OGH 10ObS19/90

OGH10ObS19/9013.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Dr.Franz Trabauer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann L***, Lehrling, 3163 Rohrbach/Gölsen, Schloßstraße 46, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld (Jugendabteilung) als besteller Amtsvormund, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***, 1051 Wien,

Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Michael Graf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Waisenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 25.September 1989, GZ 31 Rs 214/89-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.Juli 1989, GZ 32 Cgs 82/89-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 10.März 1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag des am 4.März 1971 geborenen Klägers vom 18.Jänner 1989, ihm die Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus weiter zu gewähren, ab, weil er auf Grund eines Lehrverhältnisses Einkünfte erziele, die seine Selbsterhaltungsfähigkeit sicherten.

Diesen Bescheid bekämpfte der Kläger mit rechtzeitiger Klage, in der er geltend machte, die Lehrlingsentschädigung sei in eine für die Pensionszuerkennung zu errechnende Bemessungsgrundlage nicht einzurechnen, weshalb ihm die Waisenpension für die Dauer seiner Berufsausbildung über das 18. Lebensjahr hinaus gebühre. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger, der am 4.März 1989 das 18. Lebensjahr vollendete, seit 1. Jänner 1989 als Kraftfahrzeugmechanikerlehrling im 3. Lehrjahr eine Lehrlingsentschädigung von S 5.542,40 brutto, nach Abzug von Sozialversicherungsbeitrag und Lohnsteuer S 4.602,10 netto monatlich bezieht. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, eine die Kindeseigenschaft verlängernde Berufsausbildung (§ 128 Abs 2 GSVG) liege nur dann vor, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen werde. Da der Kläger, der bis einschließlich März 1989 die Waisenpension bezogen habe, im April 1989 eine Lehrlingsentschädigung von S 5.542,40 erhalten habe und weiterhin ein Einkommen in zumindest dieser Höhe erzielen werde, sei seine Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen, da sein Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz (S 5.134,--) übersteige. Infolge Fehlens der Kindeseigenschaft habe die beklagte Partei somit die Verlängerung der Waisenpension zu Recht abgelehnt.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Gleichzeitig trug es der beklagten Partei auf, dem Kläger eine vorläufige Zahlung von S 500,-- monatlich ab 1.April 1989 zu leisten. Es sei richtig, daß das Tatbestandsmerkmal einer die Kindeseigenschaft verlängernden Berufsausbildung iS des § 128 Abs 2 Z 1 GSVG (wie auch § 252 Abs 2 Z 1 ASVG) nur dann gegeben sei, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen werde. Als die Selbsterhaltungsfähigkeit sicherndes Entgelt werde in jeder Berufsgruppe ein Entgelt in der Größenordnung der Anfangsnettobezüge anzunehmen sein. Die Höhe des Pensionsrichtsatzes könne hingegen keine Aussage über die Selbsterhaltungsfähigkeit treffen, sondern sei in diesem Zusammenhang nur dafür entscheidend, ob das waisenpensionsberechtigte Kind im Hinblick auf sein Einkommen auch noch Anspruch auf eine Ausgleichszulage habe. Nach der Entscheidung SSV-NF 1/39 komme es überhaupt nur darauf an, ob sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde, die seine Arbeitskraft überwiegend beanspruche. Wenn und solange diese Voraussetzung zutreffe, bestehe die Kindeseigenschaft bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres und ein neben der Schul- oder Berufsausbildung erzieltes Einkommen jeglicher Art berühre weder Grund noch Höhe des Anspruches auf Waisenpension. Wenn schon neben der Schul- und Berufsausbildung erzieltes Einkommen jeglicher Art zu vernachlässigen sei, dann umsomehr Einkommen in Form einer Lehrlingsentschädigung, die schon aus dem Wortlaut und Zweck dieser Einkunftsart nicht die vollen Lebenskosten decken solle. Daher könne aus diesem Grund die Lehrlingsentschädigung vernachlässigt werden. Bei sozialer Rechtsanwendung könne die Auslegung des § 128 Abs 2 Z 1 GSVG nicht einerseits dazu führen, daß ein sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindlicher Student ein Einkommen neben dieser Ausbildung in beliebiger Höhe beziehen könne, ohne des Anspruches auf Waisenpension verlustig zu gehen und andererseits eine Entschädigung im Rahmen der Schul- und Berufsausbildung als Lehrling zum Verlust des Anspruches führe, weil sie den Ausgleichszulagenrichtsatz überschreite. Aber auch unter Zugrundelegung der in der Entscheidung SSV-NF 2/35 vertretenen Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofes, daß nur ein im Rahmen der Ausbildung erzieltes, nicht geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit übersteigendes Einkommen die Kindeseigenschaft ausschließe, gelange man zum selben Ergebnis. Die Lehrlingsentschädigung eines Kraftfahrzeugmechanikers erreiche nicht den Anfangsbezug eines Facharbeiters in diesem Beruf. Nach dem gerichtsbekannten Kollektivvertrag habe der Stundenlohn eines Facharbeiters im Jahr 1988 S 62,60 und im Jahr 1989 S 67,30 betragen, so daß der Bruttomonatsbezug S 10.850,-- bzw. S 11.665,-- ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen betragen habe. Daher könne bei einer um die Hälfte dieses Betrages liegenden Lehrlingsentschädigung Selbsterhaltungsfähigkeit nicht angenommen werden, selbst wenn sich der Kläger nunmehr im 4. Lehrjahr befinde, weil auch die Lehrlingsentschädigung von S 1.700,-- je Woche die Grundlagen für die dargelegte Rechtsmeinung nicht ändern würden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird die Aufhebung beantragt. Der Kläger beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung 10 Ob S 18/88 (SSV-NF 2/35 = ZAS 1989, 63 mit Besprechung von Binder) dargelegt hat, besteht die Kindeseigenschaft während einer Berufsausbildung nur dann iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG (entsprechend § 128 Abs 2 Z 1 GSVG) über das 18. Lebensjahr hinaus weiter, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen werde. Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt bezog die dortige Klägerin, die einen Büropraxiskurs für Maturanten absolvierte, während des Kursbesuches eine Beihilfe nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz von monatlich S 5.131,-- (netto). Diese Beihilfe erreichte damit eine Höhe, die über dem damals geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz (§ 293 ASVG) lag, so daß davon auszugehen war, daß sie auch zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten ausreichte. Damit bestanden die Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenpension für die Dauer des Kursbesuches nicht. Die in der genannten Entscheidung entwickelten Grundsätze lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Gemäß § 1 BAG sind Lehrlinge im Sinne dieses Gesetzes Personen, die auf Grund eines Lehrvertrages zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes bei einem Lehrberechtigten fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden. Gemäß § 9 Abs 2 BAG hat der Lehrberechtigte den Lehrling nur zu solchen Tätigkeiten heranzuziehen, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind. Dem Lehrling dürfen keine Aufgaben zugewiesen werden, die seine Kräfte übersteigen. Nach § 17 Abs 1 BAG gebührt dem Lehrling eine Lehrlingsentschädigung, zu deren Bezahlung der Lehrberechtigte verpflichtet ist. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt darin, daß damit die Entgeltlichkeit des Lehrverhältnisses ausdrücklich bestimmt wird (Kinscher BAG2 86). Nach einhelliger Auffassung ist die Lehrlingsentschädigung als Entgelt im arbeitsrechtlichen Sinn anzusehen (Arb. 10.374 SZ 50/92 jeweils mwN). Das in der Bezeichnung Lehrlingsentschädigung enthaltene Wort "Entschädigung" ist insofern irreführend, als es sich keineswegs um einen Anspruch des Lehrlings auf Aufwandersatz oder gar Schadenersatz handelt (Berger-Fida-Gruber, BAG 349). Bei der Bemessung der Lehrlingsentschädigung wird nicht nur der Ausbildungszweck des Lehrverhältnisses, sondern darüber hinaus auch der Umstand berücksichtigt, daß der Lehrling gerade am Beginn seiner Lehrzeit erst allmählich nützlich und erfolgreich für den Lehrberechtigten eingesetzt und tätig werden kann (Arb. 10.374). Dabei mag der Wert der Arbeitsleistung zu Beginn der Ausbildung verhältnismäßig gering sein und erst mit fortschreitendem Ausbildungsgrad sich der Leistung eines ausgebildeten Arbeitnehmers nähern; jedenfalls ist auch der Ausbildende an der Arbeitsleistung interessiert. Der Ausbildungszweck darf bei der Beurteilung des Lehrverhältnisses nicht überbetont werden (Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3 72; vgl. auch Binder aaO 65, wonach erst dann, wenn das Arbeitsentgelt eine Höhe erreicht, das über dem in der Anfangsphase zu zahlenden Lehrlingstarif liegt, davon ausgegangen werden kann, daß die Tätigkeit des Auszubildenden für den Arbeitgeber eigenständigen Wert erhält).

Der Auffassung des Berufungsgerichtes, als ein die Selbsterhaltungsfähigkeit sicherndes Entgelt werde ein Entgelt in der Größenordnung der Anfangsnettobezüge einer Berufsgruppe anzunehmen sein, kann allerdings nicht beigepflichtet werden. Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedürfnisdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushaltes (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 12 zu § 140 mwN). Es ist durchaus sachgerecht, die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Lehrlings bei einem Bezug in der Höhe des Mindestpensionssatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG (§ 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG) anzunehmen (vgl. Pichler aaO Rz 11 a mwN). Die den bedürftigen Versicherten neben der versicherungsmäßig ermittelten Pension gewährte Ausgleichszulage übernimmt die Alimentationsfunktion, der Ausgleichszulagenrichtsatz legt gleichsam das Existenzminimum für den Bereich der Sozialversicherung fest (Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg. 409). Mangels einer gesetzlichen Definition der Bedürftigkeit werden die Ausgleichszulagenrichtsätze daher auch von der Rechtsprechung als Entscheidungshilfe für die Feststellung der Bedürftigkeit herangezogen (Teschner aaO 412/2). Es besteht daher kein Anlaß, von der in der Entscheidung SSV-NF 2/35 vertretenen Auffassung abzugehen. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung SSV-NF 1/39 (SZ 60/200) betraf einen anderen Sachverhalt (vgl. Teschner aaO 404 bei FN 6). Im vorliegenden Fall bezog der Kläger in dem auf die Vollendung des 18. Lebensjahres folgenden Zeitraum eine Netto-Lehrlingsentschädigung von nur S 4.602,10 monatlich; nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist davon auszugehen, daß dieses Einkommen, das deutlich unter dem Richtsatz des § 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG (entsprechend § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG) in der hier maßgeblichen Höhe von S 5.134,-- liegt, zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten nicht ausreicht. Ob mit der Lehrlingsentschädigung etwa auch ein berufsbedingter Mehraufwand des Lehrlings abgegolten werden soll, braucht nicht erörtert zu werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil der Kläger keine Kosten verzeichnete.

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