Spruch:
Dem von mehreren Personen gemeinsam Verletzten kann von jedem der solidarisch haftenden Mittäter sein durch provokatorisches Verhalten begrundetes Mitverschulden eingewendet werden.
Entscheidung vom 18. Februar 1959, 6 Ob 30/59.
I. Instanz: Bezirksgericht Liezen; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Am 20. Oktober 1956 fand im Gasthaus des Beklagten in A. eine Hochzeitsfeier statt, die bis gegen 3 Uhr früh des 21. Oktober 1956 dauerte. Zu dieser Zeit verließen die meisten Gäste das Lokal. Zurück blieben jedoch Ludwig W. und seine Gattin, die Klägerin; beide waren ebenso wie der Beklagte stark alkoholisiert. Gegen 5 Uhr früh erschien der Zeuge Franz B., der damals nüchtern war, im Lokal. Offenbar etwas später geriet die Klägerin mit ihrem Mann in Streit, in dessen Verlauf sie ihm sagte, sie lasse sich von ihm nicht wieder schlagen. Der Beklagte forderte den Ludwig W. nun auf, ruhig zu sein oder das Gasthaus zu verlassen. Hierauf erhob sich W., stellte sich vor den Beklagten hin und erklärte ihm, der Streit mit der Klägerin gehe ihn nichts an. Während des darauffolgenden Wortwechsels erschien - es war etwa 6 Uhr früh geworden - das dreijährige Söhnchen des Beklagten in Nachtkleidung im Lokal und lief auf diesen zu. Ludwig W. erfaßte das Kind an den Schultern und stieß es derart nach vorne zu Boden, daß es aus der Nase blutete und zu weinen begann. Der Beklagte und auch der Zeuge B. gaben dem W. daraufhin eine Ohrfeige, drängten ihn ins Vorhaus und sodann zur Haustür hinaus. Dort kam W. zum Sturz, fiel mit dem Hinterkopf auf den Steinboden und verletzte sich dabei schwer. Trotzdem wurde er vom Beklagten und von S. noch weiter mißhandelt. Nachdem er bereits von den beiden attackiert worden war, griff er während der Angriffe einmal zur rückwärtigen Hosentasche, was den Anschein erweckte, er wolle ein Messer ziehen. W. erlitt einen mit einer Hirnrindenquetschung verbundenen Schädelgrundbruch, wozu noch eine Hirnhautentzundung und später eine Lungenentzundung kamen. Er starb am 24. Oktober 1956 im Krankenhaus R.
Der Beklagte wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 24. Juni 1957, 9 a Vr 1448/57, schuldig erkannt, mit dem abgesondert verfolgten Franz S. bei einer gegen Ludwig W. unternommenen Mißhandlung, die dessen Tod durch Schädelbruch, Hirnrindenquetschung und Hirnhautentzundung verursachte, an den Getöteten Hand angelegt zu haben, wobei der Tod nur durch alle Mißhandlungen zusammen verursacht worden sei und sich nicht bestimmen lasse, wer ihm die tödliche Verletzung zugefügt habe. Er wurde deshalb wegen Verbrechens nach § 143 StG. verurteilt. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten wurde vom Obersten Gerichtshof mit Urteil vom 12. November 1957, 6 Os 321/57, verworfen.
Mit der vorliegenden, am 26. Oktober 1957 überreichten Klage begehrte die Klägerin, gestützt auf die Bestimmung des § 1327 ABGB., vom Beklagten als Ersatz der ihr durch den Todesfall erwachsenen Kosten unter Vorbehalt weiterer Ansprüche einen Betrag von 5199 S 40 g samt Zinsen seit 16. September 1957, welches Begehren sie bei der Tagsatzung vom 19. Mai 1958 um 1368 S (Grabsteinmehrkosten) auf 3831 S 40 g einschränkte.
Das beim Landesgericht für Strafsachen Graz gegen Franz B. wegen Verbrechens nach § 143 StG. geführte Verfahren war im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung vor dem Erstrichter noch unerledigt (4 Vr 2338/58). S. wurde aber mittlerweile mit Urteil vom 27. November 1958 schuldig erkannt, er habe mit dem Beklagten bei der gegen W. unternommenen Mißhandlung durch Versetzen eines Stoßes, worauf W. zur Haustür hinausstürzte und wodurch dessen Tod durch Schädelbruch, Hirnrindenquetschung und Hirnhautentzundung verursacht wurde, an den Getöteten Hand angelegt, wobei der Tod nur durch alle Mißhandlungen zusammen verursacht wurde. Auch S. wurde deshalb rechtskräftig wegen Verbrechens nach § 143 StG. verurteilt.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt, wobei er - was ungerügt blieb - das Zinsenbegehren überging. Er vertrat den Standpunkt, es komme nicht darauf an, ob und in welchem Ausmaß den W. ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. dem Beklagten gegenüber treffe; dem S. gegenüber sei dem W. kein Mitverschulden anzulasten; da der Beklagte mit S. solidarisch hafte (§ 1302 ABGB.), müsse er der Klägerin den gesamten Schaden ersetzen; auf das Mitverschulden des W. könne er sich nur im Innenverhältnis zu S. berufen.
Der Beklagte ließ den Zuspruch der Hälfte des eingeschränkten Klagebetrages, sohin von 1915 S 70 g, unangefochten.
In Stattgebung seiner Berufung wies das Berufungsgericht das Mehrbegehren von weiteren 1915 S 70 g mit der Begründung ab, dem W. sei sowohl gegenüber dem Beklagten als auch gegenüber dem S. ein Mitverschulden anzulasten, weil er das Kind des Beklagten unmotiviert mißhandelt und vorsätzlich verletzt habe, was für jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft eine Provokation gewesen sei; unter diesen Umständen brauche auf die Frage, wie die Bestimmungen der §§ 1302 und 1304 ABGB. miteinander in Einklang zu bringen seien, nicht näher eingegangen zu werden; da sich das Verhältnis des Verschuldens des W. gegenüber jenem des Beklagten und des S. nicht näher bestimmen lasse, gebühre der Klägerin gemäß § 1304 ABGB. nur die Hälfte des Schadenersatzbetrages.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin zum Teil Folge und verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines Betrages von insgesamt 2873 S 55 g und zum Ersatz der Hälfte der Kosten des Verfahrens erster Instanz, während er das Mehrbegehren von 957 S 85 g abwies und die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gegenseitig aufhob.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorausgeschickt sei, daß die zum Problem der sogenannten Haftung bei alternativer Kausalität führende Frage, ob und inwieweit es in dem auf §§ 1325, 1327 ABGB. gestützten Schadenersatzprozeß nach einem rechtskräftigen Schuldspruch, bei dem es unklar war, wer von den mehreren Tätern dem Angegriffenen die schwere oder tödliche Verletzung zugefügt hat (§ 157 Abs. 2 bzw. § 143 Abs. 2 StG.), noch des Nachweises des Zusammenhanges zwischen der vom Strafgericht festgestellten Beteiligung des oder der Verurteilten an der Schlägerei oder Mißhandlung und der Verletzung selbst bedarf, eine Frage, die in Judikatur und Literatur umstritten ist (vgl. dazu Bydlinski in JBl. 1959 S. 1 ff.), im vorliegenden Fall unerörtert bleiben kann, weil der Erstrichter über die vom Kreisgericht Leoben im Urteil vom 24. Juni 1957, 9 a Vr 1448/57, bereits bindend getroffenen Feststellungen (§ 268 ZPO.) hinaus noch weitere Feststellungen gemacht hat, welche den Kausalzusammenhang eindeutig geklärt haben. Bei der vom Kreisgericht Leoben festgestellten Beteiligung des Beklagten an der Mißhandlung des W. handelte es sich, wie der Oberste Gerichtshof im Urteil 6 Os 321/57 selbst hervorgehoben hat, um einen Stoß beider Täter, durch den W. bei der Haustür hinausflog. Dazu hat nun der Erstrichter ausdrücklich als erwiesen angenommen, daß W. infolgedessen zum Sturz kam, auf den Steinboden auffiel und sich dabei schwer verletzte. Abgesehen von weiteren Mißhandlungen beider Täter, hat der Erstrichter überdies noch festgestellt, daß W. den ihm vom Beklagten und S. zugefügten Verletzungen erlegen ist. Da der Beklagte alle diese Feststellungen unbekämpft gelassen hat, ist der mit dem Problem der Kausalität verbundene Fragenkomplex diesmal eindeutig geklärt.
Auch wenn man davon ausgeht, daß S. zur Zeit des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz wegen des von ihm ebenfalls begangenen Verbrechens nach § 143 StG. noch nicht verurteilt war, ist doch schon auf Grund des dem Erstrichter vorliegenden Sachverhaltes erkennbar, daß es sich bei der vom Beklagten und S. an W. verübten Tat im Verhältnis nach außen um eine als Einheit zu wertende Schadenszufügung handelt. Das ergibt sich - abgesehen von strafrechtlichen Erwägungen - aus der Vorschrift des § 1302 ABGB. (vgl. dazu auch SZ. XXVII 103). Diese Einheit kann bei der im Revisionsverfahren allein strittigen Frage des Mitverschuldens des W. nicht in einzelne Phasen und Komponenten aufgespalten werden. Wer bei einer Schlägerei oder Mißhandlung im Sinne der §§ 143, 157 StG. von mehreren Tätern gemeinsam verletzt wurde, kann bezüglich seines Mitverschuldens am Ausbruch der Schlägerei oder Mißhandlung nicht besser gestellt sein, als wenn ihm seine Verletzung von einem Täter zugefügt worden wäre. Hat er provoziert, d. h. hat er ein Verhalten an den Tag gelegt, das geeignet war, einen anderen so zu erregen, daß dieser tätlich werden konnte (SZ. XV 44, SZ. XVII 38, SZ. XXIV 214, 3 Ob 542/57 u. a.), dann muß er sein Mitverschulden gemäß § 1304 ABGB. gegen sich gelten lassen, gleichgültig, ob er von einem oder von mehreren, solidarisch haftenden Tätern (§ 1302 ABGB.) verletzt wurde. Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, ob er die mehreren Täter mit einer Klage belangt und ihm diese nun gemeinsam sein Mitverschulden entgegenhalten (vgl. auch dazu SZ. XVII 38) oder ob er zunächst nur einen der ihm solidarisch haftenden Täter klagt, wie im vorliegenden Fall.
Aus diesen Erwägungen ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß das Mitverschulden des W. auch im vorliegenden Prozeß zu berücksichtigen ist. Es kann ihm aber nicht darin gefolgt werden, daß mangels näherer Bestimmbarkeit der Verschuldensrelation eine Schadensteilung zur Hälfte erfolgen müßte. Das Verschulden des Beklagten und des S. ist gegenüber dem des W. eindeutig größer. Wohl hat dieser das Kind des Beklagten unmotiviert so heftig nach vorne gestoßen, daß es stürzte und aus der Nase blutete; daß er es aber vorsätzlich verletzen wollte, ist eine Annahme des Berufungsgerichtes, die durch Feststellungen des Erstrichters nicht untermauert ist. In Anbetracht der starken Alkoholisierung des W. ist es nämlich auch möglich, daß es sich nur um ein dem § 431 StG. zu unterstellendes Verhalten handelte. Auch wenn man berücksichtigt, daß der Beklagte in seinem Gasthaus Ruhe schaffen wollte und daß er und wohl auch S. durch W. provoziert worden waren, bleibt doch bestehen, daß sie offensichtlich dem W. einen Denkzettel geben wollten und dabei vor einem Verbrechen nicht zurückgescheut haben. Demgegenüber kann auch der Griff des W. zur rückwärtigen Hosentasche, den übrigens der Beklagte gar nicht gesehen hat, der also nur bei S. den Eindruck eines Griffes nach dem Messer hervorrufen konnte, nicht wesentlich ins Gewicht fallen, weil sich diese Einzelheit erst abspielte, als der Beklagte und S. mit ihren Tätlichkeiten gegen W. schon begonnen hatten, und auch völlig harmlos gewesen sein kann; W. hat jedenfalls kein Messer gezogen. Der Oberste Gerichtshof erachtet daher eine Verschuldensrelation von 3/4 : 1/4 den Umständen des Falles für angemessen, was zum Zuspruch von insgesamt 2873 S 55 g und zur Abweisung des Mehrbegehrens von 957 S 85 g führt.
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