European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00189.16M.0927.000
Spruch:
Der Rekurs und die Rekursbeantwortung werden zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger begehrte mit seiner Wiederaufnahmsklage die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 40 Cg 27/13s (vormals AZ 15 Cg 251/00d) des Handelsgerichts Wien. Im zuletzt genannten Verfahren fällte das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht am 23. 9. 2011 zu AZ 3 R 123/08t nach Beweiswiederholung ein Zwischenurteil, mit dem es das Klagebegehren des dortigen Klägers (hier Beklagten) auf Zahlung von 7.267.283,42 EUR sA als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte.
Der Kläger begründete seine im Ergebnis auf den Wiederaufnahmsgrund gemäß § 530 Abs 1 Z 2 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage im Wesentlichen damit, der Zeuge W***** R***** habe bei seiner Vernehmung vor dem Berufungsgericht eine vorsätzlich falsche Beweisaussage getätigt. Das Urteil des Berufungsgerichts gründe sich auf diese Aussage. Dies sei dem Kläger durch die Vernehmung des Zeugen R***** in der Hauptverhandlung vom 27. 4. 2012 in dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu AZ 13 Hv 33/11g bekannt geworden.
Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen und wandte die Unzuständigkeit des Handelsgerichts Wien ein, welches daraufhin die Rechtssache gemäß § 532 Abs 2 ZPO an das funktionell als Erstgericht zuständige Oberlandesgericht Wien überwies.
Das Oberlandesgericht Wien übermittelte den Akt gemäß § 539 Abs 1 ZPO der Staatsanwaltschaft Wien zur Prüfung der vom Wiederaufnahmskläger behaupteten strafbaren Handlung der falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs 1 StGB durch den Zeugen W***** R***** bei seiner Vernehmung in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung.
Die Staatsanwaltschaft Wien teilte mit Schreiben vom 24. 6. 2016 zu AZ 604 St 12/16w mit, dass sie von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen W***** R***** wegen § 288 StGB gemäß § 35c StAG abgesehen habe. Die Staatsanwaltschaft begründete dies zusammengefasst damit, dass sich aus dem Vorbringen des Wiederaufnahmsklägers kein einen Anfangsverdacht der Erfüllung des Tatbestands des § 288 StGB rechtfertigendes Verhalten des Zeugen R***** ergeben. Die Staatsanwaltschaft teilte weiters mit, dass ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 StPO nicht zustehe (§ 35c Satz 2 StAG).
Daraufhin wies das Oberlandesgericht Wien die Wiederaufnahmsklage gemäß § 539 Abs 2 ZPO zurück.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der klagenden Partei.
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist verspätet.
1. Nach § 532 Abs 2 ZPO ist eine Wiederaufnahmsklage, die auf einen anderen Wiederaufnahmsgrund als den des § 530 Z 4 ZPO gestützt ist, bei dem „bezüglichen Gerichte höherer Instanz angebracht werden“ muss, wenn „nur dessen Entscheidung von den geltend gemachten Anfechtungsgrunde betroffen wird“. Dabei ist nicht entscheidend, dass der Zeuge R***** bei seiner Vernehmung vor dem Berufungsgericht falsch ausgesagt habe. Für die Frage, ob zur Entscheidung über eine Wiederaufnahmsklage das Berufungsgericht zuständig ist, ist vielmehr allein maßgebend, ob es abweichend vom Erstgericht zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung gelangte (RIS‑Justiz RS0044571 [T2]). Es kommt darauf an, bei welchem Gericht die streitentscheidenden Feststellungen getroffen wurden (RIS‑Justiz RS0044571 [T3]). Im vorliegenden Fall ist das Berufungsgericht im damaligen Verfahren von den erstgerichtlichen Feststellungen nach Beweiswiederholung abgegangen und hat sich dabei in seiner Beweiswürdigung maßgeblich auf den Zeugen R***** gestützt. Hätte dem gegenüber das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung die maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts übernommen, wäre zur Verhandlung und Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage das Erstgericht zuständig (RIS‑Justiz RS0044566).
2.1. Nach § 535 ZPO sind, wenn die Klage – wie im vorliegenden Fall – nicht bei dem Gericht erhoben wird, das in den früheren Verfahren in erster Instanz erkannt hat, in Ansehung der Anfechtbarkeit der Entscheidung diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für das höhere Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären.
2.2. Wird die Wiederaufnahmsklage daher von einem Gericht höherer Instanz zurückgewiesen, dann ist für das Rechtsmittel dagegen der Oberste Gerichtshof zuständig und es gelten die Beschränkungen der §§ 519 und 528 ZPO (RIS‑Justiz RS0044587 [T1, T7]). Wenn das Gericht mit Urteil entscheidet, findet dagegen nur die Revision statt, deren Zulässigkeit nach § 502 ZPO zu prüfen ist (RIS‑Justiz RS0044932 [T4]). In dem Urteil des Berufungsgerichts sind daher die Aussprüche nach § 500 Abs 2 ZPO aufzunehmen (RIS‑Justiz RS0044932 [T5]).
2.3. Anderes gilt jedoch, wenn – wie im vorliegenden Fall – das Berufungsgericht des Vorprozesses die Wiederaufnahmsklage zurückweist. Dagegen ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig (RIS‑Justiz RS0044597), weil dies dem Fall des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gleichzuhalten ist, sodass es weder auf den Wert des Entscheidungsgegenstands noch auf eine erhebliche Rechtsfrage ankommt (3 Ob 91/10v). Daher ist in diesem Fall auch ein Zulässigkeitsausspruch nicht erforderlich.
3.1. Die Zustellung der Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage hat stets über das Erstgericht des Vorprozesses zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0045877 [T2]), bei dem auch die Rechtsmittel gegen diese Entscheidung einzubringen sind (Judikat 58). Daraus folgt auch, dass Rechtsmittel gegen die im Verfahren über eine Nichtigkeitsklage oder Wiederaufnahmsklage ergebenden Entscheidungen stets bei dem Gericht einzubringen sind, das im Vorprozess in erster Instanz eingeschritten ist, auch wenn das Berufungsgericht des Vorprozesses in erster Instanz entscheidet (RIS‑Justiz RS0045877 [T3]). Im vorliegenden Fall wurde demgegenüber der Rekurs beim Oberlandesgericht Wien eingebracht.
3.2. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Oberlandesgericht Wien entgegen der Rechtsprechung die Entscheidung den Parteien direkt zustellte. Nach ständiger Rechtsprechung gilt das Judikat 58 nämlich auch dann, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung über die Nichtigkeitsklage oder Wiederaufnahmsklage den Parteien nicht im Wege des Erstgerichts, sondern unmittelbar zugestellt hat (RIS‑Justiz RS0044552).
3.3. Wird ein Rechtsmittel beim falschen Gericht eingebracht, dann ist für seine Rechtzeitigkeit das Einlangen beim richtigen Gericht maßgebend (RIS‑Justiz RS0041608 [T8], RS0041584). Beim Handelsgericht Wien als Erstgericht des Vorprozesses ist der Rekurs jedoch bisher nicht eingelangt und kann dort auch nicht mehr rechtzeitig einlangen, weil die 14‑tägige Rekursfrist jedenfalls abgelaufen ist (zu einem vergleichbaren Fall vgl 6 Ob 614/92).
4. Damit erweist sich der Rekurs aber als verspätet, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war. Gleiches gilt für die Rekursbeantwortung, weil auch diese nicht rechtzeitig beim Erstgericht eingelangt ist und dort auch nicht mehr einlangen kann (vgl zur Revisionsbeantwortung RIS‑Justiz RS0041608 [T16]).
5. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass das Zivilgericht an die Einstellung der Staatsanwaltschaft gebunden ist (RIS‑Justiz RS0044634; zuletzt 6 Ob 121/16m). Das Prozessgericht hat nicht selbst darüber zu entscheiden, ob eine strafbare Handlung vorliegt (RIS‑Justiz RS0044638). Die in § 539 ZPO angeordnete Bindungswirkung ist nach ständiger Rechtsprechung verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl 6 Ob 121/16m). Wenn die Rechtsordnung die Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens Einschränkungen unterwirft, entspricht dies dem – gleichfalls von Art 6 EMRK geschützten – Gebot der Rechtssicherheit.
Der Rekurs und die Rekursbeantwortung waren daher spruchgemäß zurückzuweisen.
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