European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00101.24I.0828.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Familienrecht (ohne Unterhalt), Unterbringungs- und Heimaufenthaltsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.662,80 EUR (darin enthalten 443,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin leidet seit ihrer Kindheit nach Entfernung eines Gehirntumors am Lennox-Gastaut-Syndrom. Ihre Mutter ist ihre Erwachsenenvertreterin.
[2] Die Klägerin befindet sich seit 2008 in einer Einrichtung der Beklagten (Wohnhaus *), ist dort jeweils von Montag bis Freitag wohnhaft und wird dort durch Mitarbeiter der Beklagten betreut. Im Oktober 2012 wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten ein „Wohnvertrag“ abgeschlossen, worin sich die Beklagte in Punkt 2.1 zur Zurverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit im Wohnhaus und in den Punkten 2.3.3. sowie 3.7. zur Erbringung verschiedener Pflege-, Betreuungs- und medizinischer Leistungen verpflichtete. Dieser Heimvertrag zwischen den Parteien ist im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz noch aufrecht.
[3] Aufgrund anhaltender Personalprobleme der Beklagten übernachtet die Klägerin seit Anfang Jänner 2023 in ihrem Elternhaus, das in einem benachbarten Ort liegt. Infolge Personalmangels bietet die Beklagte einen „wachenden Nachtdienst“, den nach ihren Angaben in der Einrichtung allein die Klägerin benötigt, derzeit nicht mehr an.
[4] Die Klägerin begehrt seit spätestens Anfang April 2023 die Rückkehr ins Wohnhaus * der Beklagten. Die Beklagte lehnt die Rückkehr wegen anhaltender Personalprobleme ab. Sie befindet sich für den Standort * weiterhin auf Personalsuche.
[5] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erbringung bestimmter Leistungen aus dem Heimvertrag vom Oktober 2012, die ihr die Beklagte derzeit verweigere.
[6] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu, weil insbesondere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Aufhebung von Leistungspflichten aus einem Heimvertrag aufgrund einer vorübergehenden nachträglichen Unmöglichkeit (Teilunmöglichkeit der Leistungserbringung in ein Dauerschuldverhältnis) wegen eines Personalmangels des Heimbetreibers fehle.
Rechtliche Beurteilung
[8] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[9] 1.1. Gemäß § 1447 erster und zweiter Satz ABGB hebt der zufällige gänzliche Untergang einer bestimmten Sache alle Verbindlichkeiten auf. Dieser Grundsatz gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen die Erfüllung der Verbindlichkeit oder die Zahlung einer Schuld durch einen anderen Zufall – auch nachträglich – unmöglich wird ([10. 12. 2002] 10 Ob 326/02t). Unmöglichkeit der Leistung liegt vor, wenn dem Schuldner die Bewirkung der versprochenen Leistung physisch oder rechtlich dauernd (endgültig) unmöglich ist (RS0018391). Das ist dann der Fall, wenn der Leistung ein dauerhaftes Hindernis entgegensteht. Ein solches ist anzunehmen, wenn nach der Verkehrsauffassung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Leistung auch in Zukunft nicht mehr erbracht werden kann (RS0109496). Besteht jedoch eine ernst zu nehmende, irgendwie ins Gewicht fallende Chance, dass diese zumindest zu einem späteren Zeitpunkt wieder möglich sein wird, so liegt nicht Unmöglichkeit, sondern Verzug vor (RS0109496).
[10] 1.2. Die Beklagte behauptet kein durch einen Personalmangel bedingtes Leistungshindernis für die gesamte (voraussichtliche) Restdauer des Heimvertrags und damit keine nachträgliche (dauerhafte) Unmöglichkeit der Leistungserbringung.
[11] 1.3. Sie argumentiert aber mit einem aktuellen Personalmangel dahin, dass nahezu sämtliche Unternehmen derzeit erhebliche Schwierigkeiten hätten, geeignete Mitarbeiter zu rekrutieren, und diese Entwicklung auch vor ihr nicht Halt mache. Unbestritten sei aus ihrer Sicht, dass langfristig ein Wiedereinzug der Klägerin erfolgen solle, dies aber aufgrund der derzeitigen personalen Situation nicht möglich sei. Sie behauptet einen vorübergehenden, zu einer Teilunmöglichkeit der Leistungserbringung führenden Umstand.
[12] 1.3.1. Unabhängig davon, ob ein (vorübergehender) Personalengpass in einem Dauerschuldverhältnis zu einer Teilunmöglichkeit mit den Konsequenzen des § 1447 ABGB führen könnte, ist die Unmöglichkeit von demjenigen zu beweisen, der sich auf sie beruft (RS0034223; vgl RS0034226). Insbesondere hat die Beklagte zu behaupten und zu beweisen, alles unternommen zu haben, um mögliche Leistungshindernisse aus dem Weg zu räumen (RS0034223 [T3]).
[13] 1.3.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht ausreichend behauptet, dass sie alles Zumutbare unternommen habe, um eine vorübergehende Erfüllungsunmöglichkeit aus dem Weg zu schaffen, ist nicht zu beanstanden:
[14] Ob eine Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0115570 [T1]). Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Bestandfestigkeit von Heimverträgen für die dort untergekommenen pflegebedürftigen Personen besondere Bedeutung zukommt (8 Ob 119/08w; vgl 3 Ob 268/09x [Klausel 5]: Dauerhaftigkeit des Heimvertrags bei Vertragsabschluss ist wesentlicher Gesichtspunkt). Dies sei beim Vorbringen der Beklagten, die angesichts eines bereits im Frühjahr 2022 erkennbaren Personalmangels zahlreiche Maßnahmen zur Personalsuche behaupte, zu berücksichtigen. Dass die Beklagte zur Personalakquise nicht höhere Gehälter (als nach dem Kollektivvertrag) zahlen könne (so ihre Behauptung), könne der Klägerin als Heimbewohnerin, die bereits seit 2008 in der Wohneinrichtung betreut werde, im Hinblick auf die Bestandfestigkeit des Heimvertrags nicht zum Nachteil gereichen. Auch in den Fällen, in denen die Unmöglichkeit einer Leistung aus dem Grund, dass sich die Sache bei einem Dritten befinde, werde judiziert, dass eine Unmöglichkeit nur dann vorliegen könne, wenn sich der Dritte nur gegen ein unverhältnismäßig hohes Entgelt zur Herausgabe der Sache bereit finde (RS0016403). Da die Beklagte dies nicht behaupte, sei sie schon ihrer Behauptungspflicht für eine vorübergehende Unmöglichkeit der teilweisen Vertragserfüllung nicht nachgekommen.
[15] 1.3.3. Nach der Rechtsprechung genügt die bloße Behauptung, der Dritte sei nicht bereit auf seine Rechte zu verzichten (oder – umgelegt auf den gegenständlichen Fall – ein Dritter sei zur Erbringung einer Arbeitsleistung für die Beklagte nicht bereit), nicht, um die behauptete Unmöglichkeit der Leistung darzutun. Es müsste vielmehr vorgebracht und bewiesen werden, dass alles redlich Zumutbare unternommen wurde, um den Dritten zur Mitwirkung zu bewegen, dies allenfalls durch ein – noch nicht übermäßiges – finanzielles Angebot (RS0016423 [T8]). Den Ausführungen des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass sie auch bei einer (nicht unverhältnismäßigen) überkollektivvertraglichen Bezahlung kein Personal finde, sodass sie nicht behauptet habe, dass sie alles redlich Zumutbare unternommen habe, um den Personalmangel zu beheben, tritt sie in der Revision nicht entgegen. Damit ist schon aufgrund ihrer Behauptungspflicht auf eine allfällige nachträgliche Teilunmöglichkeit infolge eines Personalmangels nicht einzugehen.
[16] 2.1. Der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die von der Beklagten behauptete „Vereinbarung“ der Parteien vom 5. 12. 2022 nach ihrem Vorbringen bloß „vorübergehender Natur“ bis zur nächsten Besprechung gewesen sei und daher schon deswegen dem Erfüllungsanspruch der Klägerin aus dem Heimvertrag nicht entgegenstehe, hält die Revisionswerberin keine Argumente entgegen.
[17] 2.2. Zur von der Beklagten behaupteten „Vereinbarung“ der Streitteile vom 6. 2. 2023, mit der ein verbindliches Abgehen vom bestehenden Heimvertrag zwischen den Parteien vereinbart worden sein soll, sodass die Klägerin auf unbestimmte und von der Personalsituation der Beklagten abhängige Zeit nicht mehr in der Wohneinrichtung der Beklagten wohnen und dort nicht mehr betreut werden würde, hat das Erstgericht keine Feststellungen getroffen.
[18] Nach § 257 Abs 3 ABGB bedarf eine dauerhafte Wohnortänderung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. Nach § 258 Abs 4 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen eines Erwachsenenvertreters in Vermögensangelegenheiten, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören, zu ihrer Rechtswirksamkeit ebenfalls der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung.
[19] Die Beklagte geht – ebenso wie das Berufungsgericht – davon aus, dass eine dauerhafte Veränderung des Wohnorts der Klägerin infolge einer entsprechenden abändernden Vereinbarung des Heimvertrags – wie hier – der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte (siehe 4 Ob 46/19x, SZ 2019/32 = RS0132619).
[20] Bis zur gerichtlichen Genehmigung ist ein genehmigungsbedürftiges Rechtsgeschäft schwebend unwirksam (RS0049181 [T10]; RS0053275 [T11]), sodass die (darauf aufbauende) Beurteilung des Berufungsgerichts, mangels pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung sei die von der Beklagten behauptete „Vereinbarung“ über eine Wohnortänderung auf unbestimmte Zeit, selbst wenn eine solche vorläge, (noch) nicht rechtswirksam, nicht korrekturbedürftig ist.
[21] 2.3. Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren auf die fehlende rechtliche Verbindlichkeit der von der Beklagten behaupteten (von ihr bestrittenen) „Vereinbarung“ wegen fehlender pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung hingewiesen. Dem Einwand, dass der Wechsel des Wohnortes pflegschaftsgerichtlich genehmigt werden müsste, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Wenn das Berufungsgericht das Fehlen einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung als zugestandene Tatsache ansah, ist diese Beurteilung im Einzelfall nicht zu beanstanden (vgl RS0039927 [T9a]; RS0040078 [T3, T4]; RS0040146 [T2]).
[22] 2.4. § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RS0122365 [T4]).
[23] Die Klägerin hat – wie dargelegt – unter Hinweis auf die Gesetzeslage ausdrücklich vorgebracht, dass eine von der Beklagten behauptete „Vereinbarung“ der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte, die nicht vorliegt. Dieses Vorbringen hat die Beklagte nicht zum Anlass genommen, ihrerseits Vorbringen – wie nun erstmals in der Revision – zu erstatten. Sie kann daher nicht erfolgreich verlangen, das (Berufungs‑)Gericht hätte mit ihr erörtern müssen, dass die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung fehle und sie dazu weiteres Vorbringen erstatten könne (vgl 1 Ob 200/23b Rz 53 = RS0122365 [T9]).
[24] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[25] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)