OGH 6Ob194/18z

OGH6Ob194/18z21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei A* AG, *, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei d*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Feststellung, Unterlassung und Zustimmung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. September 2018, GZ 3 R 98/18d‑18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123497

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

1. Die Klägerin und gefährdete Partei (künftig Klägerin) und die Beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei (künftig Beklagte) sind die einzigen Gesellschafterinnen der d* GmbH (im Folgenden: die Gesellschaft). Die Klägerin hält 32 %, die Beklagte 68 % der Geschäftsanteile. Der Geschäftsanteil der Klägerin wurde zunächst von der P*gesellschaft m.b.H. (im Folgenden: P*), einer Gesellschaft des S*-Konzerns, gehalten. Die Beklagte und P* schlossen im Jahr 1982 einen Syndikatsvertrag, mit dem sie sich ua verpflichteten, über das in der Generalversammlung der Gesellschaft von den Kapitaleignern zu wählende Aufsichtsratsmitglied das Einvernehmen herzustellen und dem gemeinsam erstellten Wahlvorschlag in der Generalversammlung die Zustimmung zu erteilen.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Syndikatsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten ungekündigt aufrecht bestehe (1.); die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus der Verletzung des Syndikatsvertrags (2.), die Unterlassung, in der Generalversammlung der Gesellschaft ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen, ohne vorher mit der Klägerin Einvernehmen über dessen Person hergestellt zu haben (3.); sowie die Zustimmung der Beklagten zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrags der Gesellschaft dahin, dass die in näher bezeichneten Bestimmungen genannte P* durch die Klägerin ersetzt werde. Zur Sicherung ihrer zu den Punkten (1.), (3.) und (4.) geltend gemachten Ansprüche beantragte die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, in einer Generalversammlung der Gesellschaft ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen, ohne vorher das Einvernehmen mit ihr über dessen Person herzustellen, sowie weiters, der Beklagten zu untersagen, in einer Generalversammlung der Gesellschaft mehr als ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen. Sie steht auf dem Standpunkt, im Zuge einer konzerninternen Umstrukturierung sei die Rechtsposition aus dem Syndikatsvertrag zunächst von P* auf eine andere Konzerngesellschaft, dann auf die Klägerin übergegangen.

Nach Einbringung des Sicherungsantrags und vor der Entscheidung des Erstgerichts darüber wurden in der außerordentlichen Generalversammlung der Gesellschaft am 12. 4. 2018 zwei Aufsichtsratsmitglieder mit den Stimmen der Beklagten gewählt, ohne dass im Vorhinein das Einvernehmen mit der Klägerin hergestellt worden wäre.

Die Vorinstanzen wiesen das Sicherungsbegehren ab. Das Erstgericht verneinte die Rechtsnachfolge der Klägerin in den Syndikatsvertrag. Das Rekursgericht nahm zur Berechtigung des zu sichernden Anspruchs nicht Stellung, weil es die Behauptungen der Klägerin zur Anspruchsgefährdung als nicht ausreichend beurteilte.

Rechtliche Beurteilung

2.1. Einstweilige Verfügungen dienen dazu, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, weil sonst gerichtliche Hilfe vielfach zu spät käme (Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 378 Rz 1). Die einstweilige Verfügung hat nicht den Zweck, die Erfüllung zu erzwingen oder etwaige Vertragsverletzungen zu verhindern; ihr Zweck ist nur, die Vereitelung der Durchsetzung des Anspruchs zu verhindern oder die gefährdete Partei gegen Veränderungen des gegenwärtigen Zustands zu schützen, die für sie mit einem drohenden unwiederbringlichen Schaden verbunden wären (RIS‑Justiz RS0004802). Eine von Vornherein zwecklose einstweilige Verfügung ist nicht zu bewilligen, weil der Anspruch auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung eines Rechtsschutzinteresses bedarf (RIS‑Justiz RS0005034).

2.2. Einer konkret drohenden Verletzung der Stimmrechtsbindung (Syndikatsvereinbarung) kann mit vorläufiger Unterlassungsklage begegnet werden (RIS‑Justiz RS0117682 = 7 Ob 59/03g). Entscheidend für die Zulässigkeit der Sicherung eines derartigen vorbeugenden Unterlassungsanspruchs ist letztlich eine Abwägung, ob eine vorläufige Sicherung oder deren Unterbleiben eher einen unwiederbringlichen Schaden nach sich ziehen könnte (7 Ob 59/03g).

2.3. Gemäß § 389 Abs 1 EO muss die gefährdete Partei – auf Verlangen des Gerichts und somit immer dann, wenn diese Frage strittig ist – den behaupteten Anspruch glaubhaft machen (RIS‑Justiz RS0005381). Darüber hinaus ist die Gefährdung des Anspruchs im Sinn des § 381 Z 1 oder Z 2 EO durch Glaubhaftmachung konkreter Tatsachen darzutun (RIS‑Justiz RS0011600 [T1]). Dabei kann nicht schon jede abstrakte oder theoretische Möglichkeit der im § 381 EO erwähnten Erschwerung, Vereitelung, Gewaltanwendung oder des unwiederbringlichen Schadens eine Anspruchsgefährdung im Sinne dieser Gesetzesstelle begründen (RIS‑Justiz RS0005175 [T2, T8]). Es ist vielmehr die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung zu fordern (RIS‑Justiz RS0005175 [T13]). Im Hinblick auf die vom Gesetz gebrauchten Ausdrücke „besorgen“ (§ 381 Z 1 EO) und „drohen“ (§ 381 Z 2 EO) wird das Vorliegen von Umständen gefordert, die ohne Bewilligung der einstweiligen Verfügung eine Beeinträchtigung des Anspruchs oder des Anspruchsberechtigten als wahrscheinlich erscheinen lassen (RIS‑Justiz RS0005175 [T6]). Die Behauptungs- und Bescheinigungslast für das Vorliegen konkreter Umstände, welche diese Voraussetzung begründen, liegt gemäß § 389 Abs 1 EO ausschließlich beim Kläger (RIS‑Justiz RS0005175 [T9]).

Ob das Vorbringen im Einzelfall zur Annahme einer konkreten Gefährdung im Sinn des § 381 EO als ausreichend anzusehen ist, betrifft keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (3 Ob 100/18d; RIS‑Justiz RS0005103; vgl RS0005118; RS0042828), sofern dem Rekursgericht nicht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist (vgl RIS‑Justiz RS0005103 [T2]).

3.1. Nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen waren infolge der Wahl zweier Aufsichtsratsmitglieder in der außerordentlichen Generalversammlung der Gesellschaft am 12. 4. 2018 zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz über den Sicherungsantrag vier Aufsichtsratsmitglieder bestellt, sohin die in § 8 des Gesellschaftsvertrags vorgesehene Höchstzahl von Aufsichtsratsmitgliedern.

Das Sicherungsinteresse der Klägerin kann daher – wie das Rekursgericht zutreffend ausführte – nicht aus der drohenden Wahl zweier Aufsichtsratsmitglieder mit einfacher Mehrheit der Stimmen der Klägerin in der Generalversammlung vom 12. 4. 2018 abgeleitet werden.

3.2. Die Klägerin begründete das Weiterbestehen ihres Sicherungsinteresses damit, dass sie gegen die am 12. 4. 2018 gefassten Beschlüsse beim Erstgericht eine Anfechtungsklage eingebracht habe. Wenn dieser Folge gegeben werde, sei die Aufsichtsratswahl für nichtig zu erklären, sodass die Situation jener vor der Wahl gleiche. Darüber hinaus kündigte sie an, einen – nicht näher konkretisierten – Antrag im Außerstreitverfahren einzubringen, dessen Konsequenz ebenfalls sei, dass eine Aufsichtsratsposition neu besetzt werden könne.

3.3. Die beantragte einstweilige Verfügung wird nach dem Vorbringen der Klägerin dann schlagend, wenn die Klägerin mit ihrer Klage auf Beschlussanfechtung oder mit ihrem Antrag im Außerstreitverfahren rechtskräftig durchgedrungen ist. Im relevanten Beurteilungszeitpunkt – das ist der Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz über den Provisorialantrag (vgl RIS‑Justiz RS0004877 [T3]; Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 378 Rz 16) – waren beide von der Klägerin angestrengte Verfahren nach ihrem eigenen Vorbringen noch nicht abgeschlossen.

Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin an der Erlassung einer einstweiligen Verfügung kann daher auch nicht daraus abgeleitet werden, dass infolge einer erfolgreichen Anfechtung der Generalversammlungsbeschlüsse vom 12. 4. 2018 oder infolge ihres Durchdringens im Außerstreitverfahren eine neuerliche Aufsichtsratswahl bereits konkret bevorstünde.

3.4. Die Frage, ob das mit dem Sicherungsantrag angestrebte Ziel der Sicherung der Rechte der Klägerin aus dem Syndikatsvertrag mit dem angestrebten Unterlassungsgebot erreicht werden kann, hängt davon ab, ob die Klägerin in den von ihr angestrebten Verfahren durchdringt, sodass neuerlich eine Aufsichtsratswahl in der Generalversammlung der Gesellschaft durchzuführen ist.

Die Beurteilung, ob diese Möglichkeit als bloß theoretisch-abstrakt (vgl RIS‑Justiz RS0005175 [T2, T8]) anzusehen ist, oder ob die Beseitigung der angefochtenen Beschlüsse konkret in Betracht zu ziehen ist, hängt von dem zu erwartenden Ausgang der von der Klägerin angestrengten Verfahren ab.

Der von der Klägerin im Revisionsrekurs vertretene Standpunkt, das Rekursgericht verlange rein formalistisch die Wiedergabe des gesamten Prozessvorbringens der Klägerin in den Parallelverfahren, sowie ein Rechtsvorbringen zur Richtigkeit ihres dortigen Prozessstandpunkts, lässt außer Acht, dass sich das Vorbringen der Klägerin zum Weiterbestand ihres Sicherungsinteresses auf den Umstand der Einbringung einer Anfechtungsklage beschränkte, ohne dass irgendein Vorbringen zu deren Inhalt erstattet oder die Klage als Urkunde vorgelegt worden wäre. Vielmehr stellte es die Klägerin offenkundig dem Erstgericht anheim, ihren Antrag auf Beischaffung des Akts nicht nur als Bescheinigungsmittel für die Einbringung der Klage, sondern auch als Ersatz eines inhaltlichen Vorbingens zu dieser Klagsführung zu werten.

Ausgehend von der die Klägerin treffenden umfassenden Behauptungs- und Bescheinigungslast (vgl RIS‑Justiz RS0005175 [T9]), die auch jene tatsächlichen Umstände erfasst, aus denen sich ihr Rechtsschutzinteresse an der Erlassung der einstweiligen Verfügung ergibt, erweist sich die Rechtsansicht des Rekursgerichts, das das Vorbringen der Klägerin als unzureichend erachtete, im vorliegenden Einzelfall als vertretbar.

Hinsichtlich des Antrags der Klägerin im Außerstreitverfahren zeigt der Revisionsrekurs schon deshalb keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung im Einzelfall auf, weil die Klägerin die Einbringung eines Antrags lediglich ankündigte, ohne in der Folge bis zur Entscheidung des Erstgerichts vorzubringen, dass der Antrag tatsächlich gestellt wurde und worauf er gerichtet war.

3.5. Auf die weitere im außerordentlichen Revisionsrekurs als erheblich relevierte Rechtsfrage, es bestehe divergierende Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Urkundeninhalten als Vorbringen, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Die Klägerin hat zu ihrer Anfechtungsklage oder dem Antrag im Außerstreitverfahren keine Urkunden vorgelegt, deren Inhalt gegebenenfalls als Vorbringen gewertet werden könnte.

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