OGH 4Ob5/16p

OGH4Ob5/16p20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** B*****, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2015, GZ 5 R 157/15t‑17, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 1. Juli 2015, GZ 1 Cg 133/14y‑13, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00005.16P.1220.000

 

Spruch:

A. Das mit Beschluss vom 20. April 2016 unterbrochene Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

B. Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts in Ansehung des Unterlassungsbegehrens und im Kostenpunkt wiederhergestellt wird und der Ausspruch über das Veröffentlichungsbegehren wie folgt lautet:

„Die klagende Partei wird ermächtigt, den Ausspruch über das Unterlassungs- und das Veröffentlichungsbegehren binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Ausgabe der 'Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN)', Lokalausgabe für E*****, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleichgroßer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 6.047,70 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 780,95 EUR Umsatzsteuer und 1.362 EUR Barauslagen) zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei verfügt über eine Bewilligung der Niederösterreichischen Landesregierung zur Durchführung von Glücksspielen in Form der Landesausspielung mit Automaten. Sie betreibt solche Geräte an mehreren Standorten in Niederösterreich.

Der Beklagte betreibt ein Gastlokal, in dem vier Glücksspielautomaten aufgestellt sind. Er verfügt dafür über keine Bewilligung.

Die Klägerin begehrte zunächst, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder einem Dritten den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in seinem Lokal, solange er oder der Dritte nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügen. Weiters erhob die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten dürfe nur mit behördlicher Bewilligung erfolgen. Da der Beklagte über keine solche Bewilligung verfüge, betreibe er in Verletzung von § 52 Abs 1 Z 1 GSpG iVm § 2 Abs 4 GSpG ein illegales Glücksspiel und verstoße dadurch gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch).

Im Laufe des Verfahrens „modifizierte“ die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren mit dem Zusatz „und/oder nicht die Bestimmungen über den Spielerschutz nach den glücksspielrechtlichen Vorschriften einhält, insbesondere kein Identifikationssystem/Zutrittssystem besteht“. Sie brachte dazu vor, dass der Beklagte gegen die in § 12a Abs 3 GSpG iVm § 5 Abs 3 bis 6 GSpG normierten Bestimmungen des Spielerschutzes und die weiteren Regeln des § 12a Abs 1 GSpG iVm § 25 Abs 6 bis 8 bzw § 25a GSpG (Geldwäschevorbeugung), § 12a Abs 2 GSpG (Standortbewilligung) und § 12a Abs 4 GSpG (Anbindung an das BRZ und Einhaltung der Automatenglücksspielverordnung) verstoße. Sollte er aufgrund einer allfälligen Unionsrechts- oder Verfassungswidrigkeit keine Konzession oder behördliche Bewilligung benötigen, um Glücksspiele in Form der Ausspielung zu betreiben oder zu ermöglichen, habe die Klägerin dennoch einen Anspruch auf Unterlassung dieser Ausspielungen, wenn der Beklagte dabei die Bestimmungen über den Spielerschutz nach glücksspielrechtlichen Vorschriften nicht einhalte.

Der Beklagte wandte ein, dass das GSpG in seiner derzeitigen Ausgestaltung unionsrechtswidrig sei und deshalb nicht zur Anwendung gelange, insbesondere weil die geforderte Kriminalitätsbekämpfung und der geforderte Spielerschutz nicht im notwendigen Ausmaß gegeben seien. Es liege ein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vor. Bei der behaupteten Modifizierung des Begehrens handle es sich um eine Klagsänderung, gegen die er sich ausspreche. Der davon umfasste Teil des Klagebegehrens sei nach § 20 UWG bereits verjährt. Ein Tatsachenvorbringen zum Verjährungseinwand erstattete er nicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Ausgehend von den eingangs zusammengefassten Feststellungen nahm es an, dass der Beklagte gegen das Glücksspielrecht verstoße.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Erstgericht habe im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Frage der tatsächlichen Auswirkungen der Regelungen des Glücksspielrechts zu treffen, um die Unionsrechtswidrigkeit des GSpG als Vorfrage für eine allfällige verfassungsrechtlich relevante Inländerdiskriminierung abzuklären.

Der Senat hat zu 4 Ob 31/16m ua mit Beschluss vom 30. 3. 2016 in sechs verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrunde lagen, die mit jenem des gegenständlichen Verfahrens vergleichbar sind, die dort näher bezeichneten einzelnen Bestimmungen des GSpG und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angefochten.

Mit Beschluss vom 15. 10. 2016 zu G 103‑104/2016‑49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte als unzulässig zurück. In der Entscheidung wurde zum einen darauf verwiesen, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei. Zum anderen erweise sich aber auch die Anfechtung des gesamten GSpG als unzulässig, weil verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen sämtliche Bestimmungen dargelegt worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war das Rekursverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

1. Der von der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs ist wegen der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 15. 10. 2016 zulässig und auch berechtigt.

2. Mit Erkenntnis vom 15. 10. 2016 zu E 945/2016-24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt bzw Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren. Die Beschwerdeführer, die sich den Bedenken des Obersten Gerichtshofs anschlossen, erachteten die gesetzliche Beschränkung der Zahl der Konzessionen zum Betrieb von Glücksspielautomaten als Verstoß gegen Unionsrecht. Diese Unionsrechtswidrigkeit führe wiederum zu einer gleichheits- und damit verfassungswidrigen „Inländerdiskriminierung“.

Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des GSpG allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das GSpG Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt.

3. Zwischen dem Anfechtungsbeschluss des Senats und der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. 3. 2016 zu Ro 2015/17/0022 veröffentlicht, in der sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das GSpG auseinandersetzte. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des GSpG. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreichte. Die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern würden durch die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarktes nicht auswirkenden – Glücksspielmonopols des Bundes kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie durch die Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52f GSpG), in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.

4. Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions- und verfassungsrechtlichen Fragen hinreichend als geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Bescheidbeschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.

5. Den entsprechenden Einwänden des Beklagten kommt daher keine Berechtigung zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigt sich daher eine Ergänzung des Beweisverfahrens zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols, sodass das Klagebegehren im Sinne einer Klagsstattgebung spruchreif ist. Der mit keinem Tatsachenvorbringen verbundene Verjährungseinwand des Beklagten wurde in der Berufung und in der Rekursbeantwortung nicht aufrecht erhalten. Der Aufhebungsbeschluss war daher in Stattgebung des klägerischen Rekurses aufzuheben. In Ansehung des Unterlassungsbegehrens war das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Die Klägerin war auch zur Urteilsveröffentlichung zu ermächtigen. Entgegen ihrem Antrag hat die Veröffentlichung aber entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl zuletzt etwa 4 Ob 164/12i und 4 Ob 61/16y) in Normallettern zu erfolgen.

6. Aufgrund der Fällung einer Sachentscheidung war auch über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 2 ZPO. Die geringfügige Teilabweisung in Bezug auf das Veröffentlichungsbegehren fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht.

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