OGH 4Ob507/96

OGH4Ob507/9616.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Griß als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Darina R*****, geboren am ***** 1976, infolge Revisionsrekurses des Vaters Andreas R*****, vertreten durch Gabriele R*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17.Oktober 1995, GZ 43 R 754/95-39, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 28.April 1995, GZ 7 P 557/93-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Darina R***** wurde am *****1976 geboren. Die Ehe ihrer Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16.6.1987 geschieden; in dem aus Anlaß der Scheidung geschlossenen Vergleich erhielt die Mutter die Obsorge. Der Vater verpflichtete sich, monatlich S 2.100,-- an Unterhalt zu zahlen. Am 22.12.1991 zog Darina R***** zum Vater; mit Beschluß vom 30.3.1992 wurde die Obsorge im Einvernehmen mit der Mutter dem Vater übertragen. Die Unterhaltsleistung der Mutter wurde mit Beschluß vom 25.3.1992 mit S 3.500,-- monatlich festgesetzt. Seit November 1993 wohnt Darina R***** allein in einer Wohnung in Wien *****, S*****gasse 32; im selben Haus wohnen ihre väterlichen Großeltern. Mit Beschluß vom 3.6.1994 wurde die Obsorge der Mutter übertragen.

Von Ende Oktober bis Mitte November 1993 arbeitete Darina R***** bei der D*****AG; sie erhielt hiefür monatlich S 4.098,--. Von Mitte November bis Ende Dezember 1993 war sie auf Arbeitssuche. Vom 3.1.1994 bis Mitte Jänner 1995 hatte Darina R***** eine Ausbildungsstelle in der Steuerberatungskanzlei S***** & Comp., anschließend nahm sie eine Stelle in der Steuerberatungskanzlei Dkfm.Manfred A***** an. Als Angestellte der Steuerberatungskanzlei S***** & Comp. verdiente Darina R***** monatlich S 4.152,80 netto; das entspricht unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen einem monatlichen Durchschnittseinkommen von S 4.850,--. In der Steuerberatungskanzlei Dkfm.Manfred A***** erhält sie monatlich brutto S 10.000,--.

Der Vater Andreas R***** verdient monatlich S 11.400,-- netto (vierzehnmal); er hat für seine Ehegattin zu sorgen.

Der Vater beantragt, ihn ab 1.11.1993 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben. Seine Tochter verfüge über ein eigenes Einkommen.

Die obsorgeberechtigte Mutter Silvia S***** sprach sich gegen den Antrag aus. Darina R***** sei in Ausbildung; die Abschlußprüfung sei für Mai 1996 vorgesehen.

Das Erstgericht enthob den Vater mit Wirkung vom 1.1.1995 von seiner Unterhaltsleistung; das Mehrbegehren wies es ab.

Da Darina R***** bis Ende 1994 nur S 4.850,-- monatlich verdient habe, sei sie auf die Unterhaltsleistung ihres Vaters angewiesen gewesen. Dem Vater sei eine Unterhaltsleistung von S 2.100,-- monatlich bis Ende 1994 zumutbar.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Lehrlinge seien erst dann selbsterhaltungsfähig, wenn ihre Lehrlingsentschädigung den Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage erreiche. Dieser habe für 1994 S 7.500,-- monatlich (vierzehnmal) betragen; der Regelbedarfssatz habe sich auf S 4.110,-- belaufen. Eine allfällige Vereinbarung zwischen Darina R***** und ihrem Vater über den Entfall des Unterhalts für den Zeitraum 1.11.1993 bis 31.8.1994 sei mangels Geschäftsfähigkeit der (damals noch) Minderjährigen und mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung unwirksam. Im Oktober und November 1993 habe Darina R***** ein Einkommen erzielt, das einem üblichen Ferialeinkommen entspreche. Dem Vater, welcher über ein monatliches Einkommen von S 14.400,-- netto (vierzehnmal) verfüge und noch für seine Ehegattin sorgepflichtig sei, sei zuzumuten, bis Ende 1994 Unterhalt zu zahlen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Der Vater verweist darauf, daß er 1994 nicht S 14.400,-- monatlich verdient hat, sondern S 11.410,--. Wenn er von seinem Gehalt den Unterhalt für seine Tochter abziehe, blieben ihm und seiner Familie S 9.310,--. Seine Tochter hingegen erhalte S 4.850,-- an Gehalt, die Familienbeihilfe von S 2.000,-- und S 3.500,-- an Unterhalt von ihrer Mutter.

Die Familienbeihilfe ist nach ständiger Rechtsprechung kein den Unterhaltsanspruch minderndes Einkommen iS des § 140 Abs 3 ABGB (EvBl 1992/73 = ÖA 1992, 56 mwN). Hingegen ist die Lehrlingsentschädigung, sofern sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt, Eigeneinkommen des Kindes, welches gemäß § 140 Abs 3 ABGB bei der Bemessung des Unterhalts zu berücksichtigen ist (Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 11a; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 36 ff mwN, stRsp ua SZ 65/114 = EvBl 1993/12 mwN). Der Unterhaltsanspruch mindert sich auf jenen Betrag, der bei Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte zur Selbsterhaltungsfähigkeit fehlt. Ein Lehrling ist - bei den hier gegebenen einfachen Lebensverhältnissen - selbsterhaltungsfähig, wenn seine Lehrlingsentschädigung die Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage iS des § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG erreicht (SZ 63/101 = ÖA 1991, 77; 7 Ob 569/95 mwN). Der Richtsatz für die Ausgleichszulage betrug 1994 vierzehnmal S 7.500,-- monatlich (BGBl 1994/20); der Regelbedarfssatz S 4.110,-- (s 7 Ob 569/95).

Darina R***** verdiente im November 1993 S 4.098,--; 1994 erhielt sie ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen S 4.152,80 monatlich; mit Berücksichtigung der Sonderzahlungen S 4.850,--. Stellt man diesen Betrag den auf zwölf Monate umgerechneten Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage (S 8.750,--) gegenüber, so ergibt sich für 1994 ein Unterhaltsanspruch von S 3.900,--.

Der Unterhaltsanspruch richtet sich gegen beide Eltern; sie haben nach ihren Kräften anteilig zum Unterhalt des Kindes beizutragen; der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag (§ 140 Abs 1 und 2 ABGB). Darina R***** wird von keinem Elternteil betreut; sie hat demnach gegen beide Eltern einen Unterhaltsanspruch in Geld. Wieviel jeder Elternteil an Unterhalt zu leisten hat, hängt von seinen Lebensverhältnissen ab. Aktenkundig sind nur die Lebensverhältnisse des Vaters, nicht auch die der Mutter. Das Nettoeinkommen des Vaters betrug im maßgebenden Zeitraum S 11.400,-- (vierzehnmal) und nicht, wie das Rekursgericht annimmt, S 14.400 (vierzehnmal). Der auf den Vater entfallende Unterhaltsanteil kann erst festgesetzt werden, wenn feststeht, wie die Lebensverhältnisse beider Eltern beschaffen sind und in welchem Maß demnach jeder von ihnen zum Unterhalt des Kindes beitragen kann.

Das Erstgericht wird zu erheben haben, wieviel die Mutter in der Zeit vom 1.11.1993 bis Ende 1994 verdient hat und ob sie im maßgebenden Zeitraum noch andere Sorgepflichten trafen. Erst dann kann beurteilt werden, ob und in welchem Ausmaß die Unterhaltsverpflichtung des Vaters herabgesetzt werden kann. Der Enthebungsantrag schließt einen Herabsetzungsantrag in sich (s ÖA 1994, 25).

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

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