OGH 5Ob111/20i

OGH5Ob111/20i10.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Wurzer, die Hofrätin Mag. Malesich und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Ing. D***** Z*****, 2. Dr. I***** Z*****, beide vertreten durch Dr. Marie‑Luise Safranek, Rechtsanwältin in Graz, wegen 1. Feststellung der Nichtigkeit eines Kaufvertrags, in eventu Aufhebung eines Kaufvertrags (Streitwert 27.034,29 EUR), 2. Löschung (Streitwert 5.000 EUR), 3. Eintragung (Streitwert 5.000 EUR), 4. Räumung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. März 2020, GZ 5 R 138/19g‑92, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00111.20I.1210.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem – wie hier – eine Berufung wegen Nichtigkeit (nach § 477 Abs 1 Z 4 und Z 9 ZPO) verworfen wird, ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0043405, RS0042981, RS0042925). Die behauptete Nichtigkeit kann auch nicht unter Berufung auf einen anderen Rechtsmittelgrund neuerlich geltend gemacht werden (RS0043405 [T6], RS0042981 [T14]), insbesondere nicht – wie dies die Revisionswerberin versucht – als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RS0042981 [T5]) oder unrichtige rechtliche Beurteilung (RS0042981 [T15]).

[2] 2. Die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die angeblichen Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht bereits verneint wurde, können nach ständiger Rechtsprechung vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963, RS0106371).

[3] 3.  Die Ausführungen zu diesen Revisionsgründen sind inhaltlich der unzulässige Versuch, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.

[4] Nach ständiger Rechtsprechung fallen die von der Klägerin bestrittene Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Sachverständigengutachten und die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung in den Bereich der Beweiswürdigung (RS0113643). Es ist also eine Frage der Beweiswürdigung, ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen stützt, dieses Gutachten erschöpfend ist oder ob zum Beweis der strittigen Tatsache die Einholung eines Ergänzungsgutachtens erforderlich ist und/oder Kontrollbeweise aufzunehmen sind (RS0043163, RS0043320, RS0040586, RS0043414). Auch die Frage, welche Bedeutung die Tatsacheninstanzen einem von einer Partei vorgelegten Privatgutachten beigemessen haben, betrifft die Beweiswürdigung (RS0043291 [T3]). Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Oberste Gerichtshof nicht berufen (RS0043371, RS0043414 [T11], RS0042903 [T5, T7, T10]).

[5] Die Rechtsmittelbeschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert wird (RS0043371 [T28]). Unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung könnten die Ergebnisse eines Gutachtens bekämpft werden, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen wäre (RS0043168, RS0043404 [T4]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

[6] 4. Die tatsächlichen Umstände und persönlichen Eigenschaften im Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung sind tatsächlicher Natur und irrevisibel. Die Schlussfolgerung, ob aufgrund dieser Umstände die Erklärungen des Revisionswerbers im vollen Gebrauch der Vernunft (§ 865 ABGB in der hier gemäß § 1503 Abs 9 Z 1 und 4 ABGB noch maßgeblichen Fassung vor dem 2. ErwSchG) abgegeben wurden, ist hingegen Rechtsfrage (RS0014641). Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls (RS0117658). Diese wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[7] Dass die Vorinstanzen hier die Geschäftsfähigkeit der Klägerin bejahten, ist auch keine – aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit ausnahmsweise aufzugreifende – Fehlbeurteilung. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war die Klägerin, die den Verkauf initiierte und die Abwicklung aktiv betrieb, sowohl bei der Unterfertigung des Kaufanbots als auch bei der späteren Unterfertigung des Kaufvertrags in der Lage, den Inhalt, die Tragweite und Bedeutung dieser von ihr unterzeichneten Verträge zu erfassen, zu verstehen und zu beurteilen.

[8] Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt reicht auch aus, um die Frage der Geschäftsfähigkeit der Klägerin abschließend zu beurteilen. Der Krankheitsverlauf davor und danach enthält zwar möglicherweise Indizien für die persönlichen Eigenschaften der Klägerin zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses, er ist aber nicht selbst Teil des rechtserzeugenden oder rechtsvernichtenden Tatbestands und wirkt sich daher nicht unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung aus. Vielmehr ist ein solcher – vom Anscheinsbeweis zu unterscheidender – Indizienbeweis darauf gerichtet, durch den Beweis bestimmter Hilfstatsachen dem Gericht die volle Überzeugung des Vorhandenseins der Haupttatsache zu vermitteln (RS0040290). Ob ein Indizienbeweis erbracht werden konnte, gehört aber wiederum zur irreversiblen Beweiswürdigung (RS0112460 [T1], RS0040196 [T19], RS0040278 [T1]).

[9] 5. Die außerordentliche Revision wirft damit keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf. Sie ist daher mangels Vorliegens dieser Voraussetzung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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