OGH 4Ob71/01x

OGH4Ob71/01x24.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Julius K*****, vertreten durch Dr. Wolfram Themmer und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Metin P*****, vertreten durch Dr. Hans Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 96.432 S sA (Revisionsinteresse 66.432 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Mai 2000, GZ 39 R 101/00t-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 20. Dezember 1999, GZ 2 C 1420/97k-38, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird verworfen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist seit 1991 Alleineigentümer der Liegenschaft Wien *****, auf der sich ein Wohnhaus in schlechtem, renovierungsbedürftigem Bauzustand befindet. Der Beklagte war seit 1981 Mieter der Wohnung top Nr. 1 dieses Hauses. Das Bestandverhältnis endete durch vergleichsweisen Verzicht des Beklagten auf sein Mietrecht am 1. 10. 1996.

Im Verfahren 2 C 1625/95d des BG L*****, eingeleitet mit Klage vom 13. 9. 1995, begehrte der Kläger vom Beklagten 30.000 S sA als Ersatz jenes Schadens, den der Beklagte durch den unsachgemäßen Einbau einer Dusche in das Bestandobjekt verursacht habe. Das Erstgericht konnte zwar nicht feststellen, dass der Beklagte die Dusche selbst eingebaut hat, gab dem Klagebegehren aber im Hinblick auf § 1318 ABGB statt. Das Berufungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Beklagte habe nach den Feststellungen die Wohnung spätestens Anfang 1991 seiner Tochter und deren Ehemann überlassen, weshalb ihm im danach liegenden Zeitpunkt des Einbaus der Dusche keine tatsächliche Verfügungsgewalt über das Bestandobjekt zugekommen sei; gem § 1318 ABGB hafte der Inhaber einer Wohnung nur dann, wenn er die Räume tatsächlich selbst innehabe.

Mit seiner auf § 1111 ABGB gestützen Klage vom 24. 9. 1997 begehrt der Kläger vom Beklagten zuletzt 96.432 S sA als Ersatz jener Schäden, die infolge missbräuchlicher Verwendung des Bestandobjekts entstanden seien.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die nach den Behauptungen des Klägers erforderlichen Reparaturarbeiten seien durch den schlechten Zustand des Hauses bedingt und nicht vom Beklagten zu vertreten. Im Hinblick auf das zwischen denselben Parteien geführte Verfahren 2 C 1625/95d liege entschiedene Rechtssache vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf umfangreiche Feststellungen über den Zustand des Bestandobjekts im Zeitpunkt seiner Rückgabe an den Kläger, insbesondere den unsachgemäßen Einbau einer Dusche ohne Feuchtigkeitssperre, die vom Beklagten und seiner Familie trotz eines vom Kläger 1994 ausgesprochenen Verbots regelmäßig verwendet wurde, wodurch jahrelang Wasser ins Mauerwerk gelangte, und bewertete den Anteil an den festgestellten Schäden, der durch Verschlechterung des Zustands während des Bestandverhältnisses vom Beklagten zu verantworten ist, mit 20% der gesamten Sanierungskosten ohne Trockenlegung. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, über den hier geltend gemachten Anspruch sei im Verfahren 2 C 1625/95d deshalb nicht entschieden worden, weil sich der Kläger im Vorprozess nicht auf § 1111 ABGB gestützt habe, somit dort eine andere Anspruchsgrundlage gegeben gewesen sei. Der Beklagte habe bei Beschädigung und missbräuchlicher Abnützung des Mietgegenstandes sowohl für eigenes Verschulden wie auch für das Verschulden jener Personen einzustehen, denen er die Benützung des Objektes überlassen habe. Der dem Bestandgeber obliegende Beweis eines Schadens und des Kausalzusammenhangs sei erbracht worden.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil im Umfang der Stattgebung von 66.432 S sA als Teilurteil, hob es im restlichen Umfang von 30.000 S sA auf und trug dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach - auf Antrag des Beklagten gem § 508 Abs 1 ZPO - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil nicht auszuschließen sei, dass der Oberste Gerichtshof zu einer anderen Beurteilung der Rechtskraftwirkung gelange. Eine Gegenüberstellung des Vorbringens und der in beiden Verfahren getroffenen Feststellungen zeige, dass die Durchfeuchtungsschäden schon Gegenstand des Vorprozesses gewesen seien und dort Feststellungen über den erforderlichen Aufwand für das Abklopfen, Trockenlegen und den Neuverputz des durchfeuchteten Mauerwerkes getroffen worden seien. Diese Durchfeuchtungsschäden seien auch Teil des nunmehrigen Verfahrens. Damit würden hier teilweise auch Schäden geltend gemacht, die bereits Streitgegenstand im vorangegangenen Verfahren gewesen seien; insoweit stehe die Rechtskraft der im Vorprozess ergangenen Entscheidung einer Berücksichtigung dieser Schäden im vorliegenden Verfahren entgegen. Die hier vorgenommene Beurteilung der Schäden gem § 1111 ABGB stehe der Rechtskraftwirkung nicht entgegen, weil es sich auch bei diesem Anspruch um einen Schadenersatzanspruch zufolge missbräuchlicher Verwendung des Bestandgegenstandes handle. Allerdings könne aufgrund des Vorbringens und der Feststellungen des Erstgerichtes nicht gesagt werden, welcher Teil des Begehrens sich auf die bereits im Vorverfahren geltend gemachten Durchfeuchtungsschäden beziehe. Da im Vorverfahren ein Anspruch in Höhe von 30.000 S geltend gemacht worden sei und es bezüglich dieses Anspruchs fraglich ist, inwieweit er im vorliegenden Urteilsbegehren enthalten sei, müsse das angefochtene Urteil in diesem Umfang aufgehoben werden. Im fortgesetzten Verfahren sei zu prüfen, ob sich der gesamte Betrag von 30.000 S auf Schäden beziehe, die bereits im vorangegangenen Verfahren geltend gemacht worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil sich das Berufungsgericht bei Beurteilung des Umfangs der Bindungswirkung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung in Widerspruch zu Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung gesetzt hat; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte macht dem Sinne nach (nur) Nichtigkeit infolge rechtskräftig entschiedener Sache geltend und vertritt die Auffassung, der Kläger müsse sich die Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung im Vorprozess im Ausmaß des gesamten hier verfolgten Klagebegehrens entgegenhalten lassen, weil in beiden Verfahren Ansprüche aus dem gleichen Rechtsverhältnis und dem gleichen Tatbestand verfolgt würden. Das Berufungsgericht habe diese Identität der Ansprüche übergangen, weshalb seine Entscheidung fehlerhaft sei. Dazu ist zu erwägen:

Die Rechtsprechung bejaht eine Bindungswirkung an die Vorentscheidung, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts (verbunden mit notwendig gleicher Qualifikation) gegeben sind, aber anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache abhängig ist (Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung) oder wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs bedeutet (SZ 68/103; SZ 68/2 = JBl 1995, 458 [Oberhammer]; EvBl 2000/80 ua; vgl Fasching, Lehrbuch2 Rz 1518).

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, sind Entscheidungselemente, wie die Tatsachenfeststellungen, für sich allein (isoliert) nicht rechtskraftfähig (RdW 1996, 475 = ecolex 1996, 600; JBl 1995, 458; Fasching, LB2 Rz 1520; Rechberger/Simotta, ZPO4 Rz 701; Rechberger in Rechberger, ZPO**2 Rz 10 zu § 411). Auf die Entscheidungsgründe und damit die Tatsachenfeststellungen erstreckt sich die materielle Rechtskraft aber (jedenfalls) so weit, als diese der Individualisierung des Urteilsspruchs dienen (verst Senat SZ 70/60 mwN = JBl 1997, 368 [373] = ecolex 1997, 422 [Oberhammer]; NZ 1998, 242), genauer: als diese zur Individualisierung des Spruchs der Entscheidung notwendig und damit entscheidungswesentlich sind (EvBl 1999/16 = RdW 1998, 912 mN aus der deutschen Lehre bei vergleichbarer Rechtslage; EvBl 2000/80).

Bei der Klageabweisung ist die rechtskräftige Verneinung des Anspruchs auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt (den "maßgeblichen Sachverhalt") beschränkt (Rechberger aaO mwN; ÖBA 1996, 883), so dass die Geltendmachung eines quantitativ gleichen Anspruchs aus einem anderen Lebenssachverhalt möglich bleibt.

Im Verfahren 2 C 1625/95d begehrte der Kläger - während aufrechten Bestandsverhältnisses - 30.000 S als Ersatz für die Herstellung des bauordnungsgemäßen Zustandes der Dusche und für die Sanierung der durch die eigenmächtige Handlungsweise des Beklagten verursachten Schäden. Das Erstgericht stellte die Kosten der Beseitigung der Feuchtigkeitsschäden mit 30.000 S und die Kosten der Herstellung des bauordnungsgemäßen Zustandes mit 45.000 S fest und erachtete eine Haftung des Beklagten gemäß § 1318 ABGB als gegeben; das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil die tatsächliche Verfügungsgewalt des Beklagten über die Wohnung (als entscheidendes Tatbestandselement nach § 1318 ABGB) im Zeitpunkt der Reaktivierung der den Schaden auslösenden Dusche nicht gegeben war und damit seine Haftung nach der genannten Bestimmung nicht in Betracht kam.

Im nunmehrigen Verfahren stützt sich der Kläger - nach Beendigung des Bestandverhältnisses - auf § 1111 ABGB und begehrt Schadenersatz für die missbräuchliche Abnützung und Verwendung des Mietgegenstandes. War somit im Vorprozess die Innehabung der beschädigten Wohnung haftungsauslösendes Tatbestandselement, ist es im nunmehrigen Verfahren demgegenüber schuldhaftes Handeln des ehemaligen Mieters. Für die Abweisung des Klagebegehrens im Vorprozess waren deshalb Feststellungen über die Höhe des eingetretenen Schadens ohne jede Bedeutung, weil schon das haftungsnotwendige Element der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Wohnung (Reischauer in Rummel, ABGB**2 § 1318 Rz 3 mwN) nicht vorlag. Unter diesen Umständen umfasste der zur Abweisung des dortigen Begehrens maßgebliche Sachverhalt, der allein in Rechtskraft erwachsen und Bindungswirkung entfalten konnte, nicht auch die Feststellungen des Erstgerichts zur Schadenshöhe.

Das klageabweisende Urteil im Vorverfahren steht daher der Geltendmachung eines - in Ansehung der im Vorprozess verfolgten Ansprüche wegen Feuchtigkeitsschäden möglicherweise quantitativ gleichen - Anspruchs auf Ersatz der Kosten der infolge unsachgemäßer Benutzung der Wohnung verursachten Schäden nicht entgegen, weil sich der Kläger im nunmehrigen Verfahren nicht auf eine Gefährdungshaftung des Wohnungsinhabers gem § 1318 ABGB, sondern auf eine schuldhafte Verletzung des Bestandvertrags durch den Mieter, somit einen anderen Lebenssachverhalt, stützt und eine andere Anspruchsgrundlage (§ 1111 ABGB) geltend macht.

Da das Erstgericht die Rechtsfrage somit richtig gelöst hat, liegt der allein geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht vor. Der unberechtigten Revision gegen das berufungsgerichtliche Teilurteil, das die stattgebende Entscheidung bestätigt hat, konnte daher kein Erfolg beschieden sein.

Eine Korrektur des aufhebenden Teiles der Berufungsentscheidung ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt, weil der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht zugelassen wurde (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). Eine Bindung des Erstgerichts an die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts über die Bindungswirkung der Entscheidung im Vorprozess besteht hier aber nicht, weil der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bereits anlässlich der Behandlung der (zulässigen) Revision gegen den bestätigenden Teil der Berufungsentscheidung überprüft und nicht gebilligt hat (EvBl 1995/170 = ZVR 1996/37; RIS-Justiz RS0042279).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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