OGH 6Ob148/24v

OGH6Ob148/24v20.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*, 2. H*, beide *, vertreten durch Dr. Katrin Hainbuchner und andere Rechtsanwälte in Kirchberg in Tirol, wider die beklagten Parteien 1. P*, Slowakei, 2. K*, Slowakei, 3. B* GmbH, *, alle vertreten durch Mag. Michal Slany, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlich 14.400 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 13. Juni 2024, GZ 4 R 52/24m‑87, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 15. Februar 2024, GZ 1 C 57/22p‑81, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00148.24V.0920.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichts wird im Verfahren gegen die erst- und zweitbeklagten Parteien wiederhergestellt.

Die erst- und zweitbeklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.575,94 EUR (darin enthalten 429,32 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Über die zwischen den Parteien anhängige Mietzins‑ und Räumungsklage wurde vom Erstgericht mit Urteil vom 1. 2. 2023 im klagsstattgebenden Sinn entschieden. Dieses Urteil umfasste damit auch den für den Monat November 2022 in Höhe von 14.400 EUR geltend gemachten Betrag, um welchen die Kläger in der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 24. 11. 2022 die Klage ausgedehnt hatten. Diese Tagsatzung war von den Beklagten unbesucht geblieben.

[2] Infolge der (Nichtigkeits-)Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil als Teilurteil im Umfang des ursprünglichen Klagsbetrags. Im Umfang der Fällung einer Entscheidung auch über den – in Abwesenheit der Beklagten – ausgedehnten Betrag von 14.400 EUR hob es hingegen das Ersturteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten (als nichtig) auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

[3] Der gegen das Teilurteil erhobenen außerordentlichen Revision der Beklagten wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 17. 1. 2024 zu 6 Ob 222/23z nicht Folge geben.

[4] Nach Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs erklärten die Kläger mit Schriftsatz vom 14. 2. 2024, das „Klagebegehren auf Zahlung des Bestandzinses für den Monat November 2022 in der Höhe von EUR 14.400,00 samt 4 % Zinsen seit 02.11.2022 ohne Anspruchsverzicht zurückzuziehen“.

[5] Das Erstgericht nahm die Zurücknahme des restlichen Klagebegehrens (beschlussmäßig und gegenüber allen Beklagten) zur Kenntnis. Die Klagszurückziehung ohne Anspruchsverzicht sei zulässig, weil die Beklagten mangels Teilnahme an der Tagsatzung vom 24. 11. 2022 noch nicht einbezogen worden seien.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Erst- und der Zweitbeklagten (im Weiteren nur mehr: die Beklagten) Folge und wies die Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht im Verfahren gegen diese beiden Beklagten zurück. Eine Klagszurücknahme ohne Zustimmung der Beklagten sei aufgrund der damaligen Berufung nicht mehr möglich, weil damit bereits eine Streiteinlassung erfolgt sei. Mit der ersten prozessual vorgesehenen Handlung dem Gericht gegenüber anerkenne der Gesetzgeber den vom Beklagten geltend gemachten kostenrelevanten Aufwand als ausreichend, die Zurücknahme der Klage ohne Anspruchsverzicht nicht mehr zuzulassen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage der Streiteinlassung durch Erhebung einer Berufung fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der von den Beklagten beantwortete Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[8] 1. Der Beschluss, mit dem eine Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt wird, also auch ein solcher, mit dem eine Klagsrücknahme zur Kenntnis genommen wird, ist nach ständiger Rechtsprechung anfechtbar (RS0039796; RS0037404).

[9] 2. § 237 ZPO soll – unter den darin normierten Bedingungen – eine mehrmalige Inanspruchnahme des Beklagten wegen desselben materiell‑rechtlichen Anspruchs gegen seinen Willen, also ohne die endgültige Klärung des Streitfalls herbeiführen zu können, verhindern (vgl RS0039805; 7 Ob 67/01f).

[10] Die Parteien stellen für jenen Zeitpunkt, ab dem die Klagsrücknahme nicht mehr ohne Anspruchsverzicht und ohne Zustimmung der Gegenseite möglich sein soll, auf deren „Streiteinlassung“ ab, wobei sie ihre schon im Rekursverfahren verfolgte Argumentation wiederholen. Die Kläger unterstreichen, es habe eine Streiteinlassung im Verfahren erster Instanz mangels Vortrags in der Verhandlung nicht stattgefunden. Die Beklagten stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, es genüge für die nach außen hin erkennbare Streiteinlassung die Bestreitung des Klagsanspruchs mittels Berufung.

[11] 3.1. Soweit beide Parteien über den Zeitpunkt der „Streiteinlassung“ debattieren, gilt es klarzustellen, dass dieser Begriff in § 237 Abs 1 ZPO nicht verwendet wird. Für die Frage der Zulässigkeit der Klagsrücknahme kommt es zentral darauf an, ob jene prozessualen Schritte (oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Schritte) gesetzt wurden, wie sie von § 237 Abs 1 ZPO als die Möglichkeit der Zurücknahme einer Klage ohne Verzicht auf den Anspruch und ohne Zustimmung des Gegners verhindernd normiert worden sind, ob also insofern eine „Streiteinlassung“ in dem von § 237 Abs 1 ZPO angesprochenen Sinn bereits stattgefunden hat.

[12] 3.2. Das Gesetz knüpft in § 237 Abs 1 ZPO an das „Einlangen der Klagebeantwortung oder des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl“ an.

[13] Nach der zuvor (vor dem Entfall der ersten Tagsatzung und der Einführung des Mahnverfahrens auch im Gerichtshofverfahren mit der ZVN 2002) geltenden Fassung von § 237 ZPO (BGBl 1983/135) konnte die Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht und ohne Zustimmung des Beklagten „bis zum Beginn der ersten Tagsatzung, wenn aber der Beklagte zu dieser nicht erscheint, auch noch in der ersten Tagsatzung und, wenn keine erste Tagsatzung stattfindet (§ 243 Abs 4), noch bis zum Einlangen der Klagebeantwortung zurückgenommen werden“.

[14] Diese das Verfahren vor den Gerichtshöfen regelnde Bestimmung war (immer schon) auch im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwenden (§ 431 Abs 1 ZPO idStF).

[15] 3.3. Auch wenn damit im bezirksgerichtlichen Verfahren außerhalb des Mahnverfahrens der maßgebliche Zeitpunkt mittlerweile im Gesetz nicht (mehr) explizit geregelt ist, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur ZVN 2002, dass damals (bloß) jener Zeitpunkt wegen des mit der Novelle normierten Entfalls der ersten Tagsatzung (offenbar ohne besondere Beachtung des bezirksgerichtlichen Verfahrens) als „einfacher“ zu umschreiben angesehen worden (962 BlgNR 21. GP  29) und eine Änderung der Rechtslage nicht angestrebt war (so auch Annerl, Zeitliche Grenzen der Zurücknahme der Klage, ÖJZ 2014, 251).

[16] Im bezirksgerichtlichen Verfahren außerhalb des Mahnverfahrens ist daher (weiterhin) die Zurücknahme ohne Anspruchsverzicht und ohne Zustimmung auch nach Beginn der vorbereitenden Tagsatzung vor Eingehen in die Verhandlung zur Sache möglich (1 Ob 99/06z unter Verweis auf Fasching, Lehrbuch² Rz 1247; zust Annerl, aaO [253]; Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 237 ZPO Rz 17).

[17] 3.4. Zwar soll – wie eingangs ausgeführt – § 237 ZPO eine mehrmalige Inanspruchnahme des Beklagten gegen seinen Willen wegen desselben materiell‑rechtlichen Anspruchs, ohne dessen endgültige Klärung des Streitfalls herbeiführen zu können, verhindern (vgl RS0039805; 7 Ob 67/01f). Die Bestimmung knüpft dafür aber nicht daran an, ob dem Beklagten schon ein Aufwand erwachsen ist (weil etwa die Klagebeantwortung schon erstellt, aber noch nicht eingelangt ist), und auch nicht daran, ob ein Beklagter dem Gericht gegenüber erkennbar eine Reaktion auf die Klage gezeigt hat (etwa durch das Erscheinen in der vorbereitenden Tagsatzung), woraus im Allgemeinem geschlossen werden kann, dass er sich der Forderung widersetzen will.

[18] Kostenfolgen entstehen einem Beklagten – sofern er nicht darüber eine Vereinbarung mit dem Kläger schließt – ohnehin (gleich, ob die Klagerücknahme ohne oder unter Anspruchsverzicht erklärt wird) nicht, weil § 237 Abs 3 ZPO dafür sorgt, dass dem Beklagten die Kosten in jedem Fall zu ersetzen sind.

[19] 3.5. Erkennbar hat § 237 ZPO ein typisches und regelhaft verlaufendes erstinstanzliches Verfahren über „die Klage“ vor Augen. Weder wird darin – wiewohl die Zivilprozessordnung die Möglichkeit einer Klageänderung in § 235 ZPO vorsieht – auf eine Klageausdehnung rekurriert noch wird auf nicht regelhafte Verfahrensabläufe Rücksicht genommen (wie etwa hier: Fällung eines Urteils nach Ausdehnung in Abwesenheit der Gegenseite, sodass die Beklagten erst über die Zustellung von Protokoll und Urteil über die Geltendmachung dieser Forderung in Kenntnis gesetzt wurden).

[20] 3.6. Der erkennende Senat teilt bei Betrachtung des vorliegenden Sonderfalls die Ansicht des Rekursgerichts, in der Berufung liege eine Streiteinlassung iSd § 237 Abs 1 ZPO, sodass eine Zurücknahme der Klage ohne Anspruchsverzicht ohne Zustimmung der Beklagten nicht mehr möglich war, nicht:

[21] Die Berufungsschrift ist nicht Teil des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern des Verfahrens zweiter Instanz. Die darin enthaltenen Erklärungen dienen dazu, Nichtigkeiten, Verfahrens- oder Entscheidungsfehler des Erstgerichts aufzugreifen. Eine an das Erstgericht gerichtete (und dort eingelangte) Prozesserklärung, wie sie in § 237 ZPO mit dem Einspruch oder der Klagebeantwortung (oder der Bestreitung in der Sache in der vorbereitenden Tagsatzung) angesprochen wird, liegt darin nicht. Durch die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung in die erste Instanz wird das Verfahren vielmehr in einen bestimmten Stand des erstgerichtlichen Verfahrens „zurückgesetzt“.

[22] Die Rückverweisung erfolgte hier in ein Prozessstadium, in dem die Kläger die Forderung zwar bei Gericht erhoben hatten, eine Ladung der Beklagten diesbezüglich aber noch nicht erfolgt war. Damit ist aber die Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem eine „erste“ Prozesshandlung der Beklagten im Verfahren erster Instanz noch ausstand, und konnte seitens der Kläger (wirksam) ohne Anspruchsverzicht und ohne Zustimmung der Beklagten erfolgen.

[23] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50 und 41 ZPO. Die Klärung der Frage nach einer Beendigung des Verfahrens erfolgte in einem selbständigen Zwischenstreit (1 Ob 99/06z; 2 Ob 54/18g). Der Kostenvorbehalt (in der Hauptsache) steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit nicht entgegen (vgl RS0129365 [T3]). Das Rechtsmittelverfahren betraf die drittbeklagte Partei nicht, weswegen der Streitgenossenzuschlag zu kürzen war.

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