OGH 6Ob120/18t

OGH6Ob120/18t31.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** K*****, vertreten durch Mag. Paul Wolf, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei Dr. H***** M*****, vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.832 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR) (Revisionsinteresse 12.732 EUR und Feststellung), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teil‑ und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. April 2018, GZ 2 R 48/18y‑44, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 19. Jänner 2018, GZ 29 Cg 122/15g‑40, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00120.18T.0831.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

1. Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen, BGBl I Nr 80/2012 (ÄsthOpG). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs reichen zwar das Abweichen des Gerichts zweiter Instanz von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs oder das Fehlen einer einheitlichen Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer Revision iSd § 502 Abs 1 ZPO aus, ohne dass eine Rechtsfrage besonderer Wichtigkeit vorliegen müsste (RIS‑Justiz RS0114267), nicht jedoch der bloße Umstand, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0102181) oder einer solchen Konstellation (RIS‑Justiz RS0102181 [T14]) fehlt; dies gilt auch für das bloße Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Gesetzesbestimmung (zu einem Gesetz) jedenfalls dann, wenn die Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig gelöst ist, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung ernstlich in Betracht zu ziehen ist und Zweifel bei der Auslegung nicht entstehen können (vgl RIS‑Justiz RS0042656).

2. Es gelingt aber auch der Revision des Beklagten nicht, eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:

2.1. Die Klägerin unterzog sich am 17. 6. 2014 beim Beklagten einer kosmetischen Operation. Dabei wurde eine Bruststraffung lege artis durchgeführt. Eine Woche nach dem Eingriff traten bei der Klägerin Schmerzen auf; es trat Wundflüssigkeit aus, was der Beklagte allerdings als unbedenklich bezeichnete. Nach einem weiteren Besuch in der Praxis des Beklagten fuhr die Klägerin auf Urlaub, musste diesen aber nach einer Woche abbrechen, weil eine Wundheilungsstörung aufgetreten war. Dabei handelt es sich um eine eingriffstypische und häufig auftretende Komplikation. Da der Beklagte nicht erreichbar war, begab sich die Klägerin zur Nachbehandlung in ein Krankenhaus, wo die Wunde gesäubert und die Klägerin medikamentös behandelt wurde. Ende August 2014 unterzog sich die Klägerin im Krankenhaus einer Nachoperation. Sie macht (soweit dies noch revisionsgegenständlich ist) Schmerzengeld, Nachbehandlungskosten und die Kosten einer Haushaltshilfe geltend; außerdem begehrt sie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftigen Schäden aufgrund der Operation.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und verneinte einen Aufklärungsfehler des Beklagten; die Aufklärung sei umfassend erfolgt.

Das Berufungsgericht bejahte eine Haftung des Beklagten, weil die Klägerin nicht wirksam in die Behandlung eingewilligt habe, sei doch entgegen § 6 ÄsthOpG die Aufklärung der Klägerin über die Allgemein-Narkose nicht zumindest 14 Tage vor dem Eingriff erfolgt.

2.2. Auf den gegenständlichen Sachverhalt ist unstrittig das am 1. 1. 2013 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG) anwendbar, das dem behandelnden Arzt besondere Pflichten bei kosmetischen Operationen auferlegt. Die Materialien verweisen dabei auf die „einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu erhöhtem bzw verschärftem Aufklärungsbedürfnis“ (ErläutRV 1807 BlgNR 24. GP  8), womit klargestellt ist, dass die vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur verschärften Aufklärungspflicht bei kosmetischen Operationen weiterhin beachtlich sind. Diese lassen sich so zusammenfassen, dass die Aufklärungspflichten umso strenger beurteilt werden, je weniger der Eingriff dringlich erscheint bzw je höher die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Nebenwirkungen oder Komplikationen ist (vgl Pitzl/Huber, Aufklärungs-, Einwilligungs‑ und Informationspflichten nach dem ÄsthOpG, RdM 2014/82 [86]).

2.3. Allerdings ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nicht mehr die Frage nach Inhalt und Umfang der Aufklärung, sondern die Einhaltung der von § 6 Abs 1 ÄsthOpG normierten Zwei-Wochen-Frist. Danach darf eine ästhetische Operation nur durchgeführt werden, wenn die Patientin (der Patient) nach umfassender ärztlicher Aufklärung (§ 5) ihre (seine) Einwilligung nachweislich dazu erteilt hat. Bei einer ästhetischen Operation ist überdies eine Frist von zumindest zwei Wochen zwischen der abgeschlossenen ärztlichen Aufklärung und der Einwilligung einzuhalten. Das Gesetz spricht ausdrücklich von „abgeschlossener“ ärztlicher Aufklärung, woraus zu schließen ist, dass die Zwei-Wochen-Frist erst zu laufen beginnt, wenn nicht nur über den Eingriff aufgeklärt wurde, sondern auch durch den Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin über die allenfalls erforderliche Anästhesie für den Eingriff (Pitzl/Huber aaO RdM 2014/82 [90]). Letzte Aufklärung fand im vorliegenden Fall (erst) unmittelbar vor der Operation statt.

Mit der Einführung des ÄsthOpG wurde eine eindeutige gesetzliche Regelung geschaffen, die die notwendige Frist zur Durchführung der Aufklärung bestimmt, ohne dabei auf den Einzelfall abzustellen. Zusätzlich zu den bei kosmetischen Operationen gesteigerten Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Aufklärung ist es auch das erklärte Ziel, dem Patienten eine ausreichend lange Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb derer alle Argumente nochmals gegeneinander abgewogen werden sollen und möglicherweise auch Zweitmeinungen eingeholt werden können. Danach soll die Durchführung der ästhetischen Operation ohne Zeitdruck, aufgrund einer bewussten Entscheidung und erst nach reiflicher Überlegung und Reflexion durch die Patientin erfolgen (vgl ErläutRV 1807 BlgNR 24. GP  9; vgl auch Jesser-Huß in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht² [2015] Kap IV Rz 74).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Aufklärung laut den (in diesem Punkt) widersprüchlichen Feststellungen des Erstgerichts am 4. 6. oder am 15. 6. 2014. Ungeachtet des tatsächlichen Zeitpunkts steht damit aber fest, dass die Mindestfrist von zwei Wochen jedenfalls nicht eingehalten wurde, wurde die Operation doch bereits am 17. 6. 2014 durchgeführt. Da bei § 6 Abs 1 ÄsthOpG nach dem klaren Gesetzeswortlaut von einer Mindestfrist auszugehen ist, wäre es unerheblich, wenn die Frist auch nur um einen Tag nicht eingehalten worden sein sollte.

2.4. Ob die gesteigerten Anforderungen des § 6 ÄsthOpG für eine rechtswirksame Einwilligung in die Behandlung notwendig sind, hängt vom jeweiligen Normzweck ab. Es ist zu fragen, ob es sich um eine bloße Form- oder Ordnungsvorschrift handelt, wie dies bei Dokumentationspflichten oder dem Schriftlichkeitsgebot der Fall ist, oder ob die Selbstbestimmtheit dadurch konkretisiert werden soll (Maleczky in Neumayr/Resch/Wallner, Gmundner Kommentar [2016] § 6 ÄsthOpG Rz 5). Der Schutzzweck der Wartefristen des § 6 Abs 1 ÄsthOpG besteht darin, dass Patienten reifliche Überlegungszeit und Reflexion zur Verfügung haben sollen, um eine Einwilligung in die Behandlung möglich zu machen. Die Wartefristen sind daher Ausdruck der Selbstbestimmung (Maleczky aaO Rz 7). Aufklärungs‑ und/oder Einwilligungsdefizite führen im Kontext des ÄsthOpG zivilrechtlich dazu, dass die ästhetische Behandlung oder Operation als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität beurteilt werden muss (Pitzl/Huber aaO RdM 2014/82 [92]; Maleczky aaO Rz 7), wenn der Eingriff vor Ablauf der Frist erfolgt (Maleczky aaO Rz 7).

Damit ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht wirksam in die Behandlung eingewilligt, weil die Zwei-Wochen-Frist zwischen Aufklärung und Einwilligung zur Operation nicht eingehalten wurde, nicht zu beanstanden, wobei sich die mangelhafte Aufklärung allerdings nicht nur auf den Bereich der Anästhesie, sondern auf die gesamte Operation bezogen hat: Wenn der Beklagte nämlich als Zeitpunkt der Aufklärung über die Operation (mit Ausnahme des Bereichs der Anästhesie) den 8. 5. 2014 (sechs Wochen vor der Operation) bezeichnet, entfernt er sich von den Feststellungen des Erstgerichts. Danach fand am 8. 5. 2014 im Wesentlichen bloß ein erstes Informationsgespräch statt, in dem die verschiedenen Möglichkeiten einer Bruststraffung vorgestellt wurden und vor allem auf die Risiken eines Implantats hingewiesen wurde; zusätzlich wurden auch die Kosten besprochen. Dieses Gespräch kann somit nicht als (umfassendes) Aufklärungsgespräch iSd § 5 ÄsthOpG angesehen werden, wobei auch das Erstgericht klar zwischen diesem Gespräch und dem Aufklärungsgespräch nach § 5 ÄsthOpG unterschieden hat, welches frühestens am 4. 6. 2014 stattfand.

2.5. Hat die ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung des Patienten nachteilige Folgen (was im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist), haftet der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte, für diese Folgen selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RIS‑Justiz http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=4ad1e315-73f0-4acb-962e-ae0a284a318b&Position=1&Abfrage=Justiz&Gericht=&Rechtssatznummer=RS0026783&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=24.07.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_19890207_OGH0002_0010OB00713_8800000_002 ) und sich bloß das gewöhnliche Operationsrisiko verwirklichte. Dem Arzt steht zwar der Beweis offen, dass der Patient auch bei rechtzeitiger Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RIS‑Justiz http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=60f689ad-bedb-49dc-b93f-75d2c6175e54&Position=1&Abfrage=Justiz&Gericht=&Rechtssatznummer=RS0108185&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=24.07.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_19970710_OGH0002_0020OB00197_97B0000_001 , http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=0d197583-eaed-41b5-a7f4-002cfe28e45c&Position=1&Abfrage=Justiz&Gericht=&Rechtssatznummer=RS0038485&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=24.07.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_19841219_OGH0002_0030OB00562_8400000_003 [insb T11]). Der Beklagte hat sich hier jedoch nicht bereits im Verfahren erster Instanz darauf berufen, obwohl die Klägerin ein Vorbringen zur Nichteinhaltung der Überlegungsfrist erstattet hatte (AS 312). Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens in der Revision ist somit im Sinn des Neuerungsverbots unzulässig und daher nicht beachtlich (RIS‑Justiz http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=8047cd48-2ef8-4837-824c-bd318b0a206a&Position=1&Abfrage=Justiz&Gericht=&Rechtssatznummer=RS0042025&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=24.07.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_19601111_OGH0002_0020OB00375_6000000_001 ).

2.6. Die Revision bekämpft den Zuspruch von 1.500 EUR für die Narbenkorrektur bei der Klägerin, es steht jedoch fest, dass eine solche medizinisch indiziert ist und die Kosten sich auf höchstens 1.600 EUR belaufen. In ihrer Parteienvernehmung hat die Klägerin angegeben, dass sie die Nachbehandlung auf jeden Fall durchführen lassen werde; Gegenteiliges hat der Beklagte in erster Instanz auch nicht vorgebracht. Auch insoweit begegnet die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bedenken.

3. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Die Klägerin hat dessen Kosten selbst zu tragen.

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