Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Sachbeschluß des Rekursgerichtes sowie der im übrigen als unangefochten bestehen bleibende Sachbeschluß des Erstgerichtes in seinem die Einhebung einer Sonderrücklage zur Abdeckung von Ausfällen bei den Betriebskostenforderungen gegen die zu 41) und 42) angeführten Antragsgegner betreffenden Teil werden dahingehend abgeändert, daß der diesbezügliche Sachantrag des Antragstellers, die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer vom 10.6.1995 festzustellen, abgewiesen wird.
Text
Begründung
Soweit die Entscheidungen der Vorinstanzen dem Obersten Gerichtshof zur Überprüfung vorliegen, stützen sie sich auf folgenden Sachverhalt:
Der Antragsteller ist zu 122/10.285 Anteilen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** mit dem Haus G*****, die im übrigen im Mit- und Wohnungseigentum der Antragsgegner steht. Verwalterin der Liegenschaft war im hier interessierenden Zeitpunkt die zu 48) der Antragsgegner angeführte Dr.Wolfgang Walter D***** Immobilienverwaltung Gesellschaft mbH.
Die Hausverwaltung schrieb den Mit- und Wohnungseigentümern entsprechend den jährlichen Abrechnungen monatliche Akontierungen für Betriebskosten und Liftkosten vor. Die zu 41) und 42) angeführten Antragsgegner zahlten diese Beträge ab etwa 1993 nicht mehr, worauf die Hausverwaltung die Ausfälle ab Juli bzw September 1993 den übrigen Mit- und Wohnungseigentümern vorschrieb. Im Mai 1995 fand eine Hausversammlung statt, in der die Hausverwaltung (ua) fragte, was die Hauseigentümergemeinschaft wegen der Betriebskosten- ausfälle zu tun gedenke. Im Anschluß daran, Ende Mai 1995, sandte die Hausverwaltung den Mit- und Wohnungseigentümern des Hauses folgende formularmäßig vorgedruckte Erklärung (hier beschränkt auf die noch verfahrensgegenständliche Streitfrage):
"3.) Der Einhebung einer Sonderrücklage zur Abdeckung der
Betriebskostenausfälle hinsichtlich der Miteigentümer ..... wird
ausdrücklich zugestimmt.
Wien, am .... (Unterschrift des Wohnungseigentümers)"
Die meisten der Wohnungseigentümer unterschrieben und datierten die Formulare und sandten sie an die Hausverwaltung zurück, etliche, darunter der Antragsteller, taten das aber nicht. Ausgehend von der Datierung der rückgesendeten und unterfertigten Erklärungen hatte die nach dem Verhältnis der Liegenschaftsanteile berechnete Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer der Einhebung einer Sonderrücklage am 10.6.1995 zugestimmt. Eine offizielle Verständigung der Mit- und Wohnungseigentümer über das Zustandekommen des Beschlusses erfolgte nicht.
Im Jänner 1993 war die Anlagemanagement Dr.R. W***** KEG mit dem Sitz in der E***** in ***** gegründet worden; in weiterer Folge verlegte die KEG ihren Sitz in das verfahrensgegenständliche Haus. Obwohl weder der Antragsteller noch die KEG die Hausverwaltung um eine Zustellung von Schriftstücken an die Adresse E***** ersucht hatten, wurden die erwähnten Formulare an diese Adresse geschickt. Sie sind weder der KEG noch dem Antragsteller zugekommen. Der Antragsteller hat vom Beschluß über die Einhebung einer Sonderrücklage erst am 1.12.1995 erfahren.
Ende Mai 1995 hafteten an Betriebskostenakonti hinsichtlich der zu
- 41) angeführten Antragsgegnerin S 219.870,20 und hinsichtlich der zu
- 42) angeführten Antragsgegnerin S 350.244,72 aus. Bis Anfang Mai 1996 erhöhten sich die aushaftenden Beträge auf S 345.775,63 bzw S 395.933,13.
Mit Postaufgabe vom 7.12.1995, bei Gericht eingelangt am 11.12.1995 (einem Montag) stellte der Antragsteller den Antrag, den Beschluß vom 10.6.1995 für rechtsunwirksam zu erklären. Er begründete dieses Begehren damit, daß der erwähnte Beschluß, falls er überhaupt existiere, rechtsunwirksam sei, weil weder § 19 Abs 1 WEG noch § 16 WEG oder § 839 ABGB eine Handhabe dafür biete, einen Mit- und Wohnungseigentümer für Betriebskostenausfälle haften zu lassen. Eine Solidarhaftung der Mit- und Wohnungseigentümer bestehe nicht. Im übrigen sei der Beschluß, die Betriebskosten säumiger Zahler auf andere Miteigentümer zu verlagern, keine Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung und ein Mehrheitsbeschluß daher rechtlich undenkbar.
Die Antragsgegner halten an der Rechtswirksamkeit des Beschlusses fest. Die Einhebung bzw Erhöhung der Rücklage, um nicht die Hausverwaltung mit der Zahlungsunfähigkeit zweier Gemeinschaftsmitglieder wirtschaftlich zu belasten, sei eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung, ja geradezu eine Pflicht der Mit- und Wohnungseigentümer, praktisch der einzige Ausweg aus einer prekären Situation des Hauskontos. Das Begehren, die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses vom 10.6.1995 festzustellen, sei daher abzuweisen, hinsichtlich der Hausverwalterin auch deshalb, weil diese gar nicht passiv legitimiert sei. Den von der zweiten Instanz widerlegten Einwand der Verfristung des Sachantrages haben die Antragsgegner im Revisionsrekurs nicht mehr aufgegriffen.
Das Erstgericht gab dem hier behandelten Sachantrag statt. Der Mehrheitsbeschluß vom 10.6.1995 betreffe keine Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung. Bei der Bildung einer Sonderrücklage zur Abdeckung eines Betrages von rund S 570.000,--, der in der Zwischenzeit auf über S 740.000,-- und unter Berücksichtigung der Ausfälle anderer Wohnungseigentümer sogar auf über S 900.000,-- angewachsen sei, könne von einer Maßnahme, die - wie bei Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung üblich - keinen besonderen Kostenaufwand erfordere, keine Rede sein. Es liege vielmehr eine wichtige Veränderung iSd §§ 834, 835 ABGB vor. Die Bildung einer angemessenen Rücklage werde zwar in § 14 Abs 1 Z 2 WEG zu den Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft gezählt, doch gehe es bei der Bildung der gegenständlichen "Sonderrücklage" in Wahrheit um eine zumindest vorübergehende Änderung des gesetzlichen Aufteilungsschlüssels für Liegenschaftsaufwendungen. Hiefür seien keine vereinfachten Abstimmungsvoraussetzungen vorgesehen, auch nicht in § 14 Abs 3 WEG, der nur Veränderungen an gemeinsamen Teilen der Liegenschaft betreffe. Es sei vielmehr gemäß §§ 834 f ABGB (deren Einstimmigkeitsprinzip auch in § 13b Abs 2 erster Satz WEG erwähnt werde) die übereinstimmende Willensbildung aller Mitglieder der Wohnungseigentumsgemeinschaft erforderlich. Bestehe nur ein Mehrheitsbeschluß, dann bedürfe dieser der Genehmigung durch den Außerstreitrichter. Ein solcher Antrag könne zwar auch von einem Minderheitseigentümer gestellt werden, jedoch nur dann, wenn dieser Mitglied der beschließenden Mehrheit sei. Ein solcher Antrag liege nicht vor. Der Beschluß, eine Sonderrücklage einzuheben, sei daher noch nicht wirksam zustandegekommen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte zur hier behandelten Rechtsfrage aus:
Auch wenn die Erhöhung einer Rücklage zur Abdeckung von Betriebskostenausfällen nicht abstrakt nach der Höhe dieses Ausfalls, sondern in Relation zur Anzahl der Wohnungseigentümer gesehen werden müsse, handle es sich dabei um eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung. Die Rücklage diene zwar seit der Neufassung des § 16 Abs 1 WEG durch das 3. WÄG nicht mehr nur als Fonds zur Finanzierung künftiger Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten, sondern hafte gemäß § 13c Abs 2 WEG generell für offene Forderungen gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft, doch gehe es bei der Einhebung einer Sonderrücklage letztlich um eine vertragliche Erhöhung der Betriebskostenakonti sämtlicher Wohnungseigentümer zur Abdeckung beträchtlicher Betriebskostenausfälle namentlich bestimmter Wohnungseigentümer, wobei es mangels Deckung dieser Ausfälle im Meistbot eines Zwangsversteigerungsverfahrens auch zur endgültigen Überwälzung kommen könne. Wenn § 13c Abs 2 letzter Satz WEG eine gesetzliche Haftung der Miteigentümer für den Ausfall im Zweifel nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile vorsehe, so betreffe dies nur deren subsidiäre Haftung für vollstreckbare Forderungen. Eine Vereinbarung, wonach alle Wohnungseigentümer für die Betriebskostenausfälle zweier Gemeinschaftsmitglieder durch die Bildung eines speziellen Sonderfonds aufkommen sollen, ohne einen nachträglichen Ausgleich zu gewährleisten, habe mit einer Rücklage iSd § 16 Abs 1 WEG nichts zu tun. Auch die Beiträge zur Rücklagenbildung seien nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile aufzubringen. Hier solle die "Sonderrücklage" für Betriebskostenausfälle von bloß zwei Miteigentümern herhalten, sodaß ein von § 19 Abs 1 WEG abweichender Kostenaufteilungsschlüssel erzielt werde. Das bedürfe der Zustimmung aller Miteigentümer oder einer die fehlende Einstimmigkeit ersetzenden Entscheidung des Außerstreitrichters.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes enthält den Ausspruch, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das wurde damit begründet, daß eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über die Zweckwidmung einer Rücklage iSd § 16 Abs 1 WEG idF des 3. WÄG und ihre Verwendung für Betriebskostenausfälle einzelner Miteigentümer fehle.
Im jetzt vorliegenden Revisionsrekurs halten die Antragsgegner an ihrer Rechtsauffassung fest, daß die Erhöhung der Rücklage zum Zweck der Abdeckung derzeit nicht einbringlicher Beiträge für Betriebskosten eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung sei, die an sich schon der Verwalter allein treffen könnte und erst recht einer wirksamen Beschlußfassung durch die Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer zugänglich sei. Der Revisionsrekursantrag geht dahin, den angefochtenen Sachbeschluß so abzuändern, daß das Anfechtungsbegehren des Antragstellers in Ansehung des Beschlusses vom 10.6.1995 abgewiesen wird.
Der Antragsteller hat dazu fristgerecht eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, das Rechtsmittel der Antragsgegner zurückzuweisen, weil kein Miteigentümer mehr an der Aufrechterhaltung des fraglichen Umlaufbeschlusses interessiert sei und sich die Hausverwaltung inzwischen "aus dem Staub gemacht habe."
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig und erweist sich auch als berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Den Rechtsmittelwerbern ist beizupflichten, daß seit der Neufassung des § 16 Abs 1 WEG durch das 3. WÄG keine ausdrückliche Zweckwidmung der Rücklage mehr besteht. Einzelne Formulierungen des Gesetzes (etwa die in § 13c Abs 2 WEG erwähnte Möglichkeit des Verwalters, Vorauszahlungen der Miteigentümer für Liegenschaftsaufwendungen neben der Rücklage einzuheben oder der in § 16 Abs 1 WEG hervorgehobene Vorsorgezweck der Rücklage) deuten zwar darauf hin, daß die Rücklage primär der Ansparung von Mitteln für hohe, nicht jährlich wiederkehrende Auslagen, insbesondere für große Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten dienen soll (vgl Würth/Zingher, Wohnrecht 94, Rz 1 zu § 16 WEG), doch ist die Verwendung der Rücklage für alle Arten von Liegenschaftsaufwendungen, die den Rahmen der alltäglichen Finanzgebarung eines Wohnungseigentumsverwalters sprengen, durch Wortlaut und Sinn des Gesetzes (wie sich aus der ausdrücklichen Verweisung auf die in § 19 WEG erwähnten Aufwendungen ergibt) jedenfalls gedeckt. Die Überbrückung größerer Finanzierungslücken bei der Abdeckung von Bewirtschaftungskosten der Liegenschaft, wie sie durch Beitragsschulden einzelner illiquider Mit- und Wohnungseigentümer entstehen können, ist ein solcher Anwendungsfall. Das ergibt sich, wie ebenfalls die Rechtsmittelwerber zutreffend argumentieren, schon daraus, daß ein gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft ergangener Exekutionstitel - etwa für offene Kosten der Liegenschaftsbewirtschaftung - in die Rücklage vollstreckt werden kann (§ 13c Abs 2 WEG). Daß mangels Deckung die Miteigentümer im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zur Ausfallhaftung herangezogen werden können, läßt es durchaus gerechtfertigt erscheinen, schon bei der Bildung der Rücklage auf solche Eventualitäten Bedacht zu nehmen.
Wenn § 16 Abs 1 WEG die Verwendung der Rücklage zur Zwischenfinanzierung laufender Liegenschaftsaufwendungen erlaubt, die wegen großer Beitragsausfälle momentan gar nicht anders abzudecken sind, dann kann aus diesem Anlaß auch die Rücklage erhöht werden. Es macht dabei keinen Unterschied, ob eine "Sonderrücklage" für diesen Zweck eingehoben oder das der Rücklage entnommene Geld durch eine generelle Erhöhung der Rücklage ersetzt wird, weil es in beiden Fällen darum geht, eine Vorsorge für künftige größere Aufwendungen, insbesondere für Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten zu treffen. Eben darin liegt der Zweck, den der Gesetzgeber mit dem Auftrag zur Bildung einer angemessenen Rücklage verfolgte. Es sollen immer ausreichende Mittel vorhanden sein, um nicht nur die alltäglichen Auslagen, sondern auch die zeitlich nicht genau vorhersehbaren größeren Liegenschaftsaufwendungen bestreiten zu können.
Die Bildung einer angemessenen Rücklage (also bei Bedarf auch deren Erhöhung) hat der Gesetzgeber in § 14 Abs 1 Z 2 WEG eindeutig als Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft definiert. Es entscheidet hierüber die Mehrheit der Miteigentümer (vgl MietSlg 29/29; SZ 51/71 ua). Bis zu einer Mehrheitsentscheidung sind die Modalitäten über Einhebung und Umfang der Rücklage sogar vom Verwalter festzulegen (SZ 60/126; MietSlg 40.645; MietSlg 42/5; 5 Ob 132/95 = EWr II/19/9 ua). Der einzelne Mit- und Wohnungseigentümer kann in diesen Fragen zwar gemäß § 13a Abs 1 Z 2 WEG den Außerstreitrichter anrufen, doch bleibt ein Mehrheitsbeschluß bis zu einer ihn abändernden oder aufhebenden Entscheidung des Gerichts wirksam.
Ein auf § 13a Abs 1 Z 2 WEG gestützter (Sach-)Antrag liegt, wie bereits die Vorinstanzen erkannten, gar nicht vor. Der Antragsteller hat die Rechtswirksamkeit des Mehrheitsbeschlusses vom 10.6.1995, eine "Sonderrücklage zur Abdeckung von Betriebskostenausfällen" einzuheben, vielmehr mit dem auch von den Vorinstanzen geteilten Argument in Frage gestellt, es sei in Wahrheit ein neuer Schlüssel für die Aufteilung der Liegenschaftsaufwendungen festgesetzt worden, was als Angelegenheit der außerordentlichen Verwaltung einer einstimmigen Vereinbarung aller Mit- und Wohnungseigentümer bedurft hätte. Das trifft, wie sich gezeigt hat, nicht zu. Die Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft war gemäß § 14 Abs 1 Z 2 WEG zur Erhöhung der Rücklage und damit zur Anordnung der Einhebung einer "Sonderrücklage" legitimiert. Daß ihr Beschluß vom 10.6.1995 rein formell zustandegekommen ist, nach dem Verständnis des Antragstellers also "existiert", ist im Revisionsrekursverfahren ohnehin kein Streitpunkt mehr.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
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