European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00083.23H.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Im Firmenbuch ist zu FN * die W* GmbH mit dem Stichtag für den Jahresabschluss zum 31. 12. eines jeden Jahres eingetragen. Alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer ist DI (FH) H* H*.
[2] Die Jahresabschlüsse zum 31. 12. 1994 bis zum 31. 12. 1997 legte die W* GmbH offen. Für die weiteren Geschäftsjahre haben die Gesellschaft und ihre Geschäftsführer den ihnen gemäß den §§ 277 ff UGB obliegenden Offenlegungspflichten nicht entsprochen.
[3] Das Landesgericht Feldkirch erließ je 11 Zwangsstrafverfügungen gegen die Gesellschaft und gegen den Geschäftsführer, weil diese die Jahresabschlüsse in den 11 Geschäftsjahren von 2010 bis 2020 in im Einzelnen angeführten Strafzeiträumen nicht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingebracht hatten. Parallel dazu erließ das Landesgericht Feldkirch 11 weitere Zwangs‑strafverfügungen gegen den Geschäftsführer, weil dieser die Jahresabschlüsse in den 11 Geschäftsjahren vom 31. 12. 1999 bis 31. 12. 2009 in im Einzelnen angeführten Strafzeiträumen nicht ordnungsgemäß in elektronischer Form beim Erstgericht eingebracht hatte.
[4] Nach Erhebung von Einsprüchen durch die Gesellschaft und ihren Geschäftsführer wies das Landesgericht Feldkirch die Einsprüche des Geschäftsführers als verspätet zurück. Darüber hinaus erließ das Landesgericht Feldkirch gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer im ordentlichen Verfahren 11 Zwangsstrafbeschlüsse wegen der nicht ordnungsgemäßen (elektronischen) Vorlage der 11 Jahresabschlüsse zu den Offenlegungsstichtagen 31. 12. 2010 bis 31. 12. 2020 und weitere 11 Zwangsstrafbeschlüsse gegen die Gesellschaft wegen der nicht ordnungsgemäßen (elektronischen) Vorlage der 11 Jahresabschlüsse zu den Offenlegungsstichtagen 31. 12. 1999 bis 31. 12. 2009. Die Anträge, die Zwangsstrafverfügungen ersatzlos aufzuheben, sämtliche Bestimmungen über die Offenlegungspflicht wegen offenkundiger Grundrechtswidrigkeit außer Betracht zu lassen und das Verfahren einzustellen sowie in eventu „nur eine einzige Strafe zu verhängen“, wies es jeweils ab.
[5] Gegen diese insgesamt 33 Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch erhoben die Gesellschaft und der Geschäftsführer inhaltlich idente (Sammel‑)Rekurse.
[6] Über diese Rekurse entschied der nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Innsbruck zuständige Rechtsmittelsenat mit Beschluss vom 28. 11. 2022, 3 R 105/22y, 3 R 107/22t bis 3 R 116/22s, 3 R 125/22i bis 3 R 146/22b. Er wies die Anträge auf Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Rekursverhandlung und auf Unterbrechung der Rekursverfahren bis zur Erledigung des vom Bundesverwaltungsgericht zu I413 2250826-1/21Z eingeleiteten Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), C‑561/22 , ab (Punkt 1. und 2.). Soweit sich die Rekurse gegen die Abweisung der erstinstanzlichen Unterbrechungsanträge der Rekurswerber wendeten, wurden sie zurückgewiesen (Punkt 3.). Den Rekursen gegen die Zurückweisung der Einsprüche des Geschäftsführers als verspätet wurde nicht Folge gegeben (Punkt 4.a.). Die Beschlüsse, mit denen über die Gesellschaft wegen der nicht ordnungsgemäßen (elektronischen) Vorlage der 11 Jahresabschlüsse zu den Offenlegungsstichtagen 31. 12. 1999 bis 31. 12. 2009 Zwangsstrafen verhängt wurden, behob der Rechtsmittelsenat ebenso ersatzlos wie jene, mit denen gegen den Geschäftsführer im ordentlichen Verfahren Zwangsstrafen wegen der nicht ordnungsgemäßen (elektronischen) Vorlage der 11 Jahresabschlüsse zu den Offenlegungsstichtagen 31. 12. 2010 bis 31. 12. 2020 verhängt wurden (Punkt 4.b. und c.). Im Übrigen bestätigte er die Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch (Punkt 4.d.). Der Rekurssenat sprach aus, dass der ordentliche Revisonsrekurs nicht zulässig sei.
[7] In ihrem gegen die Punkte 1., 2. und 4.d. der Rekursentscheidung gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs lehnten die Gesellschaft und ihr Geschäftsführer die Mitglieder des Rekurssenats als befangen ab. Sie brachten zusammengefasst vor, der Rekurssenat würde sich unvertretbaren Rechtsansichten anschließen. Er sei gegenüber der Rechtsposition der Ablehnungswerber voreingenommen. Dies sei umso unverständlicher als das Bundesverwaltungsgericht gerade aus Anlass einer Beschwerde der Ablehnungswerber eine Vorlage an den EuGH beschlossen habe und diese Vorlage auch dem Rekursgericht vorgetragen worden sei. Es sei offenkundig, dass durch die Rechtsprechung des EuGH zum Kumulationsverbot und zur DSGVO die Rechtslage massiv verändert worden sei. Zudem sei in der Entscheidung des Rekursgerichts nicht näher dargelegt worden, weshalb Geschäftspartner der Gesellschaft auf eine 22 Jahre alte Bilanz angewiesen seien. Ihrem Rechtsvertreter, einem seit 40 Jahren tätigen Rechtsanwalt, sei unterstellt worden, er würde „bestürzenderweise wider besseres Wissen“ handeln.
[8] Das Landesgericht Feldkirch legte den außerordentlichen Revisionsrekurs dem Obersten Gerichtshof vor.
[9] Mit Beschluss vom 17. 2. 2023, 6 Ob 29/23t, unterbrach der Oberste Gerichtshof das Revisionsrekursverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über den im außerordentlichen Revisionsrekurs enthaltenen Ablehnungsantrag betreffend die Mitglieder des Rekurssenats und stellte die Akten dem Landesgericht Feldkirch mit dem Auftrag zurück, diese dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag vorzulegen.
[10] In ihrer Stellungnahme zum gegenständlichen Ablehnungsantrag gaben die Mitglieder des Rekurssenats an, sich nicht für befangen zu erachten.
[11] Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Innsbruck (Erstgericht) den Ablehnungsantrag als unberechtigt zurück. Er führte aus, bei Ablehnung einer Mehrzahl von Richtern müssten in Ansehung eines jeden Einzelnen konkrete Befangenheitsgründe detailliert dargetan werden, was dem Ablehnungsantrag aber nicht zu entnehmen sei. Der Rekurssenat vertrete in seiner Entscheidung eine Rechtsposition, die jener der herrschenden Rechtsprechung der Höchstgerichte entspreche. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnten die Ablehnungswerber mit ihrem Antrag nicht durchdringen. Denn weder die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung noch die Vertretung einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter bilde einen Ablehnungsgrund; dies selbst dann nicht, wenn die Rechtsansicht von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt werde. Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen seien nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen. Eine Voreingenommenheit gegenüber der Rechtsposition der Ablehnungswerber sei nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall sei auch die Formulierung der abgelehnten Senatsmitglieder vom Handeln „wider besseres Wissen“ sachlich gerechtfertigt, zumal die Vertreterin der Ablehnungswerber in zahlreichen Verfahren, die entgegen deren Rechtsansicht entschieden worden seien, beteiligt gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der dagegen gerichtete Rekurs der Ablehnungswerber ist nicht berechtigt.
[13] 1. Über die Ablehnung hatte der nach § 23 JN zuständige Senat des Rekursgerichts zu entscheiden:
[14] Die Ablehnung von Richtern kann auch nach einer Entscheidung im Rechtsmittel dagegen erklärt werden (RS0041933; RS0042028). Über die Ablehnung des einem Gerichtshof angehörenden Richters entscheidet dieser Gerichtshof durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Ablehnungssenat, und zwar auch dann, wenn die Ablehnung in einem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung dieses Gerichts erfolgt. Über die Ablehnung hatte daher der nach § 23 JN zuständige Senat des Rekursgerichts zu entscheiden (6 Ob 29/23t; 8 Ob 47/22b; 8 Ob 149/08g; vgl RS0042028 [T4, T12]). Über den Revisionsrekurs einer ablehnenden Partei gegen die Entscheidung in der Hauptsache ist erst nach rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsantrags zu entscheiden (6 Ob 29/23t; 8 Ob 149/08g; vgl RS0046034 [T1]).
[15] 2. Die geltend gemachten Ablehnungsgründe liegen nicht vor:
[16] 2.1. Zwar ist eine unzulässige indifferente Pauschalablehnung dann nicht gegeben, wenn – wie hier – dem Antrag zu entnehmen ist, dass bei jedem einzelnen Richter im Wesentlichen dieselben Ablehnungsgründe behauptet werden (2 Nc 35/21a [ErwGr 2.]; RS0045983 [T11]).
[17] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung kommen aber als Befangenheitsgründe in erster Linie private persönliche Beziehungen zu einer der Prozessparteien oder zu ihren Vertretern in Betracht, die ein Naheverhältnis begründen, das bei objektiver Betrachtung zumindest geeignet ist, den Anschein einer Voreingenommenheit zu erwecken (RS0045935), weil es bei der Befangenheit um unsachliche psychologische Motive geht, die eine unparteiische Entscheidung hemmen können (RS0045975). Dagegen bildet weder die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung noch das Vertreten einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter einen Ablehnungsgrund selbst dann, wenn die Rechtsansicht von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt wird. Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen sind nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen. Auch ist es nicht Aufgabe des Ablehnungssenats, die Rechtmäßigkeit der von anderen Senaten vertretenen Rechtsansichten zu überprüfen (RS0111290 [T13 und T14]; RS0046047).
[18] Über die Richtigkeit der Rechtsansicht des Rekurssenats wird auch im vorliegenden Fall vielmehr – ganz im Sinne der „Schlussanträge“ der Ablehnungswerber in ihrem nunmehrigen Rekurs – nach Rechtskraft der Entscheidung über den Ablehnungsantrag der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung über den in der Sache erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zu befinden haben (6 Ob 29/23t; 8 Ob 149/08g; RS0046034).
[19] 2.3. Zwar können Entgleisungen, grobe Unsachlichkeiten, rein gefühlsmäßig wertende, herabwürdigende oder gar beleidigende Äußerungen die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl RS0046083). Die Ablehnungswerber bringen in ihrem Rekurs jedoch selbst vor, die Befangenheit werde nicht wegen persönlicher Gründe oder Animosität geltend gemacht, sondern wegen (behaupteter) Voreingenommenheit gegenüber der Rechtsposition der Rekurswerber. Sie wiederholen dazu bloß die Ausführungen im Ablehnungsantrag, es habe dem Antragstellervertreter noch kein Rechtsmittelgericht einen „Angriff auf die Rechtssicherheit und gegen rechtstreue Mitbewerber und all dies bestürzender Weise wider besseres Wissen“ unterstellt. Auf die diesbezüglichen Argumente des Erstgerichts, wonach die Vertreterin der Ablehnungswerber in zahlreichen Verfahren, die entgegen der in der Hauptsache vertretenen Rechtsansicht der Ablehnungswerber entschieden worden seien, beteiligt gewesen sei, geht der Rekurs nicht ein.
[20] Im vorliegenden Fall kann von einer Voreingenommenheit der Mitglieder des Rekurssenats gegenüber der Rechtsposition der Rekurswerber bei verständiger Würdigung der Entscheidung des Rekursgerichts in ihrem Gesamtzusammenhang nicht gesprochen werden. Aus den inkriminierten – wie schon das Erstgericht zutreffend darlegte – an sich überflüssigen (§ 52 Abs 2 Geo) Ausführungen des abgelehnten Rekurssenats kann noch nicht geschlossen werden, dass die Senatsmitglieder nicht bereit waren, die Rekursargumente bei ihrer Entscheidung in objektiver Weise zu berücksichtigen. Dies zeigt schon die weitere, rund 70 Seiten umfassende ausführliche Begründung des Rekurssenats in seiner Entscheidung, in der er sich umfassend mit diesen Argumenten auseinandersetzte und im Übrigen dem Rekurs auch teilweise stattgab. Darüber hinaus könnte eine – wie hier – vereinzelte, nicht streng sachliche Passage einer Entscheidungsbegründung noch nicht zwingend den Vorwurf der Befangenheit rechtfertigen (vgl 6 Ob 24/12s [ErwGr 1.6.]).
[21] Dem unberechtigten Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)