OGH 4Ob68/11w

OGH4Ob68/11w22.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Gesellschaft ***** m.b.H., *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Foglar-Deinhardstein KG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 71.500 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2011, GZ 2 R 219/10f-33, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Mit der im gegenständlichen Verfahren ergangenen Provisorialentscheidung 4 Ob 6/09z schrieb der Senat die mit 4 Ob 89/08d begründete Rechtsprechung fort, wonach die vollständige und inhaltlich unveränderte, lediglich technisch bedingt und geringfügig zeitverzögerte Übermittlung von Fernsehprogrammen des ORF im Inland mittels Streaming über ein UMTS-Mobilfunknetz gemäß § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG als Teil der ursprünglichen Rundfunksendung gilt. Gestützt auf diese Rechtsprechung haben die Vorinstanzen im Hauptverfahren das auf Untersagung der Sendung von Bild- und Tonaufnahmen der Spiele von Fußball-Ligen im Mobilfunknetz der Beklagten gerichtete Unterlassungsbegehren der Klägerin abgewiesen.

Die außerordentliche Revision der Klägerin hält sich im Wesentlichen im Rahmen der bereits zu den genannten Vorentscheidungen angestellten Erwägungen. Den darin enthaltenen neuen Aspekten ist Folgendes entgegen zu halten:

1. Die technologieneutrale Auslegung des § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG ist in der Literatur teils zustimmend (ua Büchele, ÖBl 2009, 93; Horak, ecolex 2009, 248) und teils ablehnend (ua Walter, MR 2009, 34; Thiele, jusIT 1/2009, 5) kommentiert worden.

2. Die von Walter aaO verwendeten Argumente wurden im Wesentlichen bereits in den Vorentscheidungen berücksichtigt und sind zum Teil durch den Sachverhalt (Empfang der Signale nur im Inland möglich) gegenstandslos. Die Frage der Lizenzierung einer Weiterleitung über Internet ist hier nicht zu entscheiden. Ein Wertungswiderspruch zur Entscheidung des EuGH vom 7. 12. 2006, Rs C-306/05 , SGAE-Rafael Hoteles SL - (Hotel-TV) ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben. Die Entscheidung Hotel-Fernsehen beschäftigt sich mit der Auslegung des Begriffs der öffentlichen Weitersendung durch den EuGH; im vorliegenden Fall geht es um den Begriff der Kabelweitersendung. Dem Argument, das ORF-Privileg des § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG sei nicht mehr zeitgemäß und es sei weder historisch noch teleologisch auf „Handy-TV“ anwendbar, ist entgegen zu halten, dass die Bestimmung geltendes Recht ist und der Gesetzgeber dessen Änderung bislang nicht für erforderlich hielt. Sie ist auf aktuelle Sachverhalte anzuwenden. Die Bestimmung stellt den Versorgungsbereich des ORF, der sich auf das österreichische Bundesgebiet beschränkt, im Ergebnis frei (Mand, Das Recht der Kabelweitersendung [2004] 33). Sollte dieses Ergebnis - so die Argumentation der Klägerin - unerwünscht sein, weil sich die historischen Voraussetzungen dieser Privilegierung geändert haben, wäre der Gesetzgeber gefordert.

3. Die Bezugnahme der Klägerin auf den historischen Gesetzgeber des § 17 Abs 3 UrhG von 1980 kann ihrem Rechtsstandpunkt nicht zum Durchbruch verhelfen, zumal nicht zu unterstellen ist, dass dieser künftige Neuentwicklungen ausschließen wollte. So hat auch der historische Gesetzgeber von 1996 bei der Umsetzung der Satelliten- und Kabel-RL technische Weiterentwicklungen wie Mikrowellensysteme unter den Begriff der „Leitungen“ subsumiert. Allerdings kann der in Art 1 Abs 3 Satelliten- und Kabel-RL definierte Begriff der Kabelweiterverbreitung („durch Kabel- oder Mikrowellensysteme“) hier nicht als Prüfstein herangezogen werden, bezieht sich die RL doch lediglich auf die Kabelweiterverbreitung von Rundfunksendungen aus anderen Mitgliedstaaten (vgl Art 8 Abs 1 der RL). Hier folgt die technologieneutrale Auslegung der integralen Weitersendung von ORF-Programmen mithilfe von „Leitungen“ schon aus dem Umstand, dass die Verwendung eines TV-fähigen Mobiltelefons lediglich den Einsatz tragbarer Fernsehgeräte substituiert (Büchele, ÖBl 2009, 93 [94]).

4. Weshalb das „Handy-TV“ kein Äquivalent zum „Fernsehen am Sofa“ (so die Revision) sein soll, ist nicht ersichtlich. Es kann nicht darauf ankommen, das Bild mehreren Personen zugleich zugänglich zu machen. Die separate Abgeltung einer zeitgleichen, vollständigen und unveränderten Übermittlung von Fernsehprogrammen des ORF im Inland mittels Streaming über ein UMTS-Mobilfunknetz führte überdies zu einer Doppelbelastung des Verbrauchers und - korrespondierend - zu einer möglichen Mehrfachvergütung der Urheber für dieselbe Leistung. Der Urheber hat mit Einräumung des Erstsenderechts jenen Betrag lukriert, der ihm als Abgeltung für den Werkgenuss des Rezipienten (der das Programm zeitgleich ja auch nur einmal empfangen kann) angemessen erscheint (vgl Mand, Das Recht der Kabelweitersendung [2004] 24).

5. Thiele (jusIT 1/2009, 5 [8]) argumentiert mit dem Leitbild des Richtliniengebers (der Satelliten- und Kabel-RL), das nicht für das Handy-TV passe, weil es dort nicht um eine kabelergänzende Überbrückung von Netzlücken, sondern um eine „völlig neue Technik der drahtlosen Signalübertragung für einen neuen wirtschaftlichen Adressatenkreis in einem neuen technischen Gesamtkontext“ gehe. Das Leitbild des Richtliniengebers spielt jedoch bei der Auslegung des hier zu beurteilenden Binnensachverhalts keine entscheidende Rolle.

6. Auch im deutschen Schrifttum wird von einer technologieneutralen Auslegung der urheberrechtlichen Regelungen der Kabelweitersendung ausgegangen (so etwa Niemann, CR 2009, 661 [665]; Weber, ZUM 2009, 460 [462]; Hillig, ZUM 2009, 895 [896]). Dementsprechend kritisch wurde das zu diesem Thema ergangene Urteil des Landesgericht Hamburg vom 8. 4. 2009, ZUM 2009, 582 - „Zattoo“, welches die technologieneutrale Auslegung des § 20b dUrhG verneinte, kommentiert (Schmittmann, MR-Int 2010, 68 mwN).

7. Der letztgenannte Autor verweist zur Auslegung der §§ 17 Abs 3, 59a UrhG und § 20b dUrhG auf die „Annotated Principles“ zu Art 11bis der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ), wonach der Kabelbegriff weit auszulegen sei, sodass jede Form einer geleiteten Übertragung von elektronisch generierten Signalen erfasst werde, wobei der Leitungsweg nicht körperlich sein müsse.

8. Weber (aaO) führt ins Treffen, dass die (Kabel-)Weiterverbreitung über das Internet durch Geolocationsysteme national abgeschottet sei, was für die Anwendbarkeit der Kabelweitersendevorschriften spreche.

9. Eine Vorlagepflicht nach Art 267 AEUV besteht nur, wenn sich Auslegungsfragen bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht ergeben. Die Satelliten- und Kabel-RL regelt grenzüberschreitende Rundfunksendungen innerhalb der Gemeinschaft. Das gegenständliche Verfahren hat jedoch nur das inländische Mobilfunknetz der Beklagten zum Gegenstand.

Erstreckt der Gesetzgeber eine gemeinschaftsrechtliche Regelung (ohne Notwendigkeit) auf davon nicht erfasste Sachverhalte, wäre nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vorlage zwar zulässig (Wegener in Calliess/Ruffert 4 Art 267 AEUV Rz 4 mwN). Eine Vorlagepflicht für letztinstanzliche Gerichte hat der EuGH in solchen Fällen aber noch nicht angenommen, wenngleich dies in der Literatur vertreten wird (Nachweise bei Wegener aaO). Ein solcher „Erstreckungsfall“ liegt hier aber nicht vor, weil § 17 Abs 3 UrhG deutlich älter ist als die Satelliten- und Kabel-RL. Wird eine Richtlinie bloß im Rahmen systematischer Auslegung als weiteres Argument für ein bestimmtes Ergebnis herangezogen, ginge eine Vorlagepflicht jedenfalls zu weit.

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