Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"Das Klagebegehren des Inhaltes,
1. es werde der beklagten Partei gegenüber festgestellt, daß der Wohnungsrechtsvertrag vom 23.1.1981 aufgelöst ist;
2. die beklagte Partei sei schuldig, der grundbücherlichen Einverleibung der Löschung des im Grundbuch EZ 362 KG M***** zu ihren Gunsten einverleibten Wohnrechtes einzuwilligen;
3. die beklagte Partei sei weiters schuldig, das im Haus M***** Nr. 286 im ersten Stock oberhalb der Küche gelegene Zimmer sofort zu übergeben,
wird abgewiesen."
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei den mit S 3.511,69 bestimmten Anteil an den Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 362 KG M***** mit dem darauf errichteten Haus M***** Nr. 286. Mit Wohnungsrechtsvertrag vom 23.1.1981 wurde der Beklagten - einer Schwester der Zweitklägerin - sowie ihrer Mutter die Dienstbarkeit des Wohnrechtes "in den beiden Zimmern im ersten Stock oberhalb der Küche und des Bades und wenn dieses Wohnungsrecht nur noch einer Person zusteht, so in dem Zimmer über der Küche ..., mit dem Recht, alle Nebenräumlichkeiten und den Garten nach bisheriger Gewohnheit mitzubenützen" gegen einen Barbetrag von S 40.000 und eine monatliche Zahlung von S 1.000, wertgesichert, eingeräumt. Seit dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1987 steht somit der Beklagten das Wohnrecht in dem eingeschränkten Umfang zu. Schon zu Lebzeiten der Mutter waren nur das WC, ein Kellerraum sowie der Garten, nicht jedoch das Bad, mitbenützt worden.
Anfangs zahlte die Beklagte das monatliche Entgelt von S 1.000; es traten jedoch immer wieder Zahlungsverzögerungen ein. Von Juli 1988 bis einschließlich August 1989 leistete die Beklagte keine Zahlungen. Über einen Teilbetrag von S 8.000 erwirkten die Kläger im März 1989 einen - in Rechtskraft
erwachsenen - Zahlungsbefehl, dessen zwangsweise Durchsetzung mangels pfändbaren Vermögens scheiterte. Die Beklagte war von April 1988 bis Oktober 1989 überwiegend arbeitslos. Bis Oktober 1988 bezog sie ein Arbeitslosengeld von monatlich
S 3.900; für die Monate Oktober 1988 bis Jänner 1989 verdiente sie als Beschäftigte eines deutschen Unternehmens in Schärding
S 2.500. Von Jänner bis Oktober 1989 erhielt sie dann eine Notstandshilfe in der Höhe von monatlich S 3.400. Seither arbeitet sie bei der Firma E***** und verdient monatlich S 6.500. Einen Zahlungsaufschub hatten ihr die Kläger nicht eingeräumt. Am
14. und 29.12.1989 überwies die Beklagte je S 3.000; davon behielten die Kläger nur S 1.000 für die Dezember-Miete ein, während sie den Restbetrag von S 5.000 der Beklagten wieder zurücküberwiesen. Am 8.2.1990 - einen Tag vor der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung - übermittelte die Beklagte dem Klagevertreter den Restbetrag von S 13.000.
Zwischen den Parteien war es zu persönlichen Reibereien gekommen, welche so weit ausarteten, daß die Kläger ihren
Wohnbereich - Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer - gesondert absperrten. Immer wieder stellten die Kläger fest, daß aus ihrer Speis Lebensmittel und Waschmittel fehlten. In einem Fall konnte die Zweitklägerin die Beklagte dabei betreten, als sie Lebensmittel aus der Speis an sich nahm; auch eine leere Weichspülerflasche, die sie an der Bodenunterseite gekennzeichnet hatte, konnte sie bei der Beklagten entdecken. Auf Grund von Strichmarkierungen an der Waschmitteltrommel war eindeutig festzustellen, daß auch daraus Waschmittel entnommen worden war. Einmal wurde die Beklagte dabei überrascht, als sie im Garten von den Klägern angepflanzte Gurken abriß. Selbst leistete die Beklagte keine Gartenarbeiten.
Die Beklagte beauftragte die Firma August W*****, einen Zweitschlüssel zur Küche der Kläger nachzumachen. Da sie aber in der Folge den Schlüssel nicht abholte, wurden die Kläger von dessen Fertigstellung verständigt; dadurch erfuhren sie von dem Zweitschlüssel. Auf Grund des Verhaltens der Beklagten sahen sie sich genötigt, insgesamt drei Schlösser auszuwechseln. Das Vertrauensverhältnis zur Beklagten ist seither völlig gestört; zwischen den Klägern und der Beklagten wird nichts gesprochen.
Mit Schreiben vom 27.7.1989 sprachen die Kläger durch ihren Rechtsanwalt gegenüber der Beklagten die "Kündigung" des Wohnungsrechtsvertrages vom 23.1.1981 aus und forderten die Beklagte zur Unterfertigung einer beigelegten Verzichts- und Löschungserklärung sowie zur Räumung bis zum 31.8.1989 auf.
Mit der Behauptung, daß ihnen auf Grund des Verhaltens der Beklagten die Vertragsfortsetzung unzumutbar sei und sie daher mit Recht die Kündigung ausgesprochen hätten, begehren die Kläger,
1. der Beklagten gegenüber festzustellen, daß der Wohnungsrechtsvertrag vom 23.1.1981 aufgelöst sei;
2. die Beklagte schuldig zu erkennen, zu erklären, daß sie in die grundbücherliche Einverleibung der Löschung des im Grundbuch EZ 362 KG M***** zu ihren Gunsten einverleibten Wohnungsrechts einwillige
und
3. die Beklagte schuldig zu erkennen, das im Haus M***** Nr. 286 im ersten Stock oberhalb der Küche gelegene Zimmer den Klägern sofort zu übergeben.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Zur Zeit ihrer Arbeitslosigkeit sei sie zwar mit der Entgeltszahlung in Verzug geraten; seit sie wieder beschäftigt sei, habe sie jedoch die Zahlungen aufgenommen. Sie habe die Kläger nie bestohlen. Anlaß für die Anfertigung eines Nachschlüssels sei gewesen, daß die Zweitklägerin immer wieder eigenmächtig das Zimmer der Beklagten betreten habe.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Nach neuerer Rechtsprechung könnten auch Verträge über persönliche Dienstbarkeiten aus wichtigen Gründen durch einseitige Parteienerklärung aufgelöst werden. Die Beklagte habe durch den langdauernden Verzug mit ihrer Entgeltzahlung sowie durch den Eingriff in die Privatsphäre und das Vermögen der Kläger die Grenzen des Zumutbaren überschritten. Das rechtliche Interesse der Kläger an der alsbaldigen Feststellung der Vertragsaufhebung sei zu bejahen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Ein wichtiger Grund für die vorzeitige Auflösung eines Wohnungsgebrauchsrechtes könne auch darin gelegen sein, daß ein gedeihliches Zusammenleben der Vertragspartner nicht mehr möglich ist. Bei einer Dienstbarkeit müßten aber im Hinblick auf die starke dingliche Bindung diejenigen Gründe, die dafür in Betracht kommen, ein noch größeres Gewicht haben als jene, die für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen genügen. Säumigkeit des Wohnungsberechtigten mit der Zahlung des Entgelts müsse als besonders wichtiger Grund für die Auflösung des Vertragsverhältnisses angesehen werden. Daß ein Wohnungsberechtigter das Entgelt vor Schluß der Verhandlung zur Gänze nachgezahlt hat, könne aber auf Grund eines Größenschlusses aus § 33 Abs 2 und 3 MRG nicht unberücksichtigt bleiben, sofern den Berechtigten kein grobes Verschulden trifft. Diese Wirkung könnte der Nachzahlung des Entgelts durch die Beklagte jedoch nur dann zukommen, wenn der Entgeltrückstand der einzige Auflösungsgrund wäre. Die Beklagte habe aber auch andere wichtige Auflösungsgründe verwirklicht, die - in ihrer Gesamtheit - den Klägern die Aufrechterhaltung des Wohnungsrechts nicht mehr zumutbat machten. Wenn die Beklagte Lebens- und Putzmittel, wenn auch geringen Wertes, aus dem Besitz der Kläger entzog, war ihr Verhalten sicherlich geeignet, das Vertrauensverhältnis zu den Klägern völlig zu zerstören. Von besonderem Gewicht sei dabei noch, daß die Beklagte die Abwehrmaßnahme der Kläger, ihre Räume zu versperren, sogar noch mit der Bestellung eines Nachschlüssels beantwortete, könne dies doch nur so verstanden werden, daß sie nicht bereit war, von ihrem das Vertrauensverhältnis zerstörenden Verhalten wenigstens in Zukunft abzustehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.
Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, können Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Schuldners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung der vertraglichen Bindung nicht zumutbar erscheinen lassen. Die vorzeitige Auflösung solcher Schuldverhältnisse muß deshalb bejaht werden, weil auf Dauer angelegte Rechtsverhältnisse für eine Veränderung der für den Vertrag maßgebenden Verhältnisse in besonderem Maß empfindlich sind und es auch den sorgfältigsten Parteien nicht möglich ist, für alle derartigen Fälle in Zukunft vertraglich vorzusorgen (SZ 46/109; SZ 48/77; SZ 56/144;
SZ 57/186; MietSlg 33.196, 34.258, 35.221, 36.183 uva;
Ehrenzweig-Mayrhofer, System3 II/I, 619; Mayrhofer, JBl 1974, 593 ff (596); Koziol-Welser8 I 188). Diese Grundsätze gelten nach nunmehriger Rechtsprechung auch für sonstige Dauerrechtsverhältnisse wie Dienstbarkeiten und ähnliche Gebrauchsrechte (JBl 1974, 618). Ihre Auflösung kann aber wegen der stärkeren dinglichen Bindung nur "äußerstes Notventil" sein;
die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe müssen ein noch größeres Gewicht haben als jene, die für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen genügen (Mayrhofer aaO 602; Petrasch in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 524; MietSlg 31.223; 1 Ob 684/87).
Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann erweist sich das Klagebegehren als nicht berechtigt:
Wird ein Mietvertrag vom Vermieter deshalb für aufgelöst erklärt, weil der Mieter nach geschehener Einmahnung mit der Zahlung des Mietzinses dergestalt säumig war, daß er mit dem Ablauf des Termins den rückständigen Mietzins nicht vollständig entrichtet hatte (§ 1118 ABGB), dann ist das darauf gegründete Räumungsbegehren dennoch abzuweisen, wenn der Mieter, den an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden traf, noch vor Schluß des der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichtet hat (§ 33 Abs 2 und 3 MRG). Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß diese Vorschrift umso mehr auf einen Wohnungsberechtigten anzuwenden ist, dessen dingliches Recht ja stärker ist als das bloß obligatorische Bestandrecht. Da die Beklagte zu der Zeit, da sie kein Wohnungsentgelt entrichtete, nur ein ganz geringes Einkommen (zwischen S 2.500 und S 3.900 monatlich) bezog, kann ihr grobes Verschulden nicht angelastet werden, setzt dieses doch begrifflich ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, das den Vorwurf berechtigt erscheinen läßt, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (Würth in Rummel, ABGB, Rz 6 zu § 33 MRG; MietSlg 30.475, 34.498 ua). Angesichts des besonders niedrigen Einkommens der Beklagten können die Kläger auch nicht mit Erfolg ins Treffen führen, daß das Entgelt nur S 1.000 betragen habe und die Beklagte diesen Betrag leicht hätte zahlen können (S. 25). Schon bevor die Beklagte wieder Beschäftigung - zu einem Monatslohn von S 6.500 - gefunden hatte, nahm sie die monatlichen Zahlungen auf und war dann im Dezember 1989 bemüht, den Rückstand teilweise abzudecken. Da sie noch während der Verfahrens erster Instanz das gesamte offene Wohnungsentgelt beglichen hat, kann ihr vorangegangener Zahlungsverzug nicht mehr zur Rechtfertigung der vorzeitigen Auflösung des Wohnrechtsvertrages herangezogen werden; ihre Säumigkeit muß allerdings bei der Kostenentscheidung berücksichtigt werden (§ 33 Abs 2 Satz 1, 2. Halbsatz, MRG).
Auch die übrigen Verfehlungen der Beklagten haben - in ihrer Gesamtheit gesehen - kein solches Gewicht, daß die Auflösung des Wohnrechtsvertrages als das letzte "Notauskunftsmittel", das "Notventil zur Beseitigung einer untragbar gewordenen Lage" (vgl Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht, JherJB 76 (1926) 317 ff (350); Mayrhofer aaO 597), angesehen werden müßte. Daß die Beklagte gelegentlich den Klägern heimlich Lebensmittel oder auch Reinigungsmittel geringen Wertes weggenommen hat, muß unter Berücksichtigung ihrer schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick darauf, daß sie die Schwester der Zweitklägerin ist und sich daher im Hause nicht als Fremde fühlt, in etwas milderem Licht gesehen werden; das gleiche gilt für das - außer Streit gestellte (S. 13 und 20) - Abpflücken von Blumen. Wesentlich bedenklicher scheint allerdings der Umstand, daß die Beklagte einen Nachschlüssel für die Küche der Kläger anfertigen ließ. Dazu hatte sie jedoch nur den Auftrag gegeben, dann aber den Schlüssel - monatelang (vgl Mitteilung S. 29) - nicht abgeholt, so daß sich das beauftragte Unternehmen an die Kläger gewandt hat. Die Beklagte hat zwar in erster Instanz nicht - wie in der Revision - die Behauptung aufgestellt, sie habe den Schlüssel deshalb nicht abgeholt, weil ihr das Unrechtmäßige ihrer Vorgangsweise bewußt geworden sei; der Erstrichter hat auch nicht - auf Grund der Parteiaussage der Beklagten (S. 40) - festgestellt, daß sie an dem Schlüssel nicht mehr interessiert gewesen wäre. Aus dem festgestellten Verhalten der Beklagten ergibt sich aber ohnehin eindeutig, daß ihr Interesse an dem Nachschlüssel - für den nur S 100 zu zahlen waren (Beilage D) - jedenfalls erloschen war. Für die Annahme, sie habe tatsächlich die Absicht, in Zukunft abgesperrte Räume der Kläger rechtswidrig aufzusperren, um dort stehlen zu können, besteht demnach derzeit keine objektive Grundlage.
Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, daß besonders schwerwiegende Gründe vorhanden wären, welche die Lage für die Kläger so untragbar machten, daß ihnen kein anderes Mittel bliebe, als den Dienstrechtsvertrag mit der Beklagten aufzulösen und sie zur Räumung ihres Zimmers zu zwingen. Sollte sich die Beklagte allerdings in Zukunft neuerlich gröbere Verfehlungen, insbesondere ein Vergreifen am Eigentum der Kläger, zu Schulden kommen lassen, könnte das eine andere Beurteilung rechtfertigen.
Aus diesen Erwägungen waren die Urteile der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird.
Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO im Zusammenhalt mit § 33 Abs 2 Satz 1,
2. Halbsatz, MRG, jener über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41 und 50 ZPO. Die bis zur vollständigen Zahlung des Wohnungsentgeltes (8.2.1990) aufgelaufenen Kosten (S 14.153,52, darin S 2.233,92 Umsatzsteuer und S 750 Barauslagen) waren den Klägern, welche ohne diese Zahlung obsiegt hätten, zuzuerkennen; mangels Einschränkung des Klagebegehrens haben die Kläger jedoch der Beklagten die weiteren Verfahrenskosten erster Instanz (S 3.294,72, darin S 549,12 Umsatzsteuer) und die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (S 14.370,49, darin S 1.978,41 Umsatzsteuer und S 2.500 Barauslagen) zu ersetzen (LGZ Wien in MietSlg 32.426, 35.399, 38.507 uva).
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