OGH 6Ob70/24y

OGH6Ob70/24y15.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und die Hofräte Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Gerald Zauner und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei L* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Foglar‑Deinhardstein und Mag. Paul Hoffmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen 17.670,44 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2024, GZ 1 R 187/23k‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 9. Oktober 2023, GZ 36 Cg 39/22s‑19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00070.24Y.0515.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Datenschutzrecht, Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.505.40 EUR (darin enthalten 250,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Mieter einer Wohnung in einem Gebäude der Beklagten. Dieses Gebäude war in der Vergangenheit regelmäßig Objekt von Sachbeschädigungen, weshalb die Beklagte eine Videoüberwachung installierte.

[2] Nach dem Besuch eines Weinfestes wollte der aufgrund von Alkoholkonsum in erheblichem Ausmaß nicht mehr fahrtaugliche Kläger nächtens mit dem PKW auf seinem Parkplatz vor dem Gebäude einparken. Im Zuge dessen fuhr er allerdings über die Parkplatzbegrenzung hinaus und beschädigte sein Fahrzeug schwer. Die Videoüberwachungsanlage der Beklagten zeichnete den Vorfall auf.

[3] In der Unfallmeldung an den Kaskoversicherer führte der Kläger aus, er habe wegen einer plötzlich vor sein Auto laufenden Katze bremsen wollen und vor lauter Schreck statt dem Bremspedal das Gaspedal erwischt, woraufhin er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe. Nachdem der Versicherer zunächst eine vorläufige Deckungszusage erteilt hatte, entdeckte ein Mitarbeiter bei einer Nachschau vor Ort die Kameras und kontaktierte die Beklagte. Diese übermittelte die Aufzeichnung des Unfalls an den Versicherer, der die Deckung für die Reparaturkosten des PKW in Höhe von 17.970,44 EUR nunmehr ablehnte.

[4] Der in der Folge vom Kläger gegen den Kaskoversicherer geführte Deckungsprozess endete mit einem Vergleich, wonach sich der Kläger zur Zahlung der Prozesskosten des Versicherers verpflichtete und die Parteien im Gegenzug in einem weiteren zwischen ihnen aus dem Vorfall resultierenden Verfahren Ruhen vereinbarten.

[5] Das Erstgericht wies die auf Zahlung der Reparaturkosten aus dem Titel des Schadenersatzes gestützte Klage ab. Der Schaden des Klägers sei nicht vom Schutzzweck der Datenschutzbestimmungen erfasst.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klage scheitere (unter anderem) am mangelnden Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht vom Schutzzweck der datenschutzrechtlichen Bestimmungen umfasst sei. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage des Schutzzwecks datenschutzrechtlicher Bestimmungen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision des Klägers ist nicht zulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken:

[8] 1.1. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Unionsrechts ab, so ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung dessen Anwendung auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (RS0117100; RS0133681).

[9] 1.2. Die Frage nach dem Schutzzweck der DSGVO betrifft eine Frage des Unionsrechts (vgl 6 Ob 132/21m). Wie weit dieser Schutzzweck reicht, ist das Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (vgl RS0027553 [T11]). Dass dem Berufungsgericht dabei eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revision nicht auf.

[10] 2.1. Nach Art 82 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter. § 29 DSG konkretisiert dieses Recht des Betroffenen und ordnet an, dass für diesen Schadenersatzanspruch im Einzelnen die allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gelten (vgl Thiele/Wagner, DSG2 § 29 Rz 1).

[11] 2.2. Der Kläger begehrt hier den Ersatz der Reparaturkosten seines Fahrzeugs mit der Begründung, die Deckung dieser Kosten durch den Kaskoversicherer sei durch eine unzulässige Datenverarbeitung der Beklagten vereitelt worden. Er zieht die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht in Zweifel, dass ein Ersatzanspruch nur besteht, wenn der von ihm geltend gemachteSchaden vom Schutzzweck der von ihm herangezogenen datenschutzrechtlichen Bestimmungen (Art 5 und 6 DSGVO, § 12 DSG) umfasst sei.

[12] 2.3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kaskoversicherer des Klägers sei schon aufgrund des Risikoausschlusses nach § 67 VersVG von der Leistung aus dem Versicherungsvertrag frei gewesen, weil der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe, ist nicht korrekturbedürftig, zumal der aufgrund von Alkoholkonsum in erheblichem Ausmaß nicht mehr fahrtaugliche Kläger über die Parkplatzbegrenzung hinaus fuhr und dadurch den Schaden verursachte (7 Ob 280/06m; vgl auch RS0080275 [insb T5, T18, T25]; RS0080405; Vonkilch in Fenyves/Perner/Riedler [2021] § 61 VersVG Rz 43).

[13] Der Einwand der Revision gegen diese Beurteilung, die Voraussetzung des Risikoausschlusses, insbesondere die Alkoholisierung des Klägers, sei „weder behördlich noch gerichtlich“ mit Bindungswirkung zwischen dem Kläger und der Versicherung festgestellt worden und es stehe deshalb nicht fest, dass der Kläger keinen Deckungsanspruch gegen die Versicherung habe, ist unrichtig. Anders als für die Alkoholklausel gemäß § 5 Abs 1 Z 5, Abs 4 KHVG iVm den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (zB Art 9.2.2. AKHB 2013; vgl dazu 7 Ob 99/21s), ist es für die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kaskoversicherung nicht erforderlich, dass im Spruch oder in der Begründung einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, das Fahrzeug sei in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt worden. Im Übrigen sind die Vorinstanzen ohne Korrekturbedarf davon ausgegangen, dass die Frage, ob der Kaskoversicherer leistungspflichtig gewesen wäre, im vorliegenden Schadenersatzprozess selbstständig zu lösen ist, sodass der Kläger hier Schadenersatz für eine vom Kaskoversicherer zu Recht verweigerte Versicherungsleistung begehrt.

[14] 2.4. Auch die daran anknüpfende Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass es außerhalb des Schutzzwecks der vom Kläger ins Treffen geführten datenschutzrechtlichen Bestimmungen liege, wenn er im Wege einer (behaupteten) Datenschutzverletzung Schadenersatz für eine berechtigt verweigerte Versicherungsleistung vom Verantwortlichen einer Datenverarbeitung begehre, ist nicht korrekturbedürftig. Dabei kann auch das unionsrechtliche Effektivitätsgebot nicht zu einem anderen Ergebnis führen, würde dies doch auf eine schadenersatzrechtliche Kompensation für das (erfolglos) versuchte Erschleichen einer Versicherungsleistung hinauslaufen.

[15] 3. Der Kläger hat die Beurteilung des Erstgerichts, immaterielle Schadenersatzansprüche nach Art 82 DSGVO seien verjährt, im Berufungsverfahren nicht bekämpft, sodass er den Klageanspruch im Revisionsverfahren nicht mehr darauf stützen kann (vgl RS0043338 [T13, T27]).

[16] 4. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens ist nicht erforderlich, weil keine Auslegungszweifel im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (vgl insb Rs 283/81 , CILFIT) vorliegen.

[17] 5. Die weiters von der Revision aufgeworfenen Fragen stellen sich nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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