Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß wieder hergestellt wird.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies den Antrag des unterhaltspflichtigen Vaters der Minderjährigen auf Herabsetzung der seit 1. 4. 1989 mit monatlich S 2.600,- festgelegten Unterhaltsleistung (ON 35) auf monatlich S 1.700,- ab 1. 10. 1990 ab.
Die von der Unterhaltsberechtigten bezogene monatliche Nettolehrlingsentschädigung von S 2.707,- (einschließlich anteiliger Sonderzahlungen) ergäbe zusammen mit der Unterhaltsleistung von S 2.600,- pro Monat nicht den für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit als Orientierungshilfe heranzuziehenden Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a ASVG von damals S 5.574,-.
Das Rekursgericht setzte die vom unterhaltspflichtigen Vater zu erbringende monatliche Unterhaltsleistung ab 1. 10. 1990 mit S 2.000,- fest, bestätigte die Abweisung des darüber hinausgehenden Herabsetzungsantrages und sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus.
Auszugehen sei von einer unterdurchschnittlichen Unterhaltsbemessungsgrundlage von ca S 13.000,- pro Monat und - entgegen der Annahme des Erstgerichtes - auf Grund eigener Erhebungen des Rekursgerichtes von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen (Lehrlingsentschädigung) der Unterhaltsberechtigten von S 2.562,71. Ausgehend von einem Regelbedarfsatz (für die Altersstufe von 15 - 19 Jahren) von monatlich S 3.570,- und pauschal anzunehmenden Berufsausbildungskosten von monatlich S 1.000,- ergäbe sich ein Bedarf der Unterhaltsberechtigten von monatlich S 4.570,-, wovon S 2.000,- durch die Lehrlingsentschädigung nicht gedeckt seien. Eine weitergehende Alimentierung habe nicht zu erfolgen.
Auf die Problematik des Einflusses des sogenannten sozialversicherungsrechtlichen Existenzminimums auf die Annahme von Selbsterhaltungsfähigkeit sei in diesem Fall nicht einzugehen, weil (volle) Selbsterhaltungsfähigkeit unstrittig nicht vorliege.
Da die Unterhaltsberechtigte im Haushalt ihrer Mutter lebe und betreut werde, dürfe bei Feststellung der Bedürfnisse der Minderjährigen nicht auf die Bedürfnisse eines außerhalb des elterlichen Haushaltes Lebenden abgestellt werden (vgl EvBl 1990/134).
Der ordentliche Revisionsrekurs sei im Hinblick auf die auf den Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a ASVG als Orientierungshilfe für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit und offensichtlich auch für den Bedarf eines Lehrlings abstellenden Entscheidungen 3 Ob 547/90 und 1 Ob 594/90 des Obersten Gerichtshofes, von denen das Rekursgericht abgewichen sei, zulässig.
Gegen den abändernden Teil der Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, insofern den erstgerichtlichen Beschluß wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen und Fähigkeiten etc nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Dieser Unterhalt kann durch Zahlung von Geldbeträgen (Geldunterhalt) oder durch Erbringung von Betreuungsleistungen erbracht werden, wobei der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er mit dem Kind lebt, dadurch grundsätzlich seinen (vollen) Beitrag leistet, dh den auf ihn entfallenden Anteil voll erbringt. Zur Erbringung von zusätzlichen Geldleistungen ist dieser Elternteil neben dem sonst primär geldunterhaltspflichtigen anderen Elternteil nur subsidiär unter den in § 140 Abs 2 Satz 2 ABGB genannten Voraussetzungen verpflichtet.
Gemäß § 140 Abs 3 ABGB mindert sich der Unterhaltsanspruch des Kindes (gegen jeden Elternteil - s 6 Ob 624/90) insoweit, als es Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.
Selbsterhaltungsfähigkeit im vollen Sinn des Begriffes ist erst gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmen der bestimmten konkreten Lebensverhältnisse aus eigenen Kräften zu finanzieren imstande ist (vgl 6 Ob 624/90), und zwar auch außerhalb des elterlichen Haushaltes (3 Ob 547/90; 10 Ob S 19/90; 1 Ob 594/90). Im Falle solcher - hier zweifellos nicht gegebener - Selbsterhaltungsfähigkeit vermindert sich der Unterhaltsanspruch gegen jeden Elternteil auf Null, fällt also weg. Davon zu unterscheiden ist der Fall, daß das Kind durch eigene Einkünfte einen Teil seiner Unterhaltsbedürfnisse decken kann, manchmal auch als "Teilselbsterhaltungsfähigkeit" bezeichnet, geregelt in § 140 Abs 3 Fall 1 ABGB.
In der hier zu beurteilenden Rechtssache ist demnach im Sinne des § 140 Abs 3 Fall 1 ABGB zu prüfen, wie sich die vom unterhaltsberechtigten Kind, das im Haushalt seiner Mutter betreut wird, bezogene Lehrlingsentschädigung auf die Höhe des vom Vater zu leistenden Geldunterhaltes auswirkt.
Als eigenes Einkommen im Sinne des § 140 Abs 3 ABGB ist alles anzusehen, was dem Kind an Leistungen welcher Art immer auf Grund eines Anspruches zukommt, soweit nicht bestimmte Einkünfte auf Grund von gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anzurechnen sind. Zwischen Lehrlingen und anderen Einkommensbeziehern ist daher kein Unterschied zu machen (EvBl 1990/134), so daß auch die Lehrlingsentschädigung (§ 17 BAG) eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 140 Abs 3 ABGB ist (EvBl 1990/134; 6 Ob 624/90, 8 Ob 550/90, 3 Ob 547/90 ua). Ob dabei der durch Berufsausbildung (oder nach anderer Ansicht auch durch Berufsausübung) bedingte Mehrbedarf des Lehrlings als nicht als Einkommen zu berücksichtigender Teil der Lehrlingsentschädigung gewertet wird oder ob die ganze Lehrlingsentschädigung vom entsprechend erhöhten Unterhaltsbedarf abgezogen wird, führt zum ziffernmäßig gleichen Unterhaltsbedarf und braucht daher als für die Entscheidung im Einzelfall unergiebig nicht weiter theoretisch untersucht werden.
Schon das Auseinanderfallen von Unterhaltsbedarf und bei betragsmäßiger Bestimmung des Unterhaltsanspruches zu berücksichtigender (gegebenenfalls geminderter) Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen sowie die Tatsache des Bestehens subsidiärer oder mangels Haushaltszugehörigkeit des Kindes zu einem Elternteil auch primärer Geldunterhaltspflicht des anderen Elternteiles schließen die Berücksichtigung des eigenen Einkommens des Unterhaltsberechtigten durch einfaches Abziehen vom vorher zu leistenden Geldunterhalt aus: Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürfen weder zu einer einseitigen Entlastung nur des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteiles) noch dazu führen, daß der Unterhaltsberechtigte seine - durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bewirkte - eingeschränkte Bedürfnisbefriedigung nur deswegen beibehalten soll, um den Geldunterhaltspflichtigen noch weiter zu entlasten.
Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 6 Ob 624/90 ausführlich darlegte, komme es darauf an, daß im Falle bloß teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit die Quote des nicht gedeckten Gesamtunterhaltsbedarfes (nach den konkreten Lebensverhältnissen) ermittelt wird. Sodann sei der nicht durch Naturalleistungen gedeckte Unterhaltsbedarf zu ermitteln und mit der vorgenannten Quote zu multiplizieren. Dies ergebe den Anspruch auf Geldunterhalt, soweit er in der Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen Deckung findet. Der erkennende Senat ging in seiner Entscheidung EvBl 1990/134 insofern von den konkreten Lebensverhältnissen aus, als er geringere Unterhaltsbedürfnisse wegen Wohnens der Unterhaltsberechtigten im Haushalt ihrer Mutter annahm; dies ist selbst für den Fall eines entsprechenden Beitrages der Minderjährigen zu den Haushaltskosten der Fall, weil der Anteil an den Fixkosten jedenfalls weniger ausmacht als die Tragung aller solchen Kosten durch eine Person allein im Falle des Wohnens nicht in Hausgemeinschaft mit einem Elternteil. Nichts anderes sollte in dieser Entscheidung durch den Hinweis auf die Tatsache zum Ausdruck gebracht werden, daß im Falle der Nichterbringung der Betreuungsleistung durch die Mutter auch diese - mangels Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes - zu Geldunterhalt verpflichtet wäre.
Der erkennende Senat legt daher der jetzigen Entscheidung die umfassenderen Gesichtspunkte der Entscheidung 6 Ob 624/90 zu Grunde.
Mit diesen Grundsätzen in Widerspruch steht die Ermittlung des Geldunterhaltes, der nur ein Teil des dem Kind gebührenden Gesamtunterhaltes ist, für sich allein, zB durch den vom Rekursgericht vorgenommenen Regreß auf statistisch ermittelte Durchschnittswerte, den sogenannten Regelbedarf, von dem es dann noch zur Ermittlung der Geldunterhaltsleistung das Eigeneinkommen der Unterhaltsberechtigten abzog.
Welches Einkommen zur Deckung aller Bedürfnisse eines Kindes (Lehrlings) - einschließlich der finanziellen Abgeltung der Betreuungsleistungen - erforderlich ist, läßt sich zwar nicht allgemein beantworten, doch bietet der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG (ab 1. 7. 1990 S 5.574,- 14 mal jährlich, daher im Monatsdurchschnitt ca S 6.500,-) als sogenanntes "sozialversicherungsrechtliches Existenzminimum" eine Richtschnur (3 Ob 547/90 unter Hinweis auf 10 Ob S 19/90; 1 Ob 594/90) für einfachste Lebensverhältnisse.
Geht man - durchaus zu Gunsten des unterhaltspflichtigen Vaters - davon aus, daß das Kind nur Unterhaltsbedürfnisse im Gegenwart von S 6.500,- hat und daß die Lehrlingsentschädigung (mangels berufsbedingten Mehraufwandes - gewiß eine Fiktion) zur Gänze zur Deckung dieser Bedürfnisse verwendet werden kann, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 4.000,- (60 % des Gesamtbedarfes), der durch Geldunterhalt und Betreuungsleistungen abzudecken ist. Da der geschuldete Betreuungsaufwand für einen 16jährigen Lehrling zweifellos mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen ist als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag, kann ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen von einem Verhältnis 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden. Selbst unter diesen Prämissen errechnet sich unter Anwendung der in der Entscheidung 6 Ob 624/90 dargelegten Grundsätze ein Geldunterhalt von S 2.600, (6.500x2x60 3x100 ).
Da es sich dabei nach allen im Tatsachenbereich gelegenen Voraussetzungen um Annahmen zu Gunsten des Geldunterhaltspflichtigen handelt, ist der ermittelte Betrag ein Mindestbetrag an Geldunterhalt. Daraus folgt, daß der Herabsetzungsantrag des Vaters nicht gerechtfertigt ist.
Auch eine Kontrollrechnung läßt - entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes - das Ergebnis richtig erscheinen. Dem mit keinen sonstigen Sorgepflichten belasteten Vater verbleiben nach Erbringung dieser Unterhaltsleistung von S 2.600,- für seine Bedürfnisse noch S 10.400,-. Dies ist für ihn keineswegs unzumutbar, muß doch sein Kind mit S 6.500,- das Auslangen finden.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
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