OGH 5Ob106/10i

OGH5Ob106/10i22.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen C***** T*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, Gatterburggasse 14, 1190 Wien als Kollisionskurator, über den Revisionsrekurs der Mutter G***** T*****, vertreten durch Dr. Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. März 2010, GZ 45 R 29/10p-145, womit über Rekurs der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 18. November 2009, GZ 12 PU 52/09z-135, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs der Mutter nicht zulässig.

Ausgehend von der Erwägung, dass die Grenze für eine Überalimentierung in der vorliegenden Konstellation (überdurchschnittliche Einkommensverhältnisse beider Eltern, Berücksichtigung des Entfalls von Naturalleistungen durch einen Elternteil) über dem zweieinhalbfachen Regelbedarf liege, bestätigte das Rekursgericht die erstgerichtliche Unterhaltsentscheidung, mit welcher der Minderjährigen ein von der Mutter zu leistender Unterhaltsbeitrag zuerkannt wurde, der unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters knapp unter dem Dreifachen des Regelbedarfs liegt.

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch zusammengefasst damit begründet, dass Rechtsprechung fehle, nach welchen Gesichtspunkten bei Drittpflege eines Kindes eine Begrenzung des Gesamtunterhaltsbedarfs vorzunehmen sei.

Eine erhebliche Rechtsfrage wird im (mehrfach unrichtig als „Revision“ bezeichneten) Revisionsrekurs nicht aufgezeigt:

1. Im Anlassfall ermittelte das Rekursgericht den Unterhalt der in Drittpflege bei der mütterlichen Großmutter befindlichen Minderjährigen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung: Danach steht dem Kind, wenn es von keinem Elternteil betreut wird, gegen beide Elternteile ein Unterhaltsanspruch in Geld zu. Dabei kann die Unterhaltsbemessung nicht isoliert für einen Elternteil erfolgen. Es sind das Einkommen und die Leistungsfähigkeit beider Elternteile zu überprüfen. Die Methode, den Unterhalt nach Prozentsätzen zu bestimmen, die angemessen wären, wenn der andere Elternteil seinen Beitrag durch die Betreuung des Kindes leistet, würde dem Grundsatz der anteiligen Tragung des Unterhalts nicht gerecht. Die Gesamtbeurteilung muss vielmehr so erfolgen, dass die Eltern in etwa gleichem Maße in die Lage versetzt werden, die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Bei unterschiedlicher Leistungsfähigkeit ist von den Unterhaltsbemessungsgrundlagen jeweils der Betrag abzuziehen, der für den eigenen Unterhalt der Eltern erforderlich ist. Sodann sind die für den Unterhalt des Kindes erforderlichen Beträge im Verhältnis der Restsummen aufzuteilen (RIS-Justiz RS0047403; 7 Ob 182/07a = iFamZ 2008/34; 10 Ob 53/03x je mwN).

2. Der Revisionsrekurs zieht die Richtigkeit der Berechnungsmethode des Rekursgerichts nicht in Zweifel. Die Mutter meint jedoch, dass bei Drittpflege eine finanzielle Abgeltung von Betreuungsleistungen der drittpflegenden Person nicht in Betracht komme. Da im konkreten Fall der Gesamtunterhaltsbedarf der Minderjährigen unter dem tatsächlich zuerkannten Betrag liege, würde die Überalimentierung zu einer „Privatbedürfnisdeckung“ der mütterlichen Großeltern führen und eine Schlechterstellung der im Haushalt mit der Mutter lebenden zweiten Tochter bewirken, die lediglich vom Vater Kindesunterhalt erhalte.

2.1 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs reicht bei Drittpflege der Regelbedarf als Orientierungshilfe zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs des Kindes regelmäßig nicht aus, weil er nur eine Messgröße dafür abgibt, welcher Geldunterhalt zusätzlich zur Betreuung eines Kindes erforderlich ist (9 Ob 222/02s; 2 Ob 67/09f = Zak 2010/139, 93; ebenso Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 140 Rz 126 mwN). Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung hat das Rekursgericht nicht zum Ausdruck gebracht, dass mit dem zuerkannten Unterhalt eine finanzielle Abgeltung von Betreuungsleistungen der mütterlichen Großmutter vorzunehmen ist. Das Rekursgericht hat nur im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf den Gesamtunterhaltsbedarf der Minderjährigen abgestellt und ebenfalls den Kriterien der Rechtsprechung entsprechend einen „Zuschlag“ für zusätzliche Kindesbedürfnisse bei Drittpflege für berechtigt erachtet (2 Ob 67/09f mwN).

2.2 Anhaltspunkte dafür, dass die mütterlichen Großeltern den der Minderjährigen zuerkannten Unterhalt für eine „Privatbedürfnisdeckung“ verwenden, bestehen nach dem Akteninhalt nicht. Der Hinweis im Revisionsrekurs auf eine „Luxusreise“ der mütterlichen Großeltern mit der Minderjährigen lässt außer Acht, dass das Rekursgericht ohnedies nicht von einem Sonderbedarf der Minderjährigen wegen des im Revisionsrekurs erwähnten Schiurlaubs ausging, sondern bei einer Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der bescheinigten tatsächlichen Kosten der mütterlichen Großmutter eine pädagogisch schädliche Überalimentierung (2 Ob 5/03d mwN) verneinte. Darin liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

2.3 Es entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass betragliche oder in einem Vielfachen des sogenannten Regelbedarfs ausgedrückte absolute Obergrenzen für die Festsetzung eines Kindesunterhalts mit den in § 140 ABGB normierten Bemessungskriterien nicht vereinbar sind. Diese gestatten daher auch keinen allgemeinen „Unterhaltsstopp“ beim Zweieinhalbfachen oder einem sonstigen Vielfachen der sogenannten Regelbedarfsätze (RIS-Justiz RS0047458; 2 Ob 5/03d; ebenso Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 140 mwN).

In Anbetracht der Lebensverhältnisse der Eltern der Minderjährigen und der mütterlichen Großeltern, bei denen sich die Minderjährige in Pflege befindet, ist die Beurteilung des Rekursgerichts, im Anlassfall eine Begrenzung des zuzusprechenden Unterhaltsbetrags erst knapp unter dem dreifachen Regelbedarf vorzunehmen, jedenfalls als vertretbar zu beurteilen.

3. Mit ihrem Hinweis auf die behauptete Ungleichbehandlung der Minderjährigen gegenüber einer im Haushalt der Mutter lebenden weiteren minderjährigen Tochter lässt die Mutter den bereits vom Rekursgericht zutreffend hervorgehobenen Umstand außer Acht, dass sich deren Situation grundlegend dadurch unterscheidet, dass die Mutter in diesem Fall die Betreuungsleistungen selbst erbringt.

4. Der Revisionsrekurs ist daher insgesamt zurückzuweisen, was gemäß § 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG keiner weitergehenden Begründung bedarf.

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