Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegner und der Nebenberechtigten und die "Berichtigung des Rekurses" werden mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 508a Abs 2 und § 510 ZPO).
Text
Begründung
Verfahrensgegenstand ist die gerichtliche Neufestsetzung einer Enteignungsentschädigung für die 1978 erfolgte, rechtskräftige Enteignung von Grundstücken, Baulichkeiten und sonstigen Rechten der Antragsgegner zufolge Verlegung einer Bundesstraße nach §§ 17, 20 Abs 1 BStG 1971. Durch die Enteignung verloren neben einer nicht mehr verfahrensbeteiligten Stadtgemeinde der Erstantragsgegner und die Zweitantragsgegnerin (im bisherigen Verfahren als eine Partei bezeichnet) als Miteigentümer zwei Grundstücke samt Haus und Gastgewerbebetrieb, der Drittantragsgegner und die Viertantragsgegnerin (im bisherigen Verfahren gleichfalls als eine Partei bezeichnet) als Miteigentümer ein Grundstück mit einem vermieteten Haus, in dem die nebenbeteiligte Mieterin ein Gemischtwarengeschäft betrieben hatte. Das Gasthaus wurde verlegt, das Gemischtwarengeschäft hingegen nicht. Im ersten Rechtsgang traf der erkennende Senat den aktenkundigen Aufhebungsbeschluß vom 5.Juni 1986, GZ 6 Ob 530/85-101/ II.Band (veröffentlicht in EvBl 1987/79 = HS 16.528).
Im zweiten Rechtsgang setzte das Erstgericht die Entschädigung wie folgt fest: 1.) Für Erstantragsgegner und Zweitantragsgegnerin:
Grundstücke 1,45 Mio S, Vertragserrichtungs- und Verbücherungskosten für Ersatzerwerb 29.000 S, Verlust von Inventar, Adaptierungsarbeiten des neuen Gasthauses 700.000 S, Werbekosten für Inserate und Einführungsangebote 22.000 S, Verdienstentgang 72.350 S, insgesamt 2,273.350 S. 2.) Für Drittantragsgegner und Viertantragsgegnerin:
Grundstück Ertragswert 522.330,90 S, Wertverlust Inventar 26.874 S, Übersiedlung Inventar 11.239 S, in Ansehung der nebenbeteiligten Mieterin für Wertverlust Inventar, für Übersiedlung, Lagerung, Verdienstausfall und Einführung eines neuen Geschäfts 497.750 S, Vertragserrichtungs- und Verbücherungskosten für Ersatzanschaffung
10.447 S, insgesamt 1,058.193,90 S (richtig 1,068.640,90 S).
Das Rekursgericht bestimmte die Entschädigung des Erstantragsgegners und der Zweitantragsgegnerin mit 2,192.763,50 S sowie des Drittantragsgegners und der Viertantragsgegnerin mit den ermittelten Schadensbetrag von 770.890,52 S übersteigenden, aber anerkannten 800.000 S. Die Differenzen gegenüber den in erster Instanz zugesprochenen Beträgen ergeben sich in Ansehung des Erstantragsgegners und der Zweitantragsgegnerin in mit 33.413,50 S geringfügig höheren Vertragserrichtungs- und Verbücherungskosten und Zuspruch um 100.000 S weniger - einem Rekursantrag der Antragstellerin (ON 204 AS 49/IV.Band) folgend - für Verlust von Inventar und Adaptierungsarbeiten des neuen Gasthauses, in Ansehung des Drittantragsgegners und der Viertantragsgegnerin neben den mit 10.446,62 S geringfügig herabgesetzten Vertragserrichtungsund Verbücherungskosten für Ersatzanschaffung aus dem Zuspruch von bloß 200.000 S für die nebenbeteiligte Mieterin.
Rechtliche Beurteilung
Insgesamt liegen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG zur Beurteilung vor.
a) Der erkennende Senat vertrat im ersten Rechtsgang im Zusammenhang mit den Vermögensnachteilen des Erstantragsgegners und der Zweitantragsgegnerin die Auffassung, dem Enteigneten sei für unbrauchbar gewordene Einrichtungsgegenstände der Zeitwert zuzüglich der Finanzierungskosten für vorgezogene Anschaffungen zu ersetzen, für unverwertbare alte Gegenstände hingegen der Anschaffungspreis neuer Gegenstände unter Berücksichtigung der verlängerten Lebensdauer. Nun hat das Rekursgericht im zweiten Rechtsgang mangels ausreichender erstgerichtlicher Feststellungen selbst Zeitwert und Restnutzungsdauer dieser Einrichtungsgegenstände des Gasthauses unter Anwendung des § 273 ZPO bewertet, weil aufgrund der seit der Enteignung verstrichenen Zeit und des damit verbundenen Vergessens für die Ermittlung des Zeitwerts und der Restnutzungsdauer wesentlicher Details davon auszugehen sei, daß der exakte Beweis nicht mehr zu erbringen wäre. Bereits zum Zeitpunkt der Gutachtenserstattung durch den Sachverständigen Franz P***** am 31. Jänner 1983 sei mangels exakter Kenntnis des im seinerzeitigen Gasthausbetrieb vorhandenen Inventars dessen exakte Bewertung nach Zeitwert und Restnutzungsdauer nicht mehr möglich gewesen wäre, weil die vorhandenen Objektbeschreibungen sich im großen und ganzen auf die Baulichkeit bezogen und ihnen über die vorhanden gewesene Einrichtung nicht viel zu entnehmen gewesen sei. Die Gegenstände könnten auch, soweit sie vom Erstantragsgegner und der Zweitantragsgegnerin in das Ersatzobjekt übersiedelt worden seien, heute nicht mehr besichtigt werden, weil der im Ersatzobjekt eingerichtete Gasthausbetrieb von diesen beiden Antragsgegnern nicht mehr geführt werde. Als einziger Anhaltspunkt verbleibe sohin die im Verwaltungsverfahren vorgenommene Inventuraufnahme durch den Sachverständigen, wenngleich sich die seinerzeitige Parteienübereinkunft, die Inventuraufnahme des Verwaltungsverfahrens heranzuziehen, nur auf Anzahl und Aufzählung der Gegenstände, nicht auch auf deren Bewertung bezogen habe. Auch von einer Befragung der Antragsgegner mehr als 17 Jahre nach der Enteignung seien keine exakteren Rückschlüsse auf den Zeitwert der Enteignungsgegenstände ermöglichende Angaben mehr zu erwarten. Deshalb sei der Verfahrensmangel zu verneinen, vom Rekursgericht wurden dann dazu ergänzende Feststellungen getroffen.
Entgegen der Rechtsmittelrüge wurde von einer bindenden Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs im ersten Rechtsgang (§ 511 ZPO) nicht abgegangen. Wie die Tatsacheninstanzen den Schaden, ob durch Außerstreitstellung der Parteien, Feststellungen aufgrund eines Beweisverfahrens oder letztlich durch richterliche Schadensschätzung nach § 273 ZPO ermittelten, war keineswegs bindend vorgegeben. Zur Anwendung des § 273 ZPO notwendige Feststellungen zum Wert der Einrichtungsgegenstände des früheren Gasthauses hat das Rekursgericht aber ohnehin unanfechtbar getroffen.
§ 273 ZPO ist auch im Verfahren außer Streitsachen anwendbar (SZ 60/269 ua). Die Entscheidung des Gerichts auch zweiter Instanz darüber, ob die Bestimmung des § 273 ZPO anzuwenden ist, stellt eine verfahrensrechtliche Frage dar und richtet sich nach richterlicher Erfahrung, allgemeiner Lebenserfahrung oder auch Zwischenergebnissen des bereits teilweise durchgeführten Beweisverfahrens (stRspr, ZVR 1988/138 uva). Zwar darf nicht das Rechtsmittelgericht erstmals unter Abgehen von der Beweiswürdigung des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung § 273 ZPO anwenden (SSV-NF 5/47), doch ging im vorliegenden Fall das Rekursgericht von keinen Feststellungen des Erstgerichts, das ja zu den Einrichtungsgegenständen keine getroffen hatte, ab. Hingegen ist es Frage der rechtlichen Beurteilung, ob das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO richtig ist (AnwBl 1992, 675 [Pritz], 678 mwN; SZ 60/157 ua). Die Anwendbarkeit des § 273 ZPO hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, hat daher keine über diesen hinausgehende Bedeutung (2 Ob 62/94, 9 Ob 1516/94 ua) und stellt sich demnach nicht als erhebliche Rechtsfrage dar. Nur gravierende, an die Grenzen des Mißbrauchs gehende Fehler bei der Anwendung des richterlichen Ermessens können nach § 528 Abs 1 ZPO oder § 502 Abs 1 ZPO oder § 14 Abs 1 AußStrG an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (WoBl 1992, 155 [Call]; 2 Ob 62/94, 9 Ob 1516/94 ua). Solche liegen hier nicht vor. Die Anwendung des § 273 ZPO rügen die Antragsgegner auch als unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung, offensichtlich sei das Rekursgericht bemüht gewesen, die Angelegenheit nun zu einem raschen Abschluß zu bringen. Dieses Bemühen ist angesichts der langen Verfahrensdauer, die die Antragsgegner selbst zum Inhalt einer Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte machten, nur legitim. Im übrigen liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, dieser behauptete Mangel des rekursgerichtlichen Verfahrens nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
b) Das Erstgericht folgerte aus seiner Feststellung zum Vermögensschaden der mitbeteiligten Mieterin, in dem von ihr zu leistenden Mietzins sei kein Anteil für vermietetes Inventar enthalten gewesen (ON 201 AS 493/III.Band) rechtlich (ON 201 AS 535/III.Band), es sei der im Detail auch nicht angefochtene Wertverlust für Inventar neuerlich mit 26.874 S festzusetzen. Das Rekursgericht führte ohne Beweiswiederholung zum Rekurs der Antragstellerin dazu aus, wenngleich der Mietvertrag vorgesehen habe, daß die bei Beginn des Mietverhältnisses übernommene Geschäftsausstattung laut Inventarverzeichnis bei einer eventuellen Beendigung des Mietverhältnisses vollzählig und in gutem Zustand wieder dem Vermieter zu übergeben sei und für Reparaturen an der Geschäftsausstattung die nebenbeteiligte Mieterin aufzukommen habe, sei im vereinbarten Bestandzins doch auch ein Entgelt für das mitvermietete Inventar enthalten. Eine abweichende Feststellung der Rekursinstanz liegt dabei aber nicht vor. Die erstgerichtliche Feststellung besagt nur, daß im Mietzins kein Anteil für die Überlassung des Inventars enthalten war, wogegen es erkennbar rechtliche Argumentation des Rekursgerichts war, zu den vermögenswerten Leistungen der Mieterin an die Vermieter habe neben der Zahlung des Mietzinses auch die vermögenswerte Sorge für eine einwandfreie Rückstellung des Inventars nach Beendigung des Mietvertrags gezählt und diese rechtliche Verpflichtung der Mieterin sei bei der Berechnung ihres Vermögensschadens mitzuberücksichtigen.
c) Nach den erstgerichtlichen Feststellungen (ON 201 AS 495/III.Band) betrugen die Betriebsverlegungskosten und Schäden der nebenbeteiligten Mieterin einschließlich Firmenwert, Wertverlust des Inventars, Übersiedlungsbzw Lagerungskosten der Geschäftsausstattung
497.750 S. In seiner Beweiswürdigung (ON 201 AS 519/III.Band) berief sich der Erstrichter auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.Wolfgang M***** vom 20.Dezember 1990 ON 145/III.Band iVm dessen Erörterung in der Tagsatzung vom 30.Jänner 1992, ON 173/III.Band. Danach kam der Sachverständige unter Zugrundelegung eines Zinsfußes von 7 % zu Betriebsverlegekosten und -schäden der Mieterin von
497.750 S, wobei sich dieser Betrag aus verschiedenen Posten zusammensetzte. Zufolge Rekurses der Antragstellerin, die den zugrundegelegten Unternehmenswert als überhöht bekämpfte, hat das Rekursgericht, gestützt auf die Entscheidung JBl 1989, 718 (= SZ 62/78), die Auffassung vertreten, wenn das Unternehmen nicht verlegt worden sei, sei nicht der gesamte Unternehmenswert, sondern nur die Differenz zwischen diesem und dem Liquidationswert aller nicht enteigneten Unternehmensbestandteile zu ersetzen. Aus diesen rechtlichen Erwägungen eliminierte die zweite Instanz bei der Schadensberechnung aus dem Betriebsvermögen der Mieterin, deren Unternehmen selbst nicht enteignet worden war, gewisse Gegenstände (Pkw etc), ohne indes von den Feststellungen erster Instanz abzuweichen. Die weiteren Abzüge zu Lasten der nebenbeteiligten Mieterin basieren gleichfalls nicht auf eigenen abweichenden Feststellungen, sondern betreffen einen Abzug für Unternehmerlohn und den dadurch (nach unten) bereinigten jährlichen Durchschnittsgewinn, in allen Fällen aber aus festgestellten Teilpositionen (vgl ON 219 AS 249 f/IV.Band).
d) Verfahrensmängel, die das Gericht zweiter Instanz als nicht bestehend erachtete, können im Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nicht neuerlich releviert werden. Die Ausführung des Rechtsmittels befaßt sich dann auch mit Tatfragen, angeblich falschen jedenfalls ganz einzelfallbezogenen Berechnungen durch die zweite Instanz, die jedoch gegen Gesetze der Logik oder Erfahrung nicht verstoßen.
Ob die "Berichtigung" des Rekurses ON 222/IV.Band inhaltlich ein zweiter unzulässiger Schriftsatz ist, muß nicht mehr geprüft werden.
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