OGH 7Ob10/23f

OGH7Ob10/23f28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* AG, *, vertreten durch die ENGINDENIZ Rechtsanwälte für Immobilienrecht GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. M* K*, vertreten durch Dr. Ernst Ortenburger, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2022, GZ 39 R 197/22t‑48, womit das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 29. April 2022, GZ 3 C 172/19b‑43, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00010.23F.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 83,78 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Mietvertrag vom 31. Juli 1965 mietete der Vater des Beklagten die aufgekündigte Wohnung Tür 11 und 12 „zur Benutzung als zahnärztliche Ordination und Wohnung“ auf unbestimmte Zeit an. Die Wohnungen waren schon bei Anmietung verbunden, der Mietzins wurde getrennt vorgeschrieben. Laut Mietvertrag wurden folgende Räume vermietet: „7 Zimmer, 1 Kabinett, Dienerz.2 Vorz.2 Bad, Küche, 2 WC“. Der Mietgegenstand hat etwa 320 m². In der Wohnung wohnten der Vater, die Mutter und der Bruder des Beklagten und der Beklagte selbst.

[2] Der Beklagte ist seit seiner Geburt 1966 durchgehend und ausschließlich an der aufgekündigten Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet und zog nie aus der Wohnung aus. Bis zum Tod des Vaters am 19. Mai 2017 führten dieser und der Beklage den Haushalt gemeinsam, zuletzt mit Unterstützung einer Haushaltshilfe. Mit 1. März 1992 übernahm der Beklagte die Zahnarztordination und den Kassenvertrag seines Vaters an der aufgekündigten Adresse.

[3] Der Beklagte nützt alle Räume der Wohnung, davon rund 111 m² als Zahnarztordination. Die Ordinationszeiten sind jeden Tag von 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr bzw nach telefonischer Vereinbarung auch zu anderen Zeiten. Der Beklagte hat vier bis fünf Angestellte und eine Zahnärztin, die ihn gelegentlich vertritt.

[4] Die Verlegung einer Kassenordination in einen anderen Wiener Gemeindebezirk war aufgrund der Vorgaben der Landeszahnärztekammer für Wien im Jahr 2017 nicht möglich. Die Verlegung einer Kassenordination innerhalb eines Bezirks war und ist grundsätzlich möglich. Es ist ein Antrag an die Landeszahnärztekammer für Wien zu stellen, über den vom Niederlassungsausschuss gemeinsam mit der Österreichischen Gesundheitskasse beraten und beschlossen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass an der neuen Adresse nicht im gleichen Haus, nicht im Nebenhaus und nicht gegenüber ein niedergelassener Kassenzahnarzt seinen Sitz hat.

[5] Der Beklagte erbte mehrere Liegenschaften, dabei (unter anderem) eine 76 m² große Wohnung in 1090 Wien und ein Haus mit 172 m² Wohnfläche in 1130 Wien.

[6] Die Klägerin begehrte die Aufkündigung der Wohnung Tür 11/12 aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG. Sie brachte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, dem Beklagten stünden einige Eigentumswohnungen und zwei Häuser in Wien als Ersatzwohnmöglichkeiten zur Verfügung, weshalb kein dringendes Wohnbedürfnis bestehe.

[7] Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Kündigung sowie Klageabweisung und wendete – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, sein verstorbener Vater habe die aufgekündigten Räumlichkeiten zu Wohn‑ und Geschäftszwecken gemietet. Er habe im Zeitpunkt des Todes seines Vaters auch über keine gleichwertige Ersatzwohnung verfügt.

[8] Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Klagebegehren ab. Es bejahte das dringende Wohnbedürfnis des Beklagten am Bestandgegenstand mangels Gleichwertigkeit der ihm sonst zur Verfügung stehenden Objekte.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es erachtete den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG schon deshalb für nicht gegeben, weil das Objekt sowohl zu Wohnzwecken als auch als Zahnarztordination vermietet worden sei und der Zweck der Vermietung als Geschäftsräumlichkeit nicht völlig in den Hintergrund trete. Aber selbst wenn man von einer ausschließlichen Nutzung des Objekts zu Wohnzwecken ausgehen würde, wäre für die Klägerin nichts gewonnen, weil eine Verweisbarkeit des Beklagten auf andere Objekte im konkreten Fall nicht gegeben sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] In der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Der Vermieter ist gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG zur Kündigung berechtigt, wenn die vermieteten Wohnräume nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen (§ 14 Abs 3 MRG) dienen. Der Kündigungsgrund setzt daher (unter anderem) das Ableben des Mieters von Wohnräumlichkeiten voraus. Der klagende Vermieter hat den Tod des Mieters und die Wohnraummiete zu behaupten und zu beweisen (RS0070736; Höllwerth in Hausmann/Vonkilch 4 § 30 MRG Rz 47b).

[14] 2.1. Ob ein Hauptmietvertrag über eine Wohnung oder über Geschäftsräumlichkeiten vorliegt, hängt davon ab, ob der Mietgegenstand nach der Parteienabsicht beim Abschluss des Mietvertrags zu Wohn- oder zu Geschäftszwecken in Bestand gegeben und genommen worden ist oder welcher Zweck von den Parteien später einvernehmlich zum Vertragszweck gemacht worden ist (RS0044863, RS0070039; Höllwerth in Hausmann/Vonkilch 4 § 30 MRG Rz 47c; Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 98). Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG ist nicht anwendbar, wenn sich Wohn‑ und Geschäftszweck die Waage halten (RS0068860 [T2]; 4 Ob 132/18t; Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 98; Illedits in TaKomm Wohnrecht § 30 MRG Rz 102; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 MRG § 14 Rz 6). Denn auch bei vereinbarter gemischter Nutzungsart kann der Vermieter wegen Nichtbenützung nur kündigen, wenn die Kündigungsgründe der § 30 Abs 2 Z 6 und der Z 7 MRG verwirklicht sind (Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 98; vgl RS0074903).

[15] 2.2. Die Revision verweist nun auf die Rechtsprechung, wonach bei Berufen – wie denen des Realitätenvermittlers, Rechtsanwalts oder Arztes – die üblicherweise in der Wohnung ausgeübt werden, die zur Berufsausübung erforderlichen Räume als Wohnraum und nicht als Geschäftsraum anzusehen sind, weil in solchen Fällen das Wohnbedürfnis und der Berufszweck einander mindestens die Waage halten (RS0068895) und regelmäßig die Wohnverwendung im Vordergrund steht, wenn es sich um die einzige Wohnung handelt (RS0115015).

[16] 2.3. Von den Entscheidungen, die diesen Rechtssätzen zugrundeliegen, haben nur zwei Kündigungen gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG zum Gegenstand, nämlich 1 Ob 177/00m und 7 Ob 245/01g. Mit dem vorliegenden Fall unmittelbar vergleichbar ist nur die Entscheidung 7 Ob 245/01g, weil auch in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Mietvertrag die Vermietung gleichermaßen zu Wohn- und Geschäftszwecken erfolgte. Nach Lovrek ist bei gemischter Nutzung im Zweifel von Wohnraummiete auszugehen, wenn der Mieter im Objekt einem üblicherweise in einer Wohnung ausgeübten Beruf nachgeht, sofern nicht nach dem konkreten Vertragsinhalt die vereinbarte Verwendung zu beruflichen Zwecken des Mieters der vereinbarten Verwendung für Wohnzwecke gleichwertig ist (Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 98). Für die Richtigkeit dieser Rechtsansicht spricht, dass bei vereinbarter gemischter Nutzungsart der Vermieter wegen Nichtbenützung nur kündigen kann, wenn die Kündigungsgründe der § 30 Abs 2 Z 6 und der Z 7 MRG verwirklicht sind (RS0074903; Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 108, 125; Höllwerth in Hausmann/Vonkilch 4 § 30 MRG Rz 51). Der Oberste Gerichtshof schließt sich daher dieser Rechtsansicht an: Jedenfalls dann, wenn nach dem konkreten Vertragsinhalt die vereinbarte Verwendung zu beruflichen Zwecken des Mieters der vereinbarten Verwendung für Wohnzwecke gleichwertig ist, kommt der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG nicht zur Anwendung, auch wenn der Mieter im Objekt einem üblicherweise in einer Wohnung ausgeübten Beruf nachgeht. Insoweit kann daher die Entscheidung 7 Ob 245/01g nicht aufrechterhalten werden.

[17] 2.4. Im vorliegenden Fall wurde das Bestandobjekt Top Nr 11 und 12 als einheitliches Bestandobjekt an den Vater des Beklagten vermietet, und zwar zu Wohnzwecken und zum Betrieb einer Zahnarztordination. Dabei wurde weder im Mietvertrag festgelegt, welche Räume des Gesamtobjekts konkret wozu verwendet werden sollten, noch lässt sich aus der Vertragsurkunde ableiten, dass einer der beiden Zwecke überwiegen sollte. Die Vorinstanzen haben somit das Vorliegen des Kündigungsgrundes gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG zutreffend verneint.

[18] 3. Die Revision ist daher zusammengefasst nicht berechtigt.

[19] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte