OGH 5Ob88/15z

OGH5Ob88/15z30.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. J***** P*****, 2. J***** S*****, 3. Dr. O***** R*****, 4. J***** E*****, 5. Dr. K***** B*****, und 6. F***** K*****, alle vertreten durch die Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. H***** T*****, vertreten durch Dr. Christian Leskoschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen 550.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. März 2015, GZ 14 R 141/14d52, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Antrag der klagenden Parteien auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B‑VG vor dem Verfassungsgerichtshof wird zurückgewiesen.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Liegenschaft EZ ***** KG ***** stand seit 2002 im Eigentum der Bundesimmobiliengesellschaft mbH (BIG). Mit seinen Entscheidungen vom 15. 11. 2005 und 23. 1. 2006 empfahl die nach dem Entschädigungsfondsgesetz (EF‑G) eingerichtete Schiedsinstanz für Naturalrestitution dem zuständigen Bundesminister, dem von der Beklagten und anderen Deszendenten der Großeltern des ursprünglich geschädigten Liegenschaftseigentümers gestellten Antrag auf Naturalrestitution der Liegenschaft stattzugeben und die Liegenschaft zurückzustellen. Am 10. 11. 2009 übertrug die BIG der Beklagten unentgeltlich einen Zwölftelanteil der Liegenschaft. Die Beklagte veräußerte diesen Liegenschaftsanteil mit Kaufvertrag vom 25. 3. 2010 an die *****gesmbH um einen Kaufpreis von 1.100.000 EUR.

Die Kläger begehrten von der Beklagten die Zahlung von insgesamt 550.000 EUR (Erst- bis Viertklägerinnen je 110.000 EUR, Fünftklägerin und Sechstkläger je 55.000 EUR). Auch sie seien Anspruchsberechtigte im Sinne des EF‑G, der der Beklagten restituierte Zwölftelanteil an der Liegenschaft entspreche daher nicht ihrer Erbquote. Die Hälfte dieses Anteils gebühre entsprechend ihren Erbteilen den Klägern. Der geltend gemachte Anspruch stütze sich einerseits auf die analoge Anwendung der Erbschaftsklage nach § 823 ABGB, hilfsweise auf die nützliche Verwendung iSd § 1041 ABGB. Die Beklagte hafte auch schadenersatzrechtlich für die ihr nach § 1313a ABGB zuzurechnenden unrichtigen Angaben ihres Vertreters vor der Schiedsinstanz für Naturalrestitution.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht nicht für zulässig, weil es sich ‑ insbesondere im Hinblick auf den Ablauf der Antragsfrist im EF‑G mit 31. 12. 2007 ‑ um eine Einzelfallentscheidung handle, deren Bedeutung über den konkreten Fall nicht hinausgehe.

In ihrer außerordentlichen Revision beantragen die Kläger, das Urteil des Berufungsgerichts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung und Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen, in eventu in der Sache selbst zu entscheiden und dem Klagebegehren kostenpflichtig stattzugeben, in eventu einzelne Bestimmungen des EF‑G durch Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf ihre Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen überprüfen lassen und nach Vorliegen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Revision ist mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revisionswerber begründen die Zulässigkeit der Revision mit dem Fehlen einer Rechtsprechung zu einzelnen Teilaspekten der (Rechts‑)Frage, ob den Personen, die grundsätzlich in den Kreis der Antragsberechtigten nach § 27 Abs 2 EF‑G fallen, jedoch die Frist zur Antragstellung versäumt haben, Ansprüche gegen Erben von antragsberechtigten Personen im Sinne des § 27 Abs 2 EF‑G zustehen.

2. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet aber keineswegs, dass die Entscheidung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RIS-Justiz RS0102181, RS0107773, RS0110702). Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs sogar eher aus(RIS‑Justiz RS0102181).

Der bloße Umstand, dass die Frage der analogen Anwendung der Erbschaftsklage nach § 823 ABGB auf den Kreis der Antragsberechtigten nach § 27 Abs 2 EF‑G noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs war, bedeutet also nicht ohne Weiteres das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. Legt der Rechtsmittelwerber nicht nachvollziehbar dar, aus welchem Grund vernünftigerweise eine unmittelbar ohne jeden Zweifel nicht anwendbare Vorschrift sinngemäß Anwendung zu finden habe, liegt vielmehr trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS‑Justiz RS0042656 [T20]). Auch hier ist in der Ablehnung der

analogen Anwendung des § 823 ABGB durch das Berufungsgericht unter den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen.

3. Das Berufungsgericht hat die sinngemäße Anwendung der Erbschaftsklage nach § 823 ABGB vor allem mit dem Argument abgelehnt, dass zwar die Antragsberechtigung von Erben antragsberechtigter Personen gemäß § 6 Abs 2 bzw § 27 Abs 2 EF-G an die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des ABGB geknüpft sei, daraus aber keinesfalls abgeleitet werden könne, dass der Entschädigungsfonds oder die Schiedsinstanz verpflichtet hätte werden sollen, im Weg von Entschädigungsleistungen den Nachlass unter Beiziehung sämtlicher auch nicht bekannter, von Amts wegen zu ermittelnder Erben in rechtlich korrekter Weise neu zu verteilen. Die Naturalrestitution nach dem EF‑G könne nicht mit der Einantwortung eines Nachlasses verglichen werden.

Demgegenüber verweisen die Revisionswerber auf den Gesetzeszweck des EF‑G, als Ausfluss der gleichermaßen moralischen und rechtlichen Verantwortung der Republik Österreich eine umfassende Lösung offener Fragen der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus herbeizuführen. Dazu gehöre aber eben nicht nur die Rückstellung des geraubten Gutes, es sei auch den „zu spät gekommenen“ Anspruchstellern die Möglichkeit zu gewähren und ihnen Instrumente in die Hand zu geben, moralisch offenbar unberechtigte Vermögensverschiebungen zu sanieren und von anderen Anspruchsberechtigten die Herausgabe von zu viel vereinnahmten Vermögensteilen zu verlangen. Damit verkennen die Revisionswerber aber das Wesen und die Grenzen der Analogie. Es bedeutet noch keine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke, wenn der Gesetzgeber eine Regelung nicht vorgenommen hat (RIS‑Justiz RS0008859 [T1])

.

Die Gerichte haben nur die bestehenden Gesetze anzuwenden; es ist nicht ihre Aufgabe, im Wege einer allzu weitherzigen Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen; unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung (RIS-Justiz RS0009099).

Das bloß rechtspolitisch Erwünschte ist also keine ausreichende Grundlage für die ergänzende Rechtsfindung durch Analogie

(RIS-Justiz RS0009099 [T3]

,

RS0008866 [T6, T12, T26], RS0098756 [T3, T10]

).

4. Eine Prozesspartei hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch

, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0058452). Das Gericht hat von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs vorliegen. Die Revisionsausführungen dazu beschränken sich zum einen auf einen ‑ unzulässigen und daher unbeachtlichen (RIS-Justiz RS0043579, RS0043616, RS0007029) ‑ Verweis auf die in der Berufung dargestellten Bedenken, die schon das Berufungsgericht mit überzeugender Begründung ausdrücklich nicht geteilt hat. Die von den Revisionswerbern erstmals in der Revision aufgestellte Behauptung der Gleichheitswidrigkeit der Präklusivfrist des § 29 EF‑G ist nicht stichhaltig. Der in Art 7 B‑VG normierte Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Er verbietet demnach willkürliche Differenzierungen, lässt aber unterschiedliche Regelungen dort zu, wo sie durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen sachlich gerechtfertigt sind (RIS-Justiz RS0053452). Die Frist des § 29 EF‑G gilt für alle Anspruchsberechtigten gleich und eine unsachliche Ungleichbehandlung der Anspruchsberechtigten nach dem EF‑G gegenüber anderen vergleichbaren Personenkreisen zeigen auch die Revisionswerber nicht auf.

5. Die Kläger stellen in ihrer Revision auch keine sonstigen erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar. Insbesondere ist dem Berufungsgericht auch in Bezug auf die weiteren von den Klägern geltend gemachten Anspruchsgrundlagen keine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen.

Dem Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB steht entgegen, dass die durch das EF‑G ermöglichte Restitution eine freiwillige (§§ 1 Abs 2, 7 und 42 EF‑G) Leistung darstellt, darauf also kein Rechtsanspruch besteht. Diese „Forderung“ ist daher als eine bloße Vermögenschance anzusehen, die nur in engen Grenzen geschützt ist (Koziol in KBB4 § 1041 ABGB Rz 5, 8 mwN). Selbst wenn man das EF‑G als Selbstbindungsgesetz qualifizieren wollte, wäre ein Anspruch mangels Erfüllung der darin normierten Leistungsvoraussetzungen ausgeschlossen gewesen (RIS‑Justiz RS0117458). Der dann allenfalls klagbare Anspruch gegen die leistungspflichtige Gebietskörperschaft war zum Zeitpunkt der Restitution an die Beklagte nämlich jedenfalls verfristet. Außerdem findet die gegenständliche Vermögensverschiebung im Vertragsverhältnis der Beklagten zur BIG ihren zureichenden Rechtsgrund. Das Miteigentum der Beklagten an der Liegenschaft beruht ja mit Wirkung ex nunc auf einer privatrechtlichen Erklärung der zuständigen Organe der BIG als einer dem Bund zuzurechnenden juristischen Person (vgl § 37 Abs 2 EF‑G). Die nach den Bestimmungen des EF‑G vorgenommene Naturalrestitution hat daher keine rückwirkende Änderung des gesetzlichen Zuweisungsgehalts bewirkt. Aus der späteren Übertragung der Liegenschaft kann also nicht abgeleitet werden, die BIG hätte im Sinne des § 1041 ABGB eine fremde Sache ohne Rechtsgrund verwendet (vgl 5 Ob 150/13i); diese war vielmehr berechtigt, das Eigentum an die Beklagte zu übertragen.

Schadenersatz als Anspruchsgrundlage scheidet schon deshalb aus, weil die Annahme einer Rechtegemeinschaft analog § 825 ABGB am Fehlen der Mitinhaberschaft an einem obligatorischen Recht scheitert und mangels einer rechtlichen Sonderverbindung zwischen den Streitteilen die Gehilfenhaftung nicht nach § 1313a ABGB zu beurteilen ist (vgl

Karner

in KBB4 § 1313a ABGB Rz 2 mwN). Der Beklagten selbst kann nach den Feststellungen kein rechtswidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht werden. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts greifen die Revisionswerber auch gar nicht an.

6. Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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