OGH 6Ob558/88

OGH6Ob558/8816.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fatma Gönül D***, geboren am 16.Oktober 1955 in Istanbul, Private, 1150 Wien, Herklotzgasse 3/1/15, vertreten durch Dr. Herbert Eichenseder, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Jürgen D***, geboren am 16.März 1947 in Wien, Kaufmann, derzeit 1080 Wien, Landesgerichtsstraße 11, vertreten durch Dr. Heinrich Gussenbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26.November 1987, GZ 1 R 211/87-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 24.Februar 1987, GZ 37 Cg 206/86-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige, der Beklagte österreichischer Staatsbürger. Die Streitteile haben am 13.5.1985 vor dem Standesamt Wien-Währing die für die Klägerin erste, für den Beklagten dritte Ehe geschlossen. Die Vorehen des Beklagten wurden jeweils durch Scheidung aufgelöst. Beide Parteien hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt - auch während des Ehescheidungsverfahrens - in Wien. Die Ehe der Streitteile blieb kinderlos.

Die Klägerin begehrte mit der am 25.7.1986 zu Protokoll gegebenen Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Sie brachte vor, der Beklagte behandle sie lieblos und beginne wegen jeder Kleinigkeit Streit. Er halte ihr vor, daß sie ihm zuviel Geld koste und daß er ihre Stimme schon gar nicht mehr hören könne. Am 30.10.1985 habe sie der Beklagte im Gesicht verletzt. Am 5.2.1986 habe er sie geschlagen und mit dem Umbringen bedroht. Hiedurch habe die Klägerin eine Platzwunde hinter dem Ohr, blaue Flecken auf der linken Wange und eine Schwellung am rechten Arm erlitten (ON 4, AS 19).

Der Beklagte widersprach dem Scheidungsbegehren nicht, stellte aber einen Mitverschuldensantrag mit der Behauptung, die Klägerin verweigere die "Fortpflanzung". Außerdem habe sie außereheliche Beziehungen mit anderen Männern und "vermutlich eine zweite Wohnung". Er habe die Klägerin bereits einmal wegen "Gattenmißhandlung" angezeigt, da sie ihn auf offener Straße geschlagen und getreten habe. Die Streitteile hätten sich dann wieder versöhnt. Am 24.9.1986 habe ihn die Klägerin neuerlich attackiert, wobei er Verletzungen an den Händen, an der Hüfte, an der Schulter und am Unterarm erlitten habe (ON 4, AS 20). Das Erstgericht schied die Ehe und sprach aus, daß den Beklagten das überwiegende Verschulden treffe. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Bereits vor der Eheschließung und auch während der Ehe arbeitete die Klägerin als Bardame. Diese Feststellung ist im Lichte der Parteiaussagen und den Ausführungen des Erstgerichtes im Rahmen seiner Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung dahin zu verstehen, daß zur Tätigkeit der Klägerin als "Animierdame" auch der (entgeltliche) Geschlechtsverkehr mit anderen Männern gehörte. Der Beklagte wußte stets, welche Tätigkeiten die Klägerin in der Bar ausübte, und war damit einverstanden. Die Klägerin erzielte daraus ein monatliches Einkommen von ca. 40.000 S, welches sie zum Großteil an den Beklagten ablieferte, der damit die ehelichen Aufwendungen bestritt. Dennoch verlangte der Beklagte immer wieder Geld von der Klägerin und warf ihr vor, daß sie Ausländerin sei. Wenn sie einen Kaffee trinken oder etwas essen wollte, rechnete ihr der Beklagte die Kosten hiefür vor. Wollte sie Licht aufdrehen, verlangte er Geld von ihr. Der Beklagte drehte auch die Heizkörper ab, sodaß die Klägerin fror. Dieses Verhalten des Beklagten beeinträchtigte die körperliche Gesundheit der Klägerin. Die Klägerin ist "nervlich völlig am Ende".

Zu Beginn der Ehe wollten beide Teile Kinder haben. Der Beklagte hatte Kenntnis von der schweren Unterleibsoperation der Klägerin, die als "Krebserkrankung nicht ohne jede Hoffnung" diagnostiziert worden war. Als die Klägerin bemerkte, daß sich der Beklagte zu seinen Kindern aus früheren Ehen ebenso knausrig verhielt wie zu ihr und auch diesen jeden für sie ausgelegten Schilling vorrechnete, wollte sie keine Kinder mehr.

Etwa einen Monat nach der Eheschließung konnte die Klägerin die Ehewohnung nicht aufsperren, weil der Beklagte auch jene Schlösser, für die er ihr keine Schlüssel gegeben hatte, versperrt hatte. Später sagte er ihr, er sei mit einer anderen Frau in der Wohnung gewesen. Der Beklagte hielt den Staatsbürgerschaftsnachweis der Klägerin in einem Schrank versperrt, für den er ihr keinen Schlüssel gab. Er schlug die Klägerin mehrmals und verletzte sie dabei auch. Auf diese Weise erlitt sie einmal den Bruch des rechten Daumens. Am 3.10.1985 nahm die Klägerin einige Fotos aus der vom Beklagten aufgesperrten Schreibtischlade heraus. Der Beklagte wollte ihr daraufhin die Bilder aus der Hand nehmen und drückte ihre Unterarme fest zusammen. Als ihn die Klägerin zur Seite stieß, begann der Beklagte zuerst mit der Faust in ihr Gesicht und dann mit Händen und Füßen auf ihren Körper einzuschlagen. Als die Klägerin am 5.2.1986 später als vorgesehen nach Hause kam, fragte sie der Beklagte, wo sie so lange gewesen sei, und schlug gleich auf sie ein. Sie erlitt dadurch eine Platzwunde hinter dem linken Ohr und Schwellungen auf der linken Wange. Für den Fall einer Verletzungsanzeige drohte ihr der Beklagte mit dem Umbringen.

Am 24.9.1986 warf die Klägerin im Streit mit dem Beklagten wegen dessen außerehelichen Beziehungen diesem eine Glasplatte im Ausmaß von ca. 40 x 30 x 0,6 cm nach. Hiedurch erlitt der Beklagte Schnittverletzungen an der Hand und an der rechten Hüfte. Das Erstgericht war der Ansicht, daß den Beklagten das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, weil er die Klägerin mehrfach körperlich mißhandelt und auch verletzt und ihr darüber hinaus in bezug auf ihre Staatsbürgerschaft sowie durch sein "Vorrechnen" des Aufwandes für den ehelichen Haushalt herabsetzende Kränkungen zugefügt habe. Hingegen sei der Klägerin der tätliche Angriff am Vorabend des Scheidungstermines nur als geringeres Verschulden anzulasten. Die im Rahmen des Mitverschuldensantrages des Beklagten erhobenen weiteren Vorwürfe müßten als ungerechtfertigt außer Betracht bleiben. Die Klägerin habe triftige Gründe für die Verweigerung der Nachkommenschaft gehabt und der Beklagte habe ihren Beruf samt dem damit verbundenen geschlechtlichen Umgang mit anderen Männern offenbar stillschweigend gebilligt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz mit der Maßgabe, daß es vor dem Ausspruch über das überwiegende Verschulden des Beklagten auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden beider Teile lauten müsse. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens sowie einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte auch dessen Rechtsansicht in bezug auf die Aufnahme des Ausspruches über das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Ehezerrüttung. Das Erstgericht sei - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch erkennbar - zutreffend von einem durch eine staatliche Ehe sanktioniertem Zusammenleben einer "Berufsprostituierten mit ihrem Zuhälter" ausgegangen. In einem solchen Fall könnten aber die im Rahmen des Mitverschuldensantrages des Beklagten erhobenen sonstigen Vorwürfe der Klägerin nicht als Eheverfehlung angelastet werden. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteiles im Sinne eines Ausspruches des überwiegenden Verschuldens der Klägerin, hilfsweise auf Urteilsaufhebung.

Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt jedes der beiden Streitteile in Wien zum Zeitpunkt der Ehescheidung die Anwendung des österreichischen Ehegesetzes durch die Vorinstanzen gemäß den §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 Z 2 IPR-Gesetz keinen Bedenken begegnet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die gemäß § 60 Abs 3 letzter Satz EheG entsprechend vorzunehmende Verschuldensabwägung im Sinne des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle. Der Beklagte vertritt hiezu zusammenfassend die Rechtsansicht, daß die Klägerin wegen ihres oftmaligen Ehebruches das weitaus überwiegende Verschulden an der Ehezerrüttung treffe. Die von den Vorinstanzen hiezu angenommene Zustimmung des Beklagten sei schon deshalb bedeutungslos, weil eine solche als sittenwidrig und daher rechtsunwirksam angesehen werden müsse. Die Klägerin habe daraus kein Recht auf die Begehung der Ehebrüche ableiten können.

Diese Argumentation ist aus folgenden Gründen nicht stichhältig:

Richtig ist, daß der Ehebruch nach ständiger Rechtsprechung (EFSlg.33.881, 36.280, 38.792, 48.721, 51.569 uva) einen absoluten Scheidungsgrund darstellt, sodaß er ohne Rücksicht auf seine Auswirkungen auf die Ehe die Scheidung aus dem Verschulden des Ehebrechers rechtfertigt. Dagegen hat sich zwar unter Berufung auf § 56 EheG ein Teil der Lehre (vgl. die Nachweise bei Pichler in Rummel, ABGB Rz 1 zu § 47 EheG) gewendet. Der Oberste Gerichtshof ist jedoch bereits wiederholt der von Koziol-Welser (Grundriß7 II 198) unter Berufung auf Gernhuber (Familienrecht2, 251 f) vertretenen Rechtsansicht gefolgt, der Sinn der Bestimmung des § 56 EheG sei darin gelegen, Ehen zu erhalten, die trotz der Verfehlung nicht zerrüttet sind, nicht aber solche, bei denen das eheliche Empfinden schon vor dem Ehebruch fehlte (EFSlg.46.145; 1 Ob 590/87). Daher wirkt in solchen Fällen der Scheidungsgrund absolut. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob nicht doch aus bestimmten Gründen eine Scheidung wegen Ehebruches ausgeschlossen sein kann. Sie wird durch die Vorschrift des § 47 Abs 2 EheG dahingehend beantwortet, daß der Ehegatte dann kein Recht auf Scheidung wegen Ehebruches hat, wenn er dem Ehebruch des anderen Teiles zugestimmt oder ihn durch sein Verhalten absichtlich ermöglicht oder erleichert hat. Die Zustimmung ist ein Willensakt mit rechtlichen Folgen, der nicht notwendigerweise in einer ausdrücklichen Erklärung bestehen muß, sondern auch in einem im Sinne des § 863 ABGB eindeutigen Verhalten zum Ausdruck gebracht werden kann. Sie kann mit Wirkung für die Zukunft jederzeit widerrufen werden (EFSlg.41.174). Der Verlust des Scheidungsrechtes ergibt sich nicht daraus, daß durch die Zustimmung der Ehebruch gerechtfertigt wäre, denn die Pflicht zur Treue ist der Parteiendisposition entzogen (§ 879 ABGB; vgl. EFSlg.24.928, 41.175). Er folgt vielmehr aus der mangelnden Schutzwürdigkeit des zustimmenden Teiles, welcher die Verfehlung des anderen jetzt dazu benutzen könnte, um die von ihm aus anderen Gründen nicht mehr gewünschte Ehe zu lösen (Koziol-Welser aaO 195). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen aufgrund des festgestellten Sachverhaltes mit Recht das Vorliegen einer Zustimmung des Beklagten zu der ihm bekannten "Berufsausübung" der Klägerin als Bardame, welche auch den Geschlechtsverkehr mit männlichen Gästen vollzieht, angenommen. Er war mit dieser Tätigkeit der Klägerin nicht nur einverstanden, sondern es waren ihm die daraus von ihr gewonnenen und an ihn zum Großteil abgelieferten, nicht unerheblichen Einkünfte immer noch zu wenig. Daraus folgt, daß der Beklagte selbst zur Zeit der Erhebung der vorliegenden Scheidungsklage und auch später wegen der "beruflichen" Ehebrüche der Klägerin gegen sie kein Recht auf Scheidung im Wege einer eigenen Klagserhebung hatte. In diesem Fall kann er daher insoweit seinen Mitschuldantrag auch nicht mit Erfolg auf § 60 Abs 3 erster Satz EheG stützen (EFSlg.20.511, 46.228), seinem Antrag wäre vielmehr in bezug auf die noch in Rede stehenden "beruflichen Ehebrüche" der Klägerin gemäß dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle nur dann stattzugeben, wenn dies der Billigkeit entspräche (vgl. EFSlg.13.960). In diesem Umfang mußte daher auf sie auch bei der vorzunehmenden Verschuldensabwägung Bedacht genommen werden (vgl. EFSlg.20.513, 46.240). Für letztere ist aber unter anderem die Ursächlichkeit der jeweiligen Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg.41.271, 43.677, 43.680; 1 Ob 669/86; 6 Ob 570,571/87 ua). Es haben daher die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die Ehebrüche der Klägerin hier schon deshalb nicht entscheidend ins Gewicht fallen können, weil sie im Hinblick auf die Zustimmung des Beklagten von diesem auch nicht als ehestörend empfunden worden sein konnten. Ihnen kommt somit kein entscheidender Einfluß auf die Ehezerrüttung zu. Es verbietet sich daher auch deren Berücksichtigung nach Billigkeitsgrundsätzen, weil es unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nach allgemeiner Auffassung nicht gerecht sein kann (vgl. EFSlg.13.961), hier der Klägerin noch eine augenscheinlich hervortretende Schuld (EFSlg.43.691, 46.243, 48.834, 51.660 uva) aufzuerlegen. In der Außerachtlassung der Ehebrüche der Klägerin bei der Verschuldensabwägung durch die Vorinstanzen kann aus allen diesen Gründen keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Der Beklagte vermag gegen die Verschuldensabwägung ansonsten auch nichts mehr einzuwenden, sodaß insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden kann.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 40, 50 ZPO,

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