Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.132,28 EUR (darin 355,38 EUR Umsatzsteuer) und den Nebenintervenienten die mit 2.346,68 EUR (darin 391,11 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten deren Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:
Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, dass die Auslegung aktienrechtlicher Stimmverbote auf juristische Personen, die unter dem Einfluss von mit einem Stimmverbot belegten Organmitgliedern stehen, für die Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung von erheblicher Bedeutung sei, wobei Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für einen Fall vergleichbarer Konstellation fehle.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und ein weiteres Aufsichtsratsmitglied sind Hälftegesellschafter der V*****gesellschaft mbH und jeweils deren alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer. Die V*****gesellschaft mbH hält einerseits rund 0,2 % des Aktienkapitals der börsennotierten Beklagten und ist zu 99 % Eigentümerin der T***** S.A. in Luxemburg, die ihrerseits Alleingesellschafterin der F***** GmbH ist. Diese wiederum hält 72,9 % des Aktienkapitals der Beklagten.
Die Vorinstanzen erklärten am 14. 5. 2009 in der Hauptversammlung der Beklagten gefasste Beschlüsse über die Ablehnung von Sonderprüfungen und über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten sowie des weiteren Aufsichtsratsmitglieds für nichtig und stellten fest, dass die Sonderprüfungen beschlossen worden seien; die F***** GmbH sei zu Unrecht nicht von der Stimmrechtsausübung ausgeschlossen worden.
Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss der Kläger seinen Anspruch nicht individualisieren, also rechtlich qualifizieren. Es genügt vielmehr, dass er seinen aus irgendeinem Rechtsgrund ableitbaren Anspruch durch das Vorbringen von Tatsachen umschreibt (Substanziierungstheorie; RIS-Justiz RS0037447). Dies gilt auch für Anfechtungsklagen nach § 41 GmbHG und nach § 195 AktG (7 Ob 300/05a ecolex 2006, 493 [Reich-Rohrwig]); hier muss der Kläger zwar sämtliche Anfechtungsgründe samt wesentlichem Sachverhalt darlegen, er muss aber lediglich die „Angriffsrichtung“ erkennen lassen.
Hier hat der Kläger bereits in der Klage ausführlich dargestellt, dass er die in der Hauptversammlung der Beklagten gefassten, nunmehr angefochtenen Beschlüsse deshalb für nichtig hält, weil die Aktionärin F***** GmbH nicht von der Abstimmung ausgeschlossen worden war, obwohl der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und ein weiteres Aufsichtsratsmitglied im Weg mehrerer zwischengeschalteter Gesellschaften Einfluss auf die Aktionärin hatten. Ob das geltend gemachte Stimmverbot nach § 114 AktG oder nach § 118 AktG zu beurteilen ist, ist eine Rechtsfrage, die der Kläger bei Geltendmachung seines Anspruchs nicht zu qualifizieren brauchte; seine „Angriffsrichtung“ war ausreichend erkennbar. Von einem - tatsächlich unzulässigen (7 Ob 300/05a) - Nachschieben von Anfechtungsgründen kann somit nicht die Rede sein.
Im Übrigen betrifft die Auslegung von Parteienvorbringen grundsätzlich den Einzelfall; eine Frage der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung liegt somit nicht vor.
2.1. Der erkennende Senat hat in jüngerer Zeit bereits mehrfach klargestellt, dass das Stimmverbot des § 118 Abs 1 Satz 2 AktG idF vor dem AktRÄG 2009 auch für eine juristische Person gilt, deren organschaftlicher Vertreter zugleich Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied der Aktiengesellschaft ist, wenn dieser die juristische Person derart vollständig beherrscht, dass die Ausübung des Stimmrechts seiner alleinigen Willensentschließung unterliegt beziehungsweise wirtschaftlich von einer Identität zwischen juristischer Person und Vertreter gesprochen werden kann (6 Ob 28/08y GesRZ 2008, 304 [S. Schmidt]; 6 Ob 98/08t; ebenso [zu § 39 Abs 4 GmbHG] 6 Ob 49/09p GesRZ 2010, 57 [Pachinger] = RWZ 2010/11 [Wenger]). Diese Rechtsprechung fand in der Literatur durchwegs Zustimmung (vgl nur S. Schmidt, GesRZ 2008, 304; Pachinger, GesRZ 2010, 57; Wenger, RWZ 2010, 40).
Wären der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und das weitere Aufsichtsratsmitglied Geschäftsführer der F***** GmbH gewesen, wäre diese aufgrund bereits gefestigter Rechtsprechung ohne Zweifel von der Stimmrechtsausübung ausgeschlossen gewesen.
2.2. Dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und das weitere Aufsichtsratsmitglied zwar nicht Geschäftsführer der F***** GmbH waren, wohl aber jeweils allein vertretungsbefugte Geschäftsführer und Hälftegesellschafter der V*****gesellschaft mbH, ändert daran nichts. Diese ist nämlich die Großmuttergesellschaft der F***** GmbH, wobei zwischen Großmutter- und Muttergesellschaft (T***** S.A.) einerseits und Muttergesellschaft und F***** GmbH andererseits (praktisch) Beteiligungen zu 100 % bestehen. Auch wenn der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und das weitere Aufsichtsratsmitglied somit - wie von der Beklagten behauptet - weder in der T***** S.A. noch in der F***** GmbH Organfunktionen ausüben, ist von einer vollständigen Beherrschungsmöglichkeit der F***** GmbH durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten und das weitere Aufsichtsratsmitglied beziehungsweise einer wirtschaftlichen Identität dieser Personen auszugehen. Es muss in einem solchen Fall dann damit gerechnet werden, dass die Stimmabgabe der F***** GmbH von der Befangenheit ihrer Organmitglieder geprägt ist (6 Ob 49/09p); im Übrigen gebietet die ratio des § 118 Abs 1 Satz 2 AktG - entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung - eine extensive Auslegung des Stimmverbots (6 Ob 49/09p; vgl auch RIS-Justiz RS0123704).
Lehnte man bei der vorliegenden Konstellation im Sinn der Ausführungen der Revision ein Stimmverbot ab, wäre es ein Leichtes, die zu 2.1. dargestellte Rechtsprechung dadurch zu unterlaufen, dass Vorstandsmitglieder oder Aufsichtsräte der Abstimmungs-AG nicht Geschäftsführer und Gesellschafter der Mehrheitsaktionärin sind, sondern ein oder zwei Konzernebenen mit (praktisch) 100%igen Beteiligungsverhältnissen dazwischen schieben. Gerade der vorliegende Sachverhalt zeigt ja, dass die tatsächliche wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der V*****gesellschaft mbH und der Beklagten erfolgte, geht es bei den beschlossenen Sonderprüfungen doch um die geschäftlichen Beziehungen zwischen diesen beiden Unternehmen und die Rückzahlung des gesamten Genussrechtskapitals an die V*****gesellschaft mbH.
2.3. Dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten und das weitere Aufsichtsratsmitglied „nur“ jeweils zu 50 % an der V*****gesellschaft mbH beteiligt sind, womit - nach Auffassung der Revision - ein beherrschender Einfluss von keinem von ihnen ausgeübt werden könne, ändert daran nichts, selbst wenn zwischen den beiden keine Syndikatsvereinbarungen oder Stimmbindungsverträge bestehen: Tatsächlich waren ja beide Personen aufgrund ihrer jeweiligen Alleinvertretungsbefugnis in der Lage, die Ausübung des Stimmrechts der F***** GmbH in der Hauptversammlung der Beklagten zu beeinflussen (Pachinger, GesRZ 2010, 57 in ihrer Entscheidungsanmerkung zu 6 Ob 49/09p, wo ohnehin auch auf die Entscheidungen 6 Ob 28/08y und 6 Ob 98/08t und den dort behandelten Interessenwiderstreit bei mehreren Organwaltern hingewiesen wurde). Im Übrigen entspricht es durchaus der Auffassung von Teilen der Literatur, dass für ein Stimmverbot bereits auch ein geringerer Grad an beherrschendem Einfluss ausreicht (S. Schmidt, Stimmverbote in der GmbH [2003] 107; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 39 Rz 38; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht [2008] Rz 3/627; ebenso Wenger, RWZ 2010, 40); diese Auffassung wurde in den Entscheidungen 6 Ob 28/08y, 6 Ob 98/08t und 6 Ob 49/09p nicht abgelehnt, wurde dort doch jeweils ohnehin eine vollständige Beherrschung angenommen. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten selbst die V*****gesellschaft mbH von der Ausübung ihres Stimmrechts ausgeschlossen hat.
2.4. Der Oberste Gerichtshof hat in jüngerer Zeit seine Rechtsprechung zu Stimmverboten juristischer Personen bei Beschlussfassungen betreffend Sonderprüfungen und Entlastung von Organwaltern sowohl bei Aktiengesellschaften als auch bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung gefestigt. Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf konkrete Sachverhalte stellt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.
3. Die Beklagte will die in § 118 Abs 2 AktG idF vor dem AktRÄG 2009 (nunmehr: § 130 Abs 2 AktG idgF) stipulierte Kapitalschwelle von 10 % für eine Antragstellung auf Bestellung von Sonderprüfern durch das Gericht auch auf die Beschlussfassung über Sonderprüfungen anwenden. Scheide der Mehrheitsaktionär aufgrund eines Stimmverbots aus, könnte ansonsten auch ein Aktionär mit nur einer einzigen Aktie eine Sonderprüfung beschließen; damit wäre „eine Beschlussfassung über Sonderprüfungen in Aktiengesellschaften mit einem Mehrheitsaktionär immer möglich, zumal [dieser] immer einem Stimmverbot unterläge“.
Die Beklagte verkennt mit ihrer Argumentation, dass das Stimmrechtsverbot des § 118 Abs 1 Satz 2 AktG nicht den Mehrheitsaktionär als solchen trifft, sondern nur einen Aktionär, der zugleich Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Abstimmungs-AG ist oder dieses Mitglied die Aktionärin (als juristische Person) beherrscht (vgl 2.3.). Ist eine solche Situation gegeben, führt aber auch eine Interessenabwägung zu einer Stärkung der Rechte der Minderheitsgesellschafter; insofern ist die Festlegung einer Kapitalschwelle zwar in § 118 Abs 2 AktG, nicht jedoch auch in § 118 Abs 1 AktG durch den Gesetzgeber durchaus systemkonform; für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in Abs 1 kann der Oberste Gerichtshof keinen Anhaltspunkt erkennen.
Da die Regelung des § 118 Abs 1 und 2 AktG in der von der Revision aufgeworfenen Frage eindeutig erscheint und sich die Beklagte für ihre Auffassung auch auf keinerlei Rechtsprechung (die angeführte Entscheidung 6 Ob 22/94 ist nicht einschlägig) oder Literaturstelle zu stützen vermag, liegt auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vor.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Sowohl der Kläger als auch die Nebenintervenienten haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Schriftsätze sind daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Den Nebenintervenienten stehen allerdings lediglich 10 % Streitgenossenzuschlag zu.
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