European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124255
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Die Obsorge über die beiden außerehelichen Kinder, die 16‑jährige S* und die 12‑jährige Z*, steht der Mutter alleine zu. Die Lebensgemeinschaft der Eltern ist seit 30. 7. 2017 aufgehoben, wobei die beiden Mädchen zunächst im Haushalt des Vaters verblieben sind. Nachdem die Mutter eine neue Wohnung gefunden hatte, ist S* im November 2017 zu ihr gezogen; Z* lebt nach wie vor bei ihrem Vater. Mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichts M* vom 4. 5. 2018 wurde dem Vater für die Dauer eines Jahres die persönliche Kontaktaufnahme mit der Mutter verboten.
Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Regelung der Obsorge gegenüber dem Kind Z*. Der zugrunde liegende Antrag des Vaters vom 5. 9. 2017 ist darauf gerichtet, der Mutter die alleinige Obsorge zu entziehen und diese auf ihn zu übertragen.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Übertragung der alleinigen Obsorge ab. Das Kontaktrecht des Vaters zu Z* setzte es wie folgt fest: In geraden Kalenderwochen von Freitag nach der Schule bis Montag zu Schulbeginn; in ungeraden Kalenderwochen von Freitag nach der Schule bis Samstag 9:00 Uhr. Die Mutter sei in der Lage, die Obsorge nach den Kriterien des Kindeswohls auszuüben. Die alleinige Obsorge der Mutter entspreche am ehesten dem Wohl der Kinder. Auch die starke Geschwisterbeziehung zwischen den beiden Mädchen spreche für denselben Betreuungsort. Demgegenüber sei der Vater nur eingeschränkt erziehungsfähig. Die Kontaktzeiten richteten sich nach den Arbeitszeiten der Eltern.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Beurteilung des Erstgerichts, wonach die Beibehaltung der alleinigen Obsorge der Mutter und die Betreuung in deren Haushalt dem Wohl des Kindes Z* entspreche, sei nicht zu beanstanden.
Rechtliche Beurteilung
In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
Auch im Pflegschaftsverfahren gilt, dass ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bildet, sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0050037 [T4]; RS0030748 [T18]).
Die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme sind hier nicht gegeben: Bei der Beurteilung, ob die erfolgte Anhörung des einsichtsfähigen Kindes ausreicht oder ergänzt werden muss, kommt es auf den Inhalt der Fragestellungen und auf den Themenbereich an, zu denen sich das Kind geäußert hat. Wenn in der Tagsatzung, in der das Kind allgemein zur Betreuungssituation befragt wurde, zwischen den Eltern eine Vereinbarung getroffen wird, bildet eine spätere davon abweichende Beschlussfassung aufgrund neuerlicher Anträge keinen neuen Umstand, der eine neuerliche Anhörung erforderlich machen würde. Von einem „Unterlassen der zwingenden persönlichen Anhörung des Kindes“ kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
Die Prüfung, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise notwendig sind, ist ein Akt der Beweiswürdigung, der auch im Außerstreitverfahren nicht revisibel ist (RIS‑Justiz RS0043414 [T15]). Ein genereller Grundsatz dahin, dass das Pflegschaftsgericht im Obsorgeverfahren einen Sachverständigen beizuziehen hätte, besteht nicht (vgl RIS‑Justiz RS0006319 [T7]). Gelangen die Vorinstanzen zum Ergebnis, dass die Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe im Zusammenhang mit den anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bildet, so ist die Frage, ob im Einzelfall zusätzlich ein Sachverständigengutachten erforderlich ist, vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (RIS‑Justiz RS0108449 [T4]; RS0115719 [T10]). Im Übrigen hat das Rekursgericht auch zutreffend dargelegt, dass sich das Beweisthema des zugrunde liegenden Beweisantrags des Vaters nicht auf die Frage der Zuteilung der Obsorge bezog.
2.1 In rechtlicher Hinsicht ist die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob und inwieweit einem Elternteil die Obsorge zu entziehen ist, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig und bildet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0115719; RS0007101). Ausschlaggebend ist die Orientierung am Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0087024).
2.2 Das Rekursgericht ist von diesen Grundsätzen nicht abgewichen; auch eine Verletzung leitender Grundsätze der Rechtsprechung liegt nicht vor. Nach den Feststellungen verfügt die Mutter über eine angemessene Erziehungseinstellung und ist auch in der Lage, die unterschiedlichen Erziehungsziele für ihre Töchter zu erkennen; zudem kooperiert sie aus eigenem mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger. Demgegenüber fehlen dem Vater insbesondere in den Bereichen der Körperhygiene und der Festlegung der Schlafenszeiten der Kinder angemessene Erziehungskenntnisse. Es bereitet ihm auch Schwierigkeiten, seine eigenen Bedürfnisse den Kinderinteressen nachzureihen. Darüber hinaus ist es für die gesunde Entwicklung der Kinder wichtig, dass die gute Geschwisterbeziehung aufrechterhalten wird. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen ihren Entscheidungsspielraum nicht überschritten.
2.3 Die Vorinstanzen haben auch berücksichtigt, dass der Wille eines einsichtsfähigen Kindes für die Obsorgezuteilung ein wichtiges Kriterium ist (vgl RIS‑Justiz RS0115962). Allerdings ist das Pflegschaftsgericht gehalten, in erster Linie dem Kindeswohl zu entsprechen (vgl RIS‑Justiz RS0047937 [T11]). Die Vorinstanzen haben die Wünsche des Kindes unter Bedachtnahme auf die Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe sorgfältig gewürdigt und angemessen berücksichtigt.
3. Richtig ist, dass im Obsorgeverfahren trotz des im Rechtsmittelverfahren herrschenden Neuerungsverbots relevante aktenkundige Entwicklungen und Umstände, die die Tatsachengrundlage wesentlich verändern, im Interesse des Kindeswohls grundsätzlich zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0122192; RS0006893). Neues Vorbringen im Rechtsmittel allein macht die betreffende Behauptung aber noch nicht zum aktenkundigen Umstand (RIS‑Justiz RS0122192 [T3]).
Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Neuerungsverbots sind im Hinblick auf die vom Vater mit dem Rechtsmittel vorgelegte Abbildung von WhatsApp‑Nachrichten nicht gegeben. In diesem Zusammenhang sind auch die Feststellungen zu berücksichtigen, wonach der Vater das Kind Z* über die Trennungskonflikte mit der Mutter einseitig informiert und regelmäßig versucht, die Mutter in Misskredit zu bringen.
4. Soweit der Vater eine Einschränkung seines Kontaktrechts mit dem Argument bekämpft, dass das Kind Z* bisher in seinem Haushalt betreut worden und eine Gefährdung des Kindeswohls in diesem Zusammenhang nicht festgestellt sei, vermischt er die Obsorgefrage mit jener nach dem Ausmaß des Kontaktrechts. Dabei übersieht er, dass die alleinige Obsorge der Mutter zusteht. Die von ihm angestrebte Übertragung der Obsorge an ihn setzt voraus, dass die Betreuung durch die Mutter nicht dem Kindeswohl entspricht. Derartiges kann nicht damit begründet werden, dass das Kind ohnedies von ihm umfassend versorgt werde.
5. Insgesamt gelingt es dem Vater mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
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