European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132684
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Die Minderjährige erlitt am 22. 4. 2016 durch einen protrahierten Krampfanfall einen schweren Sauerstoffmangel sowie in weiterer Folge eine hypoxisch‑ischämische Enzephalopathie. Seitdem ist sie ein Pflegefall. Im Zuge des Krampfanfalls kam es zu einem Notarzteinsatz. Zwischen der Minderjährigen und den T* GmbH besteht derzeit keine Einigkeit darüber, ob die Behandlung anlässlich dieses Einsatzes lege artis erfolgte oder nicht.
[2] Mit Eingabe vom 1. 2. 2021 beantragte die Minderjährige, die Bevollmächtigung von Rechtsanwalt Dr. Thomas Juen als ihre rechtsfreundliche Vertretung pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen. Es sei bereits zum jetzigen Zeitpunkt von einem Leistungsbegehren jenseits von 200.000 EUR auszugehen. Die D* AG lehne eine Rechtsschutzdeckung in Anwendung des § 33 VersVG ab. Derzeit versuche der Rechtsanwalt, auf außergerichtlichem Weg eine Rechtsschutzdeckung für die vorerst außergerichtliche Schadensregulierung mit der T* GmbH zu erreichen. Diesen Antrag wies das Erstgericht unbekämpft ab.
[3] Am 23. 2. 2021 beantragte die Minderjährige neuerlich die Genehmigung der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts. Zwischenzeitlich sei ihr im Rahmen eines freiwilligen Rechtsschutzes von der AK Tirol eine Kostenbeteiligung bis zu einem Maximalbetrag von 2.500 EUR für die außergerichtlichen Vertretungskosten gewährt worden. Der Rechtsanwalt habe bereits mehrfach komplexe schadenersatzrechtliche Fälle im Zusammenhang mit schweren Behandlungsfehlern und kausalen Gesundheitsschäden geführt; in jedem dieser Fälle habe die Vollmacht eine Haftungsbeschränkung beinhaltet, was bislang von den Pflegschaftsgerichten auch akzeptiert worden sei. Unter Berücksichtigung der Versicherungssummen für die zu den Eltern bestehenden Vollmachtsverhältnisse verbleibe für die Minderjährige eine restliche Haftpflichtversicherungssumme von 1.155.000 EUR.
[4] Das Erstgericht lehnte die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ab. Der Rechtsanwalt gehe selbst davon aus, dass in weniger als fünf Jahren ein 200.000 EUR übersteigendes Leistungsbegehren aufgelaufen sei. Dabei sei die Frage des zukünftigen Verdienstentgangs noch nicht mitberücksichtigt. Somit wäre im schlechtesten Fall die Haftungssumme nach etwa 20 Jahren aufgebraucht; die Minderjährige wäre dann gerade einmal 28 Jahre alt. Unter Berücksichtigung des zukünftigen fiktiven Verdienstentgangs reduziere sich dieser Zeitraum weiter. Da die Voraussetzungen für eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung schon dann nicht vorliegen, wenn die Verminderung des Vermögens des Pflegebefohlenen nicht ausgeschlossen werden kann, sehe das Erstgericht keine Möglichkeit, die Beauftragung des Rechtsanwalts zu den festgestellten Bedingungen zu bewilligen.
[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Ein Rechtsgeschäft dürfe dann nicht genehmigt werden, wenn Nachteile für den Pflegebefohlenen auch für die Folgezeit seiner Eigenberechtigung nicht auszuschließen seien. Zu Recht habe das Erstgericht in diese Beurteilung auch die Folgen eines anwaltlichen Kunstfehlers miteinbezogen, weil ein solcher selbst beim versiertesten Rechtsanwalt nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Insofern sei die im Bevollmächtigungsvertrag vorgesehene Haftungsbeschränkung zu berücksichtigen, weil sie im schlimmsten Fall dazu führen könne, dass die Minderjährige im Falle eines anwaltlichen Kunstfehlers keinen vollumfänglichen Schadenersatz erhalte.
[6] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
[8] 1.1. Es entspricht herrschender Auffassung, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch einen Pflegebefohlenen, mit der eine Pflicht zur Kostentragung einhergeht, regelmäßig eine Angelegenheit des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs und daher nach § 167 ABGB genehmigungspflichtig ist (6 Ob 210/07m unter Hinweis auf 10 ObS 86/97p und 6 Ob 258/06v; Nademleinsky in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 167 Rz 26 [S 581 f]). Nademleinsky vertritt deshalb unter Hinweis auf die Entscheidung 4 Ob 158/16p die Auffassung, dass die bloße Erteilung der Vollmacht nicht genehmigungspflichtig sei. Darauf braucht hier aber nicht näher eingegangen zu werden, weil es (primär) nicht um die Frage einer allfälligen Kostenbelastung der Minderjährigen geht, sondern um die Frage, ob aufgrund der mit der Vollmachtserteilung und Beauftragung verbundenen Haftungsbeschränkung des Rechtsanwalts Schutz und Interessen der Minderjährigen (noch) ausreichend gewahrt sind. Damit sind aber die Vorinstanzen – so wie die Minderjährige ja auch selbst – zutreffend von einer Genehmigungsbedürftigkeit des Abschlusses des vorgelegten Bevollmächtigungsvertrags ausgegangen.
[9] 1.2. Im Allgemeinen darf ein Rechtsgeschäft vom Pflegschaftsgericht nur genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse des Pflegebefohlenen liegt und damit dessen Wohl entspricht; es genügt also nicht, wenn diese Handlungen nur „nicht offenbar nachteilig“ sind (vgl RS0129074 [T1]). Umgekehrt darf ein Rechtsgeschäft dann nicht genehmigt werden, wenn Nachteile für den Pflegebefohlenen für die Folgezeit seiner Eigenberechtigung nicht auszuschließen sind (vgl 6 Ob 78/13h).
[10] 1.3 Ob die Genehmigung der Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Anspruchsverfolgung dem Wohl eines Minderjährigen entspricht, kann naturgemäß immer nur aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Diese Frage stellt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar (vgl RS0048207).
[11] 2.1. Nicht entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, dass die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung beim Abschluss eines Mandatsvertrags für Rechtsanwälte standesrechtlich zulässig ist (vgl § 9 RL‑BA 2015). Vielmehr ist im Rahmen der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung entscheidend, ob trotz der Haftungsbegrenzung der pflegebefohlenen Minderjährigen für realistischerweise zu befürchtende Schäden ausreichend Schutz gewährt wird.
[12] 2.2. Im vorliegenden Fall ist die Minderjährige dauernd pflegebedürftig, wobei selbst der Rechtsanwalt und die Minderjährige davon ausgehen, dass bereits in fünf Jahren Leistungsansprüche von 200.000 EUR aufgelaufen sind. Dabei ist der künftige Verdienstentgang noch gar nicht berücksichtigt. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage davon ausgingen, dass die Haftungsbegrenzung auf rund 1,2 Mio EUR nicht dem Wohl der Minderjährigen entspricht, so ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
[13] 2.3. Im vorliegenden Fall wird es daher Aufgabe der gesetzlichen Vertreter sein, sich gegebenenfalls um einen anderen Rechtsanwalt zu kümmern, der über eine höhere Haftpflichtversicherung verfügt.
[14] 3. Zusammenfassend zeigt der Revisionsrekurs somit keine Rechtsfrage der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung auf.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)