OGH 6Ob167/19f

OGH6Ob167/19f20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin A***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Dyck und Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Erteilung von Informationen, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 4. Juli 2019, GZ 6 R 74/19y‑19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 3. Mai 2019, GZ 24 Fr 8030/18v-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00167.19F.0220.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist dem Erstgericht vorbehalten.

 

Begründung:

Die Antragsstellerin ist eine Konzerngesellschaft des S*****-Konzerns, dessen Gesellschaften in Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien, Ungarn und bis 2015 auch in Tschechien Lebensmitteleinzelhandelsfilialen betreiben; das Sortiment an Drogerieprodukten macht lediglich einen geringfügigen Teil des Gesamtsortiments der Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte aus. Sie ist außerdem zu 32 % Gesellschafterin der Antragsgegnerin; 68 % hält die d***** d*****gesellschaft mbH. Diese Gesellschaftsanteile an der Antragsgegnerin erwarb die Antragstellerin im Jahr 1981, wobei ihr anlässlich des Eingehens dieser seither unveränderten Beteiligung maßgebliche Kontrollrechte gewährt wurden. Insbesondere ist für die Beschlussfassung über den jährlichen Investitionsplan, sofern darin Investitionen enthalten sind, deren gemeinsame Summe 2 % des Bruttoumsatzes des Vorjahres übersteigt, eine Drei-Viertel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Die Antragsgegnerin ist Alleingesellschafterin von insgesamt zehn Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Sie und ihre Tochtergesellschaften bilden im d*****-Konzern den Teilkonzern Österreich. Sie betreibt in Österreich und in den verbundenen Ländern ein weit verzweigtes Filialhandelsunternehmen, zu dessen Sortiment im Wesentlichen Drogerie- und Haushaltsartikel, Säuglings- und Kindernahrung, biologische Lebensmittel und Tiernahrung gehören.

Das Erstgericht verpflichtete – jeweils gestützt auf § 22 Abs 2 GmbHG – die Antragsgegnerin in dem der Entscheidung 6 Ob 166/19h zugrunde liegenden Verfahren zur Freigabe bzw Übermittlung bestimmter Unterlagen und im vorliegenden Verfahren zur schriftlichen Beantwortung mehrerer Fragen. Eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der dieser zustehenden Informationsrechte habe die Antragsgegnerin nicht dartun können; die Erteilung der begehrten Informationen liefe auch – entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin – kartell- oder wettbewerbsrechtlichen Regelungen nicht zuwider.

Das Rekursgericht wies die Begehren der Antragstellerin ab und sprach jeweils aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es sei von der seit der Entscheidung 6 Ob 17/90 ständigen Rechtsprechung (RS0060098) abgegangen. In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht – mit nahezu wortidenter Begründung seiner beiden Entscheidungen – die Auffassung, die genannte Rechtsprechung anerkenne zwar ein in richterlicher Rechtsfortbildung entwickeltes, über § 22 Abs 2 GmbHG hinausgehendes Individualrecht des GmbH-Gesellschafters auf Information; dies sei aber in der Lehre auf Kritik gestoßen. Das Rekursgericht erachte einen „nicht näher zu begründenden“ Anspruch mangels korrekter methodischer Herleitung als unberechtigt und folge daher der Lehrmeinung von Gellis/Feil (GmbHG² [1982] § 22 Rz 11), wonach jede Ausdehnung des Informationsrechts über den positiv geregelten Fall hinaus abzulehnen sei.

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der erkennende Senat gab in dem der Entscheidung 6 Ob 166/19h zugrunde liegenden Verfahren dem – mit dem hier erhobenen ebenfalls praktisch wortidenten – Revisionsrekurs Folge und stellte die antragstattgebende Entscheidung des Erstgerichts wieder her. Er sah sich in dieser Entscheidung – ausgehend von der breiten Zustimmung der aktuellen Lehre, die vor dem Hintergrund der mit dem GesbR-RG novellierten Rechtslage der ständigen Rechtsprechung zustimmt – nicht veranlasst, von seiner ständigen Rechtsprechung zum Informationsrecht des GmbH-Gesellschafters abzugehen. Da die Parteien im genannten Verfahren von denselben rechtsfreundlichen Vertretern vertreten wurden wie im vorliegenden Verfahren, kann auf die ausführliche Begründung der Entscheidung 6 Ob 166/19h verwiesen werden.

2. Dies gilt auch für die Ausführungen der Entscheidung 6 Ob 166/19h zum (tatsächlich nicht relevanten) Kartellverbot. Es wurde klargestellt, dass die im – dieselben Parteien betreffenden – Verfahren 6 Ob 105/19p zu beurteilende Ausübung der Einflussrechte der Antragstellerin in der Antragsgegnerin als Ergebnis der Erlangung gemeinsamer Kontrolle zu qualifizieren sei, die grundsätzlich nicht Art 101 AEUV unterliege; die gesellschaftlichen Mitwirkungsrechte stellten vielmehr einen Teil der strukturellen Verbindung zwischen den beteiligten Gesellschaften dar.

Der erkennende Senat hat zwar in der Entscheidung 6 Ob 166/19h darauf hingewiesen, dass die Kontrollrechte nicht unbeschränkt zustünden, sondern nur im Rahmen dessen, was zur effektiven Wahrnehmung dieser Rechte notwendig ist, und dass die zu prüfende Grenze des grundsätzlich umfassenden Informationsanspruchs in der missbräuchlichen Geltendmachung der Informationsrechte durch die Antragstellerin liege, wofür die Antragsgegnerin behauptungs- und beweispflichtig sei. Allerdings hat sich die Antragsgegnerin im Rechtsmittelverfahren lediglich ganz allgemein darauf berufen, die Antragstellerin übe ihr Gesellschaftsrecht kartellrechtswidrig aus, weil sie Informationen zu wettbewerblich sensiblen Fragen geltend mache. Soweit sie in ihrem Rekurs ausführte, die begehrten Informationen beträfen zentrale Parameter des kartellrechtlich geschützten Geheimwettbewerbs und ermöglichten der Antragstellerin Rückschlüsse auf Preiskalkulation, Strategie und Marktverhalten der Antragsgegnerin, so lag ein solches Vorbringen bereits auch der Entscheidung 6 Ob 166/19h zugrunde, führte jedoch auch dort zu keinem Rechtsmittelerfolg der Antragsgegnerin. Unterschiede zwischen den im genannten Verfahren geltend gemachten Ansprüchen und jenen des vorliegenden Verfahrens sind insoweit nicht erkennbar und werden von der Antragsgegnerin auch nicht aufgezeigt.

3. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, die von der Antragsgegnerin vorzunehmende Beantwortung der gestellten Fragen sei mit der „Frage ihrer Vollstreckbarkeit verknüpft“; für eine Exekutionsbewilligung reichte die bloße Behauptung aus, eine erteilte Antwort beantworte entweder nicht richtig oder nicht vollständig die – objektiv wohl nur durch einen Sachverständigen zu beantwortende – gestellte Frage. Darauf kommt die Antragsgegnerin in ihrer Revisionsbeantwortung zu Recht nicht zurück, hat doch der ordentliche Revisionsrekurs zutreffend Beispiele aus der Rechtsprechung zum Informationsrecht des Gesellschafters aufgezeigt, in denen etwa die Gestattung der „Einsicht in alle [einen bestimmten Zeitraum] betreffenden Handelsbücher, Geschäftspapiere und sonstigen Geschäftsunterlagen der Antragsgegnerin sowie ihrer operativen Tochtergesellschaft [...] sowie die [Erteilung der] verlangten Aufklärungen (Auskünfte), die mit der Ausübung des Bucheinsichtsrechtes zusammenhängen“, aufgetragen wurden (6 Ob 7/96), desgleichen die Beantwortung „schriftliche[r] Anfragen und während der Geschäftszeiten auch mündliche[r] Anfragen über alle Geschäftsangelegenheiten [bestimmter] Geschäftsjahre“ (6 Ob 73/05m). Die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage, ob eine erteilte Antwort die gestellte Frage vollständig beantwortet habe, wäre der Beurteilung in einem Verfahren nach den §§ 35 f EO unterworfen.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf der Entscheidung des Erstgerichts (§ 78 Abs 1 AußStrG).

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