OGH 4Ob65/89

OGH4Ob65/899.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** A***, Wien 9.,

Spitalgasse 31, vertreten durch Dr.Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Josef P***, Tierarzt und Amtstierarzt, St.Florian, Wienerstraße 5, vertreten durch Dr.Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert S 301.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Ablehnungssenates des Oberlandesgerichtes Linz vom 5.April 1989, GZ Jv 2120-17.3/89, mit dem der Antrag auf Ablehnung der Mitglieder des Berufungssenates zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten in der vorliegenden Wettbewerbssache mit Beschluß vom 15.November 1988, 4 Ob 101/88, Folge und hob das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auf, weil die zweite Instanz von der vom Erstgericht getroffenen Feststellung, daß der Beklagte nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt habe, ohne Beweiswiederholung abgegangen war. Dazu führte der Oberste Gerichtshof ua aus:

"Auf Grund dieser Feststellungen" (nämlich jener des Erstgerichtes) "hatte das Berufungsgericht nicht die Möglichkeit, die Erheblichkeit einer neben anderen Zielen noch mitspielenden Wettbewerbsabsicht des Beklagten als Rechtsfrage zu beurteilen. Das Berufungsgericht hat den Tatsachencharakter der Feststellung der fehlenden Wettbewerbsabsicht des Beklagten auch richtig erkannt, aber die Ansicht vertreten, daß es auch ohne die vom Kläger angestrebten Sachverhaltskorrekturen auf Grund des vom Erstgericht (sonst) festgestellten Sachverhaltes (vor allem über den vom Beklagten erzielten Gewinn) auf die Wettbewerbsabsicht des Beklagten als bloße Rechtsfrage schließen könne. Daran ist zwar richtig, daß zwischen Personen, die zueinander in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung für die Wettbewerbsabsicht spricht, doch ist der Erfahrungsschluß, daß eine objektiv den Wettbewerb fördernde Handlung auch in Wettbewerbsabsicht erfolgt ist, nicht immer gerechtfertigt (Baumbach-Hefermehl aaO Rz 233, 234, S 285 ff). Wurde aber, wie hier, vom Erstgericht das Fehlen der Wettbewerbsabsicht ausdrücklich festgestellt, so darf die Beurteilung nicht mehr allein auf Grund von Erfahrungssätzen (und bloßen Schlußfolgerungen aus dem auch vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Sachverhalt) erfolgen. Die zur Feststellung von Tatsachen dienenden (und damit zur Beweiswürdigung gehörenden - vgl ÖBl 1985, 105) Erfahrungssätze sind dann im Zusammenhang mit den konkreten Beweisergebnissen zu würdigen, und erst daraus sind entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen. Es bildet daher einen Mangel des Berufungsverfahrens, daß die zweite Instanz ohne Beweiswiederholung von der vom Erstgericht getroffenen Feststellung, daß der Beklagte nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt habe, abgegangen ist."

Dieser Aufhebungsbeschluß wurde den Parteien durch das Oberlandesgericht Linz mit Verfügung vom 13.Jänner 1989 - den Parteienvertretern zugestellt am 19.Jänner 1989 - mit der Mitteilung zugestellt, daß die vom Höchstgericht angeordnete Beweiswiederholung auf Grund der Reihenfolge der beim Berufungsgericht anhängigen Akten erst im Sommer dieses Jahres durchgeführt werden könne. Die Beweiswiederholung werde sich auf die Parteienvernehmung des Beklagten beschränken, sofern nicht die Parteien binnen 6 Wochen die Vernehmung eines der bereits in erster Instanz zum Thema Wettbewerbsabsicht gehörten Zeugen beantragen sollten. Mit Eingabe vom 24.Feber 1989, beim Berufungsgericht eingelangt am 2.März 1989, lehnte der Beklagte die Mitglieder des erkennenden Senates des Oberlandesgerichtes Linz - nämlich den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.K*** und die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.K*** und Dr.S*** - mit der Begründung ab, daß sie in der Entscheidung im ersten Rechtsgang in auffallender und bedenklicher Weise Verfahrensgrundsätze außer acht gelassen hätten, die dem Schutz des Parteiengehörs und der Objektivität des Verfahrens dienten. Das Oberlandesgericht Linz habe dem Beklagten ohne Beweiswiederholung Wettbewerbsabsicht unterstellt, damit das Unmittelbarkeitsprinzip und das Mündlichkeitsprinzip verletzt und dem Beklagten ohne Beweiswiederholung Unglaubwürdigkeit vorgeworfen. Die vom Berufungssenat angestellten Überlegungen zur Wettbewerbsabsicht seien in Wahrheit Erwägungen zur Beweiswürdigung. Würde der Berufungssenat in derselben personellen Besetzung wie am 25.Mai 1988 (Berufungsverhandlung im ersten Rechtsgang) eine Beweiswiederholung durchführen, dann sei zu befürchten, daß die Senatsmitglieder ohne objektive Prüfung der Argumente an der Unglaubwürdigkeit der Aussage des Beklagten festhalten würden. Durch die Ausführungen im Urteil vom 25.Mai 1988 (erster Rechtsgang) hätten sich die abgelehnten Senatsmitglieder zur Beweiswürdigung bereits in einer Weise festgelegt, die ihre Unbefangenheit bei der Beurteilung der Wettbewerbsabsicht ausschließe.

Die abgelehnten Richter haben sich für nicht befangen erklärt. Der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichtes Linz wies den Ablehnungsantrag als verspätet zurück (§ 21 Abs 2 JN): Ein erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung oder nach Zustellung des Urteils bekannt gewordener Ablehnungsgrund könne nicht mehr geltend gemacht werden, wenn ihn die Partei kenne, aber trotzdem, ohne ihn geltend zu machen, Anträge - also auch Rechtsmittelanträge - stelle. Als Nichtigkeitsgrund könne ein neu bekannt gewordener Ablehnungsgrund mangels einer rechtskräftigen, die Ablehnung aussprechenden Entscheidung noch nicht geltend gemacht werden; die Partei müsse daher nach der mündlichen Verhandlung, allenfalls nach der Zustellung des Urteils, aber immer vor der Erhebung des Rechtsmittels einen Ablehnungsantrag stellen und eine Entscheidung darüber begehren. Zwar könne die Ablehnung im selben Schriftsatz dem Rechtsmittel vorangestellt werden, doch habe der Antragsteller auch dies unterlassen. Im Fall der Stattgebung der Ablehnung wäre dann die vom abgelehnten Senat vorgenommene Prozeßhandlung als nichtig aufzuheben gewesen.

Selbst wenn man aber dieser Auffassung nicht folge, sei der Ablehnungsantrag unberechtigt. Aus den Gründen des Aufhebungsbeschlusses des Obersten Gerichtshofes ergebe sich, daß die abgelehnten Richter jedenfalls nicht in auffallender und bedenklicher Weise Verfahrensgrundsätze außer acht gelassen hätten; auch sei nicht zu besorgen, daß sie sich bei der Beweiswiederholung nicht ausschließlich von objektiven Gesichtspunkten leiten lassen würden. Somit liege kein Anlaß für die Befürchtung vor, die abgelehnten Senatsmitglieder würden Ergebnissen der Beweiswiederholung sowie Gegengründe gegenüber nicht mehr aufgeschlossen sein.

Der Beklagte bekämpft den Beschluß des Ablehnungssenates des Oberlandesgerichtes Linz mit Rekurs und beantragt, die Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Ablehnungsantrag Folge gegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Rekurswerber tritt der Ansicht des Ablehnungssenates, er habe seinen Ablehnungsantrag verspätet erhoben, mit der Begründung entgegen, daß er sich bei den nunmehr abgelehnten Senatsmitgliedern noch in keine Verhandlung eingelassen und im Zeitpunkt der Erhebung der Revision nicht habe vorhersehen können, daß die im ersten Rechtsgang erkennenden Mitglieder des Berufungssenates noch einmal mit der Sache befaßt werden würden.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Gemäß § 21 Abs 2 JN kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. § 21 Abs 2 JN ist ganz allgemein dahin zu verstehen, daß Ablehnungsgründe sofort nach ihrem Bekanntwerden vorzubringen sind (RZ 1974/1). Grundsätzlich ist die Ablehnung auch nach Schluß der Verhandlung und nach Urteilsfällung (SZ 43/104 = JBl 1971, 480; ÖBl 1977, 76 ua), aber nicht mehr nach rechtskräftiger Beendigung des Hauptverfahrens (8 Ob 510/76; 9 Ob A 142/88) zulässig. Wird der Ablehnungsgrund erst in einem Verfahrensstadium bekannt, in dem keine Verhandlung mehr stattfindet, dann geht das Ablehnungsrecht jedenfalls verloren, wenn die Partei einen schriftlichen Antrag an das Gericht stellt, ohne (vorher oder wenigstens im Antrag !dazu unten ) den Ablehnungsgrund geltend zu machen. Das gilt auch dann, wenn der ablehnenden Partei der Ablehnungsgrund erst nach Fällung des Urteils (erster oder zweiter Instanz) bekannt geworden ist. Werden erst im Rechtsmittelverfahren (zweiter oder dritter Instanz) Gründe bekannt, welche die Ablehnung eines Richters unterer Instanz rechtfertigen würden, dann müssen sie mit besonderem Ablehnungsantrag (7 Ob 28/73; bzw mit einer den Rechtsmittelausführungen vorausgestellten Ablehnungserklärung: ÖBl 1977/76; 7 Ob 651/80) beim Gericht unterer Instanz geltend gemacht werden; das Rechtsmittelverfahren ist bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrages zu unterbrechen (Fasching LB Rz 161; auch Komm I 206) und der zuständigen Instanz die Entscheidung über den Ablehnungsantrag aufzutragen (ÖBl 1977, 76). Die erfolgreiche Ablehnung führt, wie sich aus § 477 Abs 1 Z 1 ZPO ergibt, zur Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung; diese ist im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen wahrzunehmen, auch wenn sie in der Rechtsmittelschrift mangels rechtskräftiger Entscheidung über die Ablehnung noch nicht als (aktueller) Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden konnte. Die in der Rechtsprechung (7 Ob 28/73; ÖBl 1977, 76; 7 Ob 651/80) und im Schrifttum verschieden beantwortete Frage, ob die Geltendmachung von Ablehnungsgründen auch im Rechtsmittel selbst zulässig ist (dagegen Fasching LB Rz 161; ähnlich Komm I 206; dafür Holzhammer ZPR2, 39) kann diesmal auf sich beruhen, weil der Rekurswerber auch dort seine Ablehnung nicht vorgetragen hat.

Damit hat aber der Beklagte den Ablehnungsgrund der ihm mit der Zustellung der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz im ersten Rechtsgang am 26.Juli 1988 bekannt geworden war, nicht rechtzeitig geltend gemacht. Auch wenn sich im vorliegenden Fall der Ablehnungsgrund inhaltlich mit dem in der Revision geltend gemachten Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (weitgehend) deckt (weil der gerügte Mangel nach Ansicht des Beklagten auf einer auffallenden und bedenklichen Mißachtung von Verfahrensgrundsätzen durch die erkennenden Richter beruhte), stand es nicht zur Disposition des Beklagten, sich in der Revision auf die Geltendmachung des Anfechtungsgrundes der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu beschränken und erst im zweiten Rechtsgang den wiederum mit denselben Richtern besetzten Berufungssenat abzulehnen. Daß es im Fall eines Erfolges der Revision zu einer Aufhebung der Entscheidung der zweiten Instanz kommen werde und in diesem Fall dieselben Richter zu entscheiden haben würden, war nicht unvorhersehbar, da im Zivilprozeß - anders als im Strafprozeß, wo gemäß § 68 Abs 2 StPO die im ersten Rechtsgang erkennenden Richter von der neuen Hauptverhandlung ausgeschlossen sind - bei einer Zurückverweisung einer Rechtssache an die untere Instanz (§ 496 Abs 1, § 513 ZPO) ein Richterwechsel nicht stattfindet. Der Rekurswerber übersieht, daß ein Richter unterer Instanz nach der Urteilsfällung überhaupt nur dadurch erfolgreich abgelehnt werden kann, daß noch vor der Entscheidung der höheren Instanz in der Sache selbst der Ablehnung stattgegeben wird und damit der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO eintritt. Ist der Ablehnungsgrund gleichzeitig auch ein tauglicher Anfechtungsgrund im Rechtsmittelverfahren, dann ist die Ablehnung verspätet, wenn die Partei nur den Rechtsmittelgrund geltend macht.

Der Ablehnungsantrag wäre aber auch sachlich nicht gerechtfertigt. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht, daß es der vom Kläger angestrebten Sachverhaltskorrekturen nicht bedürfe und schon aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt (vor allem über den vom Beklagten erzielten Gewinn) auf dessen Wettbewerbsabsicht geschlossen werden dürfe, in durchaus vertretbarer Weise begründet. Da gerade bei der Beurteilung wettbewerbsrechtlicher Tatbestände die Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsfragen schwierig sein kann und die dabei mitspielenden Erfahrungssätze das eine Mal dem Tatsachenbereich und das andere Mal der Lösung der Rechtsfrage zuzuordnen sind (vgl etwa ÖBl 1985, 105), kann keine Rede davon sein, daß die abgelehnten Mitglieder des Berufungssenates mit ihrer Ansicht in auffallender und bedenklicher Weise Verfahrensgrundsätze außer acht gelassen hätten. Der Rekurswerber irrt, wenn er meint, das Berufungsgericht habe seinem Urteil zu Unrecht "Erfahrungssätze" unterstellt; der erkennende Senat hat lediglich ausgesprochen, daß das Berufungsgericht die Frage der Wettbewerbsabsicht des Beklagten in der gegebenen Verfahrenslage nicht allein auf Grund von Erfahrungssätzen entscheiden durfte.

Der Vorwurf des Beklagten, der Vorsitzende des abgelehnten Berufungssenates habe sich in seiner Äußerung zum Ablehnungsantrag (§ 22 Abs 2 JN) auf das Beratungsgeheimnis berufen und damit geweigert, die tatsächlichen Überlegungen der Senatsmitglieder bei der Entscheidung offenzulegen, ist schon deshalb verfehlt, weil die - durchaus sachlichen - Erwägungen des Berufungssenates aus der Entscheidung ohnehin deutlich hervorgehen. Eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter ist auch nicht daraus abzuleiten, daß sie sich in ihrer Beweiswürdigung bereits in einer Weise festgelegt hätten, die ihre Unbefangenheit ausschließen würde. Der vom Rekurswerber zitierten Entscheidung RZ 1984/81 lag diesbezüglich ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde. Dem Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

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