European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00021.22Z.0223.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger und die Beklagte waren von 1990 bis 2019 verheiratet, Der Kläger führte als Einzelunternehmer einen Tischlereibetrieb. Für diesen hatte die Beklagte ein in ihrem Alleineigentum stehendes Grundstück zur Verfügung gestellt, ererbtes Kapital investiert und arbeitete als Angestellte mit. Auch der erwachsene Sohn arbeitete im Betrieb.
[2] Als der Kläger den Betrieb aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr führen konnte, übergab er ihn per 31. 12. 2015 der Beklagten. Als Betriebsinhaber hätte er sonst keine Erwerbsunfähigkeitspension beantragen können.
[3] Im Übergabsvertrag anerkannte der Kläger Forderungen der Beklagten auf Baurechtszins und Überstundenentgelt sowie eine Privateinlage der Beklagten ins Unternehmen. Er verpflichtete sich, diese Beträge sowie die Verbindlichkeiten des Unternehmens gegenüber Dritten (Bankverbindlichkeiten, Abfertigungen, künftige Kundenreklamationen) – insgesamt mehrere hunderttausend Euro – an die Beklagte zu zahlen. Obwohl sich darauf kein Hinweis im Vertragstext fand, war für beide Ehepartner klar, dass sich die Beklagte mit diesen Anerkenntnissen und Haftungsübernahmen nur für den Fall einer vom Kläger angestrengten Scheidung absichern und diese Positionen im Aufteilungsverfahren berücksichtigt wissen wollte.
[4] Der Kläger wusste und hatte verstanden, was er mit dem Übergabsvertrag unterschrieb. Es konnte kein Zwang, Einfluss, Drohungen, Druck oder Mentalreservation festgestellt werden. Eine Scheidung stand damals nicht konkret bevor.
[5] Tatsächlich befriedigte der Kläger 2016 und 2017 keine seiner Verbindlichkeiten laut Übergabsvertrag und die Beklagte forderte in diesem Zusammenhang auch keine Zahlungen.
[6] Der Kläger brachte im Juni 2017 für die Beklagte überraschend eine Scheidungsklage ein.
[7] Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger die Aufhebung des Übergabsvertrags wegen Drohung, List, Irrtum, Verkürzung über die Hälfte, Sittenwidrigkeit und Wucher.
[8] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Aus dem festgestellten Sachverhalt würde sich keiner der behaupteten Aufhebungsgründe ableiten lassen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Kläger hält in seiner außerordentlichen Revision seinen Standpunkt aufrecht, dass die Übergabsvereinbarung wegen Wucher und Sittenwidrigkeit nichtig sei. Damit zeigt er keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[10] 1. Der Kläger argumentiert, dass seine schwere Krankheit seine freie Willensbildung erheblich eingeschränkt habe.
[11] 1.1. Nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB sind Verträge nichtig, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Werte der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht. Das Gesetz missbilligt so die Ausbeutung eines Vertragspartners durch auffallende objektive Äquivalenzstörung der beiderseitigen Hauptleistungen in Fällen der gestörten Freiheit der Willensbildung (9 Ob 37/18h mwN). Wucher kann bei Vorliegen der Voraussetzungen auch bei unentgeltlichen Verträgen vorliegen, wenn das Fehlen einer Gegenleistung nicht bewusst in Kauf genommen wird (vgl RS0023702).
[12] Für die Annahme eines Wuchergeschäfts ist unter anderem Voraussetzung, dass bei dem durch das Geschäft Benachteiligten gewisse Verhältnisse oder Eigenschaften vorhanden waren, die ihn hinderten, sein Interesse gehörig zu wahren (vgl RS0016864). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0016864 [T6]; RS0016861 [T1]).
[13] 1.2. Im vorliegenden Fall wurde zwar festgestellt, dass der Kläger wiederholt in Krankenhausbehandlungen war; er sich damit beschäftigte, möglicherweise nicht mehr lange zu leben; und er der Beklagten erklärte, sie solle zu Baurechtszins und Überstundenentgelt in den Übergabsvertrag reinschreiben, was sie wolle. Allein daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Kläger leichtsinnig handelte, also sich zwar der Folge seiner Handlungsweise bewusst war, aber aus Sorglosigkeit oder mangelnder Überlegung den eingegangenen (durchaus bewusst gewordenen) drückenden Bedingungen die ihnen zukommende Bedeutung nicht beimaß (vgl RS0016875).
[14] Aus dem Sachverhalt ist nämlich auch zu entnehmen, dass das künftige Schicksal des traditionsreichen Familienbetriebs fast zwei Jahre lang wiederholt ein auch vom Kläger selbst aufgeworfenes Thema war; dass der gemeinsame Sohn die Übernahme des Betriebs wegen dessen schlechter finanzieller Situation, Ausstattung und Auftragslage bereits abgelehnt hatte; und dass der Kläger bereits Erwerbsunfähigkeitspension beantragt hatte, diese ihm aber nicht ausgezahlt werden konnte, solange er Betriebsinhaber war. Der Kläger entledigte sich also keineswegs im Hinblick auf sein befürchtetes Ableben leichtfertig all seiner weltlichen Güter, sondern suchte nach einer Möglichkeit, sich trotz seiner schlechten Gesundheit auch in Zukunft ein regelmäßiges Einkommen in Form einer Pension zu sichern.
[15] 1.3. Die in der Revision beschriebene Zwangslage, in der der Kläger vor der Wahl gestanden habe, entweder die Bedingungen für die Betriebsübergabe anzunehmen, oder mit weiteren ehelichen Streitigkeiten rechnen zu müssen, die sich möglicherweise noch weiter negativ auf seinen Gesundheitszustand auswirken würden, ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.
[16] 1.4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger in seiner Willensbildung nicht beeinträchtigt war, ist daher nicht korrekturbedürftig.
[17] 2. Der Kläger hält die Vereinbarung außerdem für sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB, weil sie ihm eine Scheidung wirtschaftlich verunmögliche. Entscheidungen, eine Ehe einzugehen oder fortzusetzen, dürften nicht durch wirtschaftliche Zuwendungen beeinträchtigt werden. So seien etwa der Vorausverzicht auf bestimmte Scheidungsgründe oder die Bedingung, ein Erbe müsse ledig bleiben, sittenwidrig.
[18] 2.1. Nach § 879 Abs 1 2. Fall ABGB ist ein Vertrag, der gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Allgemein verstößt gegen die guten Sitten, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, also aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (RS0022920). Sittenwidrig sind Vereinbarungen, die die durch die überwiegend anerkannte Sozialmoral und die immanenten rechtsethischen Prinzipien der geltenden Rechtsordnung der Privatautonomie gezogenen Grenzen überschreiten (RS0022866 [T1]).
[19] 2.2. Gemäß § 97 EheG können die Eheleute in Schrift- bzw Notariatsaktform im Voraus für den Fall der Scheidung die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse, der Ehewohnung und des übrigen ehelichen Gebrauchsvermögens regeln. Dies ist nicht nur vor, sondern auch während aufrechter Ehe möglich (RS0113792).
[20] Dass sich die wirtschaftlichen Folgen einer Scheidung für die jeweiligen Ehepartner durch eine solche Vereinbarung verändern, liegt geradezu in der Natur der Sache. Der Gesetzgeber hat sich jedoch entschieden, solche Vereinbarungen nicht zu verbieten, sondern zum Schutz vor übereilten Zusagen lediglich eine Formpflicht vorzuschreiben.
[21] 2.3. Im vorliegenden Fall anerkannte der Kläger anlässlich der Unternehmensübergabe Forderungen der Beklagten und übernahm im Innenverhältnis die Haftung für Forderungen Dritter gegen das Unternehmen. Eine Sittenwidrigkeit kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass die Beklagte diese Forderungen während aufrechter Ehe nicht geltend machen wollte, im Ergebnis also eine im positiven Recht explizit erlaubte Scheidungsfolgenregelung vorliegt.
[22] 3. Mangels erheblicher Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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