Normen
ABGB §1295
ABGB §1296
ABGB §1297
ABGB §1325
StGB §§75 ff
ABGB §1295
ABGB §1296
ABGB §1297
ABGB §1325
StGB §§75 ff
Spruch:
§ 1295 ABGB - Eine gewisse, bei den einzelnen Sportarten mehr oder minder große und verschiedenartig bedingte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Sportausübenden ist im Wesen des Sportes begrundet. Insoweit Gefährdungen und Verletzungen nicht durch eine Vergrößerung des in der Natur der betreffenden Sportart gelegenen Risikos herbeigeführt werden, können die sie verursachenden Handlungen und Unterlassungen von Sportausübenden wegen ihrer Sozialadäquanz nicht als rechtswidrig angesehen werden
OGH 13. Juni 1978, 5 Ob 540/78 (LG für ZRS Graz, 4 R 270/77; BG Deutschlandsberg. C 13/77 )
Text
Am 9. Juli 1976 um etwa 21 Uhr spielten die Streitteile bei künstlicher Beleuchtung (Flutlicht) auf dem Tennisplatz in D als Partner gegen die Spieler Rund P ein sogenanntes Mixed-Doppel. Die Streitteile hatten einander erst bei diesem Spiel kennengelernt. Der Kläger spielte seit 1972 Tennis und war der Beklagten, die seil 1973 diesen Sport betrieb, aber nur Anfängerkenntnisse hatte, eindeutig im Spiel überlegen. Beide Streitteile sind Rechtshänder und die Beklagte ist besonders im Schlag mit der Rückhand schwach. Sie hatte während des Spieles dem Kläger öfter Bälle überlassen, die für sie bestimmt und mit Rückhand zu schlagen gewesen wären. Der Kläger stand in der linken Hälfte des Tennisplatzes zirka 1 m von der Seitenlinie entfernt und die Beklagte stand in einer Entfernung von etwa 3 m rechts von ihm auf ihrer Platzhälfte im Bereich der Grundlinie, als ein von dem Spieler R abgeschlagener Ball auf der Platzhälfte des Klägers aufschlug. Beide Streitteile bemühten sich gleichzeitig, den Ball zurückzuschlagen und unternahmen einen sogenannten großen Ausfallschritt. Es gelang dem Kläger auch, den Ball mit Vorhand zu schlagen, da er sich in einer Position links vom aufschlag des Balles befand und ihn mit seine Vorhand ohne nennenswerte Schwierigkeiten nehmen konnte. Die Beklagte wollte indessen den Ball ebenfalls mit Vorhand schlagen, stand aber mit dem Rücken zum Kläger gewendet und versetzte ihm mit dem Tennisschläger einen Schlag ins Gesicht; sie hatte zwar, als sie den sogenannten Ausfallschritt unternahm, plötzlich die weiße Tenniskleidung des Klägers vor sich gesehen, konnte aber ihren Schlag mit dem Racket nicht mehr abbremsen. Da beide Streitteile Rechtshänder sind, war der von dem Spieler R abgeschlagene Ball besser für einen Vorhandschlag des Klägers als für einen Rückhandschlag der Beklagten geeignet. Im Hinblick auf den geringen Tiefenabstand war es zwar für die Beklagte technisch möglich, den Ball mit Vorhand zu schlagen, aber der Schlag mit Rückhand wäre technisch besser gewesen. Es kommt zwar beim Tennisspiel öfter vor, daß ein körperlicher Kontakt eines Spielers mit dem Racket eines anderes Spielers erfolgt, aber einem erfahrenen Spieler wäre es in der vergleichbaren Situation, in der sich die Beklagte befand, möglich gewesen, bei dem Erscheinen des Klägers im Blickfeld den Schlag mit dem Racket noch abzubremsen. Das Verhalten der Beklagten bewies aber, daß sie damals noch eine sehr schwache Spielerin war und keine Routine und keine Wettkampferfahrung besaß. Der Schlag mit dem Racket ins Gesicht des Klägers ist daher auf eine gewisse Unerfahrenheit und Ungeübtheit der Beklagten zurückzuführen, die entsprechend ihren Fähigkeiten als Anfängerin gespielt, aber gegen keine Sportregeln verstoßen hat, die beim Tennisspiel einzuhalten sind. Im Tennis gibt es nämlich keine Regel, wer von den Partnern bei einem Mixed-Doppel den Ball schlagen darf.
Der Kläger erlitt Verletzungen im Gesicht und begehrte die Bezahlung von Zahnbehandlungskosten und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für die künftigen Folgen aus diesem Unfallsereignis.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es nahm ein Verschulden der Beklagten an dem Unfall an, denn sie habe erkennen müssen, daß der Kläger um den Ball bemüht, aber früher als sie am Ball gewesen und unmittelbar neben ihr gestanden sei, als sie mit dem Rücken zu ihm stehend, zum Schlag mit dem Racket ausgeholt habe.
In Stattgebung der Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz die Entscheidung dahin ab, daß es das gesamte Klagebegehren nach Wiederholung des Beweisverfahrens abwies.
Das Berufungsgericht kam im wesentlichen zu folgenden rechtlichen Schlußfolgerungen:
Für die Berechtigung von Schadenersatzansprüchen aus Verletzungen bei einem Sportunfall seien die allgemeinen Normen des bürgerlichen Rechtes über den Schadenersatz (§§ 1293 ff. ABGB) maßgebend. Sonderregeln für einen Unfall bei Ausübung des Tennissportes seien nicht vorhanden. Im vorliegenden Fall sei sicher der Eintritt des Schadens und der adäquate Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und der Verletzung des Klägers erwiesen. Zu prüfen sei jedoch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten und ihr Verschulden an dem Unfall. Rechtswidrig sei ein menschliches Verhalten, wenn es der geltenden Rechtsordnung widerspreche und durch keine Norm der Rechtsordnung gerechtfertigt werde. Die Verletzung eines Menschen werde von der Rechtsordnung mißbilligt. Rechtswidrigkeit liege jedoch dann nicht vor, wenn der Verletzte oder Gefährdete in die Gefährdung einwillige und die Gefährdung selbst nicht gegen die guten Sitten verstoße. Die Zufügung von Sportverletzungen werde rechtlich anders behandelt als die Zufügung von Verletzungen in anderen Lebenslagen. Diese rechtliche Sonderstellung beziehe sich aber im allgemeinen nur auf Sportveranstaltungen, die bei regelentsprechender Sportausübung entstunden. Eine durch die allgemein anerkannten und daher für die Sportler verbindlichen Sportregeln, nicht gedeckte Handlung habe der Sportler, der einem anderen einen Schaden zufüge, grundsätzlich auch zivilrechtlich zu verantworten. Typische Sportverletzungen, die im Zuge der regelrechten Sportausübung geschehen, müßten wegen des hoch eingeschätzten sozialen genommen werden. Die Sportausübung gehöre zu den Handlungen, die zwar an und für sich gefährlich, aber dennoch nicht verboten, sondern im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt erlaubt und daher nicht rechtswidrig sei.
Für Sportunfälle gelte nur die Verschuldenshaftung und keine Gefährdungshaftung. Schuldhaft sei die absichtliche oder fahrlässige Schadenszufügung. Vorsatz habe der Kläger nicht behauptet. Gemäß § 1296 ABGB sei im Zweifel zu vermuten, daß ein Schaden ohne Verschulden eines anderen entstanden ist. Der allgemeine Verschuldensmaßstab des § 1297 ABGB gelte auch hier. Die Zufügung einer Sportverletzung sei nicht schuldhaft, wenn die Verletzung trotz Einhaltung der für die Anwendung der betreffenden Sportart geltenden Regeln zugefügt worden ist.
Da die Beklagte keine Regeln des Tennissportes verletzt und entsprechend ihrem geringen Können als Anfängerin, aber ordnungsgemäß gespielt habe und nicht in der Lage gewesen sei, den Schlag mit dem Racket ins Gesicht des Klägers abzubremsen, sei ihr Verhalten weder als schuldhaft noch als rechtswidrig zu werten.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Ansprüche auf Ersatz des Schadens, den ein Tennisspieler durch eine ihm von seiner Partnerin beim Spiel gegen ein anderes Spielerpaar (gemischtes Doppelspiel) mit dem Tennisschläger zugefügte Körperverletzung erlitten hat, sind in Ermangelung spezieller privatrechtlicher Vorschriften nach den Bestimmungen des ABGB über den Schadenersatz im allgemeinen (§§ 1293 ff.) und bei Körperverletzungen im besonderen (§ 1325) zu beurteilen. Es ist deshalb für die Zurechnung des Schadens an den schädigenden Spieler erforderlich, daß er die Körperverletzung seines Spielpartners durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verursacht hat und daß die von ihm übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck den eingetretenen Schaden verhindern sollte.
Die Verursachung des Schadens, den der Kläger ersetzt begehrt, durch einen von der Beklagten mit dem Tennisschläger ausgeführten Schlag ist hier nie in Zweifel gestanden.
Aus § 1325 ABGB und aus den Bestimmungen des Strafgesetzbuches über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (§§ 75 ff. StBG) ergibt sich die Anerkennung des absoluten, d. h. einen Schutz gegen jedermann genießenden Persönlichkeitsrechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Koziol - Welser, Grundriß[4] I, 52, 328). Daraus wird die allgemeine Rechtspflicht abgeleitet, niemanden in seiner körperlichen Unversehrtheit zu gefährden (EvBL. 1975/3, S. 13 u. a.). Jede Körperverletzung, die durch menschliches Verhalten herbeigeführt wird, ist deshalb grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn die Verletzungshandlung nicht gegen besondere gesetzliche Verhaltensnormen verstößt (Koziol - Welser a. a. O., 328).
Es ist allgemein bekannt, daß es bei der Ausübung verschiedener Sportarten durch mehrere Teilnehmer, insbesondere beim sogenannten Kampfsport (z. B. Boxen, Ringen, Fechten, Judo, Karate), aber auch bei den meisten anderen Sportarten, die in Gemeinschaft ausgeübt werden und zu einem notwendigen Naheverhältnis der Teilnehmer zueinander oder zu den dabei verwendeten Sportgeräten führen, zu Gefährdungen oder Verletzungen der Beteiligten kommt. Diese Folgen sind beim Kampfsport geradezu typisch und zum Teil sogar beabsichtigt, werden bei einem Kampfspiel, wie etwa beim Fußball, wegen ihrer mit der Natur dieser Sportart verbundenen Regelmäßigkeit bewußt in Kauf genommen und sind bei den meisten übrigen Sportarten oft nicht vermeidbar. Eine gewisse, bei den einzelnen Sportarten mehr oder weniger große und verschiedenartig bedingte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Sportausübungen ist also im Wesen des Sportes begrundet. Dem Sport als einer an der spielerischen Selbstentfaltung und am Leistungsstreben orientierten, der körperlichen und geistigen Beweglichkeit dienenden Form menschlicher Betätigung (Brockhaus, Enzyklopädie[17], 17. Bd., 761) wird von der menschlichen Gemeinschaft ein so hoher Wert innerhalb der gewachsenen sozialethischen Ordnung zugemessen, daß sie das notwendigerweise damit verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen offensichtlich billigt. Insoweit Gefährdungen der körperlichen Sicherheit und Körperverletzungen bei der Ausübung des Sportes nicht durch eine Vergrößerung des in der Natur der betreffenden Sportart gelegenen Risikos herbeigeführt werden, können die sie verursachenden Handlungen und Überlassungen von Sportausübenden wegen ihrer Sozialadäquanz auch nicht als rechtswidrig angesehen werden (in diesem Sinne schon SSt 30/131). Es sind demnach die allgemeinen Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen, wie sie sonst bei Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit und bei Körperverletzungen von Menschen gefordert werden, für den sportlichen Bereich in der dargestellten Weise reduziert.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes kommt es beim Doppel-Tennisspiel öfter vor, daß ein körperlicher Kontakt eines Spielers mit dem Tennisschläger eines anderen Spielers erfolgt. Dies erscheint für den vorliegenden Fall besonders einleuchtend, weil die Streitteile gleichzeitig versucht haben, den auf ihrer Spielfeldhälfte aufgeschlagenen Tennisball zurückzuschlagen, und es keine Regel gibt, wer von den Spielpartnern in einem solchen Fall den Ball schlagen darf. Eine gewisse Gefährdung des Spielpartners, der bei einem Doppelspiel in den Schlagbereich des anderen Spielpartners gelangt, liegt also grundsätzlich in der Natur dieser Spielart. Es kann deshalb auch nicht der Beklagten als ein rechtswidriges Verhalten angelastet werden, daß sie den außer ihrem Gesichtsfeld, aber im Schlagbereich ihres Rackets stehenden Kläger durch ihren Versuch, den näher bei ihm aufgeschlagenen Tennisball zurückzuschlagen, in seiner körperlichen Unversehrtheit gefährdet und ihm eine Körperverletzung zugefügt hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes wäre ein erfahrener Spieler in einer vergleichbaren Situation, in der sich die Beklagte befand, als sie den zur Verletzung des Klägers führenden Schlag mit dem Racket vornahm, in der Lage gewesen, den Schlag beim Erscheinen des Klägers in seinem Blickfeld noch abzubremsen; das Verhalten der Beklagten beweise deshalb, daß sie eine sehr schwache Spielerin gewesen sei und noch keine Routine und auch keine Wettkampferfahrung besessen habe.
Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß die Beklagte im Doppel-Tennisspiel eine Anfängerin war, und daraus ist rechtlich abzuleiten, daß sie demgemäß auch nur für die von einer Anfängerin in Sportart zu erwartenden, noch relativ geringen Fähigkeiten einzustehen hatte. Zu diesen Fähigkeiten zählt ganz offensichtlich nicht die Routine, die notwendig ist, einen bereits in Ausführung begriffenen Schlag mit dem Racket noch rechtzeitig abzubremsen. Es kann deshalb der Beklagten auch kein Verschulden vorgeworfen werden.
Aus all diesen Erwägungen ist dem Berufungsgericht in der Ansicht beizustimmen, daß das Klagebegehren in Ermangelung eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten nicht begrundet ist.
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