OGH 6Ob202/21f

OGH6Ob202/21f22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. C*, 2. M* V*, beide *, vertreten durch Eiselsberg Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die Antragsgegnerin M* Privatstiftung, *, vertreten durch Lattenmayer Luks & Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Auflösung der Privatstiftung, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. September 2021, GZ 6 R 117/21a‑37, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. Juli 2021, GZ 71 Fr 6118/17s‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00202.21F.1222.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zweck der Privatstiftung (Antragsgegnerin) ist nach deren Stiftungsurkunde vom 14. 12. 2000 Verwaltung und Erhaltung des jeweiligen Stiftungsvermögens sowie Unterstützung der jeweils Begünstigten durch Ausschüttung der Erträgnisse. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass beide Stiftungszwecke gleichwertig sind. Nach der Stiftungszusatzurkunde vom 15. 12. 2000 hat der Stiftungsvorstand jedenfalls ab 1. 1. 2000 den jährlichen Gewinn der Privatstiftung an die Begünstigten auszuschütten, und zwar unter Berücksichtigung der Auflage, dass jährlich mindestens 10 % des Gewinns einbehalten werden als Vorsorge für Mietausfälle der Immobilien bzw vorzunehmende Sanierungen oder Reparaturen. Ausschüttungen sind immer nur unter Bedachtnahme darauf vorzunehmen, dass das Vermögen (der Stamm) der Privatstiftung erhalten wird und alle anfallenden Reparaturen und Erhaltungsarbeiten geleistet werden können.

[2] Mit Ableben des erstbegünstigten Stifters steht der zweitbegünstigten Erstantragstellerin als Akontobetrag monatlich ein Betrag in Höhe des monatlichen Bruttogehalts des Kollektivvertrags für Angestellte in Handelsbetrieben der höchsten erfassten Beschäftigungsgruppe im höchsten Berufsjahr zu; der zweitbegünstigte Zweitantragsteller sollte während seiner Minderjährigkeit einen Betrag in Höhe der Hälfte der genannten Akontozahlung erhalten, wobei dieser Betrag pro Jahr linear dergestalt zu steigern war, dass er mit Erreichen der Volljährigkeit die volle Höhe erreicht.

[3] Das Stiftungsvermögen besteht im Wesentlichen aus Liegenschaften und Liegenschaftsanteilen, die der Stifter eingebracht hatte. Die laufenden Erträge dieser Liegenschaften reichen seit Jahren nicht mehr aus, um die laufenden Kosten und notwendigen Investitionen zu erwirtschaften, sodass die Antragsteller als einzige aktuell Begünstigte bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung (2017) keine Barzuwendungen mehr erhielten, sondern nur Sachzuwendungen in Form der ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen in W* und V*. Zur Sicherung bzw Erhöhung des Ertrags des Stiftungsvermögens sind Investitionen in den Immobilienbesitz erforderlich, für die die entsprechende Liquidität seit Jahren nicht mehr gegeben ist.

[4] Das Erstgericht erklärte die Privatstiftung für aufgelöst. Der Stiftungszweck sei nicht mehr erreichbar. Die Aufrechterhaltung der Stiftung entspreche nicht nur nicht dem Willen des Stifters; sie sei vielmehr seit mehreren Jahren nur durch eine unzulässige einseitige Überbetonung der bloßen Vermögenserhaltung möglich .

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Stiftungsurkunde sei dahin auszulegen, dass bei Unerreichbarkeit des Unterstützungszwecks der Gesamtzweck der Stiftung, nämlich die Unterstützung Begünstigter (nach Ablauf von 100 Jahren: der Allgemeinheit), aus den Erträgnissen des Liegenschaftsvermögens gescheitert sei. Die Stiftungserklärung biete keine Hinweise dafür, dass der Geld‑ bzw Marktwert von Sachleistungen (hier: der Gebrauch zweier Wohnungen durch die Antragsteller) durch die Privatstiftung auf die Akontozahlungen nach der höchsten kollektivvertraglichen Entlohnung für Handelsangestellte anzurechnen wäre. Das monatliche Bruttogehalt für Angestellte im Handel ab 1. 1. 2021 in der höchsten Stufe 5 (ab dem 13. Jahr) betrage in der höchsten Gehaltsgruppe („H“) 4.782 EUR. Die Erfüllung der in Pkt 3.6. der Zusatzurkunde angeordneten Ausschüttung erfordere damit für beide Begünstigte bei zwölf mal jährlicher Leistung 114.768 EUR. Dem gegenüber sei nach der eigenen Prognose der Stiftung erstmals ab 2024 ein „regelmäßiger Überschuss“ von 65.000 EUR abzüglich KöSt zu erwarten. Dieser Überschuss verringere sich noch um 10 % entsprechend Pkt 3.5. der Zusatzurkunde und um 27,5 % KESt an Ausgangsbesteuerung, sodass auch ab 2024 nur ein Betrag von rund 41.000 EUR zugewendet werden könnte. Damit sei selbst ausgehend von der Prognose der Privatstiftung trotz des Verkaufs eines Teils des Stiftungsvermögens unter Aussetzung von Barzuwendungen über sechs Jahre (2017 bis 2022) eine Erfüllung des Stiftungszwecks auf Dauer nicht möglich. Die Ausschüttungen würden auch 2024 und auf nicht absehbare Zeit danach zu nicht mehr als rund einem Drittel erfolgen können. Ein Herabsinken des Unterstützungszwecks in diesem Ausmaß und auf Dauer entspreche nicht dem aus der Stiftungserklärung hervorgehenden Willen des Stifters. Damit sei der Auflösungsgrund nach § 35 Abs 2 Z 2 PSG verwirklicht.

[6] Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, liege doch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Kriterien der Auflösung der Privatstiftung nach § 35 Abs 2 Z 2 PSG nicht vor.

[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.1. Nach § 35 Abs 2 Z 2 PSG hat der Stiftungsvorstand einen einstimmigen Auflösungsbeschluss zu fassen, sobald der Stiftungszweck erreicht oder nicht mehr erreichbar ist. Nach den Gesetzesmaterialien liegt eine Unmöglichkeit des Erreichens des Stiftungszwecks insbesondere dann vor, wenn die Privatstiftung über kein hinreichendes Stiftungsvermögen mehr verfügt (1132 BlgNR 18. GP  34; ebenso Arnold, PSG3 § 35 Rz 10). Die Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks ist durch Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen (1132 BlgNR 18. GP  34; Arnold aaO). Mitunter wird hiefür eine Prognose erforderlich sein (1132 BlgNR 18. GP  34; Arnold aaO). Der Stiftungszweck ist dann nicht mehr erreichbar, wenn nach menschlichem Ermessen auf längere Sicht keine Umstände eintreten werden, die ihn erreichbar machen (ErläutRV 1132 BlgNR 18. GP  34; Arnold aaO).

[9] 1.2. Ob diese Kriterien erfüllt sind oder nicht, kann regelmäßig nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, sodass diese Frage im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft.

[10] 2.1. Ebenso hat bereits das Rekursgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass Fragen der Auslegung einer Stiftungserklärung im Einzelfall keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0108891 [T25]). Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Fall die Regelungen in der Stiftungserklärung und in der Zusatzurkunde dahin verstanden, dass bei Unerreichbarkeit des Unterstützungszwecks der Gesamtzweck der Stiftung, nämlich die Unterstützung Begünstigter aus den Erträgnissen des Liegenschaftsvermögens, gescheitert sei, ist dies nicht zu beanstanden. Zutreffend verwies das Rekursgericht auch darauf, die Stiftungserklärung sei dahin zu verstehen, dass eine Ausschüttung erst aus dem Gewinn, also nach Abzug der laufenden Aufwendungen, zu erfolgen habe. Für die Rechtsansicht, auf die Akontoausschüttung in Höhe der kollektivvertraglichen Entlohnung für Handelsangestellte sei eine Anrechnung gewährter Sachleistungen vorzunehmen, bieten die Stiftungserklärung und Zusatzurkunde keine Grundlage.

[11] 2.2. Wenn die Vorinstanzen in Anbetracht des Umstands, dass die Antragsteller jedenfalls seit 2017 keine Barzuwendungen mehr erhalten haben, jedenfalls bis 2022 weiterhin keine Barzuwendungen erhalten könnten und auch ab 2024 nach der eigenen Prognose der Stiftung und trotz Veräußerung eines Teils des Stiftungsvermögens lediglich Zuwendungen in Höhe von rund 1/3 der vorgesehenen Akontozahlungen möglich sein werden, davon ausgingen, dass der intendierte Stiftungszweck nicht mehr erreichbar ist, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

[12] Der Revisionsrekurs war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

[13] Eine Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens hat zu entfallen, weil das Erstgericht einen Kostenvorbehalt nach § 78 AußStrG ausgesprochen hat (stRsp, siehe bloß 6 Ob 197/07z; 6 Ob 166/19h).

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