Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird dahin Folge gegeben, dass die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben werden und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wird.
Text
Begründung
Hannelore S***** erlitt bei einem Unfall am 19. Mai 2004 schwerste Verletzungen und befindet sich seither im Wachkoma. Eine Kommunikation mit Hannelore S***** ist nicht möglich.
Das Erstgericht bestellte der Betroffenen mit Beschluss vom 24. November 2004 (ON 29) gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB einen Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten.
Der Sachwalter beantragte mit seiner Eingabe vom 18. Jänner 2005 (ON 36) die pflegschaftsbehördliche Genehmigung einer auf § 55 EheG gestützten Scheidungklage mit der wesentlichen Begründung, die Betroffene habe bereits seit 1982 von deren Gatten getrennt gelebt und schon vor dem Unfall eine einvernehmliche Scheidung beabsichtigt; der Unfall habe die Scheidungsabsicht „unterlaufen". Würde die Ehe der Betroffenen weiter aufrecht bleiben, stünde deren Gatten ein Erbrecht zu.
Das Erstgericht wies den Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Scheidungsklage ab; es erwog rechtlich, dass die Betroffene selbst zum Scheidungsbegehren keine Erklärung abgeben könne. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung zu 1 Ob 518/96 (= JBl 1996, 600 = NZ 1996, 339 = SZ 69/75) ausgesprochen, die Zustimmung zur einvernehmlichen Ehescheidung sei ein höchstpersönliches Recht, welches einer Vertretung nicht zugänglich sei und deshalb weder durch einen Sachwalter noch durch das Pflegschaftsgericht wahrgenommen werden könne. Es spreche Einiges dafür, dass auch die Einbringung einer auf § 55 EheG gestützten Scheidungklage ein solches, nicht der Vertretung zugängliches Recht sei. Der Sachwalter habe auch nicht vorgebracht, welche Interessen der Betroffenen für die Auflösung der Ehe sprechen würden; erbrechtliche Gesichtspunkte könnten dafür jedenfalls nicht ausschlaggebend sein. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung lägen demnach nicht vor.
Das Rekursgericht gab dem vom Sachwalter für die Betroffene erhobenen Rechtsmittel nicht Folge; es teilte die Ansicht des Erstgerichts, wonach die Erhebung eines Scheidungsbegehrens nach § 55 EheG ein höchstpersönliches Recht darstelle, welches nur persönlich vom Berechtigten geltend gemacht werden könne. Da die Betroffene zu keiner Willensäußerung fähig sei, scheide schon aus diesem Grund die Genehmigung der Scheidungsklage aus, ohne dass der Frage nachgegangen werden müsse, ob die Ehescheidung unter sozialversicherungsrechtlichen Aspekten für die Betroffene günstig sei.
Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil zu der sich hier stellenden Rechtsfrage nach dem höchstpersönlichen Charakter der Erhebung eines Scheidungsbegehrens eine höchstgerichtliche Judikatur fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Sachwalter für die Betroffene erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen zu Unrecht das auf § 55 EheG gestützte Scheidungsbegehren als höchstpersönliches und der gesetzlichen Vertretung unzugängliches Recht erkannt haben; der Revisionsrekurs in seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
1. Für höchstpersönliche Rechte gilt allgemein der Grundsatz, dass sie mit einer gesetzlichen Vertretung unvereinbar sind (Edlbacher, Körperliche, besonders ärztliche, Eingriffe an Minderjährigen aus zivilrechtlicher Sicht, ÖJZ 1982, 365 [369]). Für ihre Ausübung ist die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit erforderlich. Fehlt diese Einsicht, so kann ein höchstpersönliches Recht weder durch den gesetzlichen Vertreter oder Sachwalter noch durch das Pflegschafts-/Sachwalterschaftsgericht ersetzt werden (6 Ob 106/03m = RZ 2004/65 = EvBl 2004/59; 7 Ob 355/97z = RdM 1998, 50 [Kopetzki] = JBl 1998, 443 = SZ 70/235). Den Vorinstanzen ist dahin zuzustimmen, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 1 Ob 518/96 (= JBl 1996, 600 = NZ 1996, 339 = SZ 69/75) die Erklärung des Einvernehmens gemäß § 55a Abs 1 EheG als die Ausübung eines solchen höchstpersönlichen Rechts erkannt und dafür die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Ehegatten für erforderlich erachtet hat. Fehlt diese Einsicht oder verweigert der Ehegatte das Einvernehmen, so kann Letzteres weder durch einen Sachwalter noch durch das Sachwalterschaftsgericht ersetzt werden. Maßgeblich war für diese Ansicht, dass es bei einer Scheidung gemäß § 55a EheG unabdingbare Voraussetzung ist, dass zwischen den Ehegatten das Einvernehmen über die Scheidung besteht, dass sie sich also nicht kontradiktorisch gegenüber stehen, sondern in Übereinstimmung ihrer rechtlichen Interessen gemeinsam die Auflösung der Ehe anstreben. Ein solches Einvernehmen setzt einen Willensentschluss und die Einsichts- und Urteilsfähigkeit beider Ehegatten betreffend die Beendigung ihrer Ehe und die Regelung bestimmter nachehelichen Rechtsverhältnisse voraus; gegebenenfalls muss dann das Gericht ohne weitere inhaltlich Überprüfung eine solche Einigung als Basis für die Scheidung im Einvernehmen zugrunde legen.
2. Für die Erhebung der Scheidungsklage ist dagegen ein Einvernehmen der Ehegatten gerade nicht Voraussetzung, die Sinnhaftigkeit der Klageerhebung durch einen Betroffenen kann in einem sachwalterschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren überprüft werden und die materielle Berechtigung des Scheidungsbegehrens wird in einem kontradiktorischen Verfahren beurteilt. Es ist daher insgesamt - im Gegensatz zur Scheidung im Einvernehmen - keine so spezifisch höchstpersönliche und inhaltlich nicht weiter zu überprüfende Willensbildung gefordert, die unbedingt die persönliche Rechtsausübung des Berechtigten zwingend geboten erscheinen ließe und im Ergebnis die Untrennbarkeit der Ehe eines (inzwischen) Geschäftsunfähigen zur Folge hätte. Der Oberste Gerichtshof ist daher schon in seiner Entscheidung 8 Ob 4/63 = JBl 1964, 37 (zustimmend Schwind) davon ausgegangen, dass der voll entmündigte Ehegatte vertreten durch seinen Kurator die Scheidungsklage erheben kann (vgl auch 2 Ob 569/52 = SZ 25/238). Auch in 1 Ob 518/96 (= JBl 1996, 600 = NZ 1996, 339 = SZ 69/75) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Interessen eines Behinderten für die Auflösung der Ehe sprechen können und dass unter dieser Voraussetzung die Zulässigkeit der Einbringung eines Scheidungsbegehrens, das insbesondere auf Verschulden des Ehegatten gestützt ist, durch den Sachwalter auch aus dem allgemeinen Schutzprinzip des § 21 ABGB zu bejahen sein könnte. Zu 7 Ob 230/01a hat es dann der Oberste Gerichtshof für zulässig erkannt, dass der Sachwalter für den Betroffenen die Klage wegen Nichtigkeit, in eventu Aufhebung sowie Scheidung der Ehe erhebt.
3. Auch in § 607 Abs 2 dZPO wird vergleichsweise bestimmt, dass für einen geschäftsunfähigen Ehegatten das Verfahren in Ehesachen durch den gesetzlichen Vertreter geführt wird und dieser nur zur Erhebung der - die höchstpersönlichen Verhältnisse der Ehegatten betreffenden - Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens (der ehelichen Gemeinschaft) nicht berechtigt ist (vgl dazu etwa Philippi in Zöller23, § 607 dZPO Rz 8).
4. In der Lehre wird ebenfalls die Ansicht vertreten, dass in Ehesachen der gesetzliche Vertreter mit gerichtlicher Genehmigung die Klage erheben kann (Schubert in Fasching² II/1, § 2a ZPO Rz 2; idS auch Gitschthaler, Handlungsfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, ÖJZ 2004/7, 121 [123]) und Dullinger führt (Zur Prozeßfähigkeit minderjähriger und geistig behinderter Personen, RZ 1989, 6 [11]) aus, dass mangels eigener Handlungsfähigkeit des Schutzbefohlenen sein gesetzlicher Vertreter auch in höchstpersönlichen Bereichen einschreiten könne, wenn und soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Handlungsunfähigen erforderlich sei. Ob diese Ansicht ganz generell zutrifft, kann dahin gestellt bleiben; in Übereinstimmung mit der dargestellen Judikatur und Lehre ist aber davon auszugehen, dass ein gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellter Sachwalter grundsätzlich zur Erhebung einer auf § 55 EheG gestützten Scheidungsklage für den Betroffenen befugt ist. Der die Antragsabweisung tragenden Begründung der Vorinstanzen vom höchstpersönlichen und nicht vertretungszugänglichen Recht auf Erhebung einer Scheidungsklage ist daher nicht zu folgen.
5. Wenngleich die Erhebung der Scheidungsklage durch den Sachwalter als Vertreter der Betroffenen als grundsätzlich zulässig zu erkennen ist, so gehen freilich sowohl die Vorinstanzen als auch der Sachwalter übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass eine derartige Klage der sachwalterschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf (so auch Dullinger, RZ 1989, 6 [12]; Gitschthaler, ÖJZ 2004/7, 121 [123]; § 607 Abs 2 letzter HS dZPO). Ob überhaupt und gegebenenfalls welche rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteile eine Klageerhebung im Interesse und zum Wohl der Betroffenen angezeigt und eine Klagegenehmigung geboten erscheinen lassen könnten, ist mit dem Sachwalter bislang nicht erörtert worden; dies wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nachzuholen und dann neuerlich über den Antrag auf sachwalterschaftsgerichtliche Genehmigung der Scheidungsklage zu entscheiden haben.
Zu diesem Zweck war dem Revisionsrekurs in seinem Aufhebungsantrag stattzugeben.
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