OGH 4Ob354/98g

OGH4Ob354/98g26.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf und Dr. Tittel, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waltraud J*****, vertreten durch Dr. Heinz Robathin und Dr. Bernhard Hofmann, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Andrea H*****, vertreten durch Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwalt in Krems, wegen 354.251,67 S s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. September 1998, GZ 17 R 139/98f-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 2. April 1998, GZ 3 Cg 71/96w-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 16.020 S (darin 2.670 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der ehemalige Ehegatte der Beklagten Manfred H***** wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 10. 5. 1993 wegen des Vergehens des schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt, weil er im September 1992 in W***** der Klägerin ein nicht gesperrtes Sparbuch mit einer Einlage von 347.575,87 S wegnahm. Dem Strafverfahren hatte sich die Klägerin als Privatbeteiligte angeschlossen und einen Titel in Höhe des ihr gestohlenen Betrages erlangt. Im Zuge eines gegen Manfred H***** durchgeführten Fahrnisexekutionsverfahrens trat dieser an den Rechtsanwalt der Klägerin mit der Bitte heran, den geschuldeten Betrag in monatlichen Raten abstatten zu dürfen. Der Klagevertreter teilte ihm daraufhin routinemäßig mit, daß es dafür notwendig sei, Sicherheiten zu bringen, worauf ihm Manfred H***** antwortete, er "habe nur die Frau". Der Klagevertreter meinte darauf, dann müsse sich eben die Beklagte bereit erklären, die Raten mitzuzahlen und die Schuld anzuerkennen. Manfred H***** unterfertigte sodann in der Kanzlei des Klagevertreters eine vom Klagevertreter vorbereitete Anerkenntnis- und Ratenvereinbarung sowie einen Wechsel; gleichlautende Vereinbarungen und ein Wechselformular wurden ihm zwecks Unterfertigung durch die Beklagte mitgegeben. Der Klagevertreter war über die Lebensverhältnisse der Beklagten und ihres Gatten nicht informiert und erkundigte sich auch nicht weiter über deren persönliche Umstände.

Die Beklagte unterfertigte folgende mit 17. 5. 1995 datierte Erklärung: "Anerkenntis- und Ratenvereinbarung. Ich, Andrea H*****, geb. am *****, ***** verpflichte mich hiemit ausdrücklich und unwiderruflich den Schulden von Manfred H*****, geb. am ***** gegenüber Frau Waltraud J*****, geb. am ***** in Höhe von S 347.575,87 zuzüglich 8 % Zinsen seit 1. 9. 1992 zuzüglich der Kosten dieser Ratenvereinbarung in Höhe von S 10.675,80 anzuerkennen und beizutreten und in monatlichen Raten a S 4.000.-, beginnend mit 1. 6. 1995 die weiteren Raten am Ersten der Folgemonate zu bezahlen. Im Falle des Verzuges mit der Bezahlung auch nur einer Rate tritt Terminsverlust ein und kann die gesamte dann noch aushaftende Forderung für deren Besicherung ich einen Blankowechsel unterfertigt habe, gegen mich geltend gemacht werden." Die unterfertigte Vereinbarung samt Blankowechsel wurde der Kanzlei des Klagevertreters im Postweg übermittelt. Danach wurde auf Antrag der Klägerin das Exekutionsverfahren gegen Manfred H***** eingestellt. Zum Zeitpunkt der Unterfertigung dieser Vereinbarung bezog die Beklagte Karenzgeld in Höhe von 6.300 S monatlich, wovon sie 3.800 S monatlich an Kreditrückzahlungen für das Fertigteilhaus zu leisten hatte. Von ihrem Ehemann bekam sie keinerlei Wirtschaftsgeld. Von der strafgerichtlichen Verurteilung sowie von weiteren Vorstrafen ihres Mannes erfuhr die Beklagte erstmals anläßlich der Zustellung der Klage in diesem Verfahren. Seit 4. 12. 1995 ist die Beklagte geschieden; in dem anläßlich der Scheidung abgeschlossenen Vergleich ist die hier klageweise geltend gemachte Forderung nicht erwähnt.

Die Klägerin nimmt die Beklagte, gestützt auf die Anerkenntnis- und Ratenvereinbarung vom 17. 5. 1995, auf Zahlung des darin genannten Geldbetrages abzüglich 4.000 S mit dem Vorbringen in Anspruch, es sei nur die erste Rate der eingegangenen Verpflichtung gezahlt worden. Ein gegen Manfred H***** ergangenes Versäumungsurteil erwuchs in Rechtskraft.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Verpflichtungserklärung sei sittenwidrig, weil zwischen Leistung und Gegenleistung ein krasses Mißverhältnis bestehe. Die Beklagte habe sich zu einer Zahlung verpflichtet, für die sie nicht hafte, weil die Forderung der Klägerin aus einer strafbaren Handlung des geschiedenen Gatten der Beklagten herrühre und die Höhe der Verpflichtung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beklagten bei weitem übersteige. Der Verpflichtung der Beklagten stünde keine Gegenleistung der Klägerin gegenüber. Zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Vereinbarung sei die Ehe der Beklagten mit Manfred H***** bereits zerrüttet gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aus den eingangs wiedergegebenen Feststellungen zog es in rechtlicher Hinsicht den Schluß, die Verpflichtungserklärung der Beklagten sei sittenwidrig. Die Beklagte habe keine Kenntnis der strafbaren Handlung ihres mittlerweile geschiedenen Ehemannes gehabt und auch aus dessen Straftat keinerlei finanziellen Vorteil gezogen. Auslösendes Moment der Sittenwidrigkeitskontrolle sei die Übernahme einer Haftung, die in keinem Verhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit des Haftenden stünde. Die Klägerin habe die Verhältnisse der Beklagten nicht überprüft; darüber hinaus bestehe ein grobes Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit der Beklagten und der von ihr eingegangenen Verbindlichkeit. Auch fehle der Beklagten jedes Eigeninteresse.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die vom Obersten Gerichtshof im Zusammenhang mit Bürgschaften gegenüber Banken vertretenen Grundsätze zur Sittenwidrigkeit fänden auch auf diesen Fall Anwendung, in dem die Beklagte gegenüber einem privaten Gläubiger ihres damaligen Mannes eine Verbindlichkeit eingegangen sei, die in krassem Mißverhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entwickelten Kriterien für die Mißbilligung der Haftungsübernahme durch einen nahen Angehörigen lägen hier großteils nicht vor. Weder seien bürgschaftsrechtliche Schutzvorschriften zu Lasten der Beklagten abbedungen worden, noch fehle eine Haftungsbegrenzung; daß der Hauptschuldner hoffnungslos überschuldet sei, habe nicht festgestellt werden können. Die Beklagte sei keiner Situation verdünnter Entscheidungsfreiheit ausgesetzt gewesen oder überrumpelt worden. Die Klägerin als private Gläubigerin habe auch keine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis die Sittenwidrigkeit begründender Elemente zu vertreten. Der Senat hat dazu erwogen:

In der grundlegenden Entscheidung 1 Ob 515/95 (SZ 68/64 = ÖBA 1995, 804 [Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften, ÖBA 1995, 776] = JBl 1995, 651 [Mader] = ecolex 1995, 638 = ZIK 1995, 124) hat sich der Oberste Gerichtshof erstmals mit der Inhaltskontrolle von Interzessionsgeschäften vermögensschwacher Familien- angehöriger für Verbindlichkeiten des Hauptschuldners auseinandergesetzt. Mehrere Folgeentscheidungen haben in dieser Frage mittlerweile eine

gefestigte Rechtsprechung entwickelt (ÖBA 1997, 1027; JBl 1998, 36 =

RdW 1997, 659; ecolex 1998, 471; ecolex 1998, 761; ecolex 1998, 762 =

ÖBA 1998, 967 [Graf]; zuletzt 3 Ob 224/97f). Wichtige Kriterien für die Inhaltskontrolle solcher Geschäfte sind danach in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbotes ua das Vorliegen eines krassen Mißverhältnisses zwischen der Vermögenssituation des Interzedenten und dem Umfang der Hauptschuld, die inhaltliche Mißbilligung des Zustandekommens des Interzessionsgeschäftes infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten sowie die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von diesen Faktoren. Nicht sämtliche von der Rechtsprechung bisher aufgezählten Faktoren (vgl. dazu SZ 68/64) müssen kumulativ vorliegen, vielmehr kommt es auf eine auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezogene Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände an.

In der weitaus überwiegenden Zahl der bisher zu diesem Thema ergangenen Entscheidungen war Gläubiger ein kreditgewährendes Geldinstitut, das sich im Rahmen der Inhaltskontrolle regelmäßig seine strukturell ungleich größere Verhandlungsstärke und sein damit starkes wirtschaftliches Übergewicht anrechnen lassen mußte. Der Oberste Gerichtshof hat aber eine Inhaltsprüfung unter Anwendung der angeführten Grundsätze auch schon in solchen Interzessionsverhältnissen vorgenommen, bei denen der Gläubiger keine Bank war: Im Falle der Entscheidung 3 Ob 214/97k wurde die Sittenwidrigkeit deshalb verneint, weil der Interzedent bei Abschluß des Garantievertrages über Vermögenswerte verfügte, die den geltendgemachten Betrag um fast das Dreifache überstiegen, weshalb keine Rede davon sein konnte, daß seine Interzession keinen wirtschaftlichen Sinn gehabt hätte; im Falle der Entscheidung des erkennenden Senates ecolex 1998, 470 [Rabl] = RdW 1998, 541 = ÖBA 1998, 809 fehlte es zur Annahme der Sittenwidrigkeit nicht nur an der geforderten stärkeren Verhandlungsposition des Klägers als Verpächters eines Hotelrestaurants gegenüber jener der Beklagten als Lebensgefährtin des Pächters, sondern auch am groben Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang der Interzedentin und den bei redlicher Gebarung zu erwartenden Einkommensverhältnissen; auch war dort dem Kläger die geschäftliche Situation, der Charakter und das kriminelle Vorleben des Hauptschuldners nicht bekannt.

Grundsätzlich kann auch im Verhältnis zwischen Privaten ein Ausbeutungstatbestand vorliegen, der eine Interzessionsvereinbarung im Einzelfall sittenwidrig und damit nichtig machen kann. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß die Schuld, zu deren Rückzahlung sich die Beklagte zusammen mit ihrem damaligen Ehegatten verpflichtet hat, aus einer strafbaren Handlung des Hauptschuldners entstanden ist. Zwar ist auch der Ersatz eines gestohlenen Geldbetrages ein von der Rechtsordnung gebilligter Zahlungsgrund; anders als bei einer Kreditaufnahme für Zwecke eines Unternehmens, das die wirtschaftliche Grundlage für den Kreditschuldner und seine mithaftenden Familienangehörigen bildet, fehlt es aber in einem solchen Fall jedenfalls dann an jedem Eigeninteresse für die Mithaftung des an der strafbaren Handlung nicht beteiligten Ehegatten für die Rückzahlung, wenn dieser - wie hier die Beklagte - schon bisher finanziell völlig auf sich allein gestellt war. Die Meinung der Revisionswerberin, die Beklagte habe ihre Mithaftungserklärung unter zu billigenden Umständen abgegeben, ist allein dadurch widerlegt, daß die Beklagte weder von ihrem damaligen Ehegatten noch von der Klägerin bei Eingehen ihrer Verpflichtung über den Rechtsgrund der beizutretenden Schuld aufgeklärt worden ist; unter den gegebenen Umständen hätte die Klägerin aber zu beweisen gehabt, daß sich die Beklagte auch in Kenntnis des Zahlungsgrundes mitverpflichtet hätte. Daß ein Einkommen von monatlich 6.300 S bei einer monatlichen Kreditbelastung von 3.800 S in einem groben Mißverhältnis zur Mithaftung für eine Rückzahlung von nahezu 360.000 S Kapital steht, zieht die Revisionswerberin mit Recht selbst nicht in Zweifel. Ebenso steht fest, daß der Klägerin der Entstehungsgrund der Schuld bekannt war. Die Klägerin kann sich aber auch nicht darauf berufen, vom groben Mißverhältnis zwischen den Einkommensverhältnissen der Beklagten und der Höhe der von ihr übernommenen Verpflichtung keine Kenntnis gehabt zu haben, weil sie weder persönlich noch durch ihren Rechtsfreund als Verhandlungsgehilfen den Versuch unternommen hat, sich Klarheit über die Leistungsfähigkeit der ins Auge gefaßten Interzedentin zu verschaffen. Daß ihr ein solcher Versuch unzumutbar gewesen oder daß er etwa erfolglos geblieben wäre, hat sie weder behauptet noch bewiesen.

Den Vorinstanzen ist somit darin beizupflichten, daß die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Haftungsvereinbarung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit keinen Bestand hat. Der Revision konnte deshalb kein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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