OGH 4Ob565/91

OGH4Ob565/9119.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sylvia H*****, und des mj. Gerhard H*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch ihre Mutter Christine H*****, diese vertreten durch Dr.Ekkehard Beer und Dr.Kurt Bayr, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 10.Mai 1991, GZ 1 b R 74/91-46, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15.April 1991, GZ 5 P 162/84-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen sind die ehelichen Kinder des Franz und der Christine H*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 19.Juni 1984, 9 Cg 41/84-7, gemäß § 55a EheG geschieden. Im Zuge des Scheidungsverfahrens hatten sich die Eltern dahin geeinigt, daß die elterlichen Rechte auf die Mutter übertragen würden; der Vater verpflichtete sich, für die Kinder einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von je S 3.000 zu zahlen. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt (ON 2). Mit Beschluß vom 10.2.1988, ON 17, wurde der vom Vater für seine Tochter Sylvia zu leistende Unterhaltsbeitrag auf S 3.400 erhöht.

Mit der Behauptung, daß sich ihre Bedürfnisse mittlerweile erhöht hätten und auch die finanzielle Situation des Vaters gebessert habe, beantragten die Minderjährigen am 12.3.1990 die Erhöhung der Unterhaltsleistung auf monatlich je S 4.000 (ON 21). Nachdem sich der Vater dagegen ausgesprochen hatte (ON 23), holte das Erstgericht das Gutachten eines Buchsachverständigen über das Jahresnettoeinkommen des - selbständig tätigen - Vaters in den Jahren 1987 und 1988 ein. Dieses Gutachten (ON 31) und das in der Folge erstattete Ergänzungsgutachten (ON 34) wurden jeweils (auch) dem Rechtsvertreter der Minderjährigen zur Stellungnahme binnen einer bestimmten Frist zugestellt. Nach dem fruchtlosen Verstreichen der zuletzt gesetzten Frist gab das Erstgericht mit Beschluß vom 20.12.1990, ON 38, dem Erhöhungsantrag statt. Es stellte auf Grund der Gutachten fest, daß das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Vaters im letzten abgeschlossenen Wirtschaftsjahr S 44.415,74 betragen habe. Daraus schloß es rechtlich, daß jedem der beiden Kinder ein monatlicher Unterhaltsanspruch von je S 7.994,83 zustehe, so daß die geltend gemachten Unterhaltsbeträge jedenfalls gerechtfertigt seien.

Unter Hinweis auf die in diesem Beschluß getroffenen Feststellungen stellten die Minderjährigen am 23.1.1991 den Antrag, den Unterhalt für Sylvia H***** rückwirkend ab 1.1.1988 auf S 5.600, ab 1.7.1988 auf S 5.700, ab 1.7.1989 auf S 5.820 und ab 30.6.1990 auf S 6.040 sowie für Gerhard H***** rückwirkend ab 1.1.1988 auf S 4.880, ab 1.7.1988 auf S 4.960, ab 1.12.1988 auf S 5.700, ab 1.7.1989 auf S 5.820 und ab 30.6.1990 auf S 6.040 zu erhöhen (ON 39).

Der Vater beantragt, dieses Erhöhungsbegehren abzuweisen. Dem Antrag stehe die Rechtkraft des Beschlusses vom 20.12.1990 entgegen; die nunmehr geltend gemachten Umstände hätten gegebenenfalls in einem Rekurs vorgebracht werden müssen. Abgesehen davon habe sich das Einkommen des Vaters seit der Erstattung des Gutachtens vermindert (ON 42).

Das Erstgericht wies den Erhöhungsantrag ab. Da nach ständiger Rechtsprechung jeder Unterhaltsfestsetzung die Umstandsklausel innewohne, sei eine Änderung nur dann gerechtfertigt, wenn sich die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert hätten. Seit der letzten Beschlußfassung am 20.12.1990 sei aber keine Änderung der Verhältnisse eingetreten.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Auch im Außerstreitverfahren gefaßten Beschlüssen komme im Hinblick auf § 18 Abs 1 AußStrG zumindest dann materielle Rechtskraft zu, wenn die Entscheidung - wie hier - über widerstreitende Rechtsschutzanträge ergangen sei. Nur einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse halte diese materielle Rechtskraft nicht stand. Eine solche Änderung liege bloß dann vor, wenn seit der Entscheidung des Gerichtes neue Tatsachen eingetreten oder dem Gericht (bzw den Beteiligten) bekannt geworden seien. Selbst die vollständige Kenntnis der Sachgrundlage und damit der Mangel einer Änderung der Verhältnisse könne aber eine weitere Entscheidung des Erstgerichtes nur für jenes (Teil-)Begehren ausschließen, das schon mit der letzten Unterhaltsentscheidung erledigt wurde; das hier zu behandelnde Erhöhungsbegehren sei jedoch nicht Gegenstand des letzten Unterhaltsbemessungsverfahrens gewesen.

Die Rechtskraft einer Unterhaltsfestsetzung stehe einem Erhöhungsantrag selbst dann nicht entgegen, wenn der frühere Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde. Daher stelle sich nur noch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit auch dann möglich ist, wenn für diese Zeit bereits eine gerichtliche Regelung vorlag. Das werde von der Rechtsprechung für den Fall bejaht, daß die gerichtliche Entscheidung wegen einer nicht bloß unbedeutenden Änderung der Verhältnisse nicht mehr bindend ist. Der Unterhalt könne zwar auch dann für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum neu festgesetzt werden, wenn für diese Zeit schon eine gerichtliche Unterhaltsbemessung vorliege; das sei jedoch erst ab jenem Zeitpunkt möglich, in dem die wesentliche Änderung der Verhältnisse, welche die ursprüngliche Regelung ja erst beseitigen konnte, Platz gegriffen habe. Eine derartige Änderung der Verhältnisse hätten die Minderjährigen jedoch gerade nicht behauptet; vielmehr hätten sie nur auf die Ergebnisse des vorangegangenen Unterhaltsbemessungsverfahrens verwiesen. Die im Rechtsmittel nunmehr geltend gemachte Einkommenssteigerung des Vaters könne im Hinblick auf das im Unterhaltsbemessungsverfahren gültige, wenn auch eingeschränkte Neuerungsverbot des § 10 AußStrG nicht berücksichtigt werden; im Rekurs könnten zwar neue Umstände und Beweismittel vorgebracht, nicht aber von dem in erster Instanz erstatteten Vorbringen abweichende Behauptungen nachgetragen werden. Auch bei anderer Auffassung wäre für die Rekurswerber nichts gewonnen, weil eine wesentliche, zu einer Neubemessung vereinbarter oder festgesetzter Unterhaltsbeträge hinreichende Änderung der Verhältnisse - ganz abgesehen davon, daß seit der letzten Bemessung mindestens ein Jahr verstrichen sein müsse - nur im Fall einer Einkommenserhöhung von zumindest 10 bis 15 % anzunehmen sei. Derartiges hätten die Minderjährigen hier aber nicht einmal behauptet.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß den Erhöhungsanträgen stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier maßgeblichen Frage, unter welchen Voraussetzungen ohne Änderung der Verhältnisse die Erhöhung eines gerichtlich festgesetzten Unterhaltsbetrages verlangt werden kann, abweicht; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus § 18 AußStrG folgt, daß auch Entscheidungen im außerstreitigen Verfahren der materiellen und formellen Rechtskraft fähig sind (JBl 1974, 268; SZ 44/82; EFSlg 44.706 uva). Einem im außerstreitigen Verfahren gefaßten, durch ein Rechtsmittel nicht mehr anfechtbaren Unterhaltsbemessungsbeschluß kommt sohin die gleiche Rechtskraftwirkung zu wie einem nach den Vorschriften der ZPO ergangenen Urteil oder Beschluß (§ 411 ZPO). Nachträglichen Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes hält die materielle Rechtskraft allerdings nicht stand (Fasching, LB2 Rz 1531; SZ 40/120; SZ 41/179; EFSlg 43.112, 46.668 uva); solche Änderungen ermöglichen vielmehr einen neuen Antrag (eine neue Klage). Das ist gerade bei Unterhaltsentscheidungen von großer Bedeutung, gilt doch für jede Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich - soweit nicht eine davon abweichende Vereinbarung vorliegt - die Umstandsklausel (EFSlg 43.108, 59.479 uva; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 10a zu § 94, Rz 15b zu § 140). Dem Begehren, die Unterhaltsverpflichtung im Hinblick auf eine (wesentliche) Änderung der Verhältnisse in anderer Weise festzusetzen, steht demnach nicht die Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsbemessung entgegen. Wurde über den (gesamten) Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt, dann ist hingegen ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen (LGZ Wien in EFSlg 44.707, 61.574, 61.575 uva).

Davon zu unterscheiden ist ein neuer Antrag, mit dem ein Anspruch geltend gemacht wird, der - wie es auf den hier zu beurteilenden Erhöhungsantrag zutrifft - noch nicht Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung war. Über dieses (Mehr-)Begehren konnte das Gericht - da trotz der Untersuchungsmaxime (§ 2 AußStrG) auch im außerstreitigen Unterhaltsbemessungsverfahren der Dispositionsgrundsatz gilt (Pichler-Cap, Grundzüge des Außerstreitverfahrens für die Praxis des Amtsvormundes, ÖA 1977, 29 ff (31); Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen Anm 4 zu § 2) - daher nicht entscheiden (vgl § 405 ZPO); ein Anspruch, den die Minderjährigen gar nicht geltend gemacht hatten, konnte aber - ungeachtet der Tatsache, daß der frühere Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten worden war - nicht in Rechtskraft erwachsen (SZ 22/190; SZ 48/113; SZ 49/114; 1 Ob 546/87; ÖA 1988, 18; Wit, Probleme der Teileinklagung und Rechtskraft, JBl 1981, 404 ff (409 ff, 416 f); Fasching aaO Rz 1516; Pichler, Gedanken zum Unterhalt für die Vergangenheit, ÖA 1988, 68 ff (69 f)), ist doch Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche (Fasching aaO Rz 1515). An dieser Identität mangelt es aber bei einem Begehren auf Unterhaltsleistungen für die Zukunft oder - wie nach nunmehriger Rechtsprechung zulässig (SZ 61/143) - für die Vergangenheit, wenn mit der Behauptung, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sei höher als ursprünglich angenommen, ein höherer Betrag begehrt wird.

Anders läge der Fall nur dann, wenn schon in der vorangegangenen Entscheidung - wie es vor allem bei einer (Teil-)Abweisung eines überhöhten Unterhaltsbegehrens zum Ausdruck gebracht wird - über den Unterhaltsanspruch abschließend (auf der Grundlage der festgestellten Verhältnisse) rechtskräftig erkannt worden ist; in diesem Fall stünde auch einem höheren Unterhaltsbegehren - sofern nicht geänderte Verhältnisse behauptet werden - die Rechtskraft entgegen, weil der ursprünglich und der nunmehr geltend gemachte Anspruch sich nur quantitativ, nicht aber qualitativ unterscheiden, liegt doch hier der gleiche anspruchsbegründende Sachverhalt mit der sich daraus ergebenden gleichen Rechtsfolge vor (Wit aaO 408).

Im vorliegenden Fall hatte das Erstgericht in dem Beschluß, mit dem es dem Antrag der Minderjährigen vollinhaltlich stattgegeben hat, ausdrücklich ausgeführt, daß den Kindern ein höherer Anspruch zustünde (ON 38); daß mit dem Zuspruch von je S 4.000 über den gesamten Unterhaltsanspruch der Minderjährigen rechtskräftig entschieden worden wäre, kann somit keinesfalls gesagt werden. Die Rechtsmeinung, daß ein Erhöhungsantrag, soweit die Unterhaltsfestsetzung - wie hier - auf der Parteiendisposition beruht, nur dann zulässig sei, wenn in der letzten Unterhaltsfestsetzung der Durchschnittsbedarf des Unterhaltsberechtigten nicht annähernd erreicht wurde (LGZ Wien in EFSlg 35.797, 40.594, 40.595, 50.998 ua), ist mangels gesetzlicher Grundlage nicht zu billigen, zumal im Unterlassen der Geltendmachung eines (höheren) Anspruches auch kein schlüssiger Verzicht auf diesen (höheren) Anspruch zu erblicken ist (ÖA 1991, 18 mwN).

Ist aber über den geltend gemachten Anspruch noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen, dann kommt es nicht darauf an, ob sich die Verhältnisse seit der letzten Unterhaltsbemessung geändert haben; die Ansicht des Rekursgerichtes, dem Erhöhungsantrag stehe zwar nicht das Hindernis der Rechtskraft entgegen, er müsse aber deshalb erfolglos bleiben, weil keine geänderten Verhältnisse behauptet wurden, triff daher nicht zu. Soweit der Entscheidung ÖA 1991, 18 eine solche Auffassung zu entnehmen ist, kann sie daher nicht aufrechterhalten werden.

Steht somit der rechtskräftige Beschluß ON 38 dem Unterhaltserhöhungsantrag nicht im Wege, dann ist über diesen sachlich zu entscheiden. Auf die im Revisionsrekurs aufgeworfene Frage, ob es nicht Aufgabe des Erstgerichtes als Pflegschaftsgericht gewesen wäre, im Interesse der Pflegebefohlenen darauf zu dringen, daß der Unterhaltsantrag - nach Vorliegen des Gutachtens über die Einkommensverhältnisse des Vaters - erhöht werde, braucht bei dieser Sachlage nicht eingegangen zu werden.

Da die im vorangegangenen Unterhaltsbemessungsverfahren getroffenen Feststellungen nicht bindend sind und der Vater zudem ausdrücklich behauptet hat, mittlerweile weniger zu verdienen, ist die Aufnahme von Beweisen erforderlich. Aus diesem Grund mußten die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen werden. Im Hinblick darauf ist auf die Frage, ob und wie weit das von den Minderjährigen erstmals im Rekurs erstattete Vorbringen über die (verbesserten) Einkommensverhältnisse des Vaters eine unbeachtliche Neuerung war, nicht mehr einzugehen.

Aus diesen Erwägungen mußte dem Revisionsrekurs Folge gegeben werden.

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