OGH 6Ob188/14m

OGH6Ob188/14m15.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** K*****, vertreten durch Gheneff ‑ Rami ‑ Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Auskunft über Nutzerdaten (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2014, GZ 34 R 9/14x‑17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. November 2013, GZ 34 C 638/13x‑12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 978,84 EUR (darin 163,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Am 5. 5. 2013 wurde im Anschluss an die Veröffentlichung eines Interviews mit dem Kläger auf der Internetmedienplattform der beklagten Partei von einem Nutzer mit dem User‑Namen try_error folgendes Posting veröffentlicht:

„würden wir nicht ewig meinungsfreiheit falsch verstehen und wäre das sägen an der verfassung und das destabilisieren unserer staatsform konsequent unter strafe gestellt, oder wäre wenigstens der mafiaparagraf einmal angewendet worden auf die rechtsextreme szene in österreich, dann wäre h***** k***** einer der größten verbrecher der 2ten republik ...“

Über Aufforderung des Klagevertreters wurde der Beitrag gelöscht; eine Bekanntgabe der Daten des Posters erfolgte jedoch nicht.

Der Kläger begehrt die Bekanntgabe des Namens, der Adresse und der E‑Mail‑Adresse des Users try_error.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Tatbestände des § 1330 ABGB sowie § 111 StGB seien nicht erfüllt; ein rechtswidriger Sachverhalt habe nicht bescheinigt werden können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Herausgabe der Daten des Forumnutzers. Seine Äußerungen könnten grundsätzlich tatbestandsmäßig im Sinne des § 1330 ABGB sein; die im Einzelfall notwendige Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung, Werturteil und Wertungsexzess sei erst im Verfahren gegen den konkreten Poster zu prüfen.

Die Revision wurde nachträglich für zulässig erklärt, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich eines moderierten Online‑Diskussionsforums existiere.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

1.1. Ein Diensteanbieter, der von einem Nutzer eingegebene Informationen speichert, ist für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen nicht verantwortlich, sofern er von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information keine tatsächliche Kenntnis hat und sich in Bezug auf Schadenersatzansprüche auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird (§ 16 Abs 1 Z 1 ECG).

1.2. Nach § 18 Abs 4 ECG haben die in § 16 ECG genannten Diensteanbieter den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen dritten Personen zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

1.3. Nach ständiger Rechtsprechung besteht im Hinblick auf § 18 Abs 4 ECG grundsätzlich ein Anspruch auf Auskunft über eine E‑Mail‑Adresse (6 Ob 104/11d MR 2011, 323 [Haller] = jusIT 2011/101 [Tscherner]; 6 Ob 119/11k). In diesen Entscheidungen wurde die Frage des Redaktionsgeheimnisses jedoch noch offen gelassen. Unter Name und Adresse eines Nutzers im Sinne des § 18 Abs 4 ECG sind grundsätzlich dessen Vor‑ und Zuname und dessen Postanschrift, aber auch dessen E‑Mail‑Adresse zu verstehen (RIS‑Justiz RS0127160).

2.1. In der Entscheidung 6 Ob 133/13x sprach der erkennende Senat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie die Materialien zum Mediengesetz aus, dass eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis dann unzulässig ist, wenn ein Posting in keinerlei Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit steht. Allein das Zurverfügungstellen des Online‑Forums reiche nicht aus, um den notwendigen Mindestzusammenhang zur Tätigkeit der Presse herzustellen.

2.2. Diese Rechtsprechung wurde in der Entscheidung 6 Ob 58/14v bestätigt. Ob diese Auffassung auch für moderierte Diskussionsforen gilt, wurde ausdrücklich offen gelassen.

2.3. In der Entscheidung 19 Bs 504/12z gab das Oberlandesgericht Wien einem Einspruch der d***** GmbH gegen eine Betreiberanordnung des Landesgerichts für Strafsachen Wien statt, mit welcher die d***** GmbH verpflichtet worden war, Daten eines Posters auf ihrem Online‑Diskussionsforum bekannt zu geben. Die d***** GmbH sei gleichzeitig Provider und Medieninhaber und könne sich somit auf das Redaktionsgeheimnis berufen. Deshalb könne die Medienunternehmerin die Weitergabe von Daten einer Person, welche Beiträge im Online‑Diskussionsforum gepostet habe, an die Staatsanwaltschaft verweigern. Diese Entscheidung wurde im Schrifttum unterschiedlich aufgenommen. Koukal (ZIR 2013/3, 192 f) äußerte sich kritisch und betonte, es sei noch nicht geklärt, ob sich jedes Online‑Forum auf § 31 MedienG berufen könne, selbst wenn das von ihm betriebene Forum unmoderiert sei. Demgegenüber stimmen Windhager/Gahleitner (Redaktionsgeheimnis 2.0 ‑ Sind Userdaten von § 31 MedienG geschützt? MR 2013, 107) der Entscheidung zu und betonen, die Geltung des Redaktionsgeheimnisses für Online‑Poster sei aufgrund der großen Bedeutung der Rolle der Medien zu bejahen.

3.1. Nicht als geschützte Mitteilung sind Informationen zu qualifizieren, die eine der in § 31 Abs 1 MedienG genannten Personen gewinnt, ohne dass diese im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem (bewusst) zugänglich gemacht wurden. Eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis ist dann unzulässig, wenn ein Posting in keinerlei Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit steht. Es muss also zumindest irgendeine Tätigkeit, Kontrolle oder Kenntnisnahme eines Medienmitarbeiters intendiert sein, damit der Schutz des § 31 MedienG in Anspruch genommen werden kann.

3.2. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt. In dem der Entscheidung 6 Ob 133/13x zugrunde liegenden Fall gab es seitens der beklagten Partei überhaupt keine Moderation; die Benutzer dieser Website konnten ohne vorhergehende Kontrolle ihre Beiträge posten. Im vorliegenden Fall wurden die Beiträge demgegenüber zwar nicht unmittelbar veröffentlicht, sondern vor der Freischaltung einer durch das Computerprogramm namens „Format“ durchgeführten Kontrolle unterzogen. Zusätzlich werden die Beiträge von Journalisten geprüft und bei Bedarf entfernt. Der bloße Umstand, dass ein Computerprogramm aufgrund von Schlagworten die Beiträge vor Veröffentlichung prüft, reicht nicht aus, den erforderlichen Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit herzustellen (vgl auch OLG Wien 11 R 236/13a).

3.3. Mangels eines derartigen Zusammenhangs mit der journalistischen Tätigkeit liegt aber auch kein unzulässiger Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung nach Art 10 MRK oder das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedienG vor, wenn die Beklagte die Daten ihrer Nutzer bekannt geben muss, sobald eine Verurteilung des Posters nach § 1330 ABGB möglich erscheint.

4.1. § 18 Abs 4 ECG spricht lediglich von einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des überwiegenden rechtlichen Interesses an der Feststellung der Identität eines Nutzers, hinsichtlich eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts und hinsichtlich des Umstands, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet. Die nach § 1330 ABGB im Einzelfall notwendige Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung, Werturteil und Wertungsexzess ist damit nicht im Auskunftsverfahren gegen den Betreiber der Website näher zu prüfen, sondern erst im Verfahren gegen den konkreten Poster. Voraussetzung ist lediglich, dass aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht gänzlich auszuschließen ist (6 Ob 133/13x).

4.2. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Diensteanbieter im Sinne des § 16 ECG nur dann für Rechtsverletzungen seiner Kunden in Anspruch genommen werden, wenn die Rechtsverletzungen auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig sind (RIS‑Justiz RS0114374). Ob dies der Fall ist, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0114374 [T4]). Der beklagten Partei ist zuzugeben, dass nach den Gesetzesmaterialien (817 BlgNR 21. GP) auch für Zwecke des § 18 Abs 4 ECG ähnlich wie bei der Beurteilung der tatsächlichen Kenntnis im Sinne des § 16 ECG auf die Fähigkeiten und das Wissen eines juristischen Laien abzustellen ist. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei § 16 ECG und bei § 18 Abs 4 ECG eine völlige Gleichsetzung hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfolgen könnte. Bei § 16 ECG geht es darum, dass der Diensteanbieter von der Haftung freigestellt ist, wenn er sich keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird. Hiefür ist ‑ wie ausgeführt ‑ nach den Gesetzesmaterialien und herrschender Auffassung auf die Fähigkeiten eines juristischen Laien abzustellen. Dies gilt auch für § 18 Abs 4 ECG. Bei dieser Gesetzesstelle besteht jedoch die Besonderheit, dass es nicht darauf ankommt, ob der Laie von sich aus erkennen kann, dass ein rechtswidriger Sachverhalt vorliegt, sondern ob ihm gegenüber die Glaubhaftmachung eines rechtswidrigen Sachverhalts gelungen ist. Entscheidend ist daher, ob ein juristischer Laie nach entsprechendem Hinweis erkennen kann, dass eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht gänzlich auszuschließen ist (6 Ob 133/13x). Diese Voraussetzung ist aber im vorliegenden Fall, in dem der Kläger als „einer der größten Verbrecher der 2ten Republik“ bezeichnet wurde, zweifelsfrei zu bejahen.

4.3. Nochmals ist zu betonen, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um eine endgültige Beurteilung von Ansprüchen nach § 1330 ABGB geht, sondern lediglich eine grobe Prüfung zu erfolgen hat, setzt das Gesetz doch nur die Glaubhaftmachung des rechtlichen Interesses des Klägers voraus.

5. Damit erweist sich aber die Entscheidung des Berufungsgerichts als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

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