OGH 6Ob123/99b

OGH6Ob123/99b15.7.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der zu FN 170715b des Firmenbuches beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz angemeldeten A***** Ltd mit dem Sitz in *****, Vereinigtes Königreich England, und der Zweigniederlassung in Graz, vertreten durch den Geschäftsführer Hubertus Leonardus Gerardus S*****, dieser vertreten durch Dr. Richard Benda, Rechtsanwalt in Graz, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 24. März 1999, GZ 4 R 42/99z-12, womit der Beschluß des Landes- als Handelsgericht Graz vom 29. Jänner 1999, GZ 27 Fr 3269/98y-9, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Eintragungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Abweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Die A***** Ltd ist eine in Großbritannien am 7. 1. 1998 nach dem Gesetz über Kapitalgesellschaften (Companies Act 1985 und 1989) gegründete, im Gesellschaftsregister des Companies House Cardiff unter der Firmennummer 3489887 eingetragene Kapitalgesellschaft. Der Führer des Gesellschaftsregisters bestätigte am 1. 4. 1998, daß die "A***** Ltd am 7. Jänner 1998 gemäß Companies Act 1985 als Kapitalgesellschaft gegründet wurde und weiters,

"daß gemäß den in Evidenz gehaltenen Dokumenten der Gesellschaft:

a) Hubertus Leonardus Gerardus S***** der Direktor der Gesellschaft ist,

b) Andrea Ricarda Maria S***** der Sekretär der Gesellschaft ist,

c) der eingetragene Firmensitz der Gesellschaft *****, F***** ist,

d) das Stammkapital der Gesellschaft j100 (einhundert Pfund) beträgt und auf 100 (einhundert) Anteile zu je j1 (einem Pfund) aufgeteilt ist.

Gemäß den beim Führer der Gesellschaftsregisters in Evidenz gehaltenen Dokumenten der Gesellschaft hat die Gesellschaft seit ihrem Gründungsdatum ohne Unterbrechung bestanden.

Derzeit wird vom Führer des Gesellschaftsregisters keine Handlung gesetzt, um die Gesellschaft aus dem Register zu streichen oder zu löschen. Nach dem Kenntnisstand des Registerführers

a) ist die Gesellschaft nicht in Liqidation begriffen und liegt kein Konkursbeschluß gegen die Gesellschaft vor, und

b) wurde für das Gesellschaftsvermögen kein Zwangs- oder Vermögensverwalter bestellt."

Mit dem beim Firmenbuchgericht am 11. 5. 1998 eingelangten, mit 7. 5. 1998 datierten Schriftsatz beantragte die Gesellschaft, vertreten durch ihren Direktor, die Eintragung einer Zweigniederlassung des ausländischen Rechtsträgers im Firmenbuch des Erstgerichtes. Das Eintragungsgesuch hat folgenden Wortlaut:

"Beantragt wird die Eintragung der A***** Ltd als Zweigniederlassung im Handelsregister Graz.

Firmenname: A***** Ltd

registriert in: Companies House, Cardiff zu Firmen-Nr. 3489887

Rechtsform: Personenbezogene Kapitalsgesellschaft mit Haftungsbeschränkung

Personalstatut: Vereinigtes Königreich England

Sitz: F*****

Geschäftsanschrift: *****, F*****

Geschäftszweig: Geschäftstätigkeit als allgemeine Handelsgesellschaft

Aufgrund des EU-Gesellschaftsrechts- änderungsgesetzes ist die ausländische Firma als Hauptniederlassung und die inländische Zweigniederlassung als Zweigniederlassung 001 eingetragen.

Gesellschaftsvertrag vom 7. 1. 1998

Kapital: Englische Pfund 100

Bilanzstichtag: 1. 1.

Geschäftsführer: Hubertus Leonardus Gerardus S***** vertritt ab Eintragung

Ständiger Vertreter: Andrea Ricarda Maria S***** vertritt ab Eintragung

Inländische Zweigniederlassung 001 Graz

Firma: A***** Ltd Niederlassung Österreich

Ort der Zweigniederlassung 001 in politische Gemeinde Graz

Geschäftsanschrift: *****

Tätigkeit: Unternehmensberatung

Rechtsform besteht seit 7. 1. 1998

Personen: Hubertus Leonardus Gerardus S*****

Andrea Ricarda Maria S***** vertritt ab Eintragung

Dem Gesuch waren folgende Urkunden angeschlossen:

Die schon angeführte Bestätigung des Führers des Gesellschaftsregisters vom 1. 4. 1998; die Gründungsurkunde vom 15. 12. 1997; die Statuten einer Kapitalgesellschaft (Mustersatzung); ein Schreiben vom 7. 5. 1998 über die Bestellung des Direktors zum Geschäftsführer der A***** Ltd; eine Gesellschafterliste; ein Verzeichnis der Geschäftsführer; Meldezettel des Geschäftsführers über dessen Hauptwohnsitz in 8074 R*****.

Die Gründungsurkunde vom 15. 2. 1997 nennt den Namen der Gesellschafter, den beabsichtigten Sitz der Gesellschaft in England und Wales, den in der Geschäftstätigkeit als allgemeine Handelsgesellschaft bestehenden Zweck der Gesellschaft, die Beschränkung der Haftung der Gesellschafter, das Stammkapital von 100 Pfund, aufgeteilt auf 100 Anteile je 1 Pfund, die Annahme der Mustersatzung durch die Gesellschaft, die Namen der unterzeichnenden Gründungsgesellschafter und ihre Anteile (S*****, Hubertus Leonardus Gerardus 90 Anteile; S*****, Andrea Ricarda Maria 10 Anteile).

Das Erstgericht forderte die Gesellschaft mit Beschluß vom 9. 6. 1998 auf,

a) ein Gutachten der zuständigen Wirtschaftskammer über die ordnungsgemäße Errichtung der Zweigniederlassung entsprechend den handelsrechtlichen Bestimmungen vorzulegen;

b) von den vertretungsbefugten Organen Musternamenszeichnungen in öffentlich beglaubigter Form vorzulegen, und zwar sowohl hinsichtlich der Geschäftsführer als auch der ständigen Vertreter;

c) die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des regional zuständigen Finanzamtes vorzulegen.

Das Erstgericht forderte die Gesellschaft ferner auf, mittels ergänzender Anmeldung entweder eine Geschäftsanschrift in der politschen Gemeinde Graz zur Eintragung anzumelden oder aber den Sitz der Zweigniederlassung mit "R*****" anzumelden; beim vertretungsbefugten Organ der Hauptniederlassung sei der Beginn der Vertretungsbefugnis anzumelden (ON 2).

Nach mehreren Fristverlängerungen langte am 28. 8. 1998 eine ergänzende Anmeldung der Gesellschaft beim Firmenbuchgericht ein, mit der ein Gutachten der Wirtschaftskammer, die steuerliche Unbedenklichkeits- bescheinigung des Finanzamtes und eine beglaubigte Musterzeichnung des Geschäftsführers nachgereicht wurden. Die Gesellschaft teilte ferner mit, daß Andrea Ricarda Maria S***** nach der Gründungsurkunde "Sekretäry" sei, wobei diese Funktion im österreichischen Recht nicht bekannt sei. Es handle sich um eine reine Protokollar- oder Urkundfunktion innerhalb der Gesellschaft, die nicht nach außen hin eine Vertretungsbefugnis einräume. Der Sitz der Zweigniederlassung werde mit "R*****" angemeldet, der Geschäftsführer vertrete ab 7. 5. 1998 (ON 6).

Mit Beschluß vom 7. 9. 1998 forderte das Erstgericht die Gesellschaft auf, binnen 4 Wochen

1. eine Musternamenszeichnung sämtlicher vertretungsbefugter Organe vorzulegen und

2. eine Bestätigung der für die Hauptniederlassung zuständigen Gewerbebehörde über den Bestand und die regelmäßige Geschäftstätigkeit sowie die Art der Geschäfte der Gesellschaft vorzulegen, weil eine Zweigniederlassung begrifflich den Bestand einer Hauptniederlassung voraussetze. Wegen des zeitlichen Zusammenhanges zwischen der Anmeldung der Hauptniederlassung und derjenigen der Zweigniederlassung bestehe der Verdacht, daß die Gesellschaft nur die strengeren Gründungsvorschriften zur Gründung einer Gesellschaft mbH umgehen wolle (ON 7). Das Erstgericht wiederholte diese Aufforderung am 30. 11. 1998 unter Setzung einer neuerlichen 4wöchigen Frist.

Die Gesellschaft entsprach der Aufforderung des Erstgerichtes nicht.

Das Firmenbuchgericht wies den Antrag auf Eintragung einer Zweigniederlassung des ausländischen Rechtsträgers ab. Bei der einschreitenden Gesellschaft handle es sich um eine nach dem Personalstatut des Vereinigten Königreichs England gegründete personenbezogene Kapitalgesellschaft mit Haftungsbeschränkung. Sämtliche Gründer hätten ihren Wohnsitz in Österreich. Das Kapital der Gesellschaft betrage 100 Pfund. Es bestehe der Verdacht, daß die Gesellschaft nur als "Briefkastenfirma" existiere und daß durch die Anmeldung die strengeren österreichischen Gründungsvorschriften umgangen werden sollten. Die Gesellschaft habe der mehrfachen Aufforderung, eine Bestätigung über den Bestand und die regelmäßige Geschäftstätigkeit vorzulegen, nicht entsprochen. Zwar würden in der anzuwendenden Bestimmung des § 107 GmbHG idF des EU-GesRÄG 1996 eine Bestätigung über die Geschäftstätigkeit der Hauptniederlassung nicht mehr verlangt. Damit werde aber das Firmenbuchgericht nicht seiner materiellen Prüfungspflicht enthoben. Für das Personalstatut einer juristischen Person sei nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung und § 10 IPRG der Sitz der Hauptverwaltung ausschlaggebend. Dies sei jener Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen über die Unternehmensleitung und die laufenden Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Unerheblich sei der Ort, den eine "Briefkastenfirma" als ihren Sitz angebe. Die einschreitende Gesellschaft weise daher tatsächlich ein österreichisches Personalstatut auf und hätte daher nach österreichischem Recht als GesellschaftmbH gegründet werden müssen, um Rechtspersönlichkeit zu erlangen. Damit werde nicht gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, weil tatsächlich bestehende ausländische Gesellschaften in einem anderen Staat durchaus eine Zweigniederlassung gründen könnten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Gesellschaft nicht Folge. Gemäß § 13 HGB idF des EU-GesRÄG sei bei der Anmeldung der inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft diese selbst in das Firmenbuch einzutragen und das Bestehen des Rechtsträgers als solchen nachzuweisen. Dies gelte gemäß § 107 Abs 4 GmbHG auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland. Der Nachweis des Bestehens eines Rechtsträgers könne durch einen Auszug aus dem Register, bei dem der Rechtsträger geführt werden, erbracht werden. Nach der Judikatur des EuGH verstoße ein Mitgliedstaat, der die Eintragung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigere, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz habe, rechtmäßig errichtet worden sei, aber keine Geschäftstätigkeit entfalte, gegen die Art 52 und 58 EG-Vertrag, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen solle, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet worden sei, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stelle. Es sei gerade das Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit, es den nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden. Daß eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz habe, keine Geschäftstätigkeit entfalte und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübe, belege noch kein mißbräuchliches oder betrügerisches Verhalten, das es dem letzteren Mitgliedstaat erlauben würde, auf diese Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden. Nach dieser Auffassung des EuGH würde somit der Nachweis des rechtlichen Bestehens des Rechtsträgers bei der Anmeldung nach § 13 Abs 2 HGB genügen. Der Nachweis einer tatsächlichen Geschäftstätigkeit am Sitz der Hauptniederlassung wäre nicht erforderlich. Nach Auffassung des Rekursgerichtes sei nach § 13 Abs 3 HGB in das Firmenbuch unter anderem auch das Personalstatut des Rechtsträgers einzutragen. Das Personalstatut sei - worauf das Erstgericht zutreffend unter Hinweis auf oberstgerichtliche Rechtsprechung hinweise - nach § 10 IPRG das Recht des Staates, in dem das Gebilde den tatsächlichen Sitz seiner Hauptverwaltung habe. Österreich folge damit der in Kontinentaleuropa vorherrschenden Sitztheorie. Nach dem Personalstatut entscheide es sich, ob ein Gebilde rechtsfähig sei. Folge der Sitztheorie sei es dann aber, daß juristische Personen, die in den Staat, in dem die Gründungstheorie gelte, registriert seien, zwar dort, aber nicht in dem Staat, in dem sich ihr Hauptsitz befinde, Träger von Rechten und Pflichten sein könnten. Diese Auffassung werde auch in der deutschen Judikatur vertreten. Das Firmenbuchgericht habe Eintragungsgesuche in formeller und materieller Hinsicht zu prüfen. Es gelte der Untersuchungsgrundsatz. Wenn das Firmenbuchgericht aufgrund bestimmter Umstände Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Gesuch zugrundeliegenden Tatsachen hege, habe es den Sachverhalt zu prüfen. Hier sei das Erstgericht zur Prüfung des tatsächlichen Sitzes der angemeldeten Gesellschaft befugt gewesen. Da die Antragstellerin trotz wiederholter Aufforderung die vom Erstgericht zum Nachweis des tatsächlichen Bestandes der Hauptniederlassung aufgetragene Bestätigung nicht vorgelegt habe, sei das Eintragungsbegehren zu Recht abgewiesen worden. Ob den Unterschieden in der Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes der Hauptniederlassung und der Zweigniederlassung sowie dem unentsprochen gebliebenen Auftrag zur Vorlage einer Musterzeichnung der in der Anmeldung genannten ständigen Vertreter Relevanz zukomme, könne dahingestellt bleiben.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Rechtsfrage der materiellen Prüfungspflicht hinsichtlich des tatsächlichen Sitzes der Hauptniederlassung einer ausländischen Gesellschaft iVm den Art 52 und 58 EGV erhebliche Bedeutung zukäme.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Gesellschaft, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Erstgericht die Eintragung der Gesellschaft aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

Die Rekurswerberin geht von ihrem ausländischen Personalstatut aus und führt zur Zulässigkeit der Eintragung ihrer Zweigniederlassung in Österreich das Erkenntnis des EuGH vom 9. 3. 1999 ins Treffen. Überlegungen in Richtung eines Gläubigerschutzes wegen zu geringen Firmenkapitals seien im Hinblick auf diese Rechtsprechung nicht relevant.

Der erkennende Senat hat folgendes erwogen:

Im Falle der Eintragung einer inländischen Zweigniederlassung durch eine Gesellschaft, die ihren (satzungsgemäßen, siehe Koppensteiner, GmbHG2 Rz 8 zu § 107) Sitz im Ausland hat, ist Gegenstand der Eintragung die ausländische Gesellschaft selbst (§ 13 Abs 1 HGB; Materialien zum EU-GesRÄG RV 32 BlgNr 20. GP 110). Wie und wann diese als Rechtspersönlichkeit entstanden ist, richtet sich nach dem für die Gesellschaft geltenden Recht. Das Firmenbuchgericht hat wohl das Personalstatut des Rechtsträgers ins Firmenbuch einzutragen, im Zusammenhang mit der Eintragung jedoch nicht die Gründung der Gesellschaft, sondern (nur) die Errichtung der Zweigniederlassung zu beurteilen, wobei die materielle Zulässigkeit der Anmeldung nicht davon abhängt, daß der Gesellschaftsvertrag dem österreichischen GmbHG entspricht (sodaß beispielsweise auch die in § 10 Abs 3 GmbHG geforderten Erklärungen nicht verlangt werden können, vgl Koppensteiner aaO Rz 13). Voraussetzung der Eintragung der Zweigniederlassung ist aber auch, daß die Gesellschaft im Inland anerkannt wird, was nach österreichischem IPRG zu beurteilen ist (Koppensteiner aaO Rz 6 zu § 107, 112 - 114 GmbHG und Rz 19 Allg Einl.; Korn/Thaler, Das Urteil des EuGH in der Rs Centros: Ein Meilenstein für das europäische Gesellschaftskollisionsrecht? WBl 1999, 247 [250]).

Die Antragstellerin hat ihren statutarischen Sitz in Großbritannien, sie wurde nach englischem Recht in der Rechtsform einer "Limited" gegründet und dort im zuständigen Firmenregister eingetragen. Sie hat nach dem in Großbritannien geltenden Gesellschaftsrecht - unabhängig vom Sitz ihrer Hauptverwaltung - Rechtspersönlichkeit erlangt.

Die Zulassung einer ausländischen Gesellschaft zum Gewerbe- und Geschäftsbetrieb im Inland (wozu die Errichtung der Zweigniederlassung im vorliegenden Fall offenkundig dient) wird durch das Fremdenrecht (= Niederlassungsrecht) jedes Staates geregelt (Schwimann, Internationales Privatrecht2, 51; Koppensteiner aaO Allgemeine Einleitung Rz 21 und Rz 1 zu § 107), wobei fremdenrechtliche Beschränkungen innerhalb der EU unwirksam sind (Schwimann aaO 10, 51). Die unmittelbar anzuwendenden (Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht 86 ff; Schwimann aaO 12 f; Behrens, Niederlassungsfreiheit und internationales Gesellschaftsrecht, RabelsZ 1988, 497 ff [502 f und 505]; Deckert Europäisches Unternehmensrecht EWS 1996, 265 ff [267, 270]; EuGH Rs 6/64 Slg 1964, 1254, 1269-Costa/E.N.E.L.) Artikel 43 und 48 EG (früher Artikel 52 und 58 EGV) gewähren Gemeinschaftsbürgern wie auch Unternehmen aus Mitgliedstaaten das Recht auf Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat. Niederlassungsfreiheit, zu der auch die Freiheit gehört, Zweigniederlassungen (und Tochtergesellschaften) zu gründen, haben demnach die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sowie - ihnen gleichgestellt - Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet sind und ihren satzungsgemäßen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, die somit in

einem Mitgliedstaat "ansässig" sind (Artikel 43 Abs 1 Satz 2 EG =

früher Artikel 52 Abs 1 Satz 2 und Artikel 48 EG = früher Artikel 58;

Zäch, Grundzüge des europäischen Wirtschaftsrechts 132 f, 156).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes stellt die Niederlassungsfreiheit eine der grundlegenden Vorschriften der Gemeinschaft dar. Sie gewährt auch den in Artikel 48 EG (früher Artikel 58) bezeichneten Gesellschaften unter denselben Bedingungen wie natürlichen Personen das Recht auf Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat (EuGH NJW 1988/21/86), wobei dieses Recht unter anderem durch die Gründung von Zweigniederlassungen in Mitgliedsstaaten ausgeübt werden kann (Artikel 43 EG = früher Artikel 52; Lenz, EG-Vertrag Rz 3 zu Artikel 58; Behrens aaO 498 ff). Das Recht jeder der EG "angehörenden" Gesellschaft (Artikel 48 Abs 1 EG = früher

Artikel 58), in jedem anderen Mitgliedstaat (nach den Bedingungen für Inländer) Zweigniederlassungen bzw Agenturen zu eröffnen (und Tochtergesellschaften zu gründen), wird in der Lehre als "sekundäre Niederlassungsfreiheit" bezeichnet (Karollus in Eiselsberg, Gesellschaftsrecht in Europa 21; Troberg in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag5 Rz 9 zu § 58; Korn/Thaler aaO 247 ff).

Um die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch Gesellschaften zu erleichtern, sahen Artikel 54 Abs 3 lit g EGV idF vor dem Vertrag von Amsterdam und das allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit die Koordinierung jener Schutzbestimmungen vor, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind (Erwägungsgrund der

11. Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989, 89/666/EWG, Amtsblatt Nr L 395 vom 30. 12. 1989). Dieser Koordinierung diente unter anderem die 11. Richtlinie des Rates vom 21. 12. 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen. Artikel 2 Abs 2 lit b dieser Richtlinie normiert eine Pflicht zur Offenlegung der Tätigkeit der Zweigniederlassung. Nach Abs 2 dieser Bestimmung kann ein Mitgliedstaat der Zweigniederlassung vorschreiben, daß in Bezug auf das Bestehen der Gesellschaft eine Bescheinigung aus dem Register, bei dem die Gesellschaft "angelegt" wurde und die Nummer der Eintragung beizubringen ist. Die Verpflichtung, eine Geschäftstätigkeit am Sitz der Gesellschaft offenzulegen (oder eine solche auszuüben), sieht die Richtlinie hingegen nicht vor. Die Frage, ob eine Gesellschaft als Voraussetzung ihrer Errichtung als Rechtssubjekt eine Geschäftstätigkeit an ihrem satzungsgemäßen Sitz entfalten muß, bleibt somit dem nationalen Gesellschaftsrecht überlassen.

Die Umsetzung der Zweigniederlassungsrichtlinie erfolgte in Österreich durch das EU-GesRÄG BGBl 1996/304. Dabei wurden § 13 HGB und § 107 Abs 4 GmbHG durchgreifend geändert. § 108 GmbHG, der in seiner Z 1 den Nachweis einer "wirklichen und regelmäßigen" Geschäftstätigkeit im Sitzstaat vorsah, entfiel ersatzlos (zur Änderung des GmbHG durch das EU-GesRÄG siehe Koppensteiner, GmbHG2 Rz 4 zu § 107; Reich-Rohrwig, EU-GesRÄG (1996) ecolex spezial; RV 32 BlgNR 20. GP 54 ff).

§ 13 Abs 2 HGB idF EU-GesRÄG sieht die Eintragung eines Rechtsträgers, dessen Hauptniederlassung oder Sitz sich im Ausland befinden, in das Firmenbuch vor, wenn er im Inland eine Zweigniederlassung errichtet. Bei der Anmeldung ist das Bestehen des Rechtsträgers als solchen (dh seine Existenz als Rechtssubjekt) nachzuweisen. Dafür genügt im allgemeinen ein Registerauszug (Kostner/Umfahrer, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung5 Rz 1059; Koppensteiner aaO Rz 15 zu § 107 mwN). In die Anmeldung sind die in das Firmenbuch einzutragenden, in Abs 3 leg cit näher bezeichneten Angaben aufzunehmen. Darunter finden sich unter anderem die Tätigkeit der Zweigniederlassung, das Personalstatut des Rechtsträgers und - sofern sein Personalstatut eine Registereintragung vorsieht - das Register, bei dem der Rechtsträger geführt wird, und seine Eintragungsnummer. Nicht jedoch wird die Angabe einer Tätigkeit der Hauptniederlassung gefordert. Auch den Materialien zum EU-GesRÄG (32 BlgNR 20. GP 58) ist nicht zu entnehmen, daß die Tätigkeit der Hauptniederlassung Anmeldeinhalt oder -voraussetzung oder gar Eintragungstatbestand wäre. Die entsprechende Bestimmung wurde durch ersatzlose Aufhebung des § 108 GmbHG im Zuge der Novellierung durch das EU-GesRÄG beseitigt.

Gemäß § 107 Abs 1 GmbHG idF EU-GesRÄG ist eine GmbH (oder ein ihr gleichzuhaltender Rechtsträger), die ihren Sitz im Ausland, jedoch eine Zweigniederlassung im Inland hat, zur Eintragung in das Firmenbuch anzumelden. Für Anmeldung und Eintragung gilt § 13 Abs 2 und 3 HGB iVm § 11 GmbHG, §§ 3 und 5 FBG mit den in § 107 Abs 5 GmbHG angeführten Besonderheiten. Der Anmeldung sind unter anderem anzuschließen eine Beurkundung der aktuellen Fassung des Gesellschaftsvertrages in deutscher Sprache (§ 107 Abs 4 GmbHG) und ein Nachweis über den Bestand der Auslandsgesellschaft als Rechtspersönlichkeit (§ 107 Abs 4 erster Satz GmbHG iVm § 13 Abs 2 erster Satz HGB) sowie der Nachweis der tatsächlichen Errichtung der Zweigniederlassung (Kostner/Umfahrer aaO Rz 1079; Koppensteiner aaO Rz 12 und 15).

Der im Zuge der Umsetzung der Zweigniederlassungsrichtlinie durch das EU-GesRÄG neugefaßte § 107 GmbHG steht damit mit Artikel 48 EG (früher Artikel 58) im Einklang, der die Niederlassungsfreiheit auch Gesellschaften zugesteht, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren (statutarischen) Sitz in einem Mitgliedstaat haben, und zwar unabhängig davon, ob sich ihr tatsächlicher Ort der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung im Gründungsstaat befindet (Troberg in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag5 Rz 1 und 7; Erhard in Lenz, EG-Vertrag Rz 4 zu Artikel 58).

Auch § 13 Abs 2 HGB steht mit Artikel 48 EG (früher Artikel 58) insofern in Einklang, als in der Anmeldung der ausländischen Gesellschaft nur das (rechtliche) Bestehen des ausländischen Rechtsträgers als solches nachzuweisen ist und ein Erfordernis, die Tätigkeit der Hauptniederlassung anzuführen, nicht besteht. Allerdings verweist § 13 Abs 3 HGB zum Personalstatut der ausländischen Gesellschaft auf § 10 IPRG.

Das Recht der Mitgliedstaaten ist in der Frage, welche Anknüpfungspunkte mit dem jeweiligen nationalen Gebiet eines Staates erforderlich sind, um das Personalstatut der juristischen Person dort zu begründen (satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung) uneinheitlich. In den meisten kontinentaleuropäischen Staaten (so auch in Österreich) muß nicht nur der satzungsgemäße Sitz sondern auch der wahre Sitz - also die Hauptverwaltung - im Hoheitsgebiet gelegen sein (Sitztheorie). In anderen Staaten - so Großbritannien, wo die Gründungstheorie vertreten wird - kommt es auf den Ort der Gründung und damit den statutarischen Sitz an. Artikel 48 EG (früher § 58) trägt diesen Unterschieden in den nationalen Rechtsordnungen dadurch Rechnung, daß er bei der Definition der Gesellschaften, denen Niederlassungsfreiheit zugute kommt, den (satzungsgemäßen) Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung einer Gesellschaft als gleichwertige Anknüpfungspunkte anführt (EuGH NJW 1989, 2186). Demnach soll die Niederlassungsfreiheit allen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften zugute kommen, die ihren satzungsgemäßen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben, somit auch Gesellschaften, die den Sitz ihrer Hauptverwaltung wohl in einem Mitgliedsstaat, nicht aber notwendigerweise im Gründungsstaat haben (Erhard in Lenz, EG-Vertrag Rz 4 zu Artikel 58; Troberg in Groeben/Thiesing/Ehlermann aaO Rz 1 und 7 zu Artikel 58 EGV). Daraus wird aber deutlich, daß die Nichtanerkennung der Rechtspersönlichkeit einer nach der Gründungstheorie errichteten Gesellschaft (bei der es nicht darauf ankommt, ob sich der Sitz der Hauptverwaltung auch im Gründungsstaat befindet) durch einen Staat, der die Sitztheorie vertritt, im Zusammenhang mit der Beurteilung der Errichtung der Zweigniederlassung der Niederlassungsfreiheit widerspricht. Verneint daher ein Mitgliedstaat die Rechtspersönlichkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat nach der Gründungstheorie errichteten Kapitalgesellschaft mit der Begründung, es fehle an einem realen Verwaltungssitz im Gründungsstaat und verweigert er derart die Anerkennung der im Gründungsstaat rechtmäßig errichteten Gesellschaft, verstößt er damit gegen die in Artikel 48 EG (früher Artikel 58) normierte Niederlassungsfreiheit, die auch jenen Gesellschaften unbeschränkt zukommt, die nur ihren satzungsgemäßen Sitz, nicht aber auch den Verwaltungssitz im Gründungsstaat haben.

Der Europäische Gerichtshof hatte sich jüngst (9. 3. 1999, GZ Rs C 212/97 -Centros Ltd/Erhvervs-og Selskabsstyrelsen, Hojesteret, WBl 1999, 262 ff) mit einem von einer dänischen Behörde (auch Dänemark vertritt wie Österreich die Sitztheorie, s. Großfeld in Staudinger, Kommentar zum BGB, EGBGB, Internationales Gesellschaftsrecht 1998, Rz

154) an ihn herangetragenen Vorabentscheidungsersuchen mit der Frage zu beschäftigen, ob es mit der im EG-Vertrag normierte Niederlassungsfreiheit vereinbar sei, die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, mit einem Gesellschaftskapital von 100 englischen Pfund nach dem Recht dieses Mitgliedstaates rechtmäßig errichtet worden sei und bestehe, abzulehnen, wenn die Gesellschaft selbst keine Geschäftstätigkeit betreibe, die Zweigniederlassung aber in die Absicht errichtet werde, die gesamte Geschäftstätigkeit im Land der Zweigniederlassung zu betreiben und wenn davon auszugehen sei, daß dieses Vorgehen statt der Errichtung einer Gesellschaft im letztgenannten Mitgliedstaat gewählt worden sei, um die Einzahlung des in Dänemark erforderlichen Mindestgeschäftskapitals zu vermeiden. Im dortigen Anlaßfall hatte eine ausschließlich durch dänische Staatsbürger in Großbritannien gegründete "Private Ltd Company", die in Großbritannien selbst keine Geschäftstätigkeit entfaltete, eine Zweigniederlassung in Dänemark errichtet, um dort Geschäftstätigkeit auszuüben.

In Beantwortung der Vorlagefrage hat der EuGH ausgesprochen, daß die Errichtung einer Zweigniederlassung in einem Mitgliedstaat durch eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat unter das Gemeinschaftsrecht falle. Dabei sei ohne Bedeutung, daß die Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat nur errichtet wurde, um sich im zweiten Mitgliedstaat niederzulassen, in welchem auch die Geschäftstätigkeit im wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden soll. Auch der Zweck der Gründung, das dänische Recht über die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals zu umgehen, ändere nichts daran, daß die Gründung unter die Niederlassungsfreiheit im Sinn der Artikel 52 und 58 EGV (nunmehr Artikel 43 und 48 EG) falle. Die durch

Artikel 52 EGV (nunmehr Artikel 43 EG) den Gemeinschaftsangehörigen zuerkannte Niederlassungsfreiheit umfasse das Recht zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie zur Errichtung von Unternehmen und zur Ausübung der Unternehmertätigkeit nach den Bestimmungen, die im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörige gelten. Artikel 58 EGV (nunmehr Artikel 48 EG) stelle nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaften, die ihren satzungsgemäßen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten seien. Hieraus folge unmittelbar, daß diese Gesellschaften berechtigt seien, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Agentur oder eine Zweigniederlassung oder eine Tochtergesellschaft auszuüben, wobei ihr satzungsgemäßer Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen dazu diene, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaates zu bestimmen. Die Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat habe, durch einen anderen Mitgliedstaat hindere die in dem einen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften an der Wahrnehmung ihres Niederlassungsrechtes. Ein derartiges Vorgehen beschränke die Ausübung der in den genannten Bestimmungen des EG-Vertrages gewährleisteten Freiheiten. Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit sei es gerade, den nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsgemäßen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden. Damit stelle es aber auch keine mißbräuchliche Ausnützung des Niederlassungsrechtes dar, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates die geplante Gesellschaft in einem Mitgliedstaat errichte, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, um dann in einem anderen Mitgliedstaat Zweigniederlassungen zu gründen. Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigerr, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz habe, rechtmäßig errichtet sei, dort aber keine Geschäftstätigkeit entfalte, verstoße gegen Artikel 52 und 58 EGV (nunmehr 43 und 48 EG), wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit im Errichtungsstaat der Zweigniederlassung auszuüben.

Diese die Niederlassungsfreiheit auslegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sichert Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtswirksam gegründet wurden, die Freiheit, Zweigniederlassungen auch dann zu gründen, wenn sie im Staat ihrer Gründung selbst nur ihren statutarischen Sitz haben, jedoch keine Geschäftstätigkeit ausüben. Der Europäische Gerichtshof wendet damit in Zusammenhang mit der sekundären Niederlassungsfreiheit die Gründungstheorie an.

Die der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu entnehmenden Auslegungsgrundsätze zeigen einen Widerspruch der im EG-Vertrag normierten Niederlassungsfreiheit im Sinn der Auslegung des Gerichtshofes zu der in Österreich in § 10 IPRG vertretenen Sitztheorie auf (Korn/Thaler, WBl 1999, 247 ff mwN). Nach der Sitztheorie richtet sich das für die Frage nach Bestand und Umfang der Rechtsfähigkeit einer juristischen Person maßgebliche Personalstatut nach dem Recht am tatsächlichen Hauptverwaltungssitz der Gesellschaft (Schwimann aaO 50). Sie macht damit die Anerkennung einer nach dem Recht des Gründungsstaates wirksam errichteten Gesellschaft im anderen Staat davon abhängig, daß die Gesellschaft im Gründungsstaat zugleich auch ihren tatsächlichen Verwaltungssitz (und nicht nur den statutarischen Sitz) begründet. Ist dies nicht der Fall, wird die Gesellschaft in Staaten, die der Sitztheorie folgen, als nicht existent betrachtet (Behrens aaO 500).

Dieser Widerspruch wird auch von einer Reihe von Lehrmeinungen in Österreich und Deutschland aufgezeigt, die erhebliche Zweifel daran äußern, ob die auch in § 10 IPRG vertretenen Sitztheorie nach Maßgeblichkeit des EU-Rechts aufrecht erhalten werden kann (Koppensteiner aaO Allgemeine Einleitung 17 mwN; Korn/Thaler WBl 1999, 247 ff mwN). So vertritt Knobbe-Keuk, (Der Zuzug einer ausländischen Gesellschaft ZHR 154 (1990), 334 ff [342 f]) die Auffassung, die Sitztheorie versperre einer nach ausländischem Recht errichteten Gesellschaft, auch wenn diese die Voraussetzungen des Artikel 58 Abs 1 EGV erfülle, den Zuzug, indem sie ihre Rechtspersönlichkeit ignoriere. Demgegenüber räume Artikel 58 EGV den darin genannten und nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Gesellschaften mit Satzungssitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Gemeinschaft als solchen das Recht der freien Niederlassung nach Artikel 52 EG-Vertrag ein, dieses Recht stehe ihnen als nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Gesellschaften und so wie sie "formiert" seien zu.

Für Behrens (Niederlassungsfreiheit und internationales Gesellschaftsrecht, Rabels Z 1988, 498 ff) ist für die Anwendung der Niederlassungsfreiheit allein maßgeblich, daß die Gesellschaft nach den Vorschriften eines Mitgliedstaates wirksam gegründet wurde; unter diesen Voraussetzungen stehe der Gesellschaft das Recht der Niederlassungsfreiheit auch dann zu, wenn sie im Gründungsstaat nur ihren satzungsgemäßen Sitz habe. Soweit die Sitztheorie eine Anerkennung der im Ausland gegründeten Gesellschaften von einer Lokalisierung ihrer Hauptverwaltung im Gründungsstaat abhängig mache, schränke sie den Kreis jener Personen, die von der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit begünstigt werden, ein. Artikel 58 lasse aber für die Gleichstellung juristischer mit natürlicher Personen ausdrücklich die wirksame Gründung der Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates genügen und gehe damit von der Gründungstheorie aus. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Artikel 52 EGV erlaube es den in Artikel 58 angeführten Gesellschaften, sich vor nationalen Gerichten auf ihre Grundfreiheiten der Niederlassung zu berufen [507]. Indem nun Artikel 58 die Gesellschaften mit natürlichen Personen gleichstelle, gewährleiste er auch die Geltung der für die natürlichen Personen geltenden Grundsätze: Die Ausübung der Niederlassungsfreiheit setze die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat voraus und im übrigen die "Ansässigkeit" innerhalb der Gemeinschaft. Der Begriff "Ansässigkeit" setze eine enge wirtschftliche Verbindung mit der Gemeinschaft voraus, es müsse somit Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat, nicht notwendig aber im Gründungsstaat, begründet sein.

Der erkennende Senat hat erwogen:

Die in § 10 IPRG vertretene Sitztheorie steht mit der durch Artikel 48 Abs 1 EG (früher 58 Abs 1) iVm § 43 EG (früher § 52) eingeräumten sekundären Niederlassungsfreiheit im Widerspruch (vgl Behrens aaO 523; Troberg aaO Rz 18 zu Art 58):

Während die im EG-Vertrag geregelte sekundäre Niederlassungsfreiheit es jeder nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtmäßig errichteten Gesellschaft gestattet, Zweigniederlassungen in einem anderen Mitgliedstaat auch dann zu errichten, wenn sie im Gründungsstaat selbst keine Geschäftstätigkeit ausübt, und die Zweigniederlassung der alleinigen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft dienen soll, richtet sich das nach der Sitztheorie für die Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit von Gesellschaften maßgebliche Personalstatut einer Gesellschaft nach dem tatsächlichen Sitz seiner Hauptverwaltung. Danach wäre es Gesellschaften, die nach dem Recht des Gründungsstaates zwar rechtmäßig errichtet wurden, im Gründungsstaat aber keine geschäftliche Tätigkeit ausüben (damit dort über keine Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung verfügen), mangels Rechtspersönlichkeit nicht möglich, Zweigniederlassungen in einem anderen Mitgliedsstaat, der die Sitztheorie vertritt, zu errichten.

Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat das durch den EG-Vertrag geschaffene Recht - so auch die Grundfreiheiten betreffenden Regelungen - im Falle einer Normenkollision vor wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften Vorrang und ist von den Gerichten der Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden (Thun-Hohenstein/Cede aaO 86 ff; Schwimann aaO 12 f; Karollus aaO 20; Behrens aaO 502 f 505; Deckert Europäisches Unternehmensrecht EWS 1996, 265 ff [267 und 270]; EuGH Rs 6/64 Slg 1964/1251, 1269; Kostner/E.N.E.L.).

Aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes folgt aber in Fällen der Gründung von Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften die eingeschränkte Anwendung der in § 10 IPRG verankerten Sitztheorie (vgl Korn/Thaler WBl 1999, 247 ff [253]:

Die Rechts- und Handlungsfähigkeit der in einem Mitgliedstaat rechtswirksam errichteten ausländischen juristischen Person ist im Zusammenhang mit der Errichtung einer Zweigniederlassung in Österreich nach jenem Recht zu beurteilen, nach dem die juristische Person gegründet wurde, sofern sich ihr satzungsgemäßer Sitz oder die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat befinden.

Der Umstand, daß sich Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung nicht im Gründungsstaat (wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat) befinden, steht in diesem Fall einer Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der ausländischen Gesellschaft nicht entgegen.

Die sekundäre Niederlassungsfreiheit kommt damit auch einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtmäßig errichteten Gesellschaft zugute, die im Gründungsstaat selbst nur ihren statutarischen Sitz hat, dort jedoch keine Geschäftstätigkeit entfaltet und deren Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet.

Soweit nach § 13 Abs 3 HGB das Personalstatut der ausländischen juristischen Personen ins Firmenbuch einzutragen ist, ergibt die EU-konforme Auslegung dieses Begriffes im Sinn der dargelegten Grundsätze die Erfassung der Rechtsordnung jenes Mitgliedsstaates, in dem sich der statutarische Sitz der juristischen Person befindet und nach dessen Recht sie wirksam gegründet wurde; im vorliegenden Fall ist das Großbritannien.

Das Fehlen einer Geschäftstätigkeit im Heimatstaat steht somit entgegen der Auffassung der Vorinstanzen einer Eintragung der in Großbritannien rechtswirksam errichteten - der Rechtsform der GmbH vergleichbaren - juristischen Person nicht entgegen.

Die Unbeachtlichkeit einer Geschäftstätigkeit (und damit einer Hauptverwaltung) im Gründungsstaat wird auch dadurch deutlich, daß im Zuge der Novellierung der die Errichtung von Zweigniederlassungen betreffenden Bestimmungen des GmbHGesetzes durch das EU-GesRÄG § 108 Z 1 GmbHG aF, der den Nachweis einer "wirklichen und regelmäßigen" Geschäftstätigkeit der Gesellschaft im Sitzstaat als Eintragungserfordernis normierte, ersatzlos aufgehoben wurde.

Der von den Vorinstanzen herangezogene Abweisungsgrund liegt im Sinne der Judikatur des EuGH nicht vor. Seine Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist bindend und führt zu einer Verdrängung entgegenstehenden nationalen Rechts. Wegen der völligen Vergleichbarkeit des vorliegenden Falls mit demjenigen, über den der EuGH erst jüngst entschied, sieht sich der erkennende Senat nicht veranlaßt, eine Vorabentscheidung einzuholen. Die Sache ist aber im Sinne einer Stattgebung des Eintragungsgesuchs vor allem aus dem vom Rekursgericht nicht behandelnden Grund noch nicht spruchreif, daß der im Gesuch gestellte Antrag auf Eintragung auch der Andrea Ricarda Maria S***** als ständige Vertreterin sowohl der Gesellschaft als auch der Zweigniederlassung aufrecht geblieben ist, obwohl die Gesellschaft selbst mitteilte, daß dieser Mitgesellschafterin in ihrer Funktion als "secretary" keine Vertretungsbefugnis zukommt. Sie könnte daher als Vertreterin der Gesellschaft im Firmenbuch nicht eingetragen werden. Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Eintragungsgesuches müßte dies zu einer Abweisung des gesamten Eintragungsbegehrens führen, wenn die Antragstellerin auf ihrem Antrag in diesem Punkt beharrte. Da dies noch nicht zweifelsfrei feststeht ist ein weiteres Verbesserungsverfahren im Sinne des § 17 FBG erforderlich.

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