European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E106677
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG (Art 140 Abs 1 B-VG) den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge
a. in § 193 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 die Wortfolge „mindestens sechzehn Jahre“,
b. hilfsweise § 193 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 zur Gänze
als verfassungswidrig aufheben.
Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Begründung:
A* V*, geboren *, ist serbischer Staatsangehöriger. Seine Eltern sind D* V* J*, geboren *, und V* A*, geboren *. Mit der Obsorge ist seit 1999 allein der Vater betraut. Seit 30. Juni 2012 ist der Vater mit der österreichischen Staatsbürgerin Mag. K* J*, geboren am *, verheiratet.
Am 15. Juli 2013 schlossen D* V* J* als gesetzlicher Vertreter von A* V* und Mag. K* J* einen Vertrag über die Annahme an Kindes statt. Am selben Tag beantragte der Vater namens des Kindes die Bewilligung der Adoption. Er brachte vor, dass er A* seit dessen Geburt betreue; mit der leiblichen Mutter gebe es seit 1998 keinen Kontakt. Seit 2000 bestehe eine Lebensgemeinschaft mit der Wahlmutter. A* wachse seither im gemeinsamen Haushalt mit der Wahlmutter auf; zwischen den beiden bestehe ein Mutter-Sohn-Verhältnis. Die Bewilligung liege daher im Interesse des Kindes.
Das Erstgericht wies den Antrag ohne Prüfung dieses Vorbringens ab, weil die Wahlmutter nach § 193 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 sechzehn Jahre älter sein müsse als das Kind. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt.
Das vom Vater und der Wahlmutter angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei.
Nach § 26 IPRG seien die Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt bei nicht eigenberechtigten Kindern nach dem Personalstatut des Annehmenden zu beurteilen, was hier zur Anwendung österreichischen Rechts führe; das Personalstatut des Kindes sei nur für die Zustimmung des Kindes oder eines Dritten, mit dem das Kind in einem familienrechtlichen Verhältnis stehe, maßgebend. Nach § 193 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 müssten Wahlvater und Wahlmutter sechzehn Jahre älter sein als das Wahlkind. Diese Bestimmung lasse keinen Interpretationsspielraum; ein Unterschreiten des Mindestaltersabstands sei daher anders als nach § 180 Abs 2 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013 nicht möglich. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Neuregelung gebe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich ein Revisionsrekurs des Vaters und der Wahlmutter. Sie bringen vor, § 193 Abs 2 ABGB müsse ebenso wie die Vorgängerbestimmung dahin ausgelegt werden, dass ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands nicht schade, wenn zwischen dem Kind und dem Annehmenden eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung bestehe. Sollte eine solche Auslegung nicht möglich sein, verstoße die Neuregelung gegen die Art 8 und 12 EMRK, gegen Art 8 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern und gegen Art 7 B-VG, weswegen angeregt werde, § 193 Abs 2 ABGB beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Vater und die Wahlmutter als Parteien des Verfahrens rechtsmittellegitimiert sind (RIS-Justiz RS0013478) und Rechtsprechung zu § 193 Abs 2 ABGB fehlt.
Der Oberste Gerichtshof hat wegen möglicher Verfassungswidrigkeit Bedenken gegen die Anwendung von § 193 Abs 2 ABGB. Er hat daher einen Antrag nach Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) zu stellen.
1. § 193 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 ist im vorliegenden Verfahren präjudiziell.
1.1. Das Kind und dessen Vater sind serbische Staatsangehörige, die Wahlmutter ist österreichische Staatsbürgerin. Es liegt daher ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vor. Das anwendbare Recht ergibt sich aus § 26 Abs 1 IPRG. Danach sind
„[d]ie Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt und der Beendigung der Wahlkindschaft […] nach dem Personalstatut jedes Annehmenden und dem Personalstatut des Kindes zu beurteilen. Ist das Kind nicht eigenberechtigt, so ist sein Personalstatut nur hinsichtlich der Zustimmung des Kindes oder eines Dritten, zu dem das Kind in einem familienrechtlichen Verhältnis steht, maßgebend.“
Da das Kind im vorliegenden Fall noch minderjährig ist, führt diese Bestimmung wegen der österreichischen Staatsbürgerschaft der Wahlmutter zur Anwendung des österreichischen Rechts. Das serbische Personalstatut des Kindes hat nur für das hier noch nicht zu beurteilende Zustimmungsrecht der leiblichen Mutter Bedeutung.
1.2. Die Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt sind daher nach den §§ 191 ff ABGB idF KindNamRÄG 2013 zu beurteilen. Diese Bestimmungen sind gemäß § 1503 Abs 1 Z 1 ABGB ohne besondere Übergangsbestimmung mit 1. Februar 2013 in Kraft getreten. Nach § 193 Abs 1 ABGB kommt die Annahme an Kindes statt durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung zustande. Die Annahme eines nicht eigenberechtigten Kindes ist nach § 194 Abs 1 ABGB zu bewilligen, wenn sie dessen Wohl dient und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Voraussetzung der Bewilligung ist weiters das Einhalten der Altersvoraussetzungen nach § 193 ABGB. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
„(1) Die Wahleltern müssen das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
(2) Wahlvater und Wahlmutter müssen mindestens sechzehn Jahre älter als das Wahlkind sein.“
1.3. Im vorliegenden Verfahren wurde ein schriftlicher Vertrag über die Annahme an Kindes statt geschlossen. Nach dem bisher nicht geprüften Vorbringen der Beteiligten besteht eine Mutter-Kind-Beziehung; Gründe, weswegen die Formalisierung dieser Bestimmung nicht dem Kindeswohl dienen sollte, sind nicht erkennbar. Die Wahlmutter hat auch das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet, sie ist aber nur fünfzehn Jahre, sieben Monate und elf Tage älter als das Kind. Damit erfüllt sie zwar die Voraussetzung des § 193 Abs 1 ABGB, nicht aber jene des § 193 Abs 2 ABGB. Die letztgenannte Bestimmung ist daher präjudiziell für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Adoption.
2. § 193 Abs 2 ABGB kann nicht dahin ausgelegt werden, dass ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands unschädlich wäre. Damit unterscheidet sich die neue Rechtslage von jener vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013.
2.1. Nach alter Rechtslage waren die altersbezogenen Voraussetzungen für die Annahme an Kindes statt in § 180 ABGB geregelt. Diese Bestimmung lautete:
„(1) Der Wahlvater muss das dreißigste, die Wahlmutter das achtundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben. Nehmen Ehegatten gemeinsam an oder ist das Wahlkind ein leibliches Kind des Ehegatten des Annehmenden, so ist eine Unterschreitung dieser Altersgrenze zulässig, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht.
(2) Wahlvater und Wahlmutter müssen mindestens achtzehn Jahre älter als das Wahlkind sein; eine geringfügige Unterschreitung dieses Zeitraums ist unbeachtlich, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht. Ist das Wahlkind ein leibliches Kind des Ehegatten des Annehmenden oder mit dem Annehmenden verwandt, so genügt ein Altersunterschied von sechzehn Jahren.“
2.2. Im Allgemeinen galt daher nach § 180 Abs 2 Fall 1 ABGB ein Mindestaltersabstand von achtzehn Jahren; das Gesetz sah jedoch ausdrücklich vor, dass dieser Abstand bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung geringfügig unterschritten werden konnte. Bei der Stiefkind- oder Verwandtenadoption nach § 180 Abs 2 Fall 2 ABGB betrug der Mindestaltersabstand demgegenüber nur sechzehn Jahre, wobei die Möglichkeit eines geringfügigen Unterschreitens hier nicht ausdrücklich vorgesehen war. Dennoch wurde diese Möglichkeit in der Rechtsprechung auch in diesem Fall bejaht (2 Ob 37/67 = SZ 40/16; 1 Ob 252/99m = SZ 72/163; RIS‑Justiz RS0112627, RS0048747). Dabei wurde ein Unterschreiten um etwa acht Monate als zulässig angesehen, wenn bereits eine „besonders intensive und gefestigte“ Eltern-Kind-Beziehung vorlag (2 Ob 7/02x = ÖA 2002, 192). Das Unterschreiten des Mindestaltersunterschieds wäre nach dieser Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall zu tolerieren gewesen, wenn das bisher nicht geprüfte Antragsvorbringen zum langjährigen Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung zutrifft.
2.3. Grundlage dieser Rechtsprechung war die in § 180 Abs 1 und Abs 2, Fall 1, ABGB aF ausgedrückte Wertung, dass bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung sonst geltende Altersgrenzen und Mindestaltersabstände im Interesse des Kindeswohls unterschritten werden konnten. Zwar hatten die Gesetzesmaterialien dies für § 180 Abs 2 Fall 2 ABGB, ausdrücklich ausgeschlossen (107 BlgNR 14. GP , 16). Dennoch bildete die gesetzlich angeordnete Flexibilität bei anderen Altersregelungen nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs aufgrund objektiv-teleologischer und systematischer Erwägungen eine ausreichende Grundlage für die Anwendung dieses Grundsatzes auch auf die Sechzehn-Jahr-Grenze der letztgenannten Bestimmung. Strittig konnte allenfalls sein, ob damit die Grenze des Wortsinns überschritten wurde, sodass eine analoge Anwendung erfolgte, oder ob (nur) eine unklare Regelung in einem bestimmten Sinn ausgelegt wurde.
2.4. Beides ist nach Inkrafttreten der Neuregelung nicht mehr möglich.
(a) Die EB zur RV des KindNamRÄG 2013 (2004 BlgNR 24. GP 31 f) führen zu § 193 ABGB Folgendes aus:
„In § 193 Abs. 1 des Entwurfs soll das unterschiedliche Mindestalter für die Wahlmutter und den Wahlvater beseitigt und durch eine einheitliche Altersgrenze ersetzt werden. Die unterschiedlichen Altersgrenzen im geltenden Recht entsprechen nicht mehr dem heutigen Verständnis und werden aus Gründen der Gleichbehandlung bedenklich gesehen. Weiters wird vorgeschlagen, das (nunmehr einheitliche) Mindestalter auf 25 Jahre zu senken. Durch die vorgeschlagene Senkung des Mindestalters ist die Möglichkeit einer weiteren Unterschreitung dieser Altersgrenze nicht mehr sachgerecht und geboten, sodass nunmehr 25 Jahre das einheitliche Mindestalter für Wahleltern sein soll, das unter keinen Umständen unterschritten werden darf.
§ 180 Abs 2 erster Satz ABGB alt regelt den erforderlichen Altersunterschied zwischen den Wahleltern und dem Wahlkind. Der Altersunterschied muss mindestens 18 Jahre betragen. Diese Grenze darf aber nach § 180 Abs. 2 zweiter Satz ABGB alt wiederum unter bestimmten Voraussetzungen geringfügig unterschritten werden. Bei einer Einzeladoption des leiblichen Kindes des Ehegatten genügt nach dieser Bestimmung ein Altersunterschied von 16 Jahren. Auch hier schlägt der § 193 Abs 2 des Entwurfs eine Vereinheitlichung vor. Der Altersunterschied zwischen Wahleltern und Wahlkind soll danach einheitlich mindestens 16 Jahre betragen. Eine weitere Unterschreitung dieser Altersdifferenz soll dagegen nicht mehr möglich sein.“
(b) Diese Auffassung der Regierungsvorlage liegt offenkundig auch dem Gesetzesbeschluss zugrunde. Der (eindeutige) Wortlaut der Bestimmung ist daher vom Willen des Gesetzgebers gedeckt: Durch Einführung einer starren Regelung sollte die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in diesem Punkt korrigiert werden. Eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke, die sich unabhängig vom konkreten Willen des Gesetzgebers aus objektiv-systematischen Erwägungen ergeben könnte, liegt wegen des Wegfalls der früheren Regelungen zum möglichen Unterschreiten von (anderen) Altersgrenzen und Mindestaltersabständen nicht vor. Damit ist es nicht möglich, das von den Rechtsmittelwerbern gewünschte Ergebnis durch Auslegung oder richterliche Fortbildung von § 193 Abs 2 ABGB zu erreichen. Vielmehr schließt diese Bestimmung ein Unterschreiten des Mindestaltersabstands von sechzehn Jahren auch bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung zwingend aus (Beck, Kindschaftsrecht2 [2013] Rz 198; Barth/Fucik, Neuerungen im Abstammungs- und Adoptionsrecht, in Barth/Deixler-Hübner/Jelinek [Hrsg], Handbuch des neuen Kindschafts- und Namensrechts [2013] 61 [65]; Höllwerth, Neuerungen im Adoptionsrecht, in Gitschthaler [Hrsg], Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 [2013] 155 [159]; ders in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 193 Rz 9).
3. Der Senat hat aus mehreren Gründen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.
3.1. Bedenken bestehen zunächst wegen eines möglichen Verstoßes gegen Art 1 des BVG über die Rechte von Kindern (BGBl I 2011/4, idF BVG Kinderrechte).
(a) Nach Art 1 dieses BVG hat
„[j]edes Kind […] Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“
Durch diese Bestimmung wird die Wahrung des Kindeswohls, die den Regelungen des Familienrechts schon seit langem zugrunde liegt, auch verfassungsrechtlich geboten (Fuchs, Kinderrechte in der Verfassung: Das BVG über die Rechte von Kindern, in Lienbacher/Wielinger, Jahrbuch Öffentliches Recht 2011 [2011] 91 [98]; Sax, Kinderrechte in der Verfassung ‑ was nun? EF-Z 2011, 204 [206 f]; Weber, Das BVG über die Rechte von Kindern, in FS Berka [2013] 263 [273 f]). Dies verpflichtet einerseits dazu, die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Familienrechts im Einzelfall in einer Weise auszulegen und anzuwenden, die den Interessen des betroffenen Kindes am besten entspricht. Andererseits ist die Wahrung und Förderung des Kindeswohls nun auch verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Gesetz (Fuchs aaO 98; Sax, EF-Z 2011, 208; Weber aaO 275).
(b) Die starre Regelung des § 193 Abs 2 ABGB kann zu Ergebnissen führen, die mit dem konkreten Kindeswohl unvereinbar sind. Denn jedenfalls dann, wenn der Kontakt zu einem leiblichen Elternteil gänzlich abgebrochen ist und statt dessen eine faktische Eltern-Kind-Beziehung mit einer anderen Person besteht, liegt es im Interesse des Kindes, diese Beziehung durch eine Adoption auch rechtlich zu formalisieren und zu konsolidieren. Wird in einem solchem Fall ein Adoptionsvertrag geschlossen, erfordert das Kindeswohl eine Bewilligung auch dann, wenn ein ‑ im Regelfall sinnvoller ‑ Mindestaltersabstand (oder ‑ hier nicht relevant ‑ eine Altersgrenze) geringfügig unterschritten wird. Das zeigt sich exemplarisch im vorliegenden Fall: Nach dem Vorbringen der Rechtsmittelwerber leben der Vater, die Wahlmutter und das Kind seit über zwölf Jahren als Familie; der vergleichsweise geringe Altersunterschied zwischen Wahlmutter und Kind war offenbar kein Hindernis dafür. Die Bewilligung der Adoption ausschließlich an diesem Umstand scheitern zu lassen, wäre mit dem Kindeswohl schlechthin unvereinbar.
(c) Starre Mindestaltersabstände bei der Adoption verstoßen daher nach Ansicht des Senats gegen Art 1 BVG Kinderrechte; gleiches gilt für ‑ hier allerdings nicht relevante ‑ starre Altersgrenzen. Zwar vereinfachen solche Regelungen das Verfahren, weil bei einem Unterschreiten eine konkrete Kindeswohlprüfung unterbleiben kann. Darin kann aber keine Rechtfertigung iSv Art 7 BVG Kinderrechte liegen. Denn es kann nicht im Interesse des Kindes liegen, dass ein Antrag auf Bewilligung der Annahme an Kindes statt zwar wegen einer formalen Regelung rasch erledigt werden kann, aber aus demselben Grund ohne weitere Prüfung des konkreten Kindeswohls abgewiesen werden muss.
3.2. § 193 Abs 2 ABGB verstößt möglicherweise auch gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-VG).
(a) Art 7 B-VG gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber sind daher nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen gestattet (VfSlg 15.580 ua).
(b) Bei einer faktisch stabilen Familienbeziehung zwischen einem leiblichen Elternteil, einem Stiefelternteil und einem Kind hängt die Zulässigkeit der Annahme an Kindes statt nach § 193 Abs 2 ABGB ausschließlich davon ab, ob bestimmte Altersabstände eingehalten werden oder nicht. Zwar ist nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Mindestaltersabstände vorsieht, die die typischerweise bestehenden natürlichen Verhältnisse abbilden. Weiters lässt sich wohl noch argumentieren, dass zwar in der Realität auch geringere Altersabstände vorkommen ‑ so war auch im vorliegenden Fall die leibliche Mutter bei Geburt des Kindes noch nicht sechzehn Jahre alt ‑, dass es sich dabei aber um gesellschaftlich unerwünschte Ausnahmen handelt, die für die Regelung einer bloß rechtlichen Begründung des Eltern-Kind-Verhältnisses nicht maßgebend sein sollten. Aus dem Umstand, dass auch unter sechzehnjährige Frauen Kinder bekommen können, lässt sich die Verfassungswidrigkeit von § 193 Abs 2 ABGB daher noch nicht zwingend ableiten. Wohl aber fehlt nach Ansicht des Senats jede sachliche Rechtfertigung dafür, dass auch bei faktischem Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands nicht zulässig ist. Gleiches ‑ nämlich faktisch bestehende Familienbeziehungen, die durch Adoption formalisiert und konsolidiert werden sollen ‑ wird hier ohne sachliche Begründung ungleich behandelt.
(c) Der Senat verkennt nicht, dass der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen Durchschnittsbetrachtungen anstellen darf, ohne dadurch gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 [2007] Rz 1359; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz [2008] 237 ff; beide mwN). Dennoch ist hier zu unterscheiden: Pauschalierungen und Typisierungen sind umso eher zulässig, je größer der Verfahrensanfall in einem Rechtsgebiet und je schwieriger und aufwendiger eine Ermittlung der Umstände des Einzelfalls ist (Pöschl aaO 251 mwN). Umgekehrt wird aber eine differenziertere Regelung, die auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht nimmt, umso eher geboten sein, wenn es sich um keine Massenverfahren handelt und die Ermittlung der tatsächlichen Umstände gewöhnlich keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Letzteres trifft bei der Bewilligung einer Adoption im Regelfall zu.
(d) Mit der starren Regelung des Mindestaltersabstands verlässt der Gesetzgeber zudem das Ordnungssystem des Familienrechts. Nach § 138 Abs 1 ABGB ist in allen ein minderjähriges Kind betreffenden Angelegenheiten dessen Wohl als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. Das hat im Allgemeinen durch Anwendung der in § 138 Abs 2 ABGB genannten Kriterien im Einzelfall zu erfolgen. Eine typisierende Betrachtung, wie sie der starren Regelung des § 193 Abs 2 ABGB zugrunde liegt, steht mit diesem Regelungskonzept im Widerspruch, ohne dass dafür ‑ wie bereits aufgezeigt ‑ eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre.
3.3. Starre Regeln zum Mindestaltersabstand sind zuletzt wohl auch mit Art 8, 14 EMRK unvereinbar.
(a) Art 8 und Art 14 EMRK sind im vorliegenden Fall schon deshalb anwendbar, weil Vater, Wahlmutter und Kind bereits als Familie zusammenleben (EGMR 19010/07, X and Others v. Austria, Rz 93 ff). Auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Bestimmungen auch dann eingreifen, wenn das nationale Recht Adoptionen auch ohne Vorliegen einer bereits bestehenden Familienbeziehung ermöglicht, kommt es daher nicht an.
(b) Die starre Regelung des § 193 Abs 2 ABGB kann die rechtliche Formalisierung und Konsolidierung eines faktischen Eltern-Kind-Verhältnisses, die durch Annahme an Kindes statt erfolgen soll, verhindern. Dabei wird unter sonst gleichen Umständen ausschließlich nach dem Alter des Annehmenden unterschieden: Ist das Wahlkind ‑ wie hier ‑ 16 ½ Jahre alt, so ist die Adoption zulässig, wenn der Annehmende mindestens 31 ½ Jahre alt ist; ist er jünger, ist die Adoption unzulässig. Damit knüpft die Regelung (zumindest mittelbar) am Alter des Annehmenden an. Diskriminierungen aufgrund des Alters sind aber vom Verbot des Art 14 EMRK erfasst (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 [2012] § 26 Rz 8 mwN). Eine Rechtfertigung ist, wie bereits oben dargelegt, jedenfalls dann nicht zu erkennen, wenn auch im Einzelfall kein Unterschreiten des Mindestaltersabstands möglich ist.
4. Aus diesen Gründen stellt der Oberste Gerichtshof den Antrag, in § 193 Abs 2 ABGB idF des KindNamRÄG 2013 die Wortfolge „mindestens sechzehn Jahre“ aufzuheben. Damit würde die Verfassungswidrigkeit behoben, weil sich die Bestimmung dann auf die jedenfalls unbedenkliche Anordnung beschränkte, dass der Annehmende älter sein müsse als das Wahlkind. Auf den konkreten Altersabstand wäre dann im Rahmen der Kindeswohlprüfung Bedacht zu nehmen. Eine Fristsetzung bei der Aufhebung ermöglichte es dem Gesetzgeber, für zukünftige Fälle eine flexiblere Regelung zu schaffen. Sollte der Verfassungsgerichtshof der Auffassung sein, dass der auf die Wortfolge bezogene Antrag zu eng formuliert sei, beantragt der Oberste Gerichtshof hilfsweise die Aufhebung des gesamten § 193 Abs 2 ABGB. Auch dadurch würde die Verfassungswidrigkeit behoben.
5. Mit dem Verfahren über den Revisionsrekurs ist nach § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten.
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