European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00171.16I.0927.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Bei dem Beklagten handelt es sich um einen nach § 33 Abs 1 Müllgesetz 1980, LGBl für das Burgenland Nr 15, bzw nach § 42 Abs 1 des Burgenländischen Abfallwirtschaftsgesetzes 1993, LGBl Nr 10/1994, gebildeten Gemeindeverband aus den Gemeinden des Burgenlands mit dem Sitz in Oberpullendorf. Die Klägerin gehört als Gemeinde dem Beklagten an.
Der Beklagte betreibt seit Jahren im Gemeindegebiet der Klägerin eine Mülldeponie. Mit Vertrag vom 7. 8./8 .8. 1985 wurden die Einwohner der Klägerin für die Dauer des Betriebs der Mülldeponie von der Beklagten berechtigt, Sperrmüll, sortenreinen Bauschutt sowie nicht kontaminiertes Aushubmaterial in dieser Mülldeponie unentgeltlich zu entsorgen.
Am 19. 11. 1990/12. 12. 1990 wurde zwischen den Parteien vereinbart, dass der Beklagte der Klägerin eine jährliche Zahlung in Form einer „Standortnachteileabgeltung“, fällig jeweils am 30. 6. eines Jahres zu leisten habe. Zur Berechnung dieser Standortnachteileabgeltung wurde eine Formel zwischen den Parteien vereinbart. In einem weiteren Vertragspunkt wurde geregelt, dass sortenreiner Bauschutt und nicht kontaminiertes Aushubmaterial von der Beklagten unentgeltlich zur Entsorgung übernommen werden sollten.
Die Klägerin begehrt für die Jahre 2010 bis 2012 restliche Standortnachteileabgeltung in der Höhe von 30.991,54 EUR sowie die Feststellung, dass von dieser jährlich zu leistenden Nachteileabgeltung die Sperrmüllentsorgungseinsätze nicht abzuziehen seien. Sie brachte vor, der Beklagte habe beginnend mit 1996 zu Unrecht die Kosten für die Sperrmüllentsorgung abgezogen. Diesem vereinbarungswidrig vorgenommenen Abzug habe der Gemeinderat nicht zugestimmt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Standortnachteileabgeltung sei von der Frage der Kosten der Sperrmüllentsorgung zu trennen.
Der Rechtsweg sei zulässig, weil sowohl die Gemeinde als auch ein Gemeindeverband wie die beklagte Partei privatrechtsfähig seien. Der Klageanspruch stütze sich ausschließlich auf die Vereinbarung. Die Parteien stünden sich gleichrangig gegenüber.
Der Beklagte beantragte die Klageabweisung, erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und brachte vor, dass das Burgenländische Abfallwirtschaftsgesetz am 1. 1. 1994 in Kraft getreten und dadurch die Sperrmüllentsorgung neu geregelt worden sei. Die Sperrmüllentsorgungskosten müssten fortan von den Bürgern direkt und nicht mehr von der Gemeinde getragen werden. Die Klägerin habe zumindest schlüssig der Vertragsänderung zugestimmt, weil durch die jeweiligen Gemeindevertreter immer der Anschein erweckt worden sei, dass die neue Berechnung beschlussmäßig gedeckt sei. Bei der Abgeltung von Standortnachteilen handle es sich um einen öffentlich‑rechtlichen Anspruch, sodass der Rechtsweg ausgeschlossen sei.
Das Erstgericht erklärte das bisherige Verfahren für nichtig, wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und führte rechtlich aus, dass die Standortnachteileabgeltung einen Ausgleich der Nachteile der Bürger der Klägerin aufgrund der im Gemeindegebiet bestehenden Mülldeponie darstelle. Damit sei sie ein Entgelt für die politische Zustimmung der Klägerin, auf ihrem Gemeindegebiet eine Mülldeponie zu dulden. Dieses gesetzlich nicht vorgesehene Entgelt führe aufgrund des Kostendeckungsprinzips des § 64 Abs 3 Bgld AWG zu höheren Beiträgen der anderen Gemeinden. Die weiteren Vertragsbestimmungen Punkt 6 und Punkt 4, wonach den Gemeindebürgern der Klägerin die Unentgeltlichkeit der Entsorgung sortenreinen Bauschutts und nicht kontaminierten Aushubmaterials zugesagt worden sei und sich die Klägerin um die Änderung des Flächenwidmungsplans kümmern solle, fielen eindeutig in den öffentlich‑rechtlichen Bereich. Es liege eine öffentlich‑rechtliche Vereinbarung vor, bei der die Parteien in hoheitlicher Funktion tätig geworden seien.
Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der klagenden Partei Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verwarf.
Die Beklagte habe sich zu einer Abgeltung vereinbarungsgemäß bereiterklärt, ohne dass eine gesetzliche Grundlage diese Abgeltung vorsehe und den Verwaltungsweg für die Geltendmachung vorschreibe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Entscheidung über den von der Klägerin erhobenen Anspruch den ordentlichen Gerichten entzogen und ausdrücklich vor eine andere Behörde verwiesen hätte.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Im Hinblick auf die bereits vorliegende Judikatur des Obersten Gerichtshofs liege keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei ist nicht zulässig.
1.1. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist die Natur des geltend gemachten Anspruchs maßgebend (RIS‑Justiz RS0045644, RS0045718, RS0045584). Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte hängt davon ab, ob ein bürgerlich‑rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht ausdrücklich durch das Gesetz vor eine andere Behörde verwiesen wird (RIS‑Justiz RS0045644 [T12]).
1.2. Soll von der Zuständigkeit der Gerichte eine Ausnahme geschaffen werden, muss sie in dem hiefür erforderlichen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden. Eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die eine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde normieren, ist unzulässig (RIS‑Justiz RS0045474). Im Zweifel müssen bürgerliche Rechtssachen mangels ausdrücklicher anderer Anordnung durch die Gerichte entschieden werden. Für diese Rechtsstreitigkeiten besteht eine Generalklausel zugunsten der Zivilgerichte (RIS‑Justiz RS0045474 [T5]).
1.3. Zunächst ist daher zu prüfen, ob eine „bürgerliche Rechtssache“ vorliegt. Ist dies nicht der Fall, ist der Rechtsweg unzulässig. Andernfalls wäre der Rechtsweg zulässig, weil eine Bestimmung, die den gegenständlichen Anspruch ausdrücklich vor die Verwaltungsbehörde verweist, nicht ersichtlich ist und auch nicht geltend gemacht wurde (vgl Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1 Rz 20).
2. Privatrechtliche Ansprüche sind dadurch gekennzeichnet, dass sich gleichberechtigte Rechtssubjekte gegenüberstehen, während im öffentlichen Recht ein übergeordnetes Rechtssubjekt einseitige Gestaltungsakte setzen kann, denen das untergeordnete Rechtssubjekt unterworfen ist. Zum öffentlichen Recht gehören aber auch Ansprüche, denen zwar das Charakteristikum der einseitigen Rechtsunterworfenheit fehlt, die aber mit typisch öffentlich‑rechtlichen Ansprüchen in so untrennbarem Zusammenhang stehen, dass auch sie dem öffentlichen Recht zugewiesen werden müssen (RIS‑Justiz RS0045438). Dass an dem Rechtsverhältnis ein öffentlich‑rechtlicher Rechtsträger beteiligt ist, ordnet hingegen eine Sache noch nicht zwingend dem öffentlichen Recht zu; entscheidend ist vielmehr, ob an einem rechtlichen Vorgang ein mit Hoheitsgewalt ausgestattetes Rechtssubjekt in Ausübung dieser Hoheitsgewalt beteiligt ist (RIS‑Justiz RS0045438 [T5]).
3.1. Nicht jeder Vertrag, an dem eine Gemeinde beteiligt ist, hat öffentlich‑rechtliche Ansprüche zum Inhalt. Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, wer bei der abgeschlossenen Vereinbarung mit „imperium“ gehandelt haben sollte (vgl RIS‑Justiz RS0045438 [T5]).
3.2. Geht eine Gemeinde bei Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben einen privatrechtlichen Vertrag ein, sind die daraus entspringenden Pflichten nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0045493). Unter privatrechtlichen Ansprüchen sind jene anspruchsbegründenden rechtlichen Regelungen zu verstehen, die auf Gleichbehandlung beruhende Rechtsbeziehungen zwischen beliebigen Rechtssubjekten zum Gegenstand haben (RIS‑Justiz RS0045438 [T19]).
3.3. Die Müllabfuhr ist grundsätzlich dem Bereich der Hoheitsverwaltung zuzuordnen (RIS‑Justiz RS0049943 [T1], RS0050144). Daraus ist aber entgegen dem vom Revisionsrekurs vertretenden Standpunkt nicht abzuleiten, dass alles, was mit der Müllbeseitigung im Zusammenhang steht, deshalb vor die Verwaltungsbehörden gehöre. Vielmehr ist durchaus möglich, dass aus ein und demselben Sachverhalt privatrechtliche und öffentlich‑rechtliche Ansprüche abgeleitet werden, über die einerseits die Gerichte, andererseits die Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben (RIS‑Justiz RS0045497, RS0045475).
3.4. Aus dem Umstand, dass der Rechtsweg für die Klage einer Gemeinde gegen einen Liegenschaftseigentümer oder ‑pächter wegen Gebühren für die Müllentsorgung unzulässig sein kann (2 Ob 80/06b), ist daher für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen. Diese Entscheidung verweist im Übrigen ausdrücklich darauf, dass es „im Verhältnis zu den Bewohnern bzw Abgabepflichtigen“ der Gemeinde nicht freistehe, zwischen den Instrumenten der Hoheitsverwaltung und der Privatwirtschaftsverwaltung zu wählen. Für das hier betroffene Verhältnis zwischen Gemeinde und Müllverband ist daraus nichts zu gewinnen.
3.5. In der gleichfalls den Burgenländischen Müllverband betreffenden Entscheidung 7 Ob 200/14h hat der Oberste Gerichtshof eine Revision der beklagten Partei zurückgewiesen. Dabei sah sich der siebente Senat nicht veranlasst, den Mangel der Rechtswegszulässigkeit von Amts wegen (vgl RIS‑Justiz RS0046249 [T4]) aufzugreifen.
3.6. Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung 2 Ob 203/10g betrifft eine Streitigkeit zwischen einer Gemeinde und einem Sozialhilfeverband über die Entrichtung einer Sozialhilfeumlage. Der dort geltend gemachte Anspruch beruhte aber nicht auf einem Vertrag, sondern auf § 21 Abs 15 Steiermärkisches SHG, wonach die Sozialhilfeverbände „berechtigt sind, in ihren durch die eigenen Einnahmen nicht gedeckten Finanzbedarf aufgrund des § 3 Abs 2 F‑VG auf die verbandsangehörigen Gemeinden nach Maßgabe ihrer Finanzkraft umzulegen (Sozialhilfeumlage). Die Höhe der Sozialhilfeumlage ist in einem Hundertsatz dieser Berechnungsgrundlage festzusetzen. Der Hundertsatz bedarf der Genehmigung der Landesregierung.“ Damit sieht diese Bestimmung aber eine Befugnis zur hoheitlichen einseitigen Festsetzung der Umlage vor. Für den hier vorliegenden Fall einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Streitteilen ist daraus nichts abzuleiten.
3.7. Aus den im Revisionsrekurs zitierten weiteren Entscheidungen ist für den Standpunkt des Revisionsrekurswerbers nichts zu gewinnen. Die Entscheidung 7 Ob 321/99b betrifft verschiedene EU‑Richtlinien. In dieser Entscheidung ging es um die Räumungsklage betreffend eine Abstellfläche für einen Müllsammelcontainer, wobei dort im Wesentlichen der Begriff des „Abfalls“ europarechtlich einzuordnen war. Nach dieser Entscheidung solle die Abfallbewirtschaftung „von den Gemeinden selbst, oder von Unternehmen in deren Auftrag durchgeführt werden“. Daraus ist für den vorliegenden Fall aber ebensowenig abzuleiten wie aus der bereits erwähnten, bloß das Verhältnis zwischen Gemeinde und Grundeigentümer als Abgabenpflichtigen betreffenden Entscheidung 2 Ob 80/06p.
4. Dass die Höhe der Standortnachteileabgeltung letztlich auf die von den Grundeigentümern zu entrichtenden, als öffentlich‑rechtlich zu qualifizierende Müllgebühren durchschlägt, reicht für sich noch nicht aus, auch die Vereinbarung über die Höhe der Standortnachteileabgeltung als öffentlich‑rechtlich anzusehen. Andernfalls müsste man doch jeden Vorgang, der wirtschaftlich Einfluss auf die Höhe der Müllgebühren entfaltet, wie etwa den Ankauf von Grundstücken für eine Deponie oder von Müllfahrzeugen sowie die Anstellung von Vertragsbediensteten dem öffentlichen Recht unterstellen. Dass dieses Ergebnis nicht zutrifft, liegt auf der Hand.
5. Die Entscheidung 1 Ob 246/14d betrifft ein gegen die Gemeinde Wien erhobenes Auskunftsbegehren nach dem Auskunftspflichtgesetz. Die Klägerin begehrt die Auskunft darüber, welcher Bedienstete der MA 48 zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort Dienst versehen hatte. Der Oberste Gerichtshof sprach in dieser Entscheidung aus, dass der Rechtsweg unzulässig sei, weil die Auskunftserteilung dort dem Bereich der Hoheitsverwaltung zuzuordnen ist. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um einen Akt der Müllbeseitigung selbst und – wie ausgeführt – auch nicht um das Verhältnis zwischen Gemeinde und Abgabenpflichtigen.
6. Damit bringt der Revisionsrekurs aber keine Rechtsfrage der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass dieser spruchgemäß zurückzuweisen war.
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