OGH 4Ob213/19f

OGH4Ob213/19f26.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.897 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), aus Anlass des Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. September 2019, GZ 36 R 98/19g‑17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 15. März 2019, GZ 11 C 1323/18x‑11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00213.19F.1126.000

 

Spruch:

Das Revisionsrekursverfahren zu 4 Ob 213/19f wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren zu C‑343/19 (Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt vom 17. April 2019 zu 21 Cg 74/18v) unterbrochen. Das Revisionsrekursverfahren wird nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Das vorliegende Verfahren betrifft die Individualklage (Schadenersatzklage) eines österreichischen Käufers gegen den in Deutschland ansässigen Fahrzeughersteller im Zusammenhang mit dem „Abgasmanipulationsskandal“ im VW‑Konzern, hier bei einem Audi‑Fahrzeug. Der Kläger wirft dem Hersteller vor, in das von ihm erworbene Fahrzeug (Audi Q5 2.0 TDI Quattro mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 mit 125 kW/170 PS) eine Software zur Manipulation der Abgaswerte eingebaut zu haben.

Beim gegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um ein Gebrauchtfahrzeug, das am 20. 8. 2010 erstmals zum Verkehr zugelassen wurde. Es kann nicht festgestellt werden, an welchem Ort der Erstkäufer Eigentum am Fahrzeug erworben hat. Der Kläger hat das Fahrzeug am 28. 11. 2013 in Wien 22 bei einem Autohandelsbetrieb gekauft; auch die Übergabe erfolgte an diesem Tag.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 9.897 EUR sA sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagte für jeden Schaden zu haften habe, der ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehe. Das von ihm erworbene Fahrzeug sei mit dem Motortyp EA 189 ausgestattet und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden. Er habe das Fahrzeug unter der Annahme erworben, dass dieses den gesetzlichen Bestimmungen der Verordnung 715/2007/EG entspreche. Die Beklagte habe vorsätzlich und rechtswidrig Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungsfähig noch zulassungsfähig gewesen seien. Hätte er gewusst, dass das Fahrzeug nicht den Mindeststandards entspreche, so hätte er das Fahrzeug nicht um den überhöhten Kaufpreis erworben. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Die Vermögensminderung bei ihm sei frühestens mit dem Ankauf bzw der Zahlungsverpflichtung und der Übergabe des Fahrzeugs an ihn in Österreich bewirkt worden. Auf die Übergabe an den Erstkäufer komme es nicht an.

Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen (örtlichen) Zuständigkeit. Sie habe keine Handlungen in Österreich vorgenommen. Auch der Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sei nicht in Österreich gelegen.

Das Erstgericht verneinte seine internationale örtliche Zuständigkeit und wies die Klage zurück. Erfolgsort sei jener Ort, an dem der ursprüngliche Schaden beim gewöhnlichen Gebrauch des Erzeugnisses für seinen bestimmungsgemäßen Zweck eingetreten sei. Auf den Ort der Übergabe an den Kläger komme es nicht an.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und verwarf die von der Beklagten erhobene Einrede der fehlenden internationalen örtlichen Zuständigkeit. Für Schadenersatzansprüche des Käufers gegen den Fahrzeughersteller mit Sitz in Deutschland wegen Manipulation von Abgaswerten sei der Erfolgsort im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 jener Ort, an dem der Käufer das Kraftfahrzeug vom Händler erworben und übergeben erhalten habe. Die Vermögensminderung beim konkreten Kläger könne frühestens mit dem Ankauf und der Übergabe des Fahrzeugs an ihn in Österreich bewirkt werden. Dies gelte auch beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs von einem Autohändler. Darauf, wo oder von wem der Autohändler das Fahrzeug erworben habe, komme es nicht an. Erfolgsort sei somit der konkrete Übergabeort des Fahrzeugs an den Kläger. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Anwendbarkeit des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 bei der Auslieferung von Fahrzeugen mit einer Software zur Manipulation der Abgaswerte – höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten, die auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Zuständigkeitsfrage einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Dazu ist die ausstehende Vorabentscheidung des EuGH abzuwarten.

Rechtliche Beurteilung

1.  Beim Obersten Gerichtshof behängen zum sogenannten „Abgasskandal im VW‑Konzern“ zahlreiche Verfahren, wobei sich die Klagen (auch) gegen die Herstellerin der Fahrzeugmotoren richten, mit der die Käufer in keiner Vertragsbeziehung stehen. Dabei handelt es sich zum einen um Individualklagen von Käufern und zum anderen um „Sammelklagen“ von Verbraucherschutzverbänden, die ihnen von Verbrauchern abgetretene Ansprüche geltend machen. Diese Klagen sind in erster Linie auf Schadenersatz vor allem wegen arglistiger Irreführung der Fahrzeugkäufer gerichtet.

Die angesprochenen Verfahren wurden von den jeweils zuständigen Senaten des Obersten Gerichtshofs im Hinblick auf das beim EuGH zu C‑343/19 behängende Vorabentscheidungsverfahren unterbrochen. Dabei handelt es sich sowohl um Fälle, in denen der Käufer einen Neuwagen von einem österreichischen Händler gekauft hat, als auch um solche, in denen ein Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben wurde (9 Ob 44/19i).

2.  In dem beim EuGH behängenden Vorabentscheidungsverfahren hat das Landesgericht Klagenfurt (am 17. April 2019 zu 21 Cg 74/18v) den EuGH um Beantwortung folgender Vorlagefrage ersucht:

„Ist Art 7 Nr 2 der EuGVVO 2012 dahin auszulegen, dass unter Umständen, wie denen des Ausgangsverfahrens, als Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?“

Es ist davon auszugehen, dass der EuGH die Vorlagefrage konkretisiert und sich aus seiner Antwort Klarstellungen zu der auch im Anlassfall relevanten Frage ergeben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs durch den Käufer eines Fahrzeugs gegen den ausländischen Motorenhersteller mit Bezug auf den Markt im Wohnsitzstaat des Käufers (hier mit Bezug auf den österreichischen Markt) ausreichende schadenstypische Zurechnungskriterien vorliegen, sodass auch bei Geltendmachung eines bloßen Vermögensschadens von einem Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in Österreich ausgegangen werden kann.

3.  Da der Oberste Gerichtshof von der allgemeinen Wirkung von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen und diese auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall anzuwenden hat, war das hier vorliegende Revisionsrekursverfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

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