Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 8.030,16 S (darin 1.338,36 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 7.368,40 S (darin 3.310,-- S Barauslagen und 676,40 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist Pächter von Grundstücken, auf denen er eine Baumschule betreibt. Das klagende Energieversorgungsunternehmen plante die Errichtung elektrischer Anlagen, wofür die Verlegung einer Starkstromleitung auf den Pachtgrundstücken erforderlich war. Der Liegenschaftseigentümer stimmte der Kabelverlegung auf den Pachtgrundstücken und den hiezu erforderlichen Grabungsarbeiten zu.
Die Klägerin begehrt vom beklagten Pächter die Duldung der Benützung der Pachtgrundstücke zur Durchführung von Grabungsarbeiten in einer Breite von 1,5 m entlang der benachbarten Straße. Sie stützte ihren Anspruch auf die mit dem Liegenschaftseigentümer getroffene Vereinbarung. Der Pächter sei vom Liegenschaftseigentümer über die Notwendigkeit der Arbeiten und eine allfällige Verpflichtung des Grundeigentümers zur Grundabtretung nach dem NÖ StarkstromwegeG informiert worden. Der Beklagte habe den Beginn der Arbeiten durch das von der Klägerin beauftragte Bauunternehmen verhindert. Er verweigere die Zustimmung zu den Arbeiten.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er sei erstmals am 4.3.1994 über die Vereinbarung der Klägerin mit dem Liegenschaftseigentümer informiert worden. Er habe auf den durch die Leitungsverlegung drohenden Schaden von mehr als 100.000 S an den ausgepflanzten Bäumen hingewiesen. Er müsse darauf bestehen, daß die Bäume vor Verlegung des Kabels auf Kosten der Klägerin versetzt werden. Im Zuge des Verfahrens wandte der Beklagte noch ein, daß bei den in der Zwischenzeit durchgeführten Grabungsarbeiten ein Postkabel aufgefunden worden sei und daß deshalb die geplante Leitungsverlegung nicht stattfinden könne. Der Klägerin fehle daher ein Rechtsschutzinteresse an der begehrten Duldung der Arbeiten. Ihr fehle ferner die Aktivlegitimation. Der Bestandgeber könne nicht Rechte gegenüber den Bestandnehmer an Dritte abtreten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen fest, daß der Beklagte von der Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Liegenschaftseigentümer zunächst nicht verständigt worden sei. Auf den von den geplanten Arbeiten betroffenen Grundstücken befänden sich Bäume unterschiedlicher Größe. Diese hätten zum Straßenrand einen Abstand zwischen 1,7 und 2,2 m. Im Zuge der Baggerarbeiten könnten Wurzelbeschädigungen eintreten. Nach einer Kabelverlegung könnten die Bäume maschinell nicht mehr ausgegraben werden. Nachdem das von der Klägerin beauftragte Bauunternehmen mit den Grabungsarbeiten begonnen gehabt habe, habe der Beklagte die Weiterführung der Arbeiten durch das Abstellen von Maschinen im Grabungsbereich verhindert. Der Vorschlag des Beklagten, vor den Arbeiten die Bäume auf Kosten der Klägerin zu versetzen, sei von dieser nicht angenommen worden.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß mit der angestrebten Leitungsverlegung in die selbständigen Rechte des beklagten Pächters eingegriffen werde. Diese Rechte seien gegenüber jedem Dritten geschützt. Auch der Eigentümer der Liegenschaft sei nicht berechtigt, in die Rechte des Pächters einzugreifen. Die Klägerin könne sich daher nicht auf die Zustimmung des Liegenschaftseigentümers zu den Grabungsarbeiten berufen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und dem Klagebegehren statt. Es beurteilte den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt rechtlich im wesentlichen dahin, im NÖ StarkstromwegeG sei vorgesehen, daß Leitungsrechte bereits aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung bestehen könnten. Einer privatrechtlich begründeten Leitungsdienstbarkeit komme hier aber noch keine dingliche Wirkung zu. Die Klägerin habe nur ein obligatorisches Gebrauchsrecht. Sie sei schon Rechtsbesitzerin, weil mit den Grabungsarbeiten bereits teilweise begonnen worden sei. Der Klägerin stehe die actio publiciana im Sinne des § 372 ABGB zu. Sie könne als Rechtsbesitzerin wie ein Bestandnehmer nach Übergabe des Bestandgegenstandes sowohl wegen Entziehung als auch wegen Störung ihrer Rechte mit petitorischer Klage gegen Dritte, insbesondere gegen einen konkurrierenden Rechtsbesitzer, vorgehen. Der Beklagte habe dem Duldungsanspruch nur entgegengesetzt, daß er die Verlegung des Kabels nicht "rundweg" ablehne, sondern nur auf eine Verlegung der Bäume auf Kosten der Klägerin bestehe. Damit habe er die prinzipielle Notwendigkeit des beanspruchten Leitungsrechtes nach dem NÖ StarkstromwegeG nicht in Zweifel gezogen, sondern dem Duldungsbegehren nur ein Schadenersatzbegehren entgegengehalten. Eine Vorleistungspflicht des Bestandgebers bestehe jedoch nicht.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei.
Mit seiner ordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Vorauszuschicken ist, daß sich die Klägerin als bloß obligatorisch Nutzungsberechtigte hinsichtlich eines Grundstücksstreifens einer Liegenschaft zur Begründung ihres Duldungsbegehrens gegenüber dem Pächter nur auf die mit dem Eigentümer der Liegenschaft geschlossene Vereinbarung über die Errichtung einer Stromleitung und die Einräumung einer Leitungsservitut berufen und nicht einmal behauptet hat, daß sie schon Rechtsbesitz erworben und der Beklagte seinen Rechtsbesitz verloren hätte. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes über die Anwendbarkeit der Regeln der actio publiciana (§ 372 ABGB) geht daher über den geltend gemachten Rechtsgrund hinaus.
Der beklagte Pächter hat gegenüber dem Verpächter Anspruch auf Erhaltung des Pachtobjekts zum bedungenen Gebrauch. Der Bestandgeber darf diesen nicht stören (§ 1096 ABGB). Er hat Störungen Dritter abzuwehren und darf Dritten nicht Rechte einräumen, bei deren Ausübung eine Schädigung oder Störung des Pächters eintreten würde (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 9 zu § 1096). Wenn der Verpächter gegenüber seinem Pächter vertragswidrig dennoch einen Dritten Rechte einräumt und diese Rechte auch ausgeübt werden, entstehen Haftungsprobleme aufgrund des Eingriffs in fremde Forderungsrechte, was von Lehre und Rechtsprechung vor allem in den Fällen des Doppelverkaufs und der Doppelvermietung eingehend behandelt wurde. Im Verhältnis zwischen Ersterwerber (Erstmieter) und Zweiterwerber (Zweitmieter) kommt es bei der Lösung der Frage der Interessenkollision mehrerer Nutzungsberechtigter, die ihre Rechte vom selben Liegenschaftseigentümer ableiten, auf die Besitzverhältnisse und die Redlichkeit der Beteiligten an (ständige auf die Lehrmeinung Schilcher/Holzer in JBl 1974, 445 und 512 zurückgehende Rechtsprechung: SZ 63/186 uva; für die Doppelvermietung 3 Ob 116/92 mwN). Hier hat sich die Klägerin zur Begründung ihres Duldungsanspruchs allerdings gar nicht darauf berufen, daß ihr aufgrund des schon eingeräumten Besitzes und des Besitzesverlustes des beklagten Pächters ein vorrangiges Nutzungsrecht zukäme. Aus dem obligatorischen Vertrag mit dem Liegenschaftseigentümer allein läßt sich ein derartiger Vorrang nicht ableiten, käme dies doch der Anerkennung eines Vertrages zu Lasten Dritter gleich, wofür eine taugliche Rechtsgrundlage fehlt. Der Bestandgeber war nach der schon zitierten Lehrmeinung und der ständigen Rechtsprechung nicht befugt, in die Rechte seines Pächters zugunsten eines Dritten einzugreifen. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten besteht kein vinculum iuris. Die Klägerin hat aufgrund der geschlossenen Vereinbarung mit dem Liegenschaftseigentümer nur gegen diesen vertragliche Ansprüche. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Klägerin ihren Anspruch im Verwaltungsverfahren im Wege einer Enteignung durchsetzen hätte können. Es mag sein, daß in diesem Fall der Pächter den Eingriff in sein Pachtrecht zu dulden hätte; der privatrechtliche Vertrag des Stromversorgungsunternehmens begründet jedoch aus den dargelegten Gründen keinen gegen den Pächter direkt durchsetzbaren Anspruch.
Das Berufungsgericht hat den Duldungsanspruch auch deshalb bejaht, weil der Beklagte diesen "nicht rundweg" abgelehnt, sondern auf eine Vorleistung der Klägerin (Entfernung der Bäume auf ihre Kosten) bestanden habe. Eine solche Vorleistung bestehe nicht. Letzteres mag stimmen, damit wurde dem Beklagten aber noch nicht sein Recht genommen, den unberechtigten Duldungsanspruch abzulehnen. Daß er diesen bedingungslos anerkannt hätte, wurde weder behauptet noch festgestellt. Da die Klägerin die vom Beklagten gestellte Bedingung nicht angenommen hat und ihr aus den dargelegten Gründen kein Duldungsanspruch zusteht, ist die Revision berechtigt. Die Klage ist abzuweisen.
Die Entscheidungen über die Kosten beider Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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