OGH 2Ob62/94

OGH2Ob62/9422.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Kerstin S*****, vertreten durch Dr.Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1.) Evelyn W***** und 2.) ***** Versicherung Aktiengesellschaft, ***** beide vertreten durch Dr.Helmut Klement und Dr.Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 114.083,62 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. Mai 1994, GZ 2 R 73/94-18, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15.Dezember 1993, GZ 5 Cg 297/93v-10, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.695,04 (darin enthalten S 1.115,84 an Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Bei einem am 14.6.1987 von der Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall wurde der Vater der Klägerin getötet; die Haftung der Erstbeklagten und der zweitbeklagten Versicherung steht rechtskräftig fest.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die am 8.9.1980 geborene Klägerin nach Klagsausdehnung als Unterhaltsentgang für die Zeit Juli 1990 bis einschließlich Juni 1993 S 224.922,16; die beklagten Parteien anerkannten hievon einen Teilbetrag von S 110.838,54, worüber ein Teilanerkenntnisurteil erging.

Die beklagten Parteien wendeten unter anderem ein, es sei unzulässig, beim getöteten Vater der Klägerin pro Jahr eine fiktive Einkommenssteigerung von S 50.000,- brutto anzusetzen ohne gleichzeitig auch die Fixkosten und das Einkommen der Mutter entsprechend zu erhöhen. Die mehr als drei Jahre vor Klagsausdehnung zurückliegenden Forderungen seien auch verjährt.

Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von S 100.503,58 samt Anhang, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Im Jahr 1988 erhielt der Vater der Klägerin als Angestellter der Fa.K***** AG ein Einkommen von netto S 342.437-, 1989 ein solches von S 365.835,- und 1990 ein solches von S 377.898,-. Er übergab das gesamte Einkommen seiner Frau, die damit und mit ihrem eigenen Einkommen als Lehrerin wirtschaftete. Vom gesamten Familieneinkommen standen dem Verstorbenen 30 % zu, seiner Gattin ca.40 %, die beiden Kinder benötigten je 15 %.

Die Wohnung der Familie befindet sich im Haus der Großeltern der Klägerin, der damals wie heute monatlich aufgewendete Betrag an Kosten für Strom, Rundfunk, Heizung, Wasser, Müll, Versicherung etc. betrug S 5.000,-, die monatliche Miete S 3.000,-. Der Verstorbene führte mehrere Gespräche wegen eines allfälligen Wechsels zum Ö***** oder zur Fa.T*****. Bei diesem Unternehmen wäre er vermutlich noch 1987 engagiert worden. Dort hätte er jährlich ca. sfr 80.000,- brutto bekommen, wovon die normalen Sonderabzüge, die Arbeitnehmeranteile und die Quellensteuern abzuziehen gewesen wären. Hätte der Verstorbene zur Fa.T***** gewechselt oder ein gleichartiges oder besseres Anbot erhalten, so wäre seine Gattin zur Gänze zu Hause geblieben und hätte ihre Berufstätigkeit als Lehrerin aufgegeben.

Das Erstgericht vertrat in rechtlicher Hinsicht die Meinung, der Verstorbene hätte mit Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit einen Posten verbunden mit einer beträchtlichen Einkommenssteigerung angetreten, wobei gemäß § 273 ZPO von einem wahrscheinlich erzielbaren Nettoeinkommen von S 500.000,- für 1990, S 550.000,- für 1991, S 600.000,- für 1992 und von S 300.000,- für die erste Jahreshälfte 1993 auszugehen sei. Zum fiktiven Nettoeinkommen seien auch noch die Diäten von S 90.643,32 hinzuzurechnen. Insgesamt errechne sich ein Unterhaltsentgang der Klägerin in der Höhe von S 242.863,17, wovon S 31.521,- an Waisenrente abzuziehen seien; der Saldo von S 211.342,12 sei um den bereits anerkannten Betrag von S 110.838,54 zu reduzieren.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung insoweit ab, als es der Klägerin lediglich S 96.328,58 zusprach und das Mehrbegehren auf Zahlung von S 17.755,04 abwies.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß zwischen dem unterhaltsrechtlichen Anspruch eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern und zwischen dem schadenersatzrechtlichen Anspruch eines Hinterbliebenen gegenüber dem Schädiger zu unterscheiden sei; ein vergleichsweises Abstellen etwa auf den Regelbedarf eines Kindes im Alter von 10 bis 15 Jahren sei daher unzulässig. Daß der der minderjährigen Klägerin monatlich zuerkannte Betrag von S 5.870,- beträchtlich über dem Regelbedarf (S 3.380,-) liege, sei unbeachtlich, dürfe doch der Geschädigte nicht schlechter gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde.

Im übrigen sei bei der Schadenersatzbemessung nach § 1327 ABGB einerseits von den Verhältnissen zum Todeszeitpunkt auszugehen, zukünftige Änderungen der Verhältnisse, die auf Grund der Verhältnisse zum Todeszeitpunkt verläßlich beurteilt werden könnten, müßten jedoch berücksichtigt werden. Da sich eine Prognose für die Zukunft nie mit absoluter Sicherheit stellen lasse, genüge die Annahme einer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wahrscheinlich zu erwartenden Entwicklung; künftig Entgehendes sei nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu bemessen. Schon im Vorprozeß zwischen den Streitteilen sei für die Jahre ab 1988 jeweils eine Einkommenssteigerung von S 50.000,- netto gemäß § 273 ZPO unterstellt worden. Wenn nun das Erstgericht in Übernahme dieser seinerzeitigen Annahme auch für die Folgejahre jeweils einen solchen Einkommenszuwachs unterstelle, bestünden dagegen keine Bedenken. Die vom Erstgericht nach § 273 Abs 1 ZPO ermittelten Einkommenszuwächse seien nicht zu beanstanden. Im Fall einer absehbaren weiteren Prozeßführung für die Jahre ab 1993 werde aber nicht "ad ad infinitum" ein weiterer Anstieg in der Einkommenskurve ungeprüft angenommen werden können.

Hinsichtlich der Diäten habe sich das Erstgericht ebenfalls ziffernmäßig exakt an den bereits im Vorverfahren ermittelten Betrag angeschlossen.

Bei der Ermittlung der Fixkosten sei allerdings dem Erstgericht ein Fehler hinsichtlich eines Betrages von S 12.960,- (Rundfunk) unterlaufen, woraus sich folgende Aufstellung ergebe:

Familieneinkommen S 2,741.143,32

abzüglich Fixkosten - S 300.960,-

S 2,440.203,32

15 % Konsumquote S 366.030,49

hievon 66 % Anteil des Vaters

S 241.580,12

abzüglich Waisenrente - S 31.521,-

S 210.059,12

abzüglich Teilanerkenntnisurteil

- S 110.838,54

tatsächlicher Unterhaltsentgang Juli 1990

bis Juni 1993 S 99.220,58.

Hievon erachtete das Rekursgericht einen Betrag von S 2.892,- als verjährt, so daß es zu einem Zuspruch von S 96.328,58 gelangte.

Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil der Rechtsfrage der Verjährung erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag die angefochtenen Entscheidungen dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze kostenpflichtig abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat die Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision der beklagten Parteien als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der beklagten Parteien ist unzulässig, weil die in der Entscheidung des Berufungsgerichtes als erheblich bezeichnete Rechtsfrage in der angefochtenen Entscheidung ohnehin zu ihren Gunsten gelöst wurde und sich die beklagten Parteien in ihrem Rechtsmittel insoweit auch ausdrücklich der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes anschließen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hängt daher nicht von der Lösung der Verjährungsfrage ab. Andere erhebliche Rechtsfragen werden aber in der Revision der beklagten Parteien nicht aufgezeigt.

Sowohl unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, als auch unter jenem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wenden sich die Beklagten gegen die Anwendung des § 273 ZPO. Es sei der Klägerin nicht gelungen, die von ihr behaupteten Einkommenssteigerungen unter Beweis zu stellen. Das Berufungsgericht bleibe jede Erklärung schuldig, warum über einen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren keine Prüfung der Einkommenssteigerungen stattgefunden habe. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, den ehemaligen Dienstgeber ihres Vaters namhaft zu machen, um die künftige Einkommensentwicklung des Getöteten zu rekonstruieren. § 273 ZPO räume dem Gericht bei der Festsetzung der Höhe einer Forderung einen Ermessensbereich ein, es handle sich jedoch dabei um kein freies Ermessen. Das dem Gericht eingeräumte gebundene Ermessen habe die Unverhältnismäßigkeit, sogar Unmöglichkeit der Beweisführung zur Voraussetzung. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall aber nicht gegeben.

Eine weitere unrichtige rechtliche Beurteilung sei darin gelegen, daß das Berufungsgericht jeglichen Vergleich und jede Relation der Ansprüche der Klägerin mit den Ansprüchen nach § 140 ABGB abgelehnt habe. Es gebe sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem Anspruch der Klägerin im Sinne des § 1327 ABGB und ihrem Anspruch nach § 140 ABGB. Unter Außerachtlassung der Waisenrente errechne sich für die Klägerin für den fraglichen Zeitraum ein Anspruch von ca. S 6.800,-; bei Berücksichtigung der monatlichen Waisenrente liege dieser Betrag beträchtlich über dem sogenannten Regelbedarf und übersteige auch jenen Anspruch, den die Klägerin unter Anwendung des § 140 ABGB gegenüber dem Getöteten gehabt hätte.

Diese Ausführungen vermögen die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die Entscheidung des Gerichtes darüber, ob es § 273 ZPO anzuwenden hat, eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung. Soweit das Berufungsgericht die Anwendung des § 273 ZPO durch das Erstgericht billigte, ist eine nochmalige Überprüfung im Revisionsverfahren nicht möglich (s E 2 zu § 273 ZPO im MGA14; 9 ObA 2/92, 7 Ob 626, 627/92). Ob von dem durch § 273 ZPO eingeräumten Ermessen unrichtig Gebrauch gemacht wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (8 Ob 1673/92); ein erhebliche Rechtsfrage könnte nur dann vorliegen, wenn der Revisionswerber gravierende an die Grenzen des Mißbrauches gehende Fehler bei Anwendung des richterlichen Ermessens aufgezeigt hätte (WoBl 1992/112; 9 Ob 1516/94). Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht geschehen.

Auch zur Frage des Ausmaßes des nach § 1327 ABGB den Hinterbliebenen zustehenden Ersatzanspruches hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach Stellung genommen und ausgeführt, daß für dessen Berechnung maßgebend sind die tatsächlich erbrachten, Unterhaltscharakter aufweisenden Leistungen, sofern sie nicht auffallend über das gesetzliche Maß des Unterhaltes hinausgehen, also noch einigermaßen im Verhältnis zu diesem stehen (JBl 1990, 240). Berücksichtigt man im vorliegenden Fall das (fiktive) hohe Einkommen des Getöteten, kann nicht gesagt werden, daß sich die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entfernt hätten und somit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO gegeben wären.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Da die klagende Partei auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, waren ihr die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

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