OGH 6Ob292/05t

OGH6Ob292/05t12.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede R*****, vertreten durch Dr. Julia Hagen, Rechtsanwältin in Dornbirn, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagte Partei Manfred W*****, vertreten durch Mag. Gabriele Pfandlsteiner, Rechtsanwältin in Bregenz, als Verfahrenshelferin, wegen 61.606 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 30. Mai 2005, GZ 1 R 102/05s-48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 10. Februar 2005, GZ 2 C 34/03z-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.822,32 EUR (davon 303,72 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Klägerin gebar am 19. 6. 1960 während aufrechter Ehe mit Franz R*****, den sie 1955 geheiratet hatte, ihre Tochter Sabine. Über Klage des Staatsanwalts stellte das Bezirksgericht Bregenz mit Urteil vom 3. 10. 2002 fest, dass Sabine kein eheliches Kind der Klägerin und Franz Rettls ist. In diesem Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, das den Beklagten als Vater Sabines feststellte. In weiterer Folge anerkannte der Beklagte die Vaterschaft zu Sabine.

Mit ihrer am 26. 3. 2003 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin - gestützt auf § 1042 ABGB - den Ersatz von Unterhaltsaufwand für die Zeit vom März 1973 bis Juli 1986 in Höhe von 61.606 EUR sA, den sie anstelle des Beklagten für die gemeinsame Tochter erbracht habe. Er habe schon während der Schwangerschaft gewusst, dass er der Vater des Kindes sei, dies auch inoffiziell anerkannt, sich aber stets geweigert, die von der Klägerin wiederholt geforderten gesetzlich vorgeschriebenen Unterhaltszahlungen für die Tochter zu leisten. Sie habe auf den Ersatz ihrer Aufwendungen nicht verzichtet. Der Ehemann der Klägerin habe die Ehelichkeit von Sabine „wohl" deshalb nicht bestritten, weil er zu Unterhaltszahlungen für das Kind nicht herangezogen worden sei. Bis zu ihrer Verehelichung am 20. 7. 1986 sei Sabine nicht selbsterhaltungsfähig gewesen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, dem er entgegensetzte, der geltend gemachte Anspruch sei verjährt, Sabine sei zumindest teilweise selbsterhaltungsfähig gewesen und die Klägerin habe die Unterhaltsleistungen für die Tochter ohne Erwartung eines Ersatzes erbracht.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Klagebegehren statt. Es traf noch folgende, im Revisionsverfahren wesentliche Feststellungen:

Die Tochter der Streitteile leidet seit ihrem 12. Lebensjahr an einer Immunschwächeerkrankung, zu deren Beginn sie bettlägerig war. Im Alter von 15 oder 16 Jahren begann sie eine Masseur- bzw Fußpflegelehre. Mit etwa 17 Jahren kam sie ins Spital. Auch zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, an welcher Krankheit sie leidet. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus besuchte sie eine Krankenpflegeschule. Nach einer Woche hatte sie wiederum Beschwerden. Sie wurde stationär in einem Krankenhaus aufgenommen und wegen Dickdarmgeschwüren behandelt. Danach war sie nicht mehr arbeitsfähig. Von diesem Zeitpunkt an war sie bis zu ihrer Verehelichung im Jahr 1985 (richtig: 1986) im Haushalt der Klägerin, die sie betreute. Von der Klägerin auf den Unterhalt für die gemeinsame Tochter angesprochen, erklärte der Beklagte, er werde für die Tochter ein Sparbuch anlegen. Dass die Klägerin auf ihre Rückforderungsansprüche gegenüber dem Beklagten zu irgendeinem Zeitpunkt verzichtet hätte oder ihren Rückforderungswillen aufgegeben hätte, kann nicht festgestellt werden.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, da das Berufungsgericht die Rechtsauffassung, ein Rückforderungswille sei nicht anzunehmen, wenn der Anspruch nach sechs bzw neun Jahren oder auch nach 43 Jahren geltend gemacht werde, nicht teile, sei der aufgrund seines ausgeübten Berufs leistungsfähige Beklagte grundsätzlich zur Rückzahlung der für die nicht selbsterhaltungsfähige Tochter gemachten Aufwendungen verpflichtet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Zur Rechtsrüge führte es aus, der für den Anspruch nach § 1042 ABGB notwendige Rückforderungswille werde vermutet. Es liege am Beklagten zu beweisen, dass der Aufwand in der Absicht gemacht worden sei, ihn endgültig aus eigenen Mitteln zu tragen, oder dass ein Forderungsverzicht vorliege. Den Beweis, dass die Klägerin den Aufwand für die gemeinsame Tochter in der Absicht gemacht habe, ihn endgültig aus eigenen Mitteln zu tragen, habe der Beklagte im Hinblick auf die vom Erstgericht getroffene und zu seinen Lasten gehende Negativfeststellung nicht erbracht. Es sei aber auch ein stillschweigender Anspruchsverzicht zu verneinen. Ein Anspruchsverlust durch stillschweigenden Verzicht werde nur dann gegeben sei, wenn durch die Untätigkeit beim Verpflichteten der Eindruck entstehen habe müssen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. In der vorliegenden Rechtssache sei zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Verjährungsfrist für Ansprüche nach § 1042 ABGB 30 Jahre betrage und keine gesetzliche Pflicht zur alsbaldigen Geltendmachung derartiger Ansprüche bestehe. Hinzu komme, dass die Klägerin gar keine gesetzliche Handhabe gehabt hätte, den Beklagten, der rechtlich nicht als Vater der gemeinsamen Tochter galt, zu Unterhaltsleistungen heranzuziehen. Trotz dieses Umstands habe die Klägerin den Beklagten auf Unterhalt angesprochen und habe der Beklagte ihr zugesichert, ein Sparbuch für die Tochter anzulegen. Nachdem die Ehelichkeitsbestreitungsklage erfolgreich gewesen und der Beklagte im Jahr 2002 die Vaterschaft anerkannt habe, habe die Klägerin unverzüglich den Ersatzanspruch geltend gemacht. In Anbetracht dieser Besonderheiten sei das Verhalten der Klägerin und ihre faktische Untätigkeit nicht als stillschweigender Verzicht zu werten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Diesen Ausspruch begründete es nicht. Die Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber führt aus, das Rechtsmittel sei zulässig, weil das Berufungsgericht entgegen der oberstgerichtlichen Entscheidung 6 Ob 551/92 den Rückforderungswillen der Klägerin bejahe, obwohl sie seit 1966 nichts mehr unternommen habe, um vom Beklagten Unterhalt für die gemeinsame Tochter zu erhalten. Da die Klägerin gewusst habe, dass nur der Beklagte als Vater in Frage komme, und der Ehemann der Klägerin innerhalb der Jahresfrist die Ehelichkeit nicht bestritten habe, hätte sie die Ehelichkeitsbestreitungsklage bei der Staatsanwaltschaft anregen können. Das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung unrichtigerweise § 158 ABGB in der am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Fassung zugrunde gelegt. Aus der oberstgerichtlichen Entscheidung 5 Ob 185/61 (= SZ 34/102) gehe hervor, dass der Mutter ein Anspruch auf Ersatz für den Unterhalt des Kindes auf Grundlage des § 1042 ABGB immer und jederzeit zustehe und unter Hinweis auf die Vaterschaft auch immer geltend gemacht werden könne. In einem solchen Fall sei das Bestehen der unehelichen Vaterschaft eine privatrechtliche Vorfrage.

Mit diesen und den weiteren Ausführungen der Revision wird eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht aufgezeigt:

Es ist ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Prüfung, ob gemäß § 1042 ABGB ein Verpflichtungswille des Zahlenden („animus obligandi") zur Zeit der Erbringung des Aufwands vorhanden war, nicht zum Bereich der rechtlichen Beurteilung, sondern zu dem der Tatsachenfeststellungen gehört (SZ 57/121 mwN). Zur Frage des Forderungswillens hielt das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung fest, dass jedenfalls nicht davon auszugehen sei, dass die Klägerin ihren Rückforderungswillen zu irgendeinem Zeitpunkt aufgegeben hätte. Damit kommt aber deutlicher als in der oben wiedergegebenen negativen Feststellung zum Ausdruck, dass das Erstgericht feststellt, dass der Verpflichtungswille der Klägerin zur Zeit der Erbringung des Aufwands vorhanden war. An diese vom Berufungsgericht übernommene Feststellung ist der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, gebunden. Das Berufungsgericht hat im Einzelnen begründet, weshalb der Beklagte nicht annehmen konnte, die Klägerin wolle ihn nicht mehr in Anspruch nehmen, ein konkludenter Anspruchsverzicht also nicht vorliegt. Die Beantwortung der Frage nach einem schlüssigen rechtsgeschäftlichen Verhalten entbehrt regelmäßig einer über den Einzelfall hinausreichenden Bedeutung (1 Ob 6/03v; 6 Ob 331/99s; 10 Ob 151/97x ua; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 89 mwN). Davon abgesehen, berief sich der Beklagte in erster Instanz nicht auf einen Anspruchsverzicht. Er trug auch keine Umstände vor, aus denen er geschlossen habe, die Klägerin wolle ihn nicht mehr in Anspruch nehmen. Von Amts wegen ist nicht zu prüfen, ob ein konkludenter Anspruchsverzicht vorliegt. Im Übrigen vermögen die Ausführungen der Revision nicht zu begründen, dass das Berufungsgericht die im angefochtenen Urteil erörterte Konkludenzfrage in unvertretbarer Weise gelöst habe:

Soweit die Revision damit argumentiert, die Beklagte habe es jahrelang unterlassen, beim Staatsanwalt die Erhebung einer Ehelichkeitsbestreitungsklage anzuregen (§ 158 ABGB in der hier maßgeblichen Fassung vor der Aufhebung gemäß BGBl I 2003/85 mit Ablauf des 30. 6. 2004), so ist dem entgegen zu halten, dass weder behauptet noch festgestellt wurde, dass und wenn ja wann die Klägerin diese Möglichkeit kannte. Davon, dass das Berufungsgericht von § 158 ABGB in der ab 1. 1. 2005 geltenden Fassung durch das FamErbRÄG 2004, BGBl I 2004/58 ausgegangen sei, kann keine Rede sein. Zutreffend erkannte das Berufungsgericht, dass die Klägerin ihren Anspruch gegen den Beklagten nicht mit Klage verfolgen konnte, solange die gemeinsame Tochter als eheliches Kind des Ehemanns der Klägerin galt. Nach der zur Zeit der Geburt der Tochter und bis zum Ablauf des 31. 12. 1977 geltenden Rechtslage, konnte die Unehelichkeit eines Kindes, für das die rechtliche Vermutung der ehelichen Geburt stritt, nur geltend gemacht werden, wenn sie rechtskräftig festgestellt ist (§ 159a ABGB idF § 5 VO 6. 2. 1943, dRGBl I S. 80; Art I Z 6, Art XVIII § 1 Abs 1 BGBl 1977/403). Nach der vom 1. 1. 1978 bis zum Ablauf des 30. 6. 2001 geltenden Fassung des § 138 ABGB durch BGBl 1977/403 konnte die Ehelichkeitsvermutung nur durch gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wurde, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt. Die zweite, durch das KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 geschaffene, neben der weiterhin aufrecht bleibenden Möglichkeit der Ehelichkeitsbestreitung (1 Ob 31/02v = JBl 2002/515) bestehende Möglichkeit der Beseitigung der Vermutung der Ehelichkeit durch Vaterschaftsanerkenntnis gemäß § 163e ABGB kommt hier mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 163e ABGB nicht in Betracht. Aus der referierten Beschränkung der Vermutungswiderlegung ergab sich das Verbot der selbständigen Beurteilung der Ehelichkeit als Vorfrage (JBl 1951, 135; JBl 1971, 574; SZ 45/73; SZ 65/100 mwN; Stabentheiner in Rummel³, ABGB § 138 Rz 4; Schwimann in Schwimann², ABGB § 138 Rz 3). Die Vermutung der Ehelichkeit konnte nur durch eine gerichtliche Entscheidung in einem Ehelichkeitsbestreitungsverfahren aufgrund einer Klage des Ehemanns der Mutter (§ 156 ABGB) oder des Staatsanwalts (§ 158 ABGB) oder - nach dem Tod des Kindes - auf Antrag des Staatsanwalts durch einen - im Außerstreitverfahren zu stellenden - Antrag auf Feststellung der Unehelichkeit (§ 159 Abs 2 ABGB) widerlegt werden (SZ 65/100 mwN). Folglich war der Ehemann, für dessen Vaterschaft die gesetzliche Vermutung des § 138 ABGB stritt, so lange zur Unterhaltsleistung für das als ehelich geltende Kind heranzuziehen, als er mit seiner Bestreitungsklage nicht rechtskräftig durchgedrungen war (JBl 1951, 135). Die selbständige Prüfung der ehelichen Abstammung in einem Unterhaltsverfahren gegen den vermuteten Vater war unzulässig (SZ 43/25). Vor Rechtskraft des Bestreitungsurteils konnte der uneheliche Erzeuger des als ehelich geltenden Kindes nicht zur Leistung des Unterhalts herangezogen werden, selbst wenn er die Vaterschaft anerkannt hätte (SZ 43/25). Das gesetzliche Verbot, die für den Erfolg einer Klage der Klägerin nach § 1042 ABGB unabdingbare Voraussetzung der Unehelichkeit der Tochter im Prozess gegen den Beklagten als Vorfrage klären zu lassen, nahm der Klägerin die Möglichkeit zu einer effektiven Rechtsverfolgung. Sie hätte sich in diesem Prozess auf die Vaterschaft des Beklagten nicht berufen können. Seine gegenteilige Ansicht kann der Beklagte nicht auf die Entscheidung SZ 34/102 stützen. Gegenstand dieses Verfahrens war ein Anspruch der Mutter nach § 1042 ABGB gegen den angeblichen außerehelichen Vater eines unehelich geborenen Kindes, bevor dessen Vaterschaft festgestellt worden war. In einem solchen Fall ist die Frage der außerehelichen Vaterschaft als Vorfrage zu prüfen.

Dass der Sachverhalt, welcher der Entscheidung 6 Ob 551/92 zugrunde lag, nicht mit dem vorliegenden zu vergleichen ist, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Es hat auch zutreffend ausgeführt, dass bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts besondere Vorsicht geboten ist (SZ 44/106; RIS-Justiz RS0014420). Die Entscheidung 7 Ob 530/89 (= JBl 1989, 649) spricht aus, dass keinesfalls generell gesagt werden kann, dass ein bestimmter Zeitraum die Annahme stillschweigenden Verzichts auf Geltendmachung eines Rechts grundsätzlich rechtfertigen würde.

Die Einrede der Verjährung wird in der Revision nicht aufrecht erhalten, sodass auf sie nicht Bedacht genommen werden kann (SZ 61/126; SZ 52/133 ua; Zechner in Fasching/Konecny² § 504 ZPO Rz 36 mwN; M. Bydlinski in Rummel³, ABGB § 1501 Rz 1 mwN). Die Verjährungsfrage kann daher keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage sein.

Zur Höhe des geltend gemachten Anspruchs enthält die Revision keine Ausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin wies in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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