European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00224.11.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird, soweit sie sich gegen das (Teil)Zwischenurteil richtet, gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgwiesen, soweit sie sich aber gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung richtet und insofern als Rekurs zu werten ist, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin besuchte den vom Beklagten betriebenen Wildpark und durchwanderte dabei ein Rotwildgehege. An den Eingängen zum Gehege sind Verbotsschilder mit der Aufschrift „Wildtiere sind keine Streicheltiere ‑ Füttern strengstens verboten“ angebracht. Ungeachtet dieser Verbotsschilder waren die Wildtiere bereits über einen längeren Zeitraum immer wieder von einzelnen Besuchern gefüttert worden, wodurch es zu einer ungewollten „Futterdressur“ kam. Eine solche bewirkt, dass sich die Wildtiere, obwohl sie an und für sich Fluchttiere sind, den Besuchern annähern können.
In einem Abstand von ca 15 m vor der Klägerin fütterte eine weitere Besucherin des Geheges einen etwa vierjährigen Zwölfender Rothirsch. Als deren Futter aufgebraucht war, begab sich der Hirsch in Richtung Klägerin, die ein von ihr an der Kassa des Tierparks erworbenes Futtersäckchen mit sich führte und fallen ließ. Als der Hirsch das Futter aufnehmen wollte, hob er wegen einer Störung ruckartig sein Haupt und verletzte dabei die Klägerin mit seinem Geweih schwer.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen die abweisliche Entscheidung des Erstgerichts erhobenen Berufung Folge, fällte hinsichtlich des Leistungsbegehrens ein Teilurteil und hob das Ersturteil im Übrigen (hinsichtlich des Feststellungsbegehrens) auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Beklagten richtet sich gegen die „gesamte“ Berufungsentscheidung mit dem Hauptantrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Soweit sich das Rechtsmittel damit auch gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wendet, ist es absolut unzulässig (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO).
Mit der Anfechtung des Zwischenurteils wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.
1.1 Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt vor, wenn das Berufungsgericht ohne Wiederholung der Beweisaufnahmen von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts abgeht (RIS‑Justiz RS0043461) oder ergänzende Feststellungen ohne Beweiswiederholung trifft (RIS‑Justiz RS0043026).
1.2 Richtig ist, dass das Erstgericht feststellte, ohne „Verlockung von besonderen Futtermitteln“ komme es zu keiner Annäherung zwischen den Tieren im Gehege und den Besuchern. Davon ist das Berufungsgericht aber nicht abgewichen, wenn es in seiner rechtlichen Beurteilung anführt, es sei zu einer „Futterdressur“ in einem Ausmaß gekommen, dass sich das Rotwild den Besuchern selbst ohne Futtergabe angenähert habe. Dazu zitiert das Berufungsgericht nämlich in Klammer ausdrücklich die Feststellung des Erstgerichts, wonach der Hirsch - nach der Fütterung durch eine andere Besucherin - auf die Klägerin (ohne Futtergabe durch sie) zuging und stellt damit klar, dass es seiner rechtlichen Beurteilung gerade keinen vom Erstgericht abweichenden Sachverhalt unterzog. Weder eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens noch eine daraus vom Beklagten abgeleitete Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils liegen somit vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
2. Der Beklagte ist als Betreiber eines Tierparks Tierhalter gemäß § 1320 ABGB hinsichtlich der in den Gehegen lebenden Tiere (RIS‑Justiz RS0030200). Wie ein Tier zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, hängt nach ständiger Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0030567; RS0030058; RS0030157). Maßgeblich ist die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung und eine Abwägung der betroffenen Interessen (RIS‑Justiz RS0030081 [T16]).
3. Die Haftung des Tierhalters ist grundsätzlich eine Verschuldens- und keine Erfolgshaftung (RIS‑Justiz RS0030291). Anerkannt ist, dass die Anforderungen an die Verwahrungs‑ und Beaufsichtigungspflicht nicht überspannt werden dürfen (RIS‑Justiz RS0029999; RS0030365). Sind dem Tierhalter jedoch Eigenschaften eines Tieres bekannt oder hätten sie ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, die zu einer Gefahrenquelle werden können, wie etwa nervöse Reaktionen, unberechenbares Verhalten, Unfolgsamkeit und dergleichen, hat er auch für die Unterlassung der in Anbetracht dieser besonderen Eigenschaften erforderlichen und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen einzustehen (RIS‑Justiz RS0030472). Stets hat der Tierhalter die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt bei der Verwahrung und Haltung der Tiere zu beweisen. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (RIS‑Justiz RS0105089).
4.1 Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht nicht in einer Weise abgewichen, die im Interesse der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte:
4.2 Der Revisionswerber stellt nicht in Abrede, dass er ‑ wie das Berufungsgericht ausdrücklich anführte ‑ in Kenntnis davon war, dass Besucher des Geheges das Rotwild entgegen dem ausdrücklichen Verbot immer wieder fütterten. Damit hätte ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit aber auch bekannt sein müssen, dass es zu der festgestellten „Futterdressur“ und damit zur Annäherung des Wildes an die Besucher des Geheges kam. Der Beklagte bestreitet auch gar nicht, dass es zu besonderen Gefahrensituationen für Besucher und deren körperlicher Unversehrtheit als dem anerkannt höchsten Gut (vgl RIS‑Justiz RS0030081) kommen kann, denen sich Wildtiere ‑ wie im vorliegenden Fall ein geweihbewehrter Hirsch ‑ wegen der Verlockung mit Futter annähern. Letztlich sollte ja gerade das vom Beklagten erlassene Fütterungsverbot einer solchen Gefahr Rechnung tragen. Dennoch hat er in Kenntnis von Verstößen gegen das Verbot der Futtergabe keine Vorkehrungen getroffen, die einer solchen Gefährdung entgegenwirkten. Es begründet daher keine aus Gründen der Rechtssicherheit im Einzelfall aufzugreifende Überspannung der den Tierhalter treffenden Pflichten, wenn das Berufungsgericht die Verwahrung der von der „Futterdressur“ betroffenen Wildtiere in einem für Besucher nicht zugänglichen Gehege fordert, um Gefahren für deren körperliche Sicherheit hintanzuhalten. Dem Argument der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit einer solchen Vorkehrung ist entgegenzuhalten, dass wirtschaftliche Interessen im Verhältnis zur körperlichen Unversehrtheit von Tierparkbesuchern jedenfalls zurückzustehen haben. In Kenntnis der Übertretungen ist dem Beklagten auch eine strengere Kontrolle des Fütterungsverbots durchaus zumutbar, zumal die Gefahr einer „Futterdressur“ durch den Verkauf von Futtersäckchen zusätzlich gefördert wird.
4.3 Auch in der Verneinung eines Mitverschuldens der Klägerin liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang auf den Text des Verbotsschilds verweist, übersieht er, dass die Klägerin ohnedies nicht gegen das Fütterungsverbot verstoßen hat.
5. Damit ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss noch einer weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).
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