OGH 4Ob61/23h

OGH4Ob61/23h25.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M. und Mag. Waldstättenund den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*gmbH, *, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.787,34 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2022, GZ 4 R 13/21t‑85, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. November 2020, GZ 41 Cg 94/17g‑70, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzungden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00061.23H.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.017,90 EUR (darin enthalten 169,65 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte von der beklagten Autohändlerin mit Kaufvertrag vom 15. 12. 2009 einen Pkw der Type VW Golf als Neuwagen um 24.061,67 EUR brutto. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet.

[2] Bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin wurde die Abgasrückführung über eine Software gesteuert, die auf dem Prüfstand einen Betriebsmodus mit einer höheren Abgasrückführrate wählte als im realen Straßenverkehr (sog „Umschaltlogik“). So konnte der Ausstoß von Stickoxid (NOx) auf dem Prüfstand optimiert und die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte (nur) dort erfüllt werden.

[3] Diese Abschalteinrichtung wurde am 12. 5. 2017 durch ein Software‑Update beseitigt. Die Motorsteuerung ist nun so programmiert, dass die Abgasrückführung bei einer Höhenlage von über 1.000 Höhenmetern und/oder Außentemperaturen von unter +15 Grad Celsius sowie über +33 Grad Celsius abgeschaltet wird (sog „Thermofenster“). Wenn die Temperatur +15 Grad Celsius nicht überschreitet, kommt es permanent zu keiner Abgasrückführung und damit zu keiner NOx‑Reduktion. Dabei wird die Abgasrückführung aber nicht schlagartig abgestellt, sondern gleitend verringert (sog „Ausrampen“). Konkretere Feststellungen über die Funktionalität des Thermofensters können nicht getroffen werden.

[4] Die Klägerin begehrte Wandlung und Zahlung von 15.787,34 EUR – also die Rückzahlung des Kaufpreises von 24.061,67 EUR abzüglich eines Benützungsentgelts von 8.274,33 EUR – Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Auch die Abgasrückführung mit Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Vergütungszinsen begehrte sie ab dem Tag der Fahrzeugübergabe.

[5] Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie bestritt insbesondere die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs, weil die Steuerung mit Thermofenster dem Motorschutz diene. Die tatsächlichen NOX‑Werte im realen Straßenverkehr seien irrelevant. Außerdem betrage das angemessene Benützungsentgelt 19.820,67 EUR, sodass der Beklagten eine Gegenforderung von 11.546,43 EUR zustehe. Zinsen stünden der Klägerin frühestens ab Einbringung der Klage zu, da sie damit erstmals das Wandlungsbegehren erhoben habe.

[6] Das Erstgericht hielt die Klagsforderung zur Gänze, die Gegenforderung mit 9.787,67 EUR für berechtigt und sprach der Klägerin deshalb 5.999,67 EUR gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu. Dabei ermittelte es das Benützungsentgelt als Differenz aus dem Bruttokaufpreis abzüglich dem Händlereinkaufswert laut Sachverständigengutachten. Vergütungszinsen sprach es nur für das zugesprochene Kapital ab Vertragsabschluss zu. Die Wandlung löse den Kaufvertrag ex tunc auf, sodass der Klägerin ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch und Vergütungszinsen ab Vertragsabschluss für den ohne Rechtsgrund geleisteten Kaufpreis zustünden. Die Aufrechnung von Vergütungszinsen und Benützungsentgelt wirke aber auf den Zeitpunkt zurück, als sich die Forderungen erstmals gegenüber gestanden seien.

[7] Das Berufungsgericht entschied über die Berufungen beider Parteien. Es berechnete das Benützungsentgelt nach der linearen Berechnungsmethode und erhöhte den Zuspruch für die Klägerin auf 13.859,52 EUR. Vergütungszinsen sprach es ab Fahrzeugübergabe bis zur Bezifferung des Benützungsentgelts durch die Beklagte im Verfahren aus dem eingeklagten Betrag zu, danach aus dem zugesprochenen Betrag. Da die Beklagte von der Klägerin umfassendes Entgelt für die Nutzung des Fahrzeugs begehre, habe sie auch selbst der Klägerin die Nutzung des von dieser als Kaufpreis erhaltenen Geldes mit den gesetzlichen Zinsen abzugelten.

[8] Es ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum „Thermofenster“ als Fahrzeugmangel und der Berechnung des Benützungsentgelts fehle.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Beklagten strebt eine gänzliche Klagsabweisung, hilfsweise eine Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an. Sieistungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Das Berufungsgericht hat keine Erörterungspflicht verletzt.

[11] 1.1. Die Beklagte sieht im Berufungsurteil eine Überraschungsentscheidung, weil ihr die EuGH‑Entscheidungen C‑128/20 , C‑134/20 sowie C‑145/20 nicht dargelegt worden seien. Wenn die Unzulässigkeit einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung mit ihr erörtert worden wäre, hätte sie insbesondere vorgebracht, dass die Reduktion der Abgasrückführung nicht von der Umgebungstemperatur, sondern von der um ca 5 Grad Celsius höheren Ladelufttemperatur abhänge. Damit komme es ausgehend von den durchschnittlichen Umgebungstemperaturen im Unionsgebiet im überwiegenden Teil des Jahres zu keiner auch nur teilweisen Abschaltung der Abgasrückführung.

[12] 1.2. Nach § 182a ZPO muss das Gericht das Sach‑ und Rechtsvorbringen der Parteien erörtern und darf seine Entscheidung in der Hauptsache nicht auf rechtliche Gesichtspunkte stützen, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat. Vielmehr hat das Gericht seine Rechtsauffassung den Parteien darzulegen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben (RS0037300; RS0108816). Das Überraschungsverbot gilt auch im Berufungsverfahren (RS0037300 [T1]).

[13] Es bedarf aber keiner richterlichen Anleitung, wenn bereits der Prozessgegner die Schwächen eines Vorbringens oder einer Rechtsauffassung aufgezeigt hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RS0122365).

[14] 1.3. Dies gilt auch hier: Die (Un‑)Zulässigkeit einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung war schon im Verfahren erster Instanz ein zentraler Streitpunkt. Die Klägerin brachte ausdrücklich vor, dass das Software‑Update den Mangel nicht behoben habe, weil die Abgasreinigung beiAußentemperaturen unter 15 Grad Celsius und über 33 Grad Celsius außer Kraft trete (ON 49).

[15] Für die Beklagte war es daher weder überraschend, dass die Zulässigkeit des Thermofensters von Relevanz ist, noch dass sich die Temperaturangaben der Klägerin auf die Umgebungstemperatur bezogen.

[16] Die Beklagteerstattete sogar Vorbringen zum Thermofenster, nämlich dass dieser Bauteilschutz notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung und Unfall zu schützen und den sicheren Fahrzeugbetrieb zu gewährleisten (ON 53 S 3). Deshalb machten auch die erst am 22. Juni 2022, also nach Schluss der Verhandlung erster Instanz ergangenen EuGH‑Entscheidungen keine erneute Erörterung dieses Tatsachenkomplexes durch das Berufungsgericht erforderlich (vgl 8 Ob 21/23f).

[17] 2. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die Beurteilung wesentlich sind, und diese nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Wurden zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen, können insoweit auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden, auch wenn der vom Gericht ermittelte Sachverhalt von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweicht (RS0053317 [T1]).

[18] Ein sekundärer Feststellungsmangel zur genauen Funktionsweise des Thermofensters liegt somit nicht vor, weil das Erstgericht dazu ausdrücklich eine Negativfeststellung traf.

[19] Ob zu einem Thema konkretere Feststellungen möglich gewesen wären, kann vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden, weil diese Frage den nicht revisiblen Tatsachenbereich betrifft (vgl 8 ObA 26/23s Rz 2).

[20] 3. Das angebliche Fehlen von Feststellungen zu Abgaswerten im Realbetrieb ist keine erhebliche Rechtsfrage.

[21] 3.1. Die Beklagte sieht einen sekundären Feststellungsmangel darin, dasssich aus dem vom Erstgericht ermittelten Sachverhalt nicht ergebe, dass durch die Reduktion der Abgasrückführung außerhalb des Thermofensters Abgasgrenzwerte überschritten würden. Allenfalls liege eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor, wenn das Berufungsgericht diese vom Erstgericht nicht festgestellte Überschreitung als gegeben angesehen habe.

[22] 3.2. Gemäß Art 3 Z 10 der Verordnung 715/2007/EG über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur [...] oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[23] Gemäß Art 5Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. In den nachfolgenden lit a bis c werden Ausnahmen von diesem Verbot festgelegt.

[24] 3.3. Das Erstgericht hat im vorliegenden Fall festgestellt, dass beim von der Beklagten verkauften Fahrzeug unter 15 Grad Celsius Außentemperatur keine Abgasrückführung und keine NOx‑Reduktion stattfindet (ErstU S 23 Abs 7). Es liegt also eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Dies reicht nach der Rechtsprechung – ohne einen Verbotsausnahmetatbestand – aus, um die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs zu bejahen (vgl Teilurteil 10 Ob 2/23a [Rz 55 ff]; 10 Ob 16/23k; 9 Ob 70/22t [Rz 24] zu anderen Thermofensterfällen).

[25] Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kommt es nach der Judikatur nicht darauf an, ob die unionsrechtlich determinierten Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb überschritten werden (10 Ob 31/23s [Pkt 1.6.] mit ausführlicher Begründung zur sog „Grenzwertkausalität“). Ziel der Verordnungen VO 715/2007/EG und 692/2008/EG ist die Verbesserung der Luftqualität durch Verringerung der Kraftfahrzeugemissionen. Dies soll nach ihrem Regelungskonzept durch Kombination von zwei Elementen erreicht werden: Zum einen dürfen Fahrzeuge nur zum Straßenverkehr zugelassen werden, wenn sie in einem standardisierten Prüfverfahren bestimmte Abgasgrenzwerte nicht überschreiten; zum anderen sind Abschalteinrichtungen zur Veränderung der Abgasbehandlung im Realbetrieb verboten. Grenzwerte für den Realbetrieb wurden dagegen bewusst nicht festgelegt.

[26] 3.4. Auch aus den in der Revision zitierten EuGH‑Entscheidungen ergibt sich entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nichts Anderes.

[27] Zwar trifft die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels grundsätzlich den Übernehmer (RS0018553). Dies gilt auch für die Behauptung, die Verbesserung eines Mangels habe zu anderen Mängeln geführt. Ist im Fahrzeug des Übernehmers aber nach den Feststellungen eine an sich verbotene Abschalteinrichtung (hier: Thermofenster) verbaut, trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass diese Einrichtung unter die Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt (RS0134458).

[28] Im vorliegenden Fall konnte das Erstgericht – wie die Beklagte selbst betont – nur rudimentäre Feststellungen über die Funktionalität des Thermofensters treffen. Damit ist insbesondere nicht einmal erwiesen, dass die Abschaltung der Abgasrückführung einen Ausnahmetatbestand erfüllt, weil sie dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall oder dem sicheren Betrieb des Fahrzeugs dient. Diese Unklarheit geht zulasten der Beklagten.

[29] Nach der Rechtsprechung des EuGH bleibt eine Abschalteinrichtung sogar verboten, wenn sie zwar die Formalvoraussetzungen der Verbotsausnahme laut Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG erfüllt, aber unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 74, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f; 10 Ob 2/23a Rz 61 f; 10 Ob 31/23s [Pkt 1.4.3.3]). Darauf kommt es hier aber gar nicht mehr an.

[30] 3.5. Im Übrigen erhellt aus der Revision nicht, welche Relevanz die Ausführungen der Beklagten zu Durchschnitts‑ und Mediantemperaturen im Unionsgebiet haben könnten.

[31] Ob eine Abgasrückführung stattfindet, richtet sich nach der bei Nutzung des Fahrzeugs jeweils aktuell herrschenden Temperatur und nicht einem Tags‑, Monats‑ oder sonstigen Mittelwert: Wenn es etwa nachts 14 Grad Celsius hat und tagsüber 34 Grad Celsius, so liegt zwar die Durchschnittstemperatur an diesem Tag bei 24 Grad Celsius und damit innerhalb des Thermofensters. Trotzdem findet weder tagsüber noch nachts eine Abgasrückführung statt, weil die aktuelle Temperatur immer ober‑ oder unterhalb des relevanten Bereichs liegt.

[32] 4. Die Beklagte beanstandet außerdem, dass die Vorinstanzen das Benützungsentgelt nach der linearen Berechnungsmethode ermittelt haben.

[33] Dies entspricht jedoch der inzwischen gefestigten Rechtsprechung zum Gebrauchsnutzen eines Kfz‑Käufers, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat (vgl RS0134263). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht mehr vor (RS0112921).

[34] 5. Die Vergütungszinsen stehen dem Käufer ex tunc ab Zahlung des Kaufpreises zu, können aber mit einem bereits entstandenen Anspruch auf Benützungsentgelt aufgerechnet werden.

[35] 5.1. Die Beklagte meint schließlich, dass der Klägerin Vergütungszinsennicht aus dem vollen Kaufpreis, sondern nur aus dem ihr zurückzuzahlenden Teil zustünden.Sie begründet dies einerseits damit, dass eine Aufrechnung auf den Zeitpunkt zurückwirke, an dem sich die beiden Forderungen erstmals gegenüberstanden.

[36] 5.1.1. Bei der Kondiktion von Leistungen aus gegenseitigen Verträgen, bei denen die Parteien regelmäßig von der Annahme einer Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen ausgehen, ist der redliche Besitzer grundsätzlich nicht verpflichtet, die nach der Herstellung des Austauschverhältnisses bezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben. Der redliche Empfänger des Kaufpreises aus einem schwebend unwirksamen Vertrag darf nach dem Wegfall des Rechtsgrundes die Zinsen behalten, wenn auch der Käufer in der Zwischenzeit in den als äquivalent angesehenen Genuss der Kaufsache gekommen ist (RS0010214).

[37] Eine solche – einem Anspruch auf Benützungsentgelt entgegenstehende – „Pauschalverrechnung“ setzt daher voraus, dass die Hauptleistungen als annähernd gleichwertig angesehen werden können. Sie ist nicht angebracht, wenn die benützte Sache einer starken gebrauchsbedingten Wertminderung unterliegt – wie dies bei Kraftfahrzeugen angenommen wird. Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers auf Benützungsentgelt sind in einem solchen Fall grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (RS0010214 [T9]).

[38] Dadie Pauschalverrechnung mangels Gleichwertigkeit ausscheidet, steht aber auch dem Kfz‑Käufer ein Benützungsentgelt für die Nutzung des gezahlten Kaufpreises zu, und zwar Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen (vgl 6 Ob 150/22k [Rz 40 f]; vgl RS0032078; RS0031939). Sie gebühren ab Zahlung des Kaufpreises und nicht erst ab dem Rückstellungsbegehren des Käufers (10 Ob 2/23a Rz 124).

[39] 5.1.2. Die Bereicherung des Verkäufers kann nur so lange bestehen, als ihm der Kaufpreis tatsächlich zur Nutzung zur Verfügung steht, mit anderen Worten nicht zurückgezahlt wurde (6 Ob 150/22k Rz 41 mwN).

[40] Im vorliegenden Fall rechnete die Klägerin selbst mit einem Teil ihrer Klageforderung gegen das von ihr geschätzte Benützungsentgelt auf und tilgte den Rückzahlungsanspruch damit in diesem Ausmaß. Mangels Vorbringens zum konkreten Zeitpunkt des Wegfalls der eingetretenen Bereicherung ist für das von der Klägerin zugestandene Benützungsentgelt von einer teilweisen Tilgung des Rückforderungsanspruchs mit der Zustellung der Klage auszugehen (6 Ob 150/22k Rz 41 mwN). Das Berufungsgericht hat aber ohnedies immer nur diese Differenz und nie den gesamten Kaufpreis als Kapital für die Ermittlung der Vergütungszinsen herangezogen.

[41] Die Beklagte hat ihre Gegenforderung auf ein höheres Benützungsentgelt erstmals kurz vor Schluss der Verhandlung erster Instanz beziffert. Die Tilgungswirkung dieser gerichtlichen Aufrechnung tritt zwar erst mit Rechtskraft des darüber ergehenden Urteils ein, wirkt aber wie jede Aufrechnung auf den Zeitpunkt zurück, als sich die beiden Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden. Dieser Zeitpunkt lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen (6 Ob 150/22k Rz 41; vgl zu alldem ausführlich 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Teilurteil; Rz 123 ff]). Die Revision kann daher auch keine Bedenken gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wecken, die Vergütungszinsen erst mit Bezifferung Aufrechnungseinrede nur noch aus dem letztlich zugesprochenen Betrag zu berechnen.

[42] 5.2. Außerdem führt die Beklagte dieBGH‑Entscheidungen VI ZR 354/19, VI ZR 397/19 und VI ZR 1146/20 ins Treffen, in denen das deutsche Höchstgericht Zinsansprüche ab Kaufvertragsabschluss verneint habe, um eine Überkompensation zu vermeiden.

[43] Diese Entscheidungen sind jedoch für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Abgesehen davon, dass dort nach deutschem Recht zu entscheiden war, war auch eine ganz andere Sachverhaltskonstellation und Anspruchsgrundlage zu beurteilen. Die Käufer von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen forderten beim BGH keine Wandlung von ihren Vertragspartnern, sondern erhoben Schadenersatzklagen gegen die Fahrzeugherstellerin.

[44] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Der Klägerin konnten die erst später ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs nicht bekannt sein, sodass ihr ein Kostenersatzanspruch zusteht, auch wenn sie die Unzulässigkeit der Revision anders begründete (vgl RS0112921 [T6]).

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