OGH 5Ob552/94

OGH5Ob552/946.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Oswald N*****, Prokurist, ***** vertreten durch Dr.Karl Zingher und Dr.Madeleine Zingher, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Hildegard T*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Gerd Hartung und Dr.Hildegard Hartung, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 26 Cg 72/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, Streitwert S 660.000,- s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 7.Dezember 1993, GZ 12 R 216/93-15, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8.Juli 1993, GZ 26 Cg 90/92-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Wiederaufnahmsklage wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 115.608,40 (darin enthalten S 18.160,- Barauslagen und S 16.241,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 23.4.1991, GZ 26 Cg 72/86-76, das mittlerweile in Rechtskraft erwachsen ist, wurde der jetzige Wiederaufnahmskläger schuldig erkannt, in die Rückübereignung jener zwei Drittelanteile an der Liegenschaft EZ ***** KG M***** an die jetzige Wiederaufnahmsbeklagte einzuwilligen, die er auf Grund eines notariellen Kauf- und Übergabsvertrages vom 17.3.1982 erhalten hatte. Der damals errichtete Notariatsakt wurde für nichtig erklärt, nachdem der jetzigen Wiederaufnahmsklägerin - insbesondere durch ein Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz.Dr.Schindler - der Nachweis gelungen war, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschäftsunfähig gewesen zu sein.

Nunmehr begehrt der im Vorprozeß unterlegene Beklagte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er stützt seine Wiederaufnahmsklage auf die Behauptung, daß Univ.Doz.Dr.Schindler sein Gutachten "nicht objektiv erstellt habe, sondern subjektiv beeinflußt gewesen sei". Er selbst habe gegenüber einem Berufskollegen (der im Vorprozeß ein gegenteiliges Privatgutachten erstattet hatte) sein Gutachten damit erklärt, daß ihn Frau T***** (die Beklagte des Vorprozesses) gebeten habe, ihr zu helfen, und da habe er "sein Möglichstes in diese Richtung getan".

Das Erstgericht wies zunächst diese Wiederaufnahmsklage a limine zurück, führte dann jedoch entsprechend dem ihm vom Rekursgericht in einem Aufhebungsbeschluß erteilten Auftrag das Wiederaufnahmsverfahren durch und gab dem Wiederaufnahmsbegehren statt.

Die hiefür maßgebliche Feststellung betrifft ein kollegiales Gespräch zwischen den beiden vorhin erwähnten Gutachtern (offenbar im Juli 1991), in dessen Verlauf Univ.Doz.Dr.Schindler folgende Bemerkung machte: "Frau T***** ist eine arme Frau, und ich habe ihr zu ihrem Recht verhelfen wollen."

Die Entscheidungsgründe folgen der im erwähnten Aufhebungsbeschluß vorgegebenen Rechtsansicht der zweiten Instanz.

Das von der Wiederaufnahmsbeklagten mit Berufung angerufene Gericht zweiter Instanz hielt den festgestellten Sachverhalt für nicht weiter aufklärungsbedürftig (auch nicht die von der Berufungswerberin aufgeworfene Frage, ob sich der Ausdruck "arme Frau" auf die vom Sachverständigen konstatierte und im fraglichen Zusammenhang erwähnte paranoide Entwicklung bei Frau T***** bezog) und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es führte im wesentlichen aus:

Der Ansicht, das Erstgericht habe einen anderen als den vom Kläger geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund festgestellt, könne nicht gefolgt werden. Entscheidend seien - wie schon im Aufhebungsbeschluß ausgeführt - nicht die von Dr.Schindler gebrauchten Worte, es komme vielmehr auf den Sinn seiner Äußerung an, da nur zu fragen sei, ob die abstrakte Möglichkeit einer anderen Würdigung seines Gutachtens bestanden hätte, wäre dem Erstgericht der jetzt festgestellte Sachverhalt bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren bekannt gewesen. Unabhängig davon, ob sich Dr.Schindler so wie festgestellt oder wie vom Kläger behauptet äußerte und ob er seiner Äußerung hinzufügte, er habe bei Frau Thilo eine paranoide Entwicklung diagnostiziert, bestehe jedenfalls der durchaus begründete Verdacht, daß er sich (bei Erstattung seines Gutachtens) von nicht ganz sachlichen Erwägungen habe leiten lassen. Damit sei aber auch nicht auszuschließen, daß das Gutachten vom Gericht (bei Kenntnis aller Umstände) anders gewürdigt worden wäre. Die (objektive) Unrichtigkeit eines im Vorprozeß erstatteten Sachverständigengutachtens bilde zwar nicht den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, doch stelle es diesen Wiederaufnahmsgrund her, wenn die nunmehr erwiesene Äußerung des Sachverständigen Univ.Doz.Dr.Schindler im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einer anderen Beweiswürdigung geführt hätte.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes enthält den Ausspruch, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteigt, die ordentliche Revision jedoch nicht zulässig sei. Letzteres wurde damit begründet, daß die in § 502 Abs 1 ZPO normierten Voraussetzungen für die Anrufung des Obersten Gerichtshofes nicht vorlägen.

Ihre außerordentliche Revision stützt die Wiederaufnahmsbeklagte vor allem darauf, daß ein gegen einen Sachverständigen vorgebrachter Ablehnungsgrund nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (SZ 49/67) nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO führen könne. Auch die bloße Unrichtigkeit eines Sachverständigengutachtens stelle diesen Wiederaufnahmsgrund nicht her. Die Beklagte hat daher beantragt, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen, in eventu abgewiesen wird; hilfsweise soll das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine der beiden Vorinstanzen zurückverwiesen werden.

Dem Kläger wurde die Beantwortung der Revision freigestellt. Er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem von der Rechtsmittelwerberin angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerberin ist beizupflichten, daß die sich aus späteren Tatumständen ergebende Unrichtigkeit eines Gutachtens oder mangelnde Eignung des Sachverständigen für sich allein keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO bildet. Dazu bedürfte es weiterer Umstände, etwa des Nachweises, daß eine behauptete Zwischenerhebung vom Sachverständigen in Wahrheit gar nicht durchgeführt wurde (SZ 49/67, SSV-NF 1/40) oder neue wissenschaftliche Methoden entdeckt wurden, deren Anwendung im Hauptverfahren zu anderen Erkenntnissen hätten führen können (vgl SSV-NF 1/40; ZVR 1989/99 ua). Umso weniger vermag der bloße Verdacht der Unrichtigkeit eines Sachverständigengutachtens für sich allein eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu begründen.

Im gegenständlichen Fall wird nur damit argumentiert, das die Entscheidung im Vorprozeß (mit)tragende Sachverständigengutachten wäre möglicherweise anders gewürdigt und die Beweissituation insgesamt verschoben worden, hätte das Gericht von Intentionen des Sachverständigen gewußt, der von ihm untersuchten Partei helfen zu wollen. Das läuft - wie dies ja auch vom Kläger ganz richtig dargestellt wurde - auf die Behauptung hinaus, der Sachverständige sei nicht objektiv an die ihm gestellte Aufgabe herangegangen, sondern wäre subjektiven Einflüssen erlegen. Auch das Berufungsgericht ging davon aus, daß der Verdacht besteht, ein Sachverständiger habe sich nicht von ganz sachlichen Erwägungen leiten lassen, wenn nachträglich eine Äußerung hervorkommt, wonach er sein Möglichstes tun wollte, um einer Partei "zu helfen" oder, nach anderer Diktion, "zu ihrem Recht zu verhelfen". In Wahrheit macht daher der Kläger geltend, ihm seien nachträglich Umstände bekannt geworden, die eine Befangenheit des Sachverständigen nahelegen. Das Wesen der Befangenheit liegt nämlich in der Entscheidungsbeeinflussung durch unsachliche Motive (vgl EvBl 1992/117 ua).

Eine solche nachträglich hervorgekommene Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen bildet, wie in der bereits von der Rechtsmittelwerberin zitierten höchstgerichtlichen Entscheidung SZ 49/67 = JBl 1976, 599 ausführlich begründet wurde, für sich keinen Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Nicht entscheidend ist dabei, ob die Befangenheit (auch) zum Gegenstand eines förmlichen Ablehnungsantrages gemacht wurde. Das Wiederaufnahmsbegehren scheitert daher schon an der absoluten Untauglichkeit des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes, ohne daß es darauf ankäme, ob die Berücksichtigung der geltend gemachten Ablehnungsgründe abstrakt dazu führen könnte, ein anderes Bild des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes herzustellen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht, weil sich die in SZ 49/67 dargestellten Argumente voll auf den gegenständlichen Fall übertragen lassen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Sie folgt den richtigen Kostenverzeichnissen der Beklagten, doch konnte ihr für den erfolglosen und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung auch gar nicht notwendigen Rekurs gegen den Beschluß auf Wiedereröffnung des Verfahrens (ON 7) kein besonderer Kostenersatz gewährt werden; außerdem ist sie durch die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht mit den vorsichtshalber verzeichneten Gerichtsgebühren für die Revision belastet.

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