OGH 5Ob85/20s

OGH5Ob85/20s23.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.‑Ing. B*, vertreten durch Mag. Dr. Otto Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei X* GmbH, *, vertreten durch die Hammer Barbach Rechtsanwälte OG, Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2019, GZ 35 R 238/19p‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 28. August 2019, GZ 6 C 197/17k‑15, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128747

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass es insgesamt lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig,

a. binnen 14 Tagen den vorigen Zustand durch Entfernung des von ihr angebrachten Lüftungsrohrs an der Außenfassade des Wohngebäudes auf der Liegenschaft EZ * KG * mit der Liegenschaftsadresse * sowie durch fachgerechte Verschließung des Bohrlochs und farbgleichen Anstrich der Fassade wiederherzustellen;

b. die Durchbohrung des Außenmauerwerks des auf dieser Liegenschaft befindlichen Wohngebäudes, die Anbringung eines Lüftungsrohrs und jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen.

2. Die Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig,

a) binnen 14 Tagen den vorigen Zustand durch Entfernung der auf dem auf dieser Liegenschaft befindlichen Wohngebäude neben dem Eingangsportal zum Lager der Beklagten außen montierten fünf Taster und durch Entfernung der an der Decke des Kellergangs in dem auf dieser Liegenschaft befindlichen Wohngebäude verlegten Gasleitung wiederherzustellen,

b) die Anbringung von fünf Klingeltastern an der Außenfassade neben dem Eingangsportal zum Lager der Beklagten und die Installation einer Gasleitung an der Decke des Kellergangs des auf dieser Liegenschaft befindlichen Wohngebäudes sowie jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen,

c) die Nutzung der ihr eigentümlichen 49/714stel Anteile an dieser Liegenschaft, welche untrennbar verbunden sind mit Wohnungseigentum am Lager I, als Büro oder die Überlassung zur Nutzung als Büro an Dritte oder jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen, bis die Änderung der Widmung des mit den 49/714stel ideellen Anteilen an dieser Liegenschaft in Büro im Grundbuch des Bezirksgerichts * erfolgt und rechtskräftig baubehördlich genehmigt worden sei,

werden abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.186,86 EUR (darin enthalten 200,16 EUR USt und 7,10 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 78,50 EUR bestimmte anteilige Pauschalgebühr binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 285,75 EUR bestimmten Barauslagen des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 357,50 EUR bestimmten anteiligen Barauslagen des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Mit den Miteigentumsanteilen der Beklagten ist laut Grundbuchsstand Wohnungseigentum am Lager I verbunden. Im Verfahren 9 Msch 33/17s des Erstgerichts wurde die Zustimmung der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer zur Umwidmung dieses Objekts in ein Büro ersetzt. Für die Nutzung als Büro baute die Beklagte eine neue Gastherme ein. Dazu brachte sie ein Lüftungsrohr an, das die Außenwand durchbricht, und tauschte im Gang des Kellers an der Decke eine Gasleitung aus. Neben der zum Büro führenden Außentür montierte sie ein Tastenfeld für eine Rufanlage.

Der Kläger begehrte Entfernung, Wiederherstellung und Unterlassung gleichartiger Störungen und bewertete die Entfernungs-/Wiederherstellungsbegehren insgesamt mit 3.500 EUR, wozu er vorbrachte, dass die Bewertung zu gleichen Teilen erfolge. Die dazu korrespondierenden Unterlassungsbegehren bewertete er ebenfalls mit 3.500 EUR und das die Büronutzung betreffende Unterlassungsbegehren mit 1.500 EUR. Die Beklagte habe durch Ein- und Umbauten in sein Miteigentum an allgemeinen Teilen des Hauses eingegriffen.

Die Beklagte wendete ein, die Um- und Einbauten seien bagatellhaft, daher zulässig und zu dulden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers teilweise Folge, bestätigte die Abweisung des die Büronutzung betreffenden Klagebegehrens und des auf Entfernung der neben dem Eingangsportal zum Lager der Beklagten außen montierten fünf Taster gerichteten Entfernungs-/Wiederherstellungsbegehrens sowie des korrespondierenden Unterlassungsbegehrens. Im Übrigen gab es der Klage statt und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Über Antrag der Beklagten nach § 508 ZPO erklärte es die Revision für zulässig, weil– zusammengefasst – die Beklagte unter Verweis auf Rechtsprechung, wonach mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützten, nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z  JN stünden, eine die absolute Anwaltspflicht begründende Zusammenrechnung bestreite, und damit die Unzulässigkeit der Zustellung der Berufung an ihre Rechtsvertreterin nach Auflösung des Vollmachtsverhältnisses geltend mache.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar nicht aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, aber deshalb zulässig, weil eine Fehlbeurteilung aufzugreifen ist.

1.1 Nach § 55 Abs 1 Z 1 JN sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Entscheidend sind dabei der vom Kläger behauptete Sachverhalt und die Rechtsgrundlage der Ansprüche (RIS‑Justiz RS0037899 [T5]).

1.2 Auch für die Zulässigkeit der Revision gilt, dass eine einheitliche Bewertung des Entscheidungsgegenstands aufgrund Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen hat, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RS0042741; RS0053096). Das erfordert ebenfalls, dass die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen (RS0042258 [T2]).

1.3 Die vom Kläger getrennt erhobenen und gesondert bewerteten Wiederherstellungs- und Unterlassungsbegehren stehen nur teilweise in einem rechtlichen bzw tatsächlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN. Dennoch hat das Berufungsgericht eine einheitliche Bewertung des Entscheidungsgegenstands vorgenommen („insgesamt“). Eine Ergänzung seines Ausspruchs kann aber unterbleiben, weil der Begründung dazu entnommen werden kann, dass es sich dabei nach der vom Kläger vorgenommenen Bewertung richtete.

2.1 Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder einem einheitlichen Rechtsgeschäft oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden (RS0037899 [T3]). Er ist dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann. Bei der Beurteilung dieser Frage ist vom Klagevorbringen auszugehen (RS0042741).

2.2 Der Kläger hat seine Entfernungs-/Wiederherstellungsbegehren auf die behaupteten Eingriffshandlungen der Beklagten im Zug der Umgestaltung ihres ursprünglich als Lager gewidmeten Wohnungseigentumsobjekts in ein Büro gestützt. Darauf beruhen auch seine korrespondierenden Unterlassungsansprüche (lit 1b und 2b des Spruchs). Für diese Ansprüche hat er sich auf den Rechtsgrund der Eigentumsfreiheit (§ 523 ABGB) gestützt und einen für diese Ansprüche gleichermaßen gültigen Sachverhalt behauptet. Es besteht daher hinsichtlich Störungsobjekt und Störungshandlung Identität (vgl 5 Ob 169/13h mwN). Die Zusammenrechnungsvoraussetzungen nach § 55 Abs 1 Z 1 JN liegen insoweit – und anders als zum rechtskräftig abgewiesenen, die Büronutzung betreffenden Unterlassungsanspruch – vor. Nichts anderes gilt, wenn man auf die zur Rechtsmittelzulässigkeit ergangene Rechtsprechung (RS0122950) abstellt, auf die sich die Beklagte zur Begründung, dass eine Zusammenrechnung zu unterbleiben hätte, stützt, und die § 55 Abs 1 JN als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung ansieht. Danach scheidet eine Zusammenrechnung im Zweifel zwar aus. Im vorliegenden Fall liegen zu den Entfernungs-/Wiederherstellungsbegehren und den korrespondierenden Unterlassungsbegehren aber Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB vor, die sich auf eine einheitliche Eingriffshandlung des Beklagten stützen.

2.3 Der Kläger hat, wie auch vom Berufungsgericht seinem Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zugrunde gelegt, seine Wiederherstellungs- und Unterlassungsansprüche, soweit sie zusammenzurechnen sind, mit je 3.500 EUR bewertet. Der Streitwert (und auch der Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz) übersteigen damit 5.000 EUR.

3.1 Dass in einem bezirksgerichtlichen Verfahren, in dem bei Wertzuständigkeit in einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht werden, die erst gemeinsam 5.000 EUR übersteigen, absolute Anwaltspflicht besteht, wenn diese Ansprüche nach den Grundsätzen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung zu 5 Ob 169/13h klar gestellt.

3.2 Besteht – wie hier – in einem bezirksgerichtlichen Verfahren absolute Anwaltspflicht gemäß § 27 Abs 1 ZPO, sind auch die von Amts wegen vorzunehmenden Zustellungen bei Beendigung der Prozessvollmacht an den bisherigen Vertreter der Partei vorzunehmen, bis die Partei dem Gericht die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts angezeigt hat (RS0035634; RS0035736). Zu der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage liegt daher bereits umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Die ehemalige Rechtsvertreterin der Beklagten hat die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit Schriftsatz vom 17. 4. 2019 und damit nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz gemäß § 193 Abs 3 ZPO bekanntgegeben. Die Mitteilung der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts zum Prozessvertreter war damit nicht verbunden. Die Aufhebung der Vollmacht wurde somit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner nicht wirksam (RS0035736 [T5]). Erst der mit der ordentlichen Revision verbundene Antrag gemäß § 508 ZPO enthielt die Mitteilung über die Vollmachtserteilung an die nunmehrige Rechtsvertreterin, sodass bis dahin der ehemaligen Vertreterin zuzustellen war (RS0035675). Eine Nichtigkeit des Berufungsverfahrens und damit der Revisionsgrund nach § 503 Z 1 iVm § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, die die Beklagte daraus ableitet, dass die Berufungsschrift des Klägers an seine ehemalige Vertreterin und nicht an sie persönlich zugestellt wurde, liegt nicht vor.

4. Zu den übrigen Argumenten der Revision:

4.1 Nach ständiger Rechtsprechung steht es jedem einzelnen Mit- und Wohnungseigentümer zur Abwehr eigenmächtig vorgenommener Änderungen (§ 16 Abs 2 WEG) durch einen anderen Wohnungseigentümer zu, mit der Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch geltend zu machen (RS0083156).

4.2 Zum Änderungsbegriff in § 16 WEG 2002 liegt gesicherte Rechtsprechung vor. Dieser ist weit auszulegen. Schon die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Mit- und Wohnungseigentümer verpflichtet den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung der anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters einzuholen. Tut er das nicht, handelt er in unerlaubter Eigenmacht, daher rechtswidrig und kann im streitigen Rechtsweg zur Beseitigung der Änderung, gegebenenfalls auch zur Unterlassung künftiger Änderungen verhalten werden (RS0083156). Der Streitrichter hat im Konfliktfall ausschließlich über die Genehmigungsbedürftigkeit, nicht hingegen über die Genehmigungsfähigkeit nach den Voraussetzungen des § 16 Abs 2 WEG und damit über die Verpflichtung zur Duldung einer Änderung zu entscheiden (RS0083148; 5 Ob 246/18i).

4.3 Nicht dem Änderungsbegriff nach § 16 Abs 2 WEG unterliegen bloß bagatellhafte Umgestaltungen (RS0109247). Sie sind demnach auch nicht genehmigungsbedürftig. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Verlegung des Lüftungsrohrs – wie die Revisionsrekurswerberin selbst geltend macht – um 4,5 m samt Durchbruch der Außenwand des Gebäudes nicht bloß eine Bagatelle ist, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats und ist daher nicht zu beanstanden. Dem hält die Beklagte in ihrem Rechtsmittel auch nichts Substantielles entgegen.

4.4 Das Berufungsgericht hat das unstrittige Parteienvorbringen (dazu RS0083785) seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Danach ist die Gasleitung an der Decke des Kellergangs im Zug der Neuinstallation der Therme ausgetauscht worden. Das kann nur so verstanden werden, dass an der Stelle einer ursprünglich vorhandenen (alten) Leitung eine neue angebracht worden ist. Die Revisionswerberin macht dazu geltend, dass das allein auf Entfernung der (neuen) Gasleitung gerichtete Begehren unschlüssig sei, weil dadurch nicht der ursprüngliche Zustand hergestellt werde. Darauf muss nicht näher eingegangen werden, weil im bloßen Austausch einer Gasleitung keine die Grenzen einer bloß bagatellhaften Umgestaltung überschreitende Maßnahme gesehen werden kann. Insoweit ist der vom Kläger beanstandete Vorgang, mag er auch ohne Absprache mit den Miteigentümern erfolgt sein, nicht genehmigungsbedürftig (RS0109247), sodass dem Klagebegehren, soweit es auf Entfernung der Gasleitung gerichtet ist, und dem dazu korrespondierenden Unterlassungsbegehren ebenfalls keine Berechtigung zukommt.

5. Der Revision ist damit teilweise Folge zu geben.

6. Die Kostenentscheidung beruht im Verfahren erster Instanz auf § 43 Abs 1 ZPO, in den Rechtsmittelverfahren zudem auf § 50 ZPO.

Der Kläger ist im Verfahren erster Instanz und im Berufungsverfahren mit rund einem Viertel seiner Ansprüche durchgedrungen und hat daher Anspruch auf Ersatz der von ihm alleine getragenen Pauschalgebühr für die Klage in diesem Umfang, schuldet der Beklagten im Gegenzug aber den Ersatz der halben Verfahrenskosten erster Instanz. Am Berufungsverfahren hat sich die Beklagte nicht beteiligt, sodass sie dem Kläger entsprechend seiner Erfolgsquote anteilig die Pauschalgebühr schuldet. In dritter Instanz betrug die Erfolgsquote des Klägers rund 50 %, sodass er der Beklagten die Hälfte der von ihr in diesem Verfahrensabschnitt getragenen Pauschalgebühr, auf Basis des noch strittigen Umfangs der Klage zu ersetzen hat. Die übrigen Kosten sind gegeneinander aufzuheben.

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