European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00084.75.0203.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.069,64 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 495,-- Barauslagen und S 116,64 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 24. September 1973 als Raumpflegerin mit einem Stundenlohn von S 27,10 und einer täglichen (Montag bis Freitag) Arbeitszeit von 4 Stunden – wöchentlich also 20 Stunden – teilzeitbeschäftigt. Zwischen dem 14. Jänner und dem 28. Februar 1975 wurde sie mehrmals, und zwar insgesamt 25 Stunden, über die vereinbarte tägliche Arbeitszeit hinaus beschäftigt; auch für diese zusätzlichen Arbeitsstunden erhielt sie (nur) den Grundlohn ausgezahlt. Die Klägerin wird auch in Zukunft derartige Mehrleistungen über die vereinbarte tägliche Arbeitszeit hinaus zu verrichten haben. In der Branche der Zimmer- und Gebäudereiniger ist ein großer Teil der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt.
§ 5 Abs. 1 des auf das Dienstverhältnis der Parteien anzuwendenden Kollektivvertrages für das Zimmer- und Gebäudereinigungsgewerbe in den Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol, Steiermark und Vorarlberg vom 1. Juni 1962 (Beilage ./B) lautet:
„Als Überstunde gilt jede, über die täglich festgesetzte normale Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit.“
Gestützt auf diese Bestimmung, verlangt die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten für die von ihr über die vereinbarte tägliche Arbeitszeit hinaus geleisteten 25 Arbeitsstunden die Zahlung eines 50 %igen Überstundenzuschlages im Gesamtbetrag von S 338,75 samt Anhang. Außerdem begehrt sie die Feststellung, daß solche Arbeitsstunden als Überstunden mit einem 50 %igen Zuschlag zum Lohn zu vergüten sind.
Die Beklagte bestreitet dieses Begehren mit der Begründung, daß nach dem Wortlaut und dem Sinn des Kollektivvertrages – ebenso wie nach den einschlägigen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes – eine zuschlagspflichtige Überstunde erst dann vorliege, wenn entweder die wöchentliche oder die sich daraus ergebende tägliche Normalarbeitszeit von derzeit 40 Wochenstunden überschritten wird; die „täglich festgesetzte normale Arbeitszeit“ sei keinesfalls mit einer individuell vereinbarten Arbeitszeit gleichzusetzen.
Das Erstgericht schloß sich dieser Auffassung an und wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen ab.
Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos; das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, hinsichtlich des Feststellungsbegehrens S 15.000,‑‑ übersteige.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von der Klägerin seinem ganzen Inhalt nach mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten. Die Klägerin beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihrem Klagebegehren in vollem Umfang stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte hat beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Untergerichte sind mit Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin aus den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes allein keinen Anspruch auf Zahlung eines Überstundenzuschlages für die über die vereinbarte kürzere Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsstunden ableiten kann: Nach § 6 Abs. 1 AZG liegt nämlich Überstundenarbeit nur dann vor, wenn entweder
a) die Grenzen der nach §§ 3 oder 5 AZG zulässigen Wochenarbeitszeit – der sogenannten „Normalarbeitszeit“ – überschritten werden oder
b) die Tagesarbeitszeit überschritten wird, die sich auf Grund der Verteilung dieser Wochenarbeitszeit gemäß §§ 3 bis 5 und § 18 Abs. 2 AZG ergibt.
Nur für diese Mehrarbeit gebührt eine Überstundenvergütung nach § 10 Abs. 1 AZG (in der Fassung des BG BGBl 1971/238); dagegen ist dem Gesetz keine Bestimmung zu entnehmen, nach der auch eine zwar über die im Einzelfall vereinbarte kürzere Arbeitszeit hinausgehende, aber die Normalarbeitszeit nicht erreichende Mehrarbeit mit einem 50 %igen Überstundenzuschlag zu entlohnen wäre. Dieser Grundsatz gilt insbesondere für den Fall der sogenannten „Teilzeitbeschäftigung“, bei welcher sich der Arbeitnehmer vertraglich zur Einhaltung einer regelmäßigen Arbeitszeit verpflichtet, die unter der betriebsüblichen Arbeitszeit liegt: Da eine solche Vereinbarung nichts am Ausmaß der gesetzlichen „Normalarbeitszeit“ ändert, steht auch dem Teilzeitbeschäftigten, der über das vertraglich vereinbarte Maß hinaus, aber noch im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers Mehrarbeit leistet, nach dem Gesetz keine Überstundenvergütung zu; nur eine entsprechende Gesamtvereinbarung, insbesondere ein Kollektivvertrag, oder eine ausdrückliche Regelung im Einzelarbeitsvertrag könnte ihm einen solchen Anspruch geben (SZ 40/139 = Arb 8469 = EvBl 1968/238 = SozM I D 639 = ZAS 1968, 152 [zustimmend Tomandl] mit weiteren Hinweisen; Arb 4429; Arb 6091 = JBl 1955, 99 = SozM I C 85; Arb 6302 = SozM I C 159; Arb 8879; Tomandl, Arbeitsrechtliche Probleme der Teilzeitbeschäftigung, ZAS 1966, 72 ff, insbesonders 77; Tutschka, Handbuch des österreichischen Arbeitsrechtes 94 f. Für das deutsche Recht vgl insbesondere Isele, Arbeitsrechtliche Besonderheiten der Teilzeitarbeit, dRdA 1964, 201 ff [204]; teilweise abweichend neuerdings Schlüter, Überstunden bei Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen, dRdA 1975, 113 ff).
Auch die Klägerin ist sich dieser Rechtslage bewußt und hat daher ihr Klagebegehren von vornherein nicht auf das Gesetz, sondern auf § 5 Abs. 1 des eingangs erwähnten Kollektivvertrages für Zimmer- und Gebäudereiniger gestützt. Da nach dieser Kollektivvertragsbestimmung als Überstunde „jede über die täglich festgesetzte normale Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit“ gilt, kommt es entscheidend auf die Auslegung des Begriffes der „normalen Arbeitszeit“ an: Setzt man ihn im Sinne der Auffassung der Beklagten mit dem vom Gesetz (§§ 3 ff AZG; § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 AngG bzw § 1 Abs. 1 GAngG, jeweils in der Fassung des BG BGBl 1975/418) verwendeten Begriff der „Normalarbeitszeit“ – also der durch Gesetz oder Kollektivvertrag generell vorgesehenen wöchentlichen oder täglichen Arbeitszeit – gleich, dann besteht der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Überstundenzuschlägen auch nach dem Kollektivvertrag nicht zu Recht; folgt man hingegen der Auffassung der Klägerin, daß als „normale Arbeitszeit“ im Sinne des Kollektivvertrages auch eine individuell vereinbarte kürzere Arbeitszeit einzelner Arbeitnehmer, insbesondere im Fall der Teilzeitbeschäftigung, angesehen werden müsse, dann sind die von der Klägerin über ihre tägliche Arbeitszeit von 4 Stunden hinaus erbrachten Dienstleistungen Überstunden im Sinne des Kollektivvertrages und daher gemäß § 5 Abs. 2 dieses Kollektivvertrages in Verbindung mit § 10 Abs. 1 AZG (in der Fassung des BG BGBl 1971/238) durch einen Zuschlag von 50 % zum Grundlohn abzugelten.
Beide Untergerichte haben sich, wie schon erwähnt, den Standpunkt der Beklagten zueigen gemacht und den Klageanspruch demgemäß verneint. Auch der Oberste Gerichtshof kommt aus nachstehenden Erwägungen zu dem gleichen Ergebnis:
Da die dem normativen Teil eines Kollektivvertrages angehörenden Bestimmungen nach herrschender Auffassung wie Gesetze auszulegen sind (Arb 8903, 8980, 9198, 9202 uva), kommt es auch hier primär auf die „eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang“ (§ 6 ABGB.) an, welche durch Erforschung des Wortsinnes – also der Bedeutung eines bestimmten Ausdruckes oder Satzes nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Normgebers – unter Berücksichtigung des Bedeutungszusammenhanges und der Systematik der Gesamtregelung festzustellen ist (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts3 I 18; ebenso 4 Ob 56/75); maßgebend ist dabei stets, welcher Wille des Normgebers dem Text des Kollektivvertrages entnommen werden kann (Arb 9114; Arb 9281 = ZAS 1975, 186). Bloße Wortinterpretation führt nun im konkreten Fall zu keinem brauchbaren Ergebnis, weil der strittige Ausdruck „normale Arbeitszeit“, für sich allein betrachtet, sowohl im Sinne der Klägerin als auch im Sinne der Beklagten verstanden werden könnte. Entgegen der Meinung der Revision führt aber auch der Versuch, den Sprachgebrauch des Normgebers aus dem Zusammenhang des in Rede stehenden Kollektivvertrages für Zimmer- und Gebäudereiniger zu ermitteln, zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis:
Es fällt wohl auf, daß dieser Kollektivvertrag die Wortverbindung „normale Arbeitszeit“ bzw „Normalarbeitszeit“ nicht nur in § 5 Abs. 1, sondern auch in § 5 Abs. 6, § 10 Abs. 3 und § 11 Abs. 3 gebraucht und dabei nach dem Zusammenhang der genannten Bestimmungen durchwegs auf individuelle Arbeitszeitregelungen bezieht. Auf der anderen Seite darf aber nicht übersehen werden, daß – anders als in den drei eben genannten Bestimmungen – nur in § 5 Abs. 1 des Kollektivvertrages von einer täglich „festgesetzten“ normalen Arbeitszeit die Rede ist und gerade die Verwendung des Zeitwortes „festsetzen“, wie die Klägerin in der Revision selbst einräumt, einen gewichtigen Anhaltspunkt dafür bietet, daß der Normgeber hier nur eine einseitig (durch das Gesetz), zumindest aber durch eine Gesamtregelung (etwa einen Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung) angeordnete, nicht aber eine individuell vereinbarte Arbeitszeit im Auge hat. Dabei ist für den gegenteiligen Standpunkt der Klägerin insbesondere auch aus der Bestimmung des § 5 Absatz 4 des Kollektivvertrages – wonach bei Leistung von Überstunden nach fünf Überstunden eine bezahlte Arbeitspause von 30 Minuten zu gewähren und in die Arbeitszeit einzurechnen ist – nichts zu gewinnen, weil dieser Fall nicht etwa, wie die Klägerin in der Revision meint, bei Zugrundelegung der von den Untergerichten vertretenen Rechtsansicht „fast nicht denkbar“ ist, sondern diese Bestimmung zum Beispiel bei einer ausnahmsweise für den sonst arbeitsfreien Samstag angeordneten Überstundenleistung durchaus von Bedeutung sein kann.
Bleibt es danach aber zumindest zweifelhaft, ob der hier anwendbare Kollektivvertrag in seinem § 5 Abs. 4 den Ausdruck „normale Arbeitszeit“ tatsächlich in einem vom Sprachgebrauch des Arbeitszeitgesetzes („Normalarbeitszeit“ im Sinne der §§ 3 ff AZG) abweichenden Sinn verstanden wissen wollte, dann kommt eine Auslegung der fraglichen Bestimmung in dem von der Klägerin gewünschten Sinn schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil bei Übernahme gesetzlicher Begriffe durch einen Kollektivvertrag im Zweifel davon ausgegangen werden muß, daß der Kollektivvertrag diese Begriffe im gleichen Sinn verwendet wie das Gesetz, eine davon abweichende Absicht der Kollektivvertragsparteien daher klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht werden müßte; eine solche eindeutige Regelung liegt aber, wie oben ausgeführt wurde, gerade hier nicht vor.
Wie diese Erwägungen zeigen, haben die Untergerichte dem auf Leistung und Feststellung gerichteten Urteilsbegehren der Klägerin im Ergebnis mit Recht einen Erfolg versagt; das angefochtene Urteil war daher zu bestätigen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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