OGH 6Ob83/12t

OGH6Ob83/12t24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T***** R*****, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. L***** AG, *****, 2. L***** I***** AG, *****, beide vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 500.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. März 2012, GZ 5 R 170/11a-39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Ob die Abberufung eines Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat begründet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei sich allgemeine Grundsätze, ob ein solcher wichtiger Grund anzunehmen ist, kaum aufstellen lassen (RIS-Justiz RS0110182). Wegen der regelmäßig gebotenen Einzelfallbeurteilung liegt in derartigen Fällen im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor.

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen intervenierte der Kläger mehrfach bei einem ihm unterstellten Mitarbeiter, damit die E***** Bank den Zuschlag bei einem aufzunehmenden Kredit bekommen würde. Grund für diese Vorgangsweise war, dass ihm seitens der E***** Bank signalisiert worden war, dass diese auf ein Pönale wegen vorzeitiger Rückzahlung eines vom Kläger aufgenommenen Kredits verzichten werde, wenn die Geschäftsbeziehungen zwischen den beklagten Parteien und der E***** Bank so weitergehen würden wie bisher bzw ausgeweitet würden. Der Kläger setzte diesen Mitarbeiter unter Druck, indem er sich erkundigte, ob die Kreditsache schon entschieden sei, und erwähnte, dass die E***** Bank ein Pönale von ihm wolle und diese darauf verzichten würde, weshalb der Kredit bei der E***** Bank aufgenommen werden sollte. Außerdem forderte er den Mitarbeiter, nachdem das Angebot der E***** Bank das teuerste gewesen war, auf, weitere Angebote einzuholen, von denen er hoffte, dass diese zum Teil höher liegen würden, sodass die E***** Bank „in der Mitte“ liegen würde. Schließlich erklärte er, dass der Mitarbeiter in der Kreditsache seinem Vorgesetzten gegenüber nicht alles erzählen dürfe, weil dieser alles „nach oben“ (gemeint: zum Aufsichtsratsvorsitzenden) weitergeben würde.

3.1. Die Vorinstanzen erblickten in diesem Verhalten des Klägers eine grobe Pflichtverletzung. Ihm sei vorzuwerfen, private Interessen über das Wohl des Unternehmens gestellt und die Pönaleproblematik gegenüber dem Aufsichtsrat nicht offengelegt zu haben. Auch wenn der Kläger subjektiv der Auffassung gewesen sei, dass die beklagten Parteien vertraglich verpflichtet gewesen wären, das Pönale finanziell zu tragen, habe er mit seinem Verhalten doch eine Schädigung des Unternehmens durch Abschluss eines ungünstigeren Kredits in Kauf genommen und dabei seine privaten Interessen über das Unternehmenswohl gestellt.

3.2. Das Berufungsgericht wies zusätzlich noch daraufhin, dass der Kläger seine Position im Unternehmen der Beklagten auch objektiv betrachtet für eigene persönliche Interessen missbraucht und seine Verpflichtung zur Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat verletzt habe. Das Ausmaß des (drohenden) Schadens der Beklagten sei dabei ebenso wenig maßgeblich wie der Grad seines Verschuldens oder die Beharrlichkeit seines verpönten Verhaltens, zumal nicht die Person unzumutbar sein müsse, sondern die Fortsetzung des Organverhältnisses.

4.1. In dieser Auffassung ist eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung nicht zu erblicken. Wenngleich dem Kläger zuzubilligen ist, subjektiv der Auffassung gewesen zu sein, dass das Pönale für die Rückzahlung seines Kredits letztlich von den beklagten Parteien zu zahlen sei, musste ihm doch bekannt sein, dass die beklagten Parteien den gegenteiligen Standpunkt vertraten. Der Umstand, dass der Kläger vermeintliche eigene Ansprüche gegen die Gesellschaft oder gegen Mitgesellschafter durchsetzen wollte, stellt keinen „Freibrief“ für ein Vorgehen hinter dem Rücken des Aufsichtsrats dar.

4.2. Ob die von den Vorinstanzen angenommene Pflichtverletzung in Form eines Treuebruchs durch mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat im Abberufungsbeschluss Deckung findet, stellt eine nur einzelfallbezogen zu klärende Frage der Auslegung dieses Beschlusses dar. Dass zu den groben Pflichtverletzungen, die zur Abberufung führen können, auch mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat zählt, entspricht der ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0112071).

4.3. Auch in der Auffassung der Vorinstanzen, wonach es Pflicht des Klägers gewesen sei, den Aufsichtsrat von seinem unterschiedlichen Standpunkt in der Pönalefrage in Kenntnis zu setzen und er unternehmensintern für Transparenz darüber hätte sorgen müssen, dass sein Vorgehen und Verhalten gegenüber der Bank und den Mitarbeitern im Unternehmen ausschließlich von seinem Bestreben geleitet waren, Schaden von den Beklagten durch Wegfall eines letztlich die Beklagten treffenden Pönales abzuwenden, ist eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht zu erblicken.

4.4. Dies gilt auch für die weitere Überlegung der Vorinstanzen, die Divergenz zwischen der persönlichen Beurteilung der Pönalfrage durch den Kläger und dem diesbezüglichen Unternehmensstandpunkt wäre schon deshalb aufzuklären gewesen, weil der Ethik-Kodex der Beklagten eine strenge Trennung von privaten und Unternehmensinteressen verlange und schon aus diesem Grund jeglicher Anschein eines Agierens im Bereich eines Interessenkonflikts zwischen dem Kläger und dem Unternehmen vom Kläger zu vermeiden gewesen wäre.

4.5. Auch durch die Betonung der Schwere des Treueverstoßes des Klägers hat das Berufungsgericht den ihn bei der Interessenabwägung nach § 75 AktG eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht verlassen. Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Judikatur zur fristlosen Entlassung lässt sich nicht ohne weiteres auf die Abberufung eines Vorstandsmitglieds übertragen.

5. Zusammenfassend bringt der Kläger somit keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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