings ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen (MietSlg 48.365; WoBl 1992/15; SZ 61/42 ua). Unrichtig ist daher, dass die Vorinstanzen, wie die Revisionswerberin meint, Vorfälle, die "schon weit mehr als ein Jahr vor dem Kündigungstermin lagen" nicht berücksichtigen hätten dürfen.

Schließlich steht die Behauptung der Revisionswerberin, sie sei nunmehr "medikamentös gut eingestellt" und "ausreichend betreut", sodass weitere Beschwerden für die Zukunft auszuschließen seien, mit den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichtes nicht im Einklang. Insgesamt vermag die Beklagte somit keinen tauglichen Revisionsgrund aufzuzeigen.

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